Protocol of the Session on April 21, 2016

Die Einbindung von Wissenschaftlern mag sinnvoll sein, allerdings haben wir im Lande eine niederdeutsche Sprachwissenschaft, die sich bisher jedoch nicht mit aktiv Sprechenden befasste, sondern sich primär um mittelniederdeutsche Dialektforschung kümmerte. Das ist sicher ein akademisch interessantes und ergiebiges Gebiet, das dem Neuniederdeutschen aber erst einmal wenig hilft.

Ich spreche selber Platt – wenn auch kein Westfälisches Platt, sondern Südschleswiger Platt –, und das Thema liegt mir persönlich am Herzen. Obwohl unsere Fraktion den vorliegenden Antrag eigentlich ablehnen wollte, weil eben die Ausschussüberweisung nicht geplant war, erneuere ich meinen Vorschlag, dass sich alle am Thema Interessierten interfraktionell zusammensetzen und besprechen, wie man noch in dieser Legislatur zielgerichtet weiterkommen kann. Über diese Legislatur hinaus – mittelfristig, langfristig – schwebt mir als strategisches Ziel vor, dass Nordrhein-Westfalen alle drei Teile der Sprachcharta des Europarates ratifiziert und umsetzt.

Aktuell zeigt Mecklenburg-Vorpommern, wie man es richtig macht. Dort wird am Sonnabend, also übermorgen, an der Universität Rostock ein gemeinsam mit dem Niederdeutschen Beirat entwickeltes Heimatprogramm mit einem Konzept aus einem Guss vorgestellt: Plattdeutsch in Kindergärten und Grundschulen, in weiterführenden Schulen ab der 7. Klasse als reguläre zweite Fremdsprache belegbar, an vier Gymnasien oder Gesamtschulen und auch als Abiturfach wählbar sowie ein Kompetenzzentrum für die Didaktik des Niederdeutschen an der Uni Greifswald für die Aus- und Fortbildung von Lehrern.

Ik wünsch‘ mir, dat wir dat ook in Nordrhein-Westfalen so lang bringen künnt. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Danke, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Kampmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Niederdeutsche oder, wie die Westfalen selbst sagen, Platt war lange Zeit Alltagssprache und Ausdruck westfälischer Identität. Auch, wenn es im Alltag inzwischen an Bedeutung verloren hat, ist das Plattdeutsche nach wie vor ein selbstverständlicher Teil der nordrhein-westfälischen Kultur. Nur, weil es immer weniger gesprochen wird – da gebe ich Ihnen vollkommen recht –, darf diese Sprache nicht ganz in Vergessenheit geraten, denn Sprache ist immer auch ein Stück Heimat.

Es ist und bleibt eine wichtige Aufgabe, diesen bedeutenden kulturellen Schatz für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. Ich schließe mich hier Frau Schmitz an und möchte den vielen Ehrenamtlichen, die sich in den Heimatvereinen engagieren, heute ein herzliches Dankeschön dafür sagen.

Ich möchte aber auch betonen, dass es nicht nur die Heimatvereine sind, sondern es gibt zum Beispiel einen plattdeutschen Twitteraccount, dem ich folge und den ich nur empfehlen kann. Es gibt auch auf Facebook Gruppen von jungen Menschen, die dort Platt miteinander sprechen und sich auf Platt schreiben. Das ist also nicht nur etwas für die Älteren, sondern darin engagieren sich auch viele Jüngere.

Es wurde eben schon gesagt, der LWL unterstützt das Ganze. Es gibt eine institutionelle Förderung für die Arbeit des Instituts für niederdeutsche Sprache, und er unterhält auch eine wissenschaftliche Kommission für die Mundart- und Namensforschung zur sprach- und literaturwissenschaftlichen Erforschung Westfalens.

Auch die Bezirksregierung Münster hat mit Unterstützung der Uni einen Modellversuch gestartet, den ich wirklich sehr lobenswert finde. Er hat nämlich das Ziel, das Plattdeutsche an ausgewählten Grundschulen wieder als Unterrichtssprache zu etablieren.

So ist das Niederdeutsche oder das Platt eben im Wesentlichen auch eine gesprochene Sprache und keine Schriftsprache. Die Förderung und unterstützende Maßnahmen sind deshalb vor allem in der Region notwendig und wirkungsvoll, also da, wo die Sprache noch gesprochen wird – da gehört das Ganze auch hin, finde ich.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren: Was tut die Landesregierung? Das wurde an vielen Stellen schon gesagt und steht ja auch im Antrag selbst drin. Wir haben die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ratifiziert. Damit haben wir uns eben auch verpflichtet, Maßnahmen zum

Schutz und zur Förderung der Regionalsprachen umzusetzen. NRW hat in der Folge Teil 2 der Charta ratifiziert – mein Kollege Andreas Bialas hat es eben schon gesagt – und damit auch allgemeine Grundsätze und Ziele formuliert.

Mit der Unterzeichnung dieser Sprachencharta haben wir uns dazu verpflichtet, die Wünsche und die Bedürfnisse der Sprachgruppen bei unserer Arbeit zu berücksichtigen. Wir sind der Meinung, lieber Herr Rehbaum, dass Kaffee und Kuchen dafür nicht unbedingt reichen. Deshalb hat die Staatskanzlei eine Koordinierungsstelle für Niederdeutsch eingerichtet, die sich regelmäßig trifft und zu der Vertreter des Niederdeutschen und die fachlich beteiligten Ressorts auch entsprechend eingeladen werden.

Wir kommen damit den Verpflichtungen aus Teil 2 der Charta nach, zu der wir uns – das möchte ich auch noch einmal betonen – ausdrücklich bekennen.

Andere Länder – sie haben es angesprochen – wie Schleswig-Holstein haben in der Tat einen solchen Beirat eingerichtet, wie Sie ihn vorschlagen. Dort ist er allerdings ein Instrument der parlamentarischen Arbeit und beim Landtag selbst angesiedelt. Es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, einen solchen Beirat beim Landtag direkt einzurichten. Meiner Meinung nach wäre dafür allerdings der heutige Antrag nicht notwendig gewesen. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns da noch einmal weiter beraten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Hen- ning Rehbaum [CDU])

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.

Wie ich höre, haben sich die Fraktionen im Verlauf der Debatte darauf verständigt, den Antrag nicht, wie ursprünglich vorgesehen, heute direkt abzustimmen, sondern an den Kulturausschuss zu überweisen mit der Maßgabe, dass die weitere Beratung und die abschließende Abstimmung dort in öffentlicher Sitzung erfolgen soll. – Ich sehe allseits keinen Widerspruch.

Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann werden wir so verfahren. Der Antrag Drucksache 16/11433 ist an den Kulturausschuss überwiesen.

Ich rufe auf:

11 Das nordrhein-westfälische Parlament braucht

eine fortschrittliche Debattenkultur, die den Erwartungen der Gesellschaft folgt

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/11689

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Piratenfraktion als erstem Redner Herrn Kollegen Bayer das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich heute speziell an Sie persönlich wenden –

(Zuruf von der SPD: An wen wenden Sie sich denn sonst?)

auch wenn natürlich Zuschauer per Stream zusehen; bestimmt nicht weniger –, aber genau Sie – diejenigen, die da sind – sind mir hier besonders wichtig. Es ist ein Zeichen der Höflichkeit, alle anzusprechen und wichtig zu nehmen, die zuhören. Aber gerade jetzt ist es mir besonders wichtig, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einsteigen und mit uns die Debatte ernsthaft und offen führen.

Diesen Diskurs brauchen wir nämlich nicht nur in einem kleinen, fokussierten Kreis, wenn einmal die Geschäftsordnung geändert werden soll oder wenn, wie aktuell im Bundestag, eklatante Mängel im Parlamentsalltag sichtbar werden, sondern mitten unter uns, auch hier im Plenum und im Hauptausschuss – eigentlich ständig. Wir kommen im Parlamentsalltag dazu ja leider viel zu selten, fast nie. Heute ist der richtige Zeitpunkt.

2012 fragten wir Piraten uns in den Parlamenten und in Blogbeiträgen, wie wir Debattenkultur gestalten müssen und wie wir sie verändern können. Wir wissen inzwischen, dass die sukzessive Arbeit an Veränderungen gerade bei gegenläufigen Tendenzen wichtig und dennoch wirksam ist, aber sehr lange dauert und eine gewisse Unnachgiebigkeit erfordert – gerade dann, wenn es nervig wird.

Sie, liebe Abgeordnete, in Ihrem Alltag zu nerven, erfüllt einen Brecht’schen Zweck und soll zum Nachdenken anregen. Wir dürfen nicht unüberlegt zur Brechstange übergehen, die dann ja oft bricht, anstatt zu verändern. Denn selbst, wenn uns alles logisch erscheint: Solange die Intention nicht erkennbar ist, ist das schlecht. Wir wollen ja nicht stören um des Störens willens; darauf lege ich großen Wert.

Ein Gutachten des Präsidiums, welches genau diese Unterscheidung macht, bot den Anlass für diesen Antrag. Zugegeben: Anfangs war ich geschockt – nicht nur darüber, dass mich Vizepräsident Keymis am 4. Dezember mit einem Hinweis auf Weimar unterbrach. Das Gutachten sollte ausdrücklich mit Bezügen zur historischen Entwicklung arbeiten, und durch die historische Gegenüberstellung im Gutachten wird meine Rede in den Kontext der Reden von

Vertretern der NPD, KPD und NSDPA – unter anderem Joseph Goebbels – gerückt. Die sich dadurch ergebende implizite persönliche Unterstellung weise ich entschieden zurück.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Gutachten weist darauf hin, dass die Intention entscheidend ist. Wir streben jedenfalls keine Strategie des Sand-ins-Getriebe-Streuens oder des Zusammenbruchs der Kommunikationsstrategien an wie die NSDAP. Wir möchten das Volk nicht vom Parlament entfernen, und wir brechen nicht die Regeln, einfach um zu polarisieren. Im Gegenteil: Wir wollen die Regeln nachhaltig mit Ihnen gemeinsam ändern und tun dies. Wir sind nicht gegen, sondern für den Parlamentarismus. Abschaffen wollen wir die Politikverdrossenheit.

Achten Sie darauf. Denn ein Aufbau von Hürden und ein Abbau von Beteiligung – auch im Parlament – trifft immer die Demokratie, aber selten diejenigen, die nur stören wollen; das schaffen die nämlich auch so – während funktionierende demokratische Prozesse im Zweifel nur sehr schwer wieder herzurichten sind. Dies gilt vor allem dann, wenn man die Macht über die Prozesse vielleicht sogar verloren hat.

Wir arbeiten hier an einer Weiterentwicklung und damit an einer Stärkung des Parlamentarismus und der Demokratie: mehr Bürgerbeteiligung, Streaming, Offenheit. Das Gutachten spricht dabei von „Errungenschaften“. Ich freue mich über das Gutachten, weil es zeigt, dass sich der Parlamentarismus ändern kann und weiter verändern muss und dass das ein guter Prozess ist, den Piraten wieder neu angestoßen und Abgeordnete anderer Fraktionen aufgenommen haben.

Für mich ist es ein Zeichen der Höflichkeit, alle anzusprechen und wichtig zu nehmen, die zuhören. Lassen Sie uns gemeinsam die Geschichte des Parlamentarismus weiterschreiben. – Vielen Dank. Vielen Dank auch fürs Zuhören.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke, Herr Kollege Bayer. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Prof. Dr. Bovermann das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Ernst Fraenkel, einem der Gründungsväter der Politikwissenschaft nach 1945, stammen die Worte, das Kritikwürdigste am bundesdeutschen Parlamentarismus sei die an ihm geübte Kritik.

Der Antrag der Piraten liefert einen erneuten Beweis für diese Aussage. Dabei ist das Thema an sich wichtig. Ich bin den Piraten durchaus dankbar, dass wir

heute über das Thema „Debattenkultur“ im engeren Sinne und „Parlamentskultur“ im weiteren Sinn diskutieren. Allerdings ist der Inhalt Ihres vorgelegten Antrages nicht geeignet, hierzu einen konstruktiven Beitrag zu leisten.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Im ersten Teil des Piratenantrages geht es um die direkte Ansprache der Zuhörerinnen und Zuhörer durch Abgeordnete in Plenardebatten. Zunächst könnte man die Frage stellen, ob Abgeordnete die Besucher auf der Tribüne begrüßen oder anreden dürfen, ob das nicht eine Nebensächlichkeit sei. Dahinter steht aber die grundsätzliche Frage nach der Öffentlichkeitsfunktion des Landtages im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie: Wer ist der Adressat von Plenarreden? Welchen Zweck verfolgen Plenarreden?

Dazu hat das Präsidium das gerade schon angesprochene Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis kommt – ich zitiere –:

„Das Plenum bietet das Forum, um die Gründe für die jeweilige Entscheidung öffentlichkeitswirksam darzustellen. … Die Debatte dient so der Legitimation und stellt Verantwortung her.“

Damit ist die Funktionslogik der Plenardebatte in einer parlamentarischen Demokratie korrekt beschrieben. Die Öffentlichkeit ist zwar Adressat; aber es findet kein öffentlicher Diskurs zwischen Publikum und Parlament statt.

Unter juristischen Aspekten ist die Regel der Nichtansprache der Zuhörerinnen und Zuhörer Teil des Gewohnheitsrechtes. Wird sie nicht eingehalten und ist damit sogar ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie verbunden – wie in der Endphase der Weimarer Republik durch Mitglieder der NSDAP oder auch heute noch durch Vertreter ihrer Nachfolgeparteien –, so liegen eine Verletzung der Würde des Parlaments und ein Verstoß gegen die parlamentarische Ordnung vor.

Die Piraten weisen zu Recht in ihrem Antrag darauf hin, dass diese Regel dem Wandel unterliegt. In der Tat hält sich inzwischen ein Teil der Abgeordneten aus unterschiedlichen Fraktionen nicht mehr an diese Regel und grüßt die Besucher auf der Tribüne und im weltweiten Netz. Dieses kann ein kleiner Schritt zur Verbesserung der Debattenkultur sein.