Protocol of the Session on April 20, 2016

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Brockes. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) : Vielen

Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir behandeln hier heute drei Anträge zum Bereich Industrie, Klimaschutz und Emissionshandel, die zum Teil auch noch an den Ausschuss überwiesen werden. Konkreter Anlass dafür sind Befürchtungen, die sich in einer Großdemonstration vor anderthalb Wochen in Duisburg äußerten, und die sich nähernden Landtags- und Bundestagswahlkämpfe.

Warum sich die insgesamt vier Anträge stellenden Fraktionen nicht auf einen gemeinsamen Antrag einigen konnten, ist unklar. Die verkehrten Stoßrichtungen und inkonsistenten Begründungen haben sie gemeinsam.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Wie üblich werden tatsächlich oder behauptete Missstände anderswo als Begründung dafür missbraucht, hier so weiterzumachen wie bisher, also an den eigenen Fehlentwicklungen nichts zu ändern – sodass nichts besser werden kann, sondern höchstens schlechter.

Es ist natürlich Unsinn, dass hocheffektive Werke durch einen Zertifikatehandel bestraft würden, der endlich mal vom Kopf auf die Füße gestellt werden soll. Bestraft werden die alten ineffektiven Werke, die mehr teure Zertifikate brauchen als die neuen.

Einerseits zu behaupten, wir hätten die modernsten und besten Stahlwerke, andererseits sei seit 15 Jahren nichts mehr in die metallverarbeitende Industrie investiert worden, ist selbst für beginnende Wahlkampfzeiten erstaunlich bizarr. Alle vier anderen Fraktionen sollten mal ihre Sprechblasengeneratoren neu kalibrieren, an denen seit 15 Jahren nicht mehr geschraubt wurde.

(Beifall von den PIRATEN)

Dass in Chinas Sonderwirtschaftszonen ein seit Jahren funktionierender Zertifikatehandel herrscht, ist eine Tatsache, die hier nicht in den Kram passt. Da würden Sie Ihr blaues Wunder erleben, wenn wir eine Ausweitung des Emissionshandelssystems auf China bekämen, wie die CDU es fordert. Da muss die gelbe Gefahr mal wieder wie zu Kaisers Zeiten als Buschermann herhalten. Billiger geht es nicht mehr.

Was werden Nordrhein-Westfalens chinesische Partnerregionen wohl zu den Begründungen dieser Anträge sagen? Sie werden eine Ausweitung des chinesischen Zertifikatehandels auf Nordrhein-Westfalen als Gegenvorschlag bringen, damit der Fortgeschrittenere dem Zurückgebliebenen hilft. Wir brauchen nämlich einen Zertifikatehandel, der etwas verschlägt, weil er einen echten Anreiz schafft, weitere Verbesserungen einzuführen, den technologischen Vorsprung fördert und dadurch zukunftsfähige Arbeitsplätze schafft und sichert.

(Beifall von den PIRATEN)

Und das fördert die Energiewende, die gerade aus Berlin weiter zerschossen wird. Da heißt es, entschieden gegenhalten. Das ist das Gebot der Stunde.

Stattdessen werden Strafzölle gefordert. Das passt ausgezeichnet in die Zeiten von TTIP und CETA. Wir müssen die Energiewende durch eine Reform des Emissionshandels voranbringen und damit die Investitionssicherheit für strategische Industrien sichern.

Umwelt, Klimaschutz und Energiewende sind die strategischen Zukunftsentscheidungen. Das Festhalten am Alten führt später zu verstärkten Strukturbrüchen. Nebenbei müsste der Preis für Kohlendioxid bei mindesten 30 €/t liegen, damit Gaskraftwerke gegen Braunkohle konkurrieren können.

Stattdessen wird in den Anträgen ein Wettlauf der Schäbigkeit vorgeschlagen, und das ist auch schäbig gegenüber den Beschäftigten. Mit derselben Methode, wie Sie sie schon in den 80er-Jahren anwendeten, nämlich einen Strukturwandel zu verschlafen, den Betroffenen Sand in die Augen zu streuen und dann Krokodilstränen zu weinen, nachdem es richtig schiefging, werden Sie auch dieses Mal ein Fiasko anrichten, möglicherweise mit ähnlich lang dauernden Folgen wie damals – zum Schaden aller Beteiligten.

Keiner dieser Anträge ist zustimmungsfähig. Einer Ausschussüberweisung stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Ausnahme des Abgeordneten Rohwedder, der all das negiert – das will ich ausdrücklich hervorheben; das können Sie zu Hause so erzählen –,

(Heiterkeit von der CDU und der FDP – Zuruf: Die Frage ist, ob es jemanden interessiert!)

haben alle anderen Rednerinnen und Redner sehr deutlich auf die sich zuspitzende, absolut dramatische Situation innerhalb der deutschen Stahlindustrie hingewiesen.

Wir als Landesregierung teilen diese Befürchtung der Unternehmen, teilen die Befürchtung der Beschäftigten. Die große Demonstration in der vorigen Woche in Duisburg und in anderen Orten der Republik für den Erhalt der Arbeitsplätze hat das noch einmal sehr eindrucksvoll gezeigt. Wir alle kennen die Bedeutung der Stahlindustrie gerade hier in NRW. Die Produktion von über 16 Millionen t Rohstahl – immerhin 38 % der gesamten deutschen Produktion – und mehr als 46.000 Beschäftigte, was über 50 % der Stahlbelegschaften in Deutschland ausmacht, sprechen für sich.

Aber nicht nur diese Zahlen sind beeindruckend, sondern wenn man sich mit dem Thema „Wertschöpfungskette, Wertschöpfungsnetzwerk“ befasst, zeigt sich, welche Bedeutung die Stahlindustrie hat. Sie ist ein absolut unverzichtbarer Bestandteil einer solchen

Wertschöpfungskette, an deren Ende vielleicht ein Auto steht oder andere Produkte stehen.

Die Leistungs- und Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie zu sichern, ist unser Anliegen. Dennoch sind diese Tausende hochqualifizierter Arbeitsplätze der deutschen und europäischen Stahlindustrie aktuell in Gefahr. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass es dafür mehrere Gründe gibt, insbesondere zwei:

Erstens. Die massiven Überkapazitäten Chinas haben zur Folge, dass die Stahlprodukte zu sehr niedrigen, zu gedumpten Preisen auf den EU-Markt drängen.

Zu den Größenordnungen: Der Export der chinesischen Stahlindustrie betrug im letzten Jahr 112 Millionen t. Der Bedarf innerhalb der EU an Stahl beträgt 150 Millionen t. Das zeigt, mit welchen Dimensionen und Wettbewerbsverdrängungen wir es zu tun haben.

Zweitens. Ein weiteres großes Thema ist die Reform des Treibhausgasemissionshandels und die veränderten Rahmenbedingungen auf europäischer

Ebene.

Vor diesem Hintergrund stellen verschiedene Fraktionen hier Anträge, um auf die Lage der Stahlindustrie hinzuweisen. Das zeugt davon, dass sich mittlerweile alle dieser Probleme bewusst sind.

Wir fordern nationale und europäische Unterstützung der Stahlindustrie. Der Bundesrat – Herr Hovenjürgen, ich komme in der Tat gleich noch mal darauf zurück – wird sich schon am Freitag intensiv damit befassen. Wir fordern in unserem Bundesratsantrag eine wirkungsvolle Außenhandelspolitik und von den zuständigen Behörden, dass sie die handelspolitischen Schutzinstrumente konsequent und transparent nutzen und beschleunigt anwenden müssen.

Wir erwarten von der EU-Kommission, die Prüfverfahren bei Antidumping deutlich zu verkürzen, und die EU soll China den Marktwirtschaftsstatus nur dann verleihen, wenn alle fünf technischen Kriterien der EU erfüllt sind.

Wer sich diese fünf Kriterien für die Anerkennung als Marktwirtschaft einmal anguckt, ist vielleicht wie ich verwundert darüber, dass die EU zu dem Ergebnis kommt, ein Kriterium der fünf Kriterien sei schon erfüllt. – Ich kann kaum erkennen, wo das der Fall sein soll. China ist weit davon entfernt – bei aller Nähe, die wir als Landesregierung zu China pflegen.

Der zweite Punkt ist die Energie- und Klimapolitik. Natürlich ist die ETS-Reform ein sehr wichtiges Thema. Aber wir müssen verhindern, dass energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, ins Ausland abwandern.

Wir sind davon überzeugt, dass eine Klimaschutzpolitik nach dem Motto „Wenn die Industrie abwandert,

ist Gutes für das Klima getan“ nicht weiterhilft; sie ist falsch, weil sie der Industrie schadet und das Klima nicht schützt, sondern stärker als bisher belastet, weil diese Kapazitäten dann ja an anderer Stelle entsprechend aufgebaut werden.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit für die Landesregierung: Die Benchmarks für energieeffiziente Anlagen müssten technologisch und wirtschaftlich erreichbar sein.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP] und Chris- tof Rasche [FDP])

Zudem müssen die Benchmarks auch Stromerzeugung mit Kuppelgasen abbilden, die aus Effizienz- und Umweltschutzgründen sinnvoll sind. Das ist für den Erhalt der europäischen Stahlindustrie unabdingbar.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP] und Chris- tof Rasche [FDP])

Im Übrigen muss die neue ETS-Richtlinie bald geklärt werden, damit Unternehmen verlässlich planen können. Insbesondere muss bis 2017 die überarbeitete Carbon-Leakage-Liste vorgelegt werden, die derzeit erst für 2019 vorgesehen ist.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Das sind die Forderungen der Landesregierung im Entschließungsantrag im Plenum des Bundesrates. Wir sind dieser Tage in intensiven Diskussionen und werden sicherlich bis Donnerstagabend dafür sorgen, dass dieser Antrag eine Mehrheit bekommt. Dann können wir als Politik, aber eben auch gemeinsam mit der Industrie, mit den Arbeitnehmern, mit den Arbeitgebern, mit den Gewerkschaften und den Verbänden genügend Einfluss ausüben, um die Bedingungen für die Stahlindustrie zu verbessern.

Ein letzter Punkt – Herr Präsident, wenn Sie erlauben –, weil wir hier Ratschläge von Herrn Hovenjürgen entgegennehmen durften, was wir zu tun hätten –

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Hinweise! – Zuruf von Armin Laschet [CDU])

ich will es so deutlich sagen – und weil auch Herr Laschet im Raum ist: Ich habe gerade einmal auf Ihrer Homepage, auf der der CDU-Landtagsfraktion, nachgeschaut. Dort gibt es zig Einträge zu „Stahl“, aber die betreffen Ihren Vorvorgänger, und zu dem eigentlichen Thema gibt es zwei Pressemitteilungen.

Die hatten aber jeweils nicht die Sorge um die Stahlindustrie zum Anlass, sondern Aktivitäten der Landesregierung. Die erste Mitteilung, die Sie inhaltlich dazu gemacht haben, war, nachdem wir schon im Herbst letzten Jahres zum Stahlgipfel eingeladen hatten, um mit allen Beteiligten diese Probleme auf die politische Agenda zu setzen, und die zweite war,

dass Sie in der letzten Woche gemerkt haben: „Oh, da ist eine große Demonstration. Jetzt lade ich einmal jemanden ein. Jetzt wollen wir uns auch um das Thema kümmern.“

Da brauche ich keine Ratschläge. Wir hatten dieses Thema sehr früh auf der Tagesordnung