Tatsächlich sind Migrantinnen und Migranten ein großer und wichtiger Teil der Gründer- und Selbstständigenszene. Das noch einmal herauszustellen, die Potenziale hier anzusprechen, ist sicherlich richtig. Aber direkt wieder umfangreiche Spezialprogramme, Spezialhilfen, Spezialangebote zu fordern, ist purer Aktionismus.
Es gibt vor allem zwei Bereiche, in denen wir für Migrantinnen und Migranten einen spezifischen Bedarf ausmachen können. Das ist erstens die Sprache und zweitens die Anerkennung beruflicher Qualifikationen aus dem Ausland.
Sonst haben Gründer und Selbständige eigentlich gleiche oder zumindest ähnliche Probleme und Bedarfe. Das haben Sie doch auch erkannt. Sie führen in Ihrem Antrag die Probleme auf: Finanzierungsprobleme sowohl in der Gründungs- als auch in der Wachstumsphase, zu wenig qualifiziertes Personal, keine mittelfristige Strategie zur Unternehmensentwicklung, wenige Informationen über Förderprogramme und Schwierigkeiten mit Auflagen der Behörden und Verfahrensabläufe. Das kommt bekannt vor, denn das erzählt ja so ungefähr jeder Gründer.
Sie schreiben in dieser Aufzählung einfach „spezifische Fragestellungen“ und haben hier Ihr Spezialthema. Man kann aber nicht Unterpunkte ausarbeiten, wenn man noch nicht einmal die Überschrift vernünftig schreiben kann. Die Überschrift lautet: Gründungskultur.
Weiter verlangen SPD und Grüne zum Beispiel, dass bestehende Zugangsbarrieren für selbstständige Erwerbstätigkeit von Zuwanderern abgebaut werden. Das ist recht erstaunlich aus zwei Gründen. Erstens baut die Arbeitsministerin der SPD in Berlin eine Zugangsbarriere nach der anderen für junge Menschen auf. Dabei möchte ich gar nicht noch einmal vom
Mindestlohn sprechen, sondern von den überbordenden Regulierungen der Arbeit. Neue Ideen, neue Geschäftsmodelle und neue Innovationen entstehen in einer Kultur der Freiheit und der Freiräume, nicht in den von der Bundesregierung genormten Standardbüros zu vorgegebenen Arbeitszeiten zwischen 9:00 Uhr und 17:30 Uhr und zu staatlich fixierten Gehältern.
Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dem Abbau von Gründungsbarrieren, dann pfeifen Sie endlich Ihre fleischgewordene Start-up-Bremse Andrea Nahles zurück.
Ja, das ist so. Hören Sie mal weiter zu. – Zweitens: Gerade einmal vor zwei Wochen haben sich der Wirtschaftsminister hier in diesem Land und Vertreter der Koalitionsfraktionen aufgebaut und behauptet, dass die Bürokratie, die von CDU und FDP kritisch angesprochen wird, gar nicht existieren würde. Jetzt fordern SPD und Grüne selbst, bestehende Zugangsbarrieren abzubauen. Für Sie gibt es also keine Bürokratie, sondern Zugangsbarrieren. Das ist entweder Dialektik alter sozialdemokratischer Schule oder scheinheilig.
Und wenn ich über Zugangsbarrieren hier sprechen darf: Die haben Sie in den letzten sechs Jahren in großem Umfang eingeführt. Ich mag nur einmal die Stichworte wie das Tariftreue- und Vergaberecht, den Landesentwicklungsplan, das Naturschutzgesetz oder den nicht vorhandenen Ausbau von Breitband in Nordrhein-Westfalen nennen. Das sind Zugangsbarrieren, die nicht nur Migrantinnen und Migranten haben, sondern jeder Gründer in diesem Land.
Herr Hafke, bevor Sie sich weiter in Fahrt reden mit dem üblichen Aufzählen der Vorwürfe, die wir hier alle schon kennen, möchte ich Sie fragen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass wir uns jetzt mit der migrantischen Wirtschaft beschäftigen und nicht allgemein mit dem
Frau Müller-Witt, es ist schon spannend. Sie hätten mir vielleicht einfach einmal zuhören sollen, denn ich habe gesagt: Migrantinnen und Migranten stehen insbesondere zwei spezifischen Herausforderungen gegenüber: Das eine ist die Sprache, und das andere ist die Anerkennung von beruflichen Abschlüssen. Alles andere ist für jeden Gründer in diesem Land gleich.
Diesen Menschen, den Migrantinnen und Migranten, die hierherkommen, wollen wir keinen Stempel aufdrücken. Wie wollen sie nicht separieren und keine Spezialprogramme für sie machen.
Lassen Sie uns daran arbeiten, die Rahmenbedingungen für Gründer, für die Wirtschaft insgesamt besser zu machen. Oder können Sie mir einmal erklären, warum in Deutschland und in NordrheinWestfalen eine Unternehmensgründung 14 Tage dauert und mindestens neun Behördengänge erfordert, während es im außereuropäischen und im europäischen Ausland teilweise schneller geht? Das sind doch Auflagen und Hindernisse für Gründer und Selbstständige in diesem Land. Sie könnten mit Ihrem Wirtschaftsminister ganz konkret daran arbeiten, die Situation in diesem Land zu verbessern.
Meine Damen und Herren, bei Ihren weiteren Forderungen zu den Beratungs- und Informationsangeboten sollten wir bei der Beratung im Ausschuss noch einmal genau hinsehen.
Vieles von dem, was Sie hier fordern, würde ich ehrlich gesagt ohnehin von Startercentern und anderen Beratungsinstitutionen erwarten. Dass Informationen zugänglich sind, wie Sie es hier schreiben, ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Dass die Kompetenzzentren Frau und Beruf auch Frauen mit Migrationshintergrund beraten können und dies auch längst tun, würde ich einfach mal so annehmen. Hier wünsche ich mir eine differenzierte Sicht.
Wir brauchen keine breit gestreuten Sonderprogramme, sondern sollten genau hinschauen, wo es wirklich spezifische Bedarfe gibt und wo es klassische Bedarfe sind.
Ich möchte abschließend noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Ich halte Ihre Spezialisierungsfreude an dieser Stelle für kontraproduktiv. Ich habe das gerade auch schon einmal angesprochen. Wo
es spezifische Anliegen von Migrantinnen und Migranten bei Sprache und der Anerkennung von Qualifikationen gibt, da benötigen wir vernünftige Lösungen. Aber wenn Sie den Migrantinnen und Migranten für alles immer ein Sonderprogramm aufdrücken, ist das eher falsch. Sie separieren diese Menschen damit.
Ich glaube aber nicht, dass jemand, der ein Unternehmen in diesem Land gründen möchte, sich zuerst einmal als Migrant versteht. Er versteht sich als Gründer, als jemand, der seine Idee und Innovation voranbringen und sein Unternehmen gründen möchte. Er ist also in erster Linie Gründer. Er möchte Beratung. Er benötigt Informationen und vielleicht eine Anschubfinanzierung. Er will sich nicht mit Bürokratie aufhalten. Das gilt für Migrantinnen und Migranten, aber auch für jeden anderen Gründer. Daran sollten wir arbeiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Menschen mit Migrationshintergrund! Man muss sich das ab und zu vor Augen führen; denn eigentlich sind wir alle Afrikaner. Vor 7.000 bis 8.000 Jahren – das haben neuere Untersuchungen ergeben; ich verfolge so etwas gern – hatten wir alle noch eine dunkle Hautfarbe. Das möchte ich vorwegschicken.
Wohlstand und Zufriedenheit werden geschaffen, wenn jeder Mensch sein volles Potenzial in die Gesellschaft einbringen kann, egal, ob er oder sie Lisa, Tarek oder Dunja heißt. Ich denke, das ist die gemeinsame Auffassung von uns allen zu diesem Antrag.
Der gesellschaftliche Pluralismus wird auch im 21. Jahrhundert leider noch immer nicht von allen Menschen akzeptiert. Das machen nicht zuletzt die letzten Wahlerfolge deutlich. Ich möchte an der Stelle anfügen: Kulturelle Isolation hat zu keinem Zeitpunkt und nirgendwo auf der Welt zu irgendetwas Sinnvollem geführt.
Innovation hatte immer drei Voraussetzungen. Erstens: Unterschiedliche Identitäten begegnen einander und kommunizieren miteinander. Zweitens: eine relative wirtschaftliche Sicherheit. Und drittens: Bildung.
Darum geht es jetzt auch, denke ich. Ich möchte das zumindest gern aus dem Subtext dieses rot-grünen Antrags herauslesen können. Jeder Jeck ist anders. Diese Einsicht tut weder weh noch ist sie eine Bedro
hung der eigenen Identität. Sie kann vielmehr das Leben in einer Gesellschaft kulturell und natürlich auch wirtschaftlich bereichern. Heute gehören Menschen mit Migrationshintergrund zu einer Minderheit. Etwa 25 % sind es in Nordrhein-Westfalen. Nach Angaben des jüngsten Teilhabe- und Integrationsberichts besitzt bei den Ein- bis Zweijährigen aber bereits mehr als jedes zweite Kind in NRW einen Zuwanderungshintergrund. Kulturelle Vielfalt ist also schon heute Realität und wird in Zukunft noch viel selbstverständlicher sein. Und das ist gut so.
Ich frage Sie: Warum sollte der nächste Habermas, der nächste Peter Grünberg oder der nächste Werner von Siemens keinen zunächst fremdländisch klingenden Namen tragen? – Viele junge motivierte Menschen ziehen zu uns nach Deutschland. Lassen Sie uns dieses Potenzial bitte nicht brachliegen. Lassen Sie uns vor allem aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, als man noch von Gastarbeitern sprach, die nur einfache Tätigkeiten in der Industrie ausführten und danach wieder in ihre Heimatländer zurückkehren sollten.
Kulturelle Vielfalt setzt auch Kreativität frei. Das ist wichtiger denn je; denn in der heutigen Wissensökonomie zählen die Köpfe und weniger die Beine. Schon heute studieren an der Universität DuisburgEssen – um ein Beispiel zu nennen – Menschen aus über 140 Herkunftsländern.
Der vorliegende Antrag von Rot-Grün fordert jetzt also die Regierung auf, Förder- und Beratungsangebote aufzubauen, um die Gründungs- und Übergabeaktivitäten von Menschen mit Migrationshintergrund zu erleichtern und ihre Repräsentation in den Kammern zu stärken. Solch ein Programm kann in der Tat dort Erfolge zeigen, wo es wirklich migrantenspezifische Hürden gibt. Dazu haben Sie selbstverständlich unsere Zustimmung.
Ich bin allerdings auch der Auffassung, dass es in vielen Fällen völlig egal ist, ob jemand aus dem Ausland kommt oder nicht, wenn er oder sie vor dem Dickicht aus Vorgaben, Hürden und bürokratischen Abläufen steht, der in Deutschland regelt, wer welche Tätigkeit ausüben oder ein Unternehmen in welchen Bereichen gründen darf.
Doch anstatt diese Hürden abzubauen, wollen Sie weitere Fortbildungs- und Informationsprogramme aufbauen und so noch mehr Dickicht im Förderdschungel schaffen. Das ist genau der falsche Weg. Da würde ich mir gerade von Rot-Grün mehr Mut wünschen.
Außerdem möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen. Sie wollen kulturelle Vielfalt als Erfolgsfaktor nutzen. Nur 1,4 % der Migrantinnen und Migranten sind als Beamte tätig, aber 7,2 % der Menschen ohne Migrationshintergrund. Die haben eigentlich auch einen; ich habe das eingangs gesagt. Dieses Missverhältnis war bereits des Öfteren Thema im
Landtag. Ein Durchbruch ist aber bislang noch nicht erreicht worden. Also auch hier gibt es im Sinne aller Menschen mit Migrationshintergrund noch viel zu tun.
Zudem kommt eines in Ihrem Antrag leider zu kurz. Bei den Unternehmensgründungen zählt Qualität und nicht Quantität. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann wird ersichtlich, dass der Selbstständigenanteil unter den Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund bei 9,6 % und damit nur geringfügig unter dem von Menschen ohne Migrationshintergrund mit 10,3 % liegt. Das stammt aus dem Teilhabe- und Integrationsbericht 2016. Das brachliegende Potenzial liegt also in erster Linie bei wissens- und technologiebasierten Gründungen und nicht darin, dass die Masse an Gründungen fehlt, wie Ihr Antrag impliziert.
Wir dürfen am Ende nicht vergessen – das ist die traurige Wahrheit –, dass Menschen mit Migrationshintergrund noch immer den Weg in die Selbstständigkeit gehen müssen, weil ihre Qualitäten auf dem Arbeitsmarkt nicht anerkannt werden. Die Selbstständigkeit ist also oft aus der Not heraus geboren. Das liegt zum einen daran, dass die Abschlüsse der Migranten nicht anerkannt werden. So ergeht es – laut Mikrozensus 2014 – 30 % der Migranten, die aus diesem Grund einen anderen als ihren erlernten Beruf ausüben müssen.
Wir leben leider immer noch in einem Land, in dem eben nicht gefragt wird: „Was kannst du?“, sondern: „Welches Zeugnis hast du in der Tasche?“ Das macht es den Migranten besonders schwer und stellt der Integration weitere unnötige Hürden in den Weg.
Aber auch Diskriminierung spielt eine Rolle. Untersuchungen zeigen, dass sich Jugendliche mit Migrationshintergrund sehr viel häufiger bewerben und entsprechend viele Ablehnungen bekommen. Rund 60 % der ausbildenden Betriebe haben noch immer keine Auszubildenden mit Migrationshintergrund. Damit bin ich nicht zufrieden, und damit können auch Sie nicht zufrieden sein. Hier ist noch viel Arbeit zu erledigen.
Ich möchte Ihnen zum Abschluss noch etwas erzählen, was mich vor einigen Jahren – 2001 war das, glaube ich – sehr beeindruckt hat: ein Essay von Thomas Kleine-Brockhoff mit dem für mich etwas unglücklich klingenden Titel „Wenn Rassenruhe ausbricht“. Er schildert dort eine Vorstadtsiedlung in einer größeren Stadt, in der Menschen aus 177 Herkunftsländern friedlich zusammenleben. Die Fragen sind: Was sind die Voraussetzungen dafür? Was muss passieren, damit so etwas geht?