Protocol of the Session on March 17, 2016

Deshalb ist die Förderung der migrantischen Ökonomie ein wichtiges Wirtschaftsthema. Wir können es uns nicht länger leisten, Potenziale, die sich anbieten, ungenutzt liegen zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Kollegin Müller-Witt hat es bereits ausgeführt: Migrantische Unternehmen eröffnen neue wirtschaftliche Potenziale und setzen auf dem Ausbildungsmarkt und auf dem Arbeitsmarkt neue Impulse frei. Die hiesigen Unternehmen profitieren zudem von der interkulturellen Kompetenz der Zugewanderten, indem sie beispielsweise neue Märkte im Ausland erschließen. Zudem weisen migrantische Unternehmen überdurchschnittlich höhere Auslandsumsätze auf als heimische Unternehmen. Das schafft Wachstumsimpulse, trägt aber auch dazu bei, die notwendige Internationalisierung des Mittelstandes in Nordrhein-Westfalen voranzubringen.

Es gibt sicherlich unterschiedliche Gründe, warum Migrantinnen und Migranten sich öfter selbstständig machen. Es ist schon darauf hingewiesen worden, die Gründungsneigung von Migrantinnen und Migranten, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, ist höher ausgeprägt als die der restlichen Bevölkerung. Ein Grund für den hohen Migrantenanteil an allen Gründungen ist, dass viele von ihnen aus Ländern stammen, in denen die berufliche Selbstständigkeit als berufliche Option selbstverständlicher ist als hier bei uns. Oftmals gibt es viele Vorbilder im familiären Umfeld, die Anreize schaffen, sich auf eigene Füße zu stellen.

Ein weiterer wichtiger Grund, der nicht verschwiegen werden darf, ist die grundlegende Diskriminierung, die Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt insgesamt erfahren. Die Gründung eines eigenen Unternehmens mit allen Chancen, aber auch allen Risiken, ist für viele die einzige wirkliche Alternative, um beruflich durchzustarten.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen Anfang der Woche die „Wuppertaler Nachrichten“ lesen konnte. Wohl in der Beilage gab es eine Reportage über eine junge Frau, deren Lebensweg skizziert wurde:

Die junge Frau ist im Alter von 14 Jahren mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland geflohen. Sie konnte, als sie zu uns kam, kein Wort Deutsch. Sie ging in die Hauptschule, arbeitete sich hoch, machte Abitur und nutzte die Durchlässigkeit unseres Schulsystems. Sie studierte Wirtschaftsmathematik, bewarb sich im Bereich des öffentlichen Dienstes und wechselte dann in den Bankenbereich. Aber nirgendwo hat sie das erfahren, was wir so gerne mit „Aufstiegsversprechen“ betiteln. Das heißt, für sie persönlich gab es keine Aufstiegsmöglichkeiten, sodass sie sich für den Weg in die Selbstständigkeit entschied.

Dieses Beispiel ist kein Einzelfall und zeigt, dass wir noch viel zu tun haben, insbesondere was das Einlösen von Aufstiegsversprechen betrifft, gerade Menschen gegenüber, die alles dafür getan haben. Nicht selten ist die Gründung eines eigenen Unternehmens der einzige Ausweg in eine sichere Zukunft. Aber diese junge Frau gründete eben nicht aus Existenznot. Ihr Weg in die Selbstständigkeit hat viel mit mangelnder Anerkennung zu tun. Die Selbstständigkeit bringt ihr die gesellschaftliche Anerkennung, die sie sich erhofft hat. Ganz allgemein bietet der Weg in die Selbstständigkeit die Möglichkeit, quasi auf der Überholspur in die Mitte unserer Gesellschaft zu gelangen.

Frau Müller-Witt hat bereits darauf hingewiesen: Selbstständigkeit ist für Migranten und Migrantinnen normaler als für Deutsche. In Deutschland sinkt das Interesse an Gründungen aus unterschiedlichen Gründen. Auch darüber haben wir bereits diskutiert. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte besitzen nachgewiesenermaßen häufiger den notwendigen Mut, dieses Risiko auf sich zu nehmen.

Das sollten wir fördern – gerade in den Regionen unseres Landes, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, insbesondere im Ruhrgebiet. Denn mittlerweile ist es eine Binsenweisheit, dass nicht nur in Krisenzeiten, sondern ganz allgemein ein breit aufgestellter Mittelstand und eine gesunde industrielle Basis wichtige Faktoren für die Zukunftsfähigkeit eines Wirtschaftsstandorts darstellen. Es ist Fakt, dass der Mittelstand trotz aller Anstrengungen gerade in der Metropole Ruhr hinterherhinkt.

Der vorliegende Antrag soll daher das vorhandene Potenzial der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nutzen helfen und die bestehenden Gründungshemmnisse abbauen. Denn trotz ihrer starken wirtschaftlichen Bedeutung sind die Existenzgründungen von Menschen mit Migrationshintergrund mit spezifischen Chancen und Hemmnissen verbunden. Auf diese spezifischen Fragestellungen muss mit

passgenauen Beratungs- und Förderangeboten geantwortet werden, die auch die unterschiedlichen genderspezifischen Aspekte beinhalten.

Frauen und Männer gründen unterschiedlich – ein sehr einfacher Satz, der auch für Gründungen von Migrantinnen und Migranten gilt. Auf diese Fragen, die Frau Müller-Witt bereits skizziert hat, wollen wir zukünftig eine bessere Antwort geben, damit die Impulse, die von Unternehmerinnen mit ausländischen Wurzeln für unseren Wirtschaftsstandort ausgehen, künftig noch besser genutzt werden können.

Ich freue mich diesmal von Herzen auf die Diskussion im Ausschuss. Denn ich weiß, wir werden eine konstruktive Debatte darüber haben, wie wir die bereits vorhandenen Instrumente verändern und verbessern können, damit es gelingt, den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen weiter voranzubringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Güler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen und Monaten viel über die Integration von Flüchtlingen gesprochen – wohl wissend, dass Integrationspolitik viel mehr ist als das; sie ist vor allem eine Querschnittsaufgabe. Ich glaube, genau das will uns dieser Antrag heute auch noch einmal verdeutlichen. Dies begrüße ich. Ich finde es gut, dass wir uns heute einmal mit dem Beitrag der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zur Wertschöpfung in unserem Land befassen. Unternehmensgründer sind zweifelsohne ein Teil davon.

Auch ich möchte die heutige Debatte hier dazu nutzen, nicht nur darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte unser Land wirtschaftlich geprägt haben und dass man sie bei der Existenzgründung stärker fördern muss, sondern auch darauf, dass man sie auch besonders würdigen muss. Als Abgeordnete tun wir gut daran, im 70. Jahr des Bestehens unseres Landes Nordrhein-Westfalen daran zu erinnern, dass neben vielen Deutschen auch Zuwanderer kräftig angepackt und so dazu beigetragen haben, dass auch an Rhein und Ruhr Wiederaufbau und Wirtschaftswunder gelingen konnten.

Nordrhein-Westfalen würde heute anders dastehen, wenn die vielen Gastarbeiter, die ab 1955 angeworben wurden, nicht zu uns gekommen wären. Das ist ein Teil meiner Familiengeschichte, und es ist zugleich ein Stück unserer Landesgeschichte. Deshalb sind wir uns alle einig, dass es eine Form der Wertschätzung ist, an diese Lebensleistung zu erinnern.

Diese Anerkennungskultur sollten wir in NordrheinWestfalen auch noch viel stärker leben.

Heute stehen allerdings nicht die Malocher im Mittelpunkt, sondern die Unternehmensgründer. Nach sechs Jahren in der Verantwortung merken SPD und Grüne, dass es auch Migranten gibt, die Unternehmen gründen, Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen und zur Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen einen entscheiden Beitrag leisten.

Der Antrag gefällt mir in Teilen wirklich gut – vor allem deshalb, weil er eine Nachhilfestunde für die amtierende Landesregierung bedeutet. Denn konkret angesprochen werden die vom Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie betriebene Webseite startercenter.nrw.de, die NRW.International GmbH, deren Gesellschafter zu einem Drittel das Land Nordrhein-Westfalen ist, und die vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter finanzierten regionalen Kompetenzzentren Frau und Beruf.

Sechs Jahre lang ist vor allem im Wirtschaftsministerium niemand auf die Idee gekommen, die besonderen Belange der Migrantenwirtschaft in den Blick zu nehmen. Das macht auch der aktuelle Teilhabe- und Integrationsbericht deutlich, der zwar darauf eingeht, dass Menschen mit Migrationsgeschichte sich fast genauso oft wie Menschen ohne Migrationsgeschichte für die Selbstständigkeit entscheiden; in den Handlungsfeldern der Landesregierung sucht man aber vergeblich nach Initiativen des Wirtschaftsministerium, um dies zu fördern.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb begrüßen wir es sehr, dass SPD und Grüne jetzt darauf gekommen sind, das vorhandene Defizit zu erkennen, und ihre eigenen Minister dazu auffordern, hier endlich tätig zu werden.

Ich kann nachvollziehen, dass Sie in Ihrem Antrag die integrationspolitischen Bemühungen auf diesem Feld vor der Regierungszeit von Rot-Grün komplett ignorieren; das gehört zum politischen Geschäft. Ich kann aber nicht nachvollziehen, dass Sie in Ihrem Antrag Forderungen stellen, die beispielsweise von den Kammern schon seit mehreren Jahren mit großem Erfolg erfüllt werden. Das Fortbildungsprogramm ist ein solcher Punkt.

Deshalb hätte es Ihrem Antrag auch gut zu Gesicht gestanden, zu würdigen, was im Handwerk, in den Industrie- und Handelskammern schon seit vielen Jahren läuft – beispielsweise die Initiative des Handwerks „Der Meister der Zukunft ist ein Türke“, die 2009 gestartet wurde, beispielsweise die spezifische Ansprache der IHK zu Köln für Migranten, die ihr eigenes Unternehmen gründen wollen, oder die Beratungsstelle zur Qualifizierung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund. Das alles, meine Damen

und Herren, sind Initiativen der Kammern, die klarmachen, dass diese auf diesem Feld schon länger aktiv sind.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb bin ich mir nicht ganz sicher, ob Handwerk, Industrie und Handel hier wirklich Nachhilfestunden brauchen. Sie sind schon sehr aktiv – auch im Bereich der Flüchtlinge. Hierzu auch gern ein Beispiel, und zwar das Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, das Anfang 2016 von DIHK-Präsident Eric Schweitzer und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel angestoßen wurde.

Das heißt, statt auf das, was bereits im Gange ist, hätten Sie in Ihrem Antrag Ihren Fokus besser darauf lenken sollen, wie Nordrhein-Westfalen bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen besser werden kann. Denn das Argument, weil diese eben nicht funktioniere, würden sich viele Migranten für die Existenzgründung entscheiden, ist nicht nur fatal und offenbart eigene Mängel, es ist auch sachlich falsch. Denn die Anerkennung von Qualifikationen kann natürlich auch entscheidend dafür sein, ein Unternehmen zu gründen.

Es gibt also verschiedene Gründe für die Selbstständigkeit, Frau Beisheim – nicht nur das Scheitern auf dem normalen Arbeitsmarkt. Das hier so darzustellen, finde ich alles andere als richtig.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir haben im Ausschuss mehrfach darüber gesprochen, dass die Bearbeitungsfrist, die sich die Landesregierung selbst gesetzt hat, nicht eingehalten wird. Hier erwarten wir Verbesserungen. Das sollte ein solcher Antrag auch widerspiegeln.

In diesem Zusammenhang wäre es auch an der Zeit, dass uns die Landesregierung einmal darüber informiert, inwieweit sie ihrer Zusage vom September 2015 nachgekommen ist, die für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zuständigen Stellen angemessen auszustatten und die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen um 16 weitere Stellen aufzustocken. Darüber, dass eine schnelle und verlässliche Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen wichtig für die Integration in den Arbeitsmarkt ist, dürften wir uns auch hier alle einig sein.

Doch wie steht es nun um die Selbstständigkeit der Migranten in Nordrhein-Westfalen? Ausweislich des Integrationsmonitors 2013 beträgt die Quote der Selbstständigen mit Zuwanderungsgeschichte in Nordrhein-Westfalen 9,6 %. Im Ländervergleich ist das der 16. Platz von 16. Insofern gibt es durchaus Handlungsbedarf, was die Unterstützung von Existenzgründungen angeht.

Fakt ist aber auch, dass unser Land nicht nur bei den Existenzgründungen von Migranten schlecht dasteht, sondern auch bei den Gründungen insgesamt. Im Bundesländervergleich landet Nordrhein-Westfalen bei der Gründerquote nur auf Platz 13. Da liegen uns anscheinend unterschiedliche Fakten vor, liebe Frau Kollegin Müller-Witt.

Also wäre es doch eher sinnvoll, dass die Landesregierung ein substantiiertes Programm zur Förderung von Start-ups auflegt, um Gründer im Handwerk und freiberufliche Gründungen und Existenzgründer in Handel und Industrie zu unterstützen, und in dieses Programm die besonderen Belange der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte integriert. Das wäre tatsächlich ein großer Wurf.

Das klägliche Abschneiden unseres Bundeslandes in Bezug auf die Start-up-Förderung von Zuwanderern wie auch von Einheimischen fügt sich übrigens nahtlos ein in einige weitere Indikatoren zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Menschen mit Migrationsgeschichte in Nordrhein-Westfalen insgesamt. Auch dafür möchte ich einige wenige Zahlen nennen, alles vom Integrationsmonitoring der Länder 2013:

Zuwanderer mit Hochschulreife: 22,4 % in unserem Land, Platz 15 bundesweit. Studienerfolgsquote von Bildungsinländern: 51 %, Platz 15 bundesweit – als einziges Bundesland mit negativer Entwicklung im Berichtszeitraum. Zuwanderer mit Hochschulabschluss: 8,8 %, Platz 15 bundesweit. Ausbildungsbeteiligungsquote: 10,1 %, deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 12,9 %. Erwerbstätigenquote:

60,7 %; nur das Saarland steht unter den westdeutschen Flächenländern schlechter da. Armutsgefährdungsquote: 17,5 % – das gleiche traurige Bild.

All diese Zahlen zeigen vor allem zweierlei: Nordrhein-Westfalen steht wirtschaftlich, sozial und bildungspolitisch bei vielen Indikatoren schlechter da als die meisten anderen Bundesländer.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Christof Rasche [FDP])

Und: Darunter leiden in besonderem Maße die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in unserem Land.

Vor diesem Hintergrund können wir uns gern über gesonderte Programme für Existenzgründungen mit Zuwanderungsgeschichte unterhalten. Aber auch Migranten brauchen wirtschafts-, sozial- und bildungspolitische Rahmenbedingungen, die ihnen ermöglichen, ihre Potenziale zu entfalten. Da geht es ihnen nicht anders als jenen, die keine Zuwanderungsgeschichte haben. Dabei schneidet NordrheinWestfalen unter Rot-Grün insgesamt leider sehr schlecht ab.

Wir freuen uns aber nichtsdestotrotz natürlich auf die Beratungen im Ausschuss. – Ich danke Ihnen herzlich.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Güler. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag kommt in gewisser Weise überraschend. Denn es ist interessant, dass Sie sich hier einen Teilbereich aussuchen, bevor Sie die grundsätzliche Disziplin verstanden haben. Wie wollen Sie für eine Gründungskultur insgesamt einstehen, wenn Sie das Thema an sich hier bislang nicht beherrscht haben? Dass Sie das Thema nicht beherrschen, sehen wir nun seit Langem.

Deshalb möchte ich meine Haltung zu Ihrem Antrag vorwegnehmen: Vieles von Ihren Forderungen wäre überflüssig, wenn Sie beim Thema Gründungskultur allgemein etwas mehr vorzuweisen hätten.

Tatsächlich sind Migrantinnen und Migranten ein großer und wichtiger Teil der Gründer- und Selbstständigenszene. Das noch einmal herauszustellen, die Potenziale hier anzusprechen, ist sicherlich richtig. Aber direkt wieder umfangreiche Spezialprogramme, Spezialhilfen, Spezialangebote zu fordern, ist purer Aktionismus.