Protocol of the Session on January 27, 2016

Fazit: Die Aufnahmebelastung für unsere Gemeinden und Hilfsorganisationen hätten Sie als Landesregierung um ein Drittel reduzieren können. Hier haben Sie wieder einmal mehr eine Chance für uns in NRW verpasst.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, auf Bundes- und Europaebene wird massiv an einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen gearbeitet. Hierzu gehören zum Beispiel Friedensgespräche, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Hierzu gehört es zum Beispiel, einen Marshallplan für Nahost auf den Weg zu bringen, mit dem legale Arbeitsmöglichkeiten für syrische Flüchtlinge – Bau von Unterkünften, Schulen und Gemeinschaftszentren – in den Anrainerstaaten wie Jordanien, dem Libanon oder auch der Türkei geschaffen werden.

(Christian Lindner [FDP]: Ist das der Plan A1 oder A2? – Gegenruf von Michael Hübner [SPD]: Das ist der Plan B!)

Hierzu gehört es beispielsweise, Bleibeperspektiven in Afrika zu schaffen, wo sich die Bevölkerungszahl bei 60 % Jugendarbeitslosigkeit alleine bis 2050 von 1 Milliarde auf 2 Milliarden verdoppeln wird, weil ansonsten auch von dort noch mehr Zuwanderung erfolgt.

Hierzu gehört es auch, den Schutz der EUAußengrenzen zu verbessern und für einen Erhalt des Schengen-Raumes und damit der Reise- und Warenfreiheit zu sorgen.

Alles das ist notwendig. Es ist gerade für uns in Deutschland besonders wichtig. Für Deutschland als zentrales Transitland in Europa wäre es eine Katastrophe, wenn Schengen aufgegeben werden müsste.

(Beifall von der CDU und der SPD – Hans- Willi Körfges [SPD]: Sagen Sie das einmal Herrn Seehofer!)

420 Millionen Lkw-Fahrten absolvieren allein EUSpeditionen pro Jahr in Deutschland. Das können wir nicht einfach aufs Spiel setzen. Dann würde zum Beispiel ein dreistelliger Millionenbetrag für den Binnengrenzschutz erforderlich. Zu allen diesen Nachteilen käme es.

(Zurufe von der FDP)

Es sind eine Menge nationale Maßnahmen ergriffen worden. Davon könnte man hier eine Menge aufzählen. Dazu gehören sichere Herkunftsländer, der Flüchtlingsausweis sowie die entsprechende IT und viele weitere mehr. Neben allen diesen nationalen Maßnahmen geht es aber zunächst einmal um eine größere europäische Lösung; denn nationale Alleingänge schaffen keinen Weg aus der Flüchtlingskrise.

(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Sagen Sie das einmal Ihrer Partei!)

Meine Damen und Herren, das braucht seine Zeit. Diese Zeit sollten wir der Bundesregierung auch geben. Klar ist, dass die Zeit für Lösungen auf europäischer Ebene aber auch endlich ist. In diesem Sinne würde ich uns anraten, gemeinsam dafür zu arbeiten, diese europäische Lösung umgesetzt zu bekommen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Koalitionäre nicht mehr reden, sondern Briefe schreiben, sich mit Ultimaten drohen und ankündigen, vor Gericht zu ziehen, dann helfen in einer solchen Beziehung auch keine Paartherapie oder verzweifelte Appelle, doch bitte abzurüsten. Dann ist da nicht mehr viel zu machen. Das nennt man gemeinheim „zerrüttete Verhältnisse“. Insofern stimme ich der FDP – damit hört meine Übereinstimmung mit ihr aber auch schon auf – in der Analyse zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde zu.

Der Streit in der Union – dieses unwürdige Schauspiel, das sich vor unseren Augen abspielt – ist erstens niemandem mehr vermittelbar.

Zweitens halte ich diesen Streit – und das ist das viel Schlimmere – angesichts der Probleme und der Verunsicherung in der Bevölkerung für verantwortungslos.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist überfällig, liebe Kolleginnen und Kollegen, endlich zu lösungsorientierter Realpolitik zurückzukehren. Dem dienen die CSU-Forderungen nach Obergrenzen und Grenzschließungen, die momentan auf dem Tisch liegen, ganz sicher nicht. Zu Ende gedacht – und Politik sollte man vom Ende her denken – führen Grenzschließungen nämlich faktisch in die Renationalisierung der Europäischen Union; denn die neuen Schlagbäume, die aufgebaut werden sollen, gelten nicht nur für Flüchtlinge, sondern haben auch Konsequenzen für unseren Handel und unsere Wirtschaftsbeziehungen. Daher sehe ich in einem Abschied von Schengen eine Renationalisierung, die nicht zu Ende gedacht ist und auch nicht im gesamtdeutschen Interesse ist, sondern für unser gesamtes Land schädlich ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Klar müssen wir uns zweitens darüber sein, dass geschlossene Grenzen, wenn Deutschland tatsächlich so verfährt, eine Kaskade der Abwehr der anderen Länder nach sich ziehen werden. Dies wird zu humanitären Katastrophen in den EU

Außenstaaten, beispielsweise in Griechenland und Italien, führen, weil die Flüchtlinge von dort aus dann nicht mehr weiterkommen. Auch das muss man zu Ende denken. Solche humanitären Katastrophenlagen kann doch niemand ernsthaft hier in Europa wollen. Wir würden sie auch alle miteinander nicht aushalten.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, da finden gerade Machtspielchen auf dem Rücken von Flüchtlingen statt. Die CSU trägt hier nicht zur Lösung der Probleme bei. Sie ist ein großer Teil der Probleme,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Genau wie Minister Jäger hier in NRW! Das habe ich al- les schon gesagt! Wiederholung! Plagiat!)

die wir gerade in Deutschland haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Leider ist das nicht der einzige aktionistische Vorschlag aus Unionskreisen, der faktisch nicht umsetzbar ist und mehr Probleme schafft, als er löst. Die neue Sau, die gerade durchs Dorf getrieben wird, heißt „Plan A2“. Nach Plan A – dieser sah eine europäische Lösung à la Merkel vor – und Plan B der CSU – nationale Lösung; Grenzen schließen – nun also Plan A2! Man kann es auch anders formulieren: Wie schafft es die Wahlkämpferin Klöckner in Rheinland-Pfalz, sich von Frau Merkel abzusetzen, ohne ihr in den Rücken zu fallen?

Ich zitiere aus der „Rheinischen Post“, in der es Redakteurin Eva Quadbeck in ihrem Kommentar sehr gut auf den Punkt bringt:

„Auch der sogenannte Plan A2, den CDUVizechefin Julia Klöckner am Wochenende auf den Nachrichtenmarkt geworfen hat, ist ein hüb

sches Beispiel für die Kreativität im Umgang mit der eigenen Planlosigkeit.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nun reden wir über Grenzzentren statt Transitzonen, die im Grunde genommen dasselbe sind. Sie sind im November 2015 verworfen und zu Recht als nicht umsetzbar in den Papierkorb befördert worden. Jetzt reden wir statt über Obergrenzen über flexible Tageskontingente – mit all den nicht zu Ende gedachten Verwerfungen, die dies auslösen wird.

Das Schlimme an diesem Überbietungswettbewerb in neuem Aktionismus ist, dass die verunsicherten Bürger hier aus wahltaktischem Kalkül für dumm verkauft werden. Die Politik – und das geht uns alle an – leidet insgesamt darunter. Die Menschen verlieren aufgrund dieser Komödie, die sich hier abspielt, das Vertrauen in die Politik und in den Staat, dass dieser auch in der Lage ist, Probleme zu lösen und ihnen ehrlich zu sagen, was geht und was eben auch nicht geht.

Diese Scheinlösung, dieser Aktionismus, diese Schwarzer-Peter-Spielchen, die gerade stattfinden, und dieser Mangel an Vernunft führen uns nicht weiter, sondern schaden der politischen Kultur. Wir sollten endlich dazu übergehen, ehrliche Vorschläge nach vorne zu entwickeln.

Was heißt es denn, wenn wir sagen: „Wir schaffen das“? Wie schaffen wir das denn? Wie unterlegen wir das mit Maßnahmen? Das heißt doch, zuallererst Ordnung und Beschleunigung in die Verfahren und Abläufe zu bringen.

Dann ist das Grundproblem immer noch nicht gelöst. 2015 wurden 442.000 Asylanträge beim BAMF gestellt. Wir haben aber 1 Million Menschen registriert, die zu uns gekommen sind. Was ist denn mit den fast 600.000 Menschen passiert, die keinen Asylantrag beim BAMF stellen konnten?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, das ganze Geschwafel über sichere Herkunftsländer hilft überhaupt nichts,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

wenn diese Menschen es gar nicht schaffen, einen Termin beim Bundesamt zu bekommen. Den Menschen bringt es nichts, wenn sie es nach Monaten endlich geschafft haben, dort einen Termin zu bekommen, und ihr Antrag ganz unten und nicht ganz oben auf dem Stapel liegt. Dann helfen Ihnen Ihre sicheren Herkunftsländer überhaupt nichts,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Das stimmt doch gar nicht! Erzählen Sie hier doch nicht so einen Stuss!)

wenn diese Akten, Herr Laschet, es noch nicht einmal schaffen, oben auf den Stapel zu kommen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Aus dem Balkan kommt doch gar keiner mehr!)

Die Verfahrensdauer bei Asylsuchenden aus Algerien und Marokko liegt derzeit bei über 14 Monaten. Bis sie überhaupt einmal einen Termin bekommen haben, vergeht noch einmal ein halbes Jahr. Erst wenn sie es geschafft haben, beim Bundesamt anzukommen, wird ihr Antrag bearbeitet. Erst dann setzt die Frage ein, wie wir die Verfahren beschleunigen können. Wir wissen, dass der Stempel „Herkunftsländer“ die Bearbeitung um zehn Minuten beschleunigt – mehr aber auch nicht.

Wie schaffen wir das? Das bedeutet zweitens aber auch die Anerkennung der Realität. Das heißt, dass 50 % und mehr dieser Menschen hier bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Wir brauchen hier Integration von Anfang an. Diese wird sich langfristig rechnen.

(Beifall von den GRÜNEN und Michele Mar- sching [PIRATEN])

Wir brauchen eine gesamtstaatliche Initiative. Nach der Flüchtlingspauschale des Bundes brauchen wir jetzt eine Integrationspauschale, die den Kommunen bei dieser Herausforderung im Bereich von Bildung, Wohnen, Arbeitssuche und Qualifizierung unter die Arme greift. Da hilft – auch das sage ich noch einmal in Richtung Große Koalition – diese Debatte über die Einschränkung des Familiennachzugs überhaupt nichts.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dies gilt nicht nur aus humanitären Gründen.