Jetzt komme ich zu etwas, was auch gut wäre. Herr Atalan hat eben gesagt: Das ist nicht nur ein Thema für Migranten, das ist ein Thema für die gesamte Gesellschaft.
Ich füge aber auch hinzu, was dann nicht geht, nämlich dass die neu ernannte Staatssekretärin in der „Hürriyet“ sagt – sie kritisiert die Ernennung von Armin Laschet und Thomas Kufen –: „Warum ich mich, weil meine Haare schwarz sind“ – das kann ich nicht ganz erkennen –, „herabgesetzt fühle, können Herr Laschet und Herr Kufen nicht wissen.“ – Das ist genau die alte Sprachregelung, diese Arroganz, zu behaupten: Weil ich Migrant bin, kann ich besser über das Thema reden. – Das dient unserem Land nicht. Wir alle müssen über dieses Thema reden und dürfen nicht solche Sprüche machen.
(Beifall von der CDU – Gunhild Böth [LINKE]: Aus unserer Perspektive! – Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
Das ist die alte Taktik, die nicht mehr aufgeht. Man muss in türkischen Medien reden wie in deutschen Medien, Frau Staatssekretärin. Die türkischen Medien werden glücklicherweise heute auch von Deutschen gelesen. Sie werden übersetzt, sie werden wahrgenommen.
Deshalb sage ich Ihnen: Reden Sie in türkischen Medien wie in deutschen Medien! Machen Sie es zum Thema der gesamten Gesellschaft! Dann können wird auch hier im Landtag gemeinsam Integrationspolitik gestalten.
Das war der Abgeordnete Laschet für die Fraktion der CDU. – Ich darf aus aktuellem Anlass darauf hinweisen, dass mein Husten auch etwas damit zu tun hat, dass sich die Redezeit dem Ende zuneigt bzw. schon zu Ende ist. Es wäre sinnvoll, die verabredeten Redezeiten annähernd einzuhalten.
Ich darf als nächstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kollegen Yüksel das Wort zu seiner ersten Rede in diesem Haus geben. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Laschet, als ich Ihnen gerade zugehört habe, dachte ich, wie schlecht muss es um seine Bewerbung für den Landesvorsitz stehen, dass er dieses Thema nutzt,
sich in einer Art und Weise hier zu äußern, die Ihnen und Ihrer Arbeit, die Sie in den letzten Jahren geleistet haben, sehr unwürdig war.
Weder der Artikel, den Sie zum Anlass nehmen, heute eine Aktuelle Stunde zu beantragen, noch Ihr Redebeitrag sind dazu geeignet, in der Frage der Integration in Nordrhein-Westfalen weiterzukommen.
Meine Damen und Herren, ich stehe hier als Kind der zweiten Generation, bin in Deutschland geboren. Es erfüllt mich auch mit Stolz. Es sollte uns alle in Nordrhein-Westfalen, alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Stolz erfüllen, dass wir nicht nur Probleme haben, sondern dass wir inzwischen so weit sind, dass es in Nordrhein-Westfalen auch Abgeordnete mit Migrationshintergrund gibt, die sich direkt äußern können,
und dass wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht übereinander, sondern miteinander reden. Zu diesem Miteinander gehört das, was Sie gerade im zweiten Teil Ihrer Rede ausgeführt haben: dass wir die Ansätze, die wir im Jahre 2001 in NordrheinWestfalen mit auf den Weg gebracht haben, ernst nehmen.
Herr Laschet, ich habe Sie ein paar Mal erlebt. In Ihrer letzten Rede vor der Wahl haben Sie schon fast fließend Türkisch geredet. Insoweit sind Sie jemand – das erkenne ich wirklich an –, der atmosphärisch und zumindest in den letzten fünf Jahren bei den Migrantenselbstorganisationen sehr viel bewegt hat. Umso enttäuschter bin ich, dass Sie diese Rede, die Sie eben gehalten haben, hier halten mussten.
Natürlich gibt es die gelungenen Integrationsbeispiele. Wir sollten unsere Augen nicht davor verschließen, dass es in den letzten Jahrzehnten in bestimmten Bereichen tatsächlich keine Integrationsfortschritte gegeben hat.
Auflage von 400.000 zu erreichen, aber es gehört Klarheit darüber dazu, dass man die Dinge in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen benennen darf. Und das tut auch jeder von uns. Denn wir haben natürlich auch erhebliche Probleme. Niemand hat hier Redeverbot. Niemand hat gesagt, dass man die Probleme, die wir nach wie vor in Nordrhein-Westfalen haben, nicht aussprechen darf.
Herr Solf, Sie haben hier als Erstes das Thema „Salafisten in Mönchengladbach“ angeführt. – Die muss man gar nicht mehr integrieren. Das sind zum Teil Deutsche. Der Chef von denen ist Pierre Vogel. Er ist Deutscher. Insofern ist das doch keine Frage der nicht gelungenen Integration.
Das macht mir auch große Sorge. Wir sprechen bei den Migrantinnen und Migranten immer von Herkunftssprache, Herkunftsland. Aber die Probleme in dem Bereich betreffen doch diejenigen, die schon in der dritten Generation in Deutschland sind, zum Teil Eltern haben, die in Deutschland geboren sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Begrifflichkeiten nicht durcheinanderbringen, wenn wir von Herkunftsland und Herkunftssprache sprechen. Es sind Duisburger, es sind Dortmunder, es sind Bochumer, es sind Kölner, es sind NordrheinWestfalen, und es sind Deutsche. Es ist unser aller Problem und die Herausforderung aller, etwas zu tun.
Herr Laschet, ich gebe Ihnen völlig recht: Nicht jeder Migrant kann wahrscheinlich zu dem Thema Migrationspolitik sprechen und ist ein ausgewiesener Experte – genauso wenig wie ein Zitronenfalter jeden Tag Zitronen faltet. Insofern ist das unser aller Aufgabe. Da haben Sie völlig recht.
Ich habe auch den Eindruck, dass diese Regierungskoalition und diese Ministerpräsidentin diese Aufgaben sehr ernst nehmen. Das sehen Sie nicht nur am Zuschnitt des Ministeriums und an der Aufwertung des Themas „Integration“ dadurch, dass wir für dieses Feld nicht mehr einen Integrationsbeauftragten, sondern eine Staatssekretärin – dazu noch mit Migrationshintergrund – haben, sondern auch an der Aussage von Hannelore Kraft in ihrer Regierungserklärung, dass wir ganzheitlich denken. Insoweit sitzen hier zehn Integrationsminister und eine Integrations-Ministerpräsidentin, weil wir nämlich unsere Aufgabe ganzheitlich sehen und ernst nehmen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin in den 80er- und 90er-Jahren politisch sozialisiert worden. Ich kann mich an Gegebenheiten aus den 90erJahren erinnern, die uns allen noch vor Augen stehen. Wenn man zurückblickt, haben wir tatsächlich alle zehn Jahre so einen Ausbruch von unqualifizierten Beiträgen, die uns immer wieder ereilt haben, aber auch von schlimmen Ereignissen, auch in Nordrhein-Westfalen.
Ich habe nicht vergessen, dass es Anfang der 90er-Jahre in Mölln, Hoyerswerda und Solingen ganz schlimme Brandanschläge gab, dass wir in Nordrhein-Westfalen und ganz Deutschland eine Atmosphäre hatten, in der sich Leute ermächtigt gefühlt haben, Andersdenkende und Andersaussehende mit Molotowcocktails anzugreifen. Unsere Eltern haben uns zu dieser Zeit, als wir Kinder waren, nicht nach draußen geschickt, und wir mussten zu bestimmten Zeiten zu Hause sein, weil sie Angst um uns hatten. Bei manchen Leuten stand ein Eimer neben der Heizung, damit sie, falls jemand einen Molotowcocktail reinwerfen würde, schnell hätten löschen können. In so einer Atmosphäre haben wir gelebt.
Wir haben 1999 erlebt, dass durch Rot-Grün erstmals ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht entwickelt worden ist, man die Wirklichkeiten ernst genommen hat und dass es eine Unterschriftenkampagne in Hessen gab, die Gott sei Dank nicht von allen in der CDU unterstützt worden ist. Ich erinnere mich an führende Christdemokraten, die sich damals dieser Unterschriftenkampagne verweigert haben.
Ich denke, unsere gemeinsame Aufgabe ist, bei dem Thema „Integrationspolitik“ und „Migrationspolitik“ nicht in Träumereien zu verfallen. Aber ich bitte Sie auch, bei diesem Thema wirklich keine Angst zu haben. Ich bin davon überzeugt: Wenn der gute Wille da ist, wenn wir das Thema tatsächlich gemeinsam ernst nehmen, Herr Laschet, und es aus der parteipolitischen Polemik – auch, wenn man zukünftig Landesvorsitzender werden will – heraushalten, dann bin ich wirklich guter Dinge, dass wir bei dem Thema weiterkommen.
Johannes Rau hat in seiner Rede, als er als Bundespräsident kandidiert hatte, einen bemerkenswerten Satz gesagt, der bei mir persönlich hängengeblieben ist. Er hat gesagt: In Artikel 1 des Grundgesetzes steht nicht „Die Würde des Deutschen ist unantastbar“, sondern „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Und wenn wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, diesen Satz ernst nehmen, dann haben wir eine gute Grundlage – eine Grundlage, die auf unserer
guten Verfassung fußt, eine Grundlage, die das friedliche Zusammenleben auch der Völker in Nordrhein-Westfalen fördert. Dann, da bin ich mir sicher, können wir alle vielleicht in ein paar Jahren sagen: „Wir alle sind Nordrhein-Westfalen, auch diejenigen, die einen Migrationshintergrund haben.“ – Danke sehr.
(Anhaltender Beifall von der SPD, von den GRÜNEN und von der LINKEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Yüksel. Ich gratuliere auch zu Ihrer ersten Rede in diesem Haus. – Ich darf als Nächstes der Frau Abgeordneten Düker von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort geben. Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Laschet, Sie haben zu Recht gefragt, warum die Thesen und dieses Phänomen Sarrazin auf soviel Zustimmung in der Bevölkerung stoßen. Ihre Rede heute, Herr Laschet, hat dazu einen großen Beitrag geleistet; das will ich Ihnen sagen.
Es war – Kollege Yüksel hat es richtig formuliert – eine Bewerbungsrede im Rahmen Ihrer internen Auseinandersetzung mit Herrn Röttgen bei der Bewerbung für den Parteivorsitz. Es war keine Rede, in der Sie sich Ihrer Verantwortung als Parlamentarier dieses Hauses gestellt haben, einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der Probleme, die wir in der Tat haben, zu leisten.