Herrn Sarrazin geht es nicht um erfolgreiche Integration. Mit dem pervers betriebenen Populismus ging es ihm nur darum, seine Bücher besser zu vermarkten. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist einfach nicht akzeptabel.
Kurz vor den Sommerferien wurden hier in Düsseldorf die Ergebnisse einer Studie von neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen vorgestellt. Es handelte sich um das Jahresgutachten „Einwanderungsgesellschaft 2010“ mit Integrationsbarometer. Diese Studie bestätigt, dass die Integration besser ist als ihr Ruf.
Die Integration der Einwanderer ist glücklicherweise ein Stück weiter als die momentane Debatte in der Bundesrepublik. Darüber wurde jedoch in den Medien kaum bis gar nicht berichtet. Wir alle wissen, dass Integrationsprozesse nie problemlos verlaufen. Dieser Prozess ist schwierig, langwierig und kompliziert. Daraus politisches Kapital zu schlagen, ist unerhört. Jeder muss seine Hausaufgaben machen: die Kommunen, die Politik und die Menschen mit Migrationshintergrund – einfach alle.
In diesem Zusammenhang sind gerade die Leute, die gestern behauptet haben, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, diejenigen, die am lautesten klagen, dass die Integration gescheitert sei. Wir Grüne hingegen wollen, wie auch im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, integrationsfördernde Maßnahmen auf Landesebene einleiten. Alle Projekte im Schulbereich wie qualifizierte Sprachförderung, Ausbau der Familienzentren, interkulturelle Öffnung der sozialen Bildungseinrichtungen werden die Integration fördern, und das Integrationsgesetz wird einen konkreten Handlungsrahmen für die Kommunen ermöglichen.
Zudem gilt es, allen Bürgern die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt anzubieten. Leider ist das momentan nicht der Fall. Ein Bewerber mit einem ausländisch klingenden Namen muss im Vergleich zu seinem deutschen Mitbewerber durchschnittlich achtmal so viele Bewerbungen schreiben. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann und darf einfach nicht sein.
Wir alle wissen, wir haben in der Bundesrepublik mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen. Es werden viele Anstrengungen unternommen, Fachkräfte aus dem Ausland zu akquirieren, da das Potenzial innerhalb unserer Landesgrenzen ausgeschöpft sei. Da ist es doch mehr als fahrlässig, gerade in Deutschland ausgebildete Fachkräfte und Akademiker mit Migrationshintergrund auszuschließen.
Dazu möchte ich mit Ihrer Erlaubnis einen kurzen Auszug aus einem Artikel in „SPIEGEL ONLINE“ vom 14. September zitieren:
„Neu aber ist, dass seit ein paar Jahren auch gut ausgebildete Migranten der zweiten und dritten Generation zurückkehren, weil sie bessere Berufschancen in der Türkei sehen. Deren Problem ist nicht ihre gescheiterte Integration, …
Sie haben sehr gute Universitätsabschlüsse, internationale Erfahrungen, haben scheinbar alles richtig gemacht und kriegen trotzdem keinen Job.“
Diesen Trend gilt es zu stoppen und den gut ausgebildeten Menschen mit Migrationshintergrund Perspektiven zu bieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit, nicht mehr defizitorientiert über Integration zu sprechen, sondern gemeinsam integrationsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen endlich aufhören, die große Mehrheit der integrationswilligen und bereits integrierten Menschen schlichtweg zu ignorieren und erfolgreich integrierte Menschen als Ausnahmeerscheinungen wahrzunehmen.
Unser Land NRW kann als Vorbild für gelungene Integrationspolitik in Deutschland dienen, wenn wir uns darauf einigen, dass wir erstens Einzelfälle nicht generalisieren, zweitens diejenigen, die wenig können, nicht in die Sonderschule bzw. in die Förderschule abschieben, drittens schichtspezifische und soziale Probleme nicht ethnisieren und viertens soziale Abstiegsängste der Bevölkerung nicht schüren.
In diesem Sinne würde ich mich sehr freuen, wenn wir die Diskussion dazu nutzen könnten, gemeinsam unsere Zukunft zu gestalten und parteiübergreifend eine erfolgreiche Integrationspolitik voranzutreiben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man nicht wüsste, was die CDU und die FDP in der letzten Periode in NRW gemacht haben und was sie gegenwärtig auf Bundesebene anrichten, könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie mit der beantragten Aktuellen Stunde im Sinne der Sache etwas Positives bewirken wollen. Ich begrüße es dennoch, meine Damen und Herren, dass wir heute zu diesem essenziell wichtigen Thema reden dürfen.
Die CDU – wenn ich wieder einmal auf die CDU Bezug nehmen darf – treibt derzeit offensichtlich stärker die Sorge um, dass eine Partei rechts von ihr gegründet werden könnte. Es kann nicht genug betont werden, meine Damen und Herren, dass aufgrund der Wichtigkeit und der Sensibilität der Problematik jede populistische Herangehensweise fehl am Platz ist. Davor kann ich nur warnen.
Die Thesen von Herrn Sarrazin sind völlig von Überlegenheitsgefühlen und intellektuellem Dünkel geprägt. Sie sind eindeutig auf sozialdarwinistischen und rassistischen Denkrichtungen aufgebaut.
Erst waren die Erwerbslosen seine Opfer, nun sind es die Migranten. Seinen Thesen zufolge muss die Gesellschaft nach dem Nützlichkeitsprinzip aufgeteilt werden. Dann sollen die vermeintlich Unnützen aussortiert und schließlich neutralisiert werden. Diese unsägliche Ideologie kennen wir nur zu gut. Wir wären alle sehr gut beraten, liebe Kolleginnen und Kollegen, gegen derartige Tendenzen mit aller Entschiedenheit und Geschlossenheit vorzugehen.
Mir ist bewusst, dass die Konservativen leicht dazu neigen, durch rechtspopulistische Agitationen sogenannte neue Wählerschichten erschließen zu wollen.
Vergessen wir nicht, dass manch kurzfristiger Nutzen langfristig erhebliche katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen kann. Im Hinblick auf die laufende Diskussion um Sarrazin, meine Damen und
Herren, stellen wir als Die Linke fest, dass erstens die etablierten Parteien leider alle manchmal – ich nehme einige Personen aus – nicht konsequent gegen rassistische Denk- und Handlungsweisen vorgehen.
Zweitens. Die Frage der Integration – das haben wir feststellen müssen – kann nicht ausschließlich als eine Frage der Menschen mit Migrationshintergrund betrachtet und angegangen werden. In diesem Zusammenhang darf ich auf die verbreiteten Vorurteile und die zunehmenden Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft gegenüber Minderheiten, Andersdenkenden oder Anderslebenden hinweisen.
Drittens. Seit Jahren kommt das Thema zwar zeitweilig und rudimentär auf die Tagesordnung, aber es wird nie seiner Wichtigkeit entsprechend bearbeitet und angegangen. Offensichtlich fehlen politische Ideen, konkrete Konzepte und Projekte.
Im Prinzip dürfte in diesem Hause ein Einvernehmen darüber vorherrschen, dass es völlig absurd ist, was Herr Sarrazin von sich gegeben hat. Er hat nämlich behauptet, dass die Armut und Erwerbslosigkeit der Menschen angeblich durch ihre Gene und vermeintlich angeborene Dummheit bedingt sei. Das ist, meine Damen und Herren, schlicht eine Pervertierung der Wissenschaft und der Lebenswirklichkeit.
Fakt ist, dass gesellschaftliche und individuelle Lebenslagen durch die ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse determiniert werden – nicht umgekehrt.
Die verarmende neoliberale Wirtschaftspolitik, das selektive Bildungswesen, die ausgrenzenden und diskriminierenden Strukturen in unserer Gesellschaft haben insgesamt gewisse Schichten in unserer Gesellschaft aussortiert und isoliert. Erschwerend hinzu kommt die politisch ignorante und arrogante Haltung der Konservativen.
Eine richtige und greifende Integrationspolitik setzt aus meiner Sicht zweifelsohne eine fundierte und gerechte Analyse der Lage voraus – objektiv, fair und zielorientiert, meine Damen und Herren, aber bitte nicht auf dem Rücken der Betroffenen.
Wenn man mit „Leitkultur“ operiert, darf es nicht wundern, dass darauf falsche, ja sogar gefährliche Reaktionen erfolgen können. Das ist nicht hinnehmbar. Eine Gesellschaft schafft sich nicht ab, wie behauptet, wenn sie kulturell vielfältiger wird, sondern wenn überhaupt kann sich eine Gesellschaft durch homogenisierenden und rassistischen Wahnsinn demontieren.
Wir brauchen auf diesem Feld ganz gewiss einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Die Integration setzt auch die Einsicht voraus, dass die gesamte Politik ein Verständnis entwickelt, das die humanistischen Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden und Weltoffenheit beinhaltet. Das sind die Werte, die verbinden und einen.
Wir in NRW als wichtigstem Bundesland können hierbei eine Vorreiterrolle übernehmen, indem wir gemeinsam mit Betroffenen und mit organisierten Kräften von Betroffenen dieses Thema konsequent angehen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Karl-Josef Laumann ist leider nicht im Plenarsaal. Dennoch möchte ich ihm auch in Abwesenheit dafür danken, dass er gestern in zwei Politikbereichen eine parteiübergreifende Zusammenarbeit angeboten hat. Dazu gehört auch die Integrationspolitik.