Protocol of the Session on August 28, 2008

Vor dem Hintergrund, dass diese Probleme bekannt waren, stellt sich die nächste Frage: Hat die Bahn in Bezug auf diese Risiken angemessen gehandelt? Ist sie damit in den letzten Jahren angemessen umgegangen? – Diese Frage muss man verneinen. Sie ist es nicht, denn sie hat ausweislich aller Unterlagen seit 2000, insbesondere aber seit dem Jahr 2003, die Wartungsintervalle deutlich ausgedehnt, und zwar obwohl – ich hatte es eben ausgeführt – die Risiken bekannt waren.

Die Bahn hat das also trotz dieser Fachaufsätze gemacht und hat trotz der mündlichen Auflagen versucht, zu feilschen. Noch im Juli hat die Bahn die Dauerfestigkeitsprobleme bestritten. Erst nach und nach hat sie eingeräumt, dass sie diese Probleme hat, und mit, wie ich finde, sehr oberflächlichen Maßnahmen wie zum Beispiel dem Abschalten der Wirbelstrombremse oder dem Schließen der Toiletten in den Mittelwagen – das ist anhand des Schriftverkehrs alles nachweisbar – versucht, das Problem auszuräumen, und zwar übrigens nur in Deutschland. In Frankreich geht man, weil man dort mit Wirbelstrombremsen fahren muss, davon aus, dass man wegen der dortigen Reservierungspflicht das kann, weil nicht so viele Leute

mit dem ICE-3 fahren sollen. Was passiert, wenn zum Beispiel eine Reisegruppe von dem einen in den anderen Wagen geht, ist nicht geprüft worden.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dessen, was ich Ihnen geschildert habe, müssen wir uns meiner Meinung nach die Frage stellen, warum die Bahn so handelt, wie sie handelt, und nicht anders. Vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Jahre – ich erinnere an den Bericht des Bundesrechnungshofs über die mangelnden Ausgaben von rund 1,5 Milliarden € innerhalb von fünf Jahren nach Zuweisungen des Bundes für den Unterhalt der Strecken – sowie vor dem Hintergrund der Streckenkürzungen und -ausdünnung, der Preiserhöhungen trotz Rekordgewinnen – in diesem Jahr allein 1,4 Milliarden € vor Sondereinflüssen – muss man zu dem Schluss kommen: Die Bahn hat den Fokus auf die Fahrgäste und auch ein Stück weit auf die Sicherheit des Netzes verloren. Sie richtet ihren Fokus alleine auf den Börsengang.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen kommen wir zu dem Ergebnis: Ja, wir müssen die Bahn unterstützen. Die Bahn muss ein sicheres Verkehrsmittel bleiben. Aber die Bahn ist selber mit ihrem Risikomanagement, mit ihrer Risikoanalyse und ihrem Qualitätsmanagement offensichtlich nicht in der Lage, angemessen zu handeln. Das wäre alles nur ein Ärgernis, wenn es nicht auch um das Thema Sicherheit ginge.

Seit Juli haben wir eine andere Situation: Es geht um Sicherheit, Sicherheit an einem fahrentscheidenen Teil des Zuges, nämlich den Radsatzwellen und den Achsen. Deswegen kommen wir zu dem Ergebnis: Es muss eine externe Qualitätszertifizierung geben. Das EBA muss mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Kollege Lorth das Wort. Bitte schön, Herr Lorth.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch heute verdanken wir wieder einmal dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen einen quälend langen Antrag zum Bruch einer Radsatzwelle an einem ICE 3 in Köln. In epischer Breite wird in diesem Antrag auf den Schriftverkehr zwischen dem Eisenbahnbundesamt und der DB sowie verschiedene Experten

meinungen und auf das umfangreiche Medienecho eingegangen.

Der missglückte Versuch, dem Antrag einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben,

(Horst Becker [GRÜNE]: Das ist alles gut re- cherchiert!)

und die Aneinanderreihung von Unterstellungen können nicht darüber hinwegtäuschen, was dieser Antrag in Wirklichkeit ist,

(Horst Becker [GRÜNE]: Fakt!)

nämlich ein geschmackloses Ausschlachten und eine unverantwortliche Instrumentalisierung dieses ICE-Unfalls. Es ist also ausschließlich Ihrem Darstellungsbedürfnis zuzuordnen, dass wir heute dieses Thema behandeln.

Wenn die Grünen im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Köln Veränderungen an der Rechtstellung des Eisenbahnbundesamtes wollen, sollten Sie im Deutschen Bundestag, auf Bundesebene, initiativ werden. Dies wäre auch glaubwürdiger.

(Horst Becker [GRÜNE]: Das gerade in der Sommerpause!)

Und das ist nicht geschehen. Gleichwohl wollen und müssen wir uns hier und heute dem wichtigen und sensiblen Thema Sicherheit im Bahnnetz und in den Zügen widmen.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Aha!)

Es ist deshalb unbegreiflich, dass der Antrag der Grünen in der Überschrift einen derart publizistischen, populistischen und irreführenden Titel führt. Bei aller Skepsis, die wir auch vonseiten der CDU-Landesfraktion in diesem Hause gegenüber der Deutschen Bahn und insbesondere auch gegenüber Herrn Mehdorn kundgetan haben, ist eine Verknüpfung von Gewinnstreben im Zusammenhang mit dem geplanten Börsengang der Bahn mit dem Thema Einsparung im Bereich Sicherheit nicht nur sachlich falsch, sondern auch eine unverantwortliche Panikmache. Die Bahnkunden sollen also offensichtlich verunsichert und in Angst und Schrecken versetzt werden.

Die Vorwürfe entbehren im Übrigen auch jeglicher Logik, weil gerade der Aspekt der Sicherheit in den Zügen vor dem Hintergrund des Börsenganges der Bahn für die Bahn von außerordentlicher Bedeutung ist. Die Bahn kann es sich gar nicht leisten, einen Imageschaden wegen Sicherheitsmängel davonzutragen. Denn wer kauft schon Aktien von einem solchen Unternehmen? Die politische Instrumentalisierung des Vorfalls in Köln

wird also von Ihnen gewollt. Das kann nicht im Interesse von uns in Nordrhein-Westfalen sein.

Wir alle wollen mehr Verkehr auf der Schiene haben. Auch für die CDU-Landtagsfraktion steht selbstverständlich völlig außer Frage, dass die Sicherheit im Schienenverkehr das höchste Gut ist und oberste Priorität hat. Wir stellen höchste Ansprüche an das eingesetzte Fahrzeugmaterial und an den Zustand der Bahninfrastruktur. Auch deshalb haben wir mehrfach zusätzliche Investitionen in die Schieneninfrastruktur, übrigens einschließlich des Lärmschutzes, angemahnt. Es war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die dafür gesorgt hat, dass das Bahnnetz nach dem Börsengang beim Bund verbleibt

(Bodo Wißen [SPD]: Das ist aber ein interes- santer Einwurf!)

natürlich –, und dies insbesondere aus Sicherheitsgründen. Wir wollen keine englischen Bahnverhältnisse in Deutschland.

Die CDU unterstützt die Forderungen nach mehr Transparenz und klaren Vorgaben exakter Qualitätskriterien an das Schienennetz, die Bahnhöfe und die Energieversorgung in der Finanzierungs- und Leistungsvereinbarung zwischen dem Bund und der Bahn.

(Beifall von der FDP)

Wir unterstützen auch die Forderung der Bauindustrie in Nordrhein-Westfalen, neben einer sanktionsbewährten Kennziffer des theoretischen Zeitverlustes zusätzlich eine Kennziffer für das Lebensalter der Eisenbahninfrastrukturanlagen mit in diese Vereinbarung aufzunehmen. Wir werden dieses Thema ja im Ausschuss für Bauen und Verkehr behandeln.

Die Sicherheit hat für uns oberste Priorität, nicht nur für die Infrastruktur, sondern auch für den Fahrbetrieb. Deshalb begrüßt die CDULandtagsfraktion die schnelle und energische Reaktion des Eisenbahnbundesamtes auf den ICE3-Unfall in Köln und die Anordnung, die komplette ICE-3-Flotte dieser Baureihe in die Werkstätten zu beordern und Ultraschallprüfungen vorzunehmen. Diese Untersuchen waren auch absolut notwendig.

Auch an diesem Fall zeigt sich, dass der Kontrollmechanismus des Eisenbahnbundesamtes funktioniert. Wir begrüßen deshalb ganz ausdrücklich die Einigung zwischen EBA und der Deutschen Bahn, die Wartungsintervalle ab sofort zu verkürzen. Die Bahn hat angekündigt, weitere Konsequenzen aus dem Vorfall zu ziehen. Das ist auch gut so. Ob aber die zunächst von der Bahn

angekündigten Maßnahmen der Reduzierung der Last auf den Achsen durch das Verschließen von Waschräumen im Mittelwagen von Triebzügen oder das Abschalten von Wirbelstrombremsen geeignete Maßnahmen sind, darf auch von einem Leihen bezweifelt werden. Aber auf technische Einzelheiten brauchen wir, meine ich, hier nicht einzugehen. Das können wir im Ausschuss, denn dorthin soll der Antrag überwiesen werden, detailliert diskutieren.

Meine Damen und Herren, wir Deutschen sind gerade bei der technischen Sicherheit besonders sensibel. Deutschland besitzt die weltweit strengsten Sicherheitsstandards. Die Firma Siemens gewinnt weltweit Ausschreibungen für diesen Hightech-Zug, für elektronische Steuerungssysteme usw. Von der hohen Qualität und den Sicherheitsstandards von Verkehrstechnologien in Deutschland konnte sich vor kurzem die Parlamentarische Gruppe Bahn bei der Firma Bombardier in Siegen überzeugen. Dort werden weltweit Drehgestelle hergestellt – auch die Bahn ist Kunde dieser Firma – sowie jedes Drehgestell und jede Achse einzeln per Ultraschall vermessen. Anschließend wird darüber ein Protokoll angefertigt, was in der Autoindustrie noch lange nicht gang und gäbe ist.

Eine letzte Bemerkung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bei dem pseudowissenschaftlichen Anstrich des Antrags, Herr Kollege Becker, verwundert es natürlich schon, dass Sie zum Schluss ganz nebulös „zertifiziertes Qualitätsmanagement mit Risikoanalysen“ formulieren.

(Horst Becker [GRÜNE]: Sie wissen nicht, was das ist!)

Sie müssen dann schon genauer sagen, was Sie wollen. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Eisenbahnbundesamt richtig gehandelt hat und dieses Amt gelegentlich wegen seiner Genauigkeit, um nicht „Pingeligkeit“ zu sagen, auch oft hier kritisiert worden ist, überrascht der Wunsch von Ihnen nach einer rechtlichen Stärkung des Amtes. Denn nach der letzten Änderung der eisenbahnrechtlichen Vorschriften ist das EBA alleinige Sicherheitsbehörde im Sinne der europäischen Sicherheitsrichtlinie.

Völlig ausgeblendet haben Sie in Ihrem Antrag auch, dass in diesem Zusammenhang beim EBA ein Sicherheitsbeirat eingerichtet worden ist, der gerade die Zusammenarbeit des Amtes mit den obersten Landesbehörden für die Eisenbahnaufsicht fördert.

Das Eisenbahn-Bundesamt ist bereits heute nicht nur mit der Abnahme oder der Inbetriebnahme

von Fahrzeugen und Betriebssystemen betraut, sondern es begleitet auch die Einführung der Fahrzeuge und Fahrzeugsysteme, zum Beispiel bei der Konstruktion und bei Tests. Selbst Prüfverfahren, Zulassungsgrundlagen werden im Zusammenhang mit den europäischen Sicherheitsbehörden mit begleitet. Entsprechend werden diese Prüfungs- und Wartungsintervalle vorgenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, das Eisenbahn-Bundesamt verfügt bereits heute über eine enorme Breite von Zuständigkeiten und Handlungsoptionen. Das sollte uns alle sicher machen. Im Übrigen wird deutlich, dass die Bahn sehr wohl ein sicheres Verkehrsmittel ist, das einem engmaschigen Kontrollsystem unterworfen ist.

Die Auffassung allerdings, dass die Bahn bei solchen Vorfällen wie beim ICE-Achsbruch in Köln transparenter handeln muss, teilen wir. Für Geheimniskrämerei oder Zaudern ist das Thema Sicherheit zu ernst und zu sensibel. Blindes Vertrauen in die Führung der Deutschen Bahn ist hier nicht angebracht. Auch deshalb ist es richtig gewesen, nach wie vor für eine strikte Trennung von Netz und Betrieb zu sein. Wir werden weiterhin die Politik der Bahn mit großer Wachsamkeit verfolgen. Aber Ihr Versuch, Herr Kollege Becker, diesen Unfall politisch zu instrumentalisieren und für Panikmache zu nutzen, macht die CDULandtagsfraktion nicht mit.

Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir zu, und es wird uns Freude machen, uns erneut mit Ihnen auseinanderzusetzen. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lorth. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Jung das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lorth, die Sicherheit ist natürlich ein sehr hohes Gut und hat oberste Priorität. Aber gerade bei der Bahn gibt es dafür einen Hauptverantwortlichen. Ich vermisse in Ihrem Beitrag, diesen Hauptverantwortlichen zu benennen und darzustellen, wie er in seinem Unternehmen mit Transparenz umgeht. Dazu kommen wir später noch.

Der ICE-Achsbruch in Köln, der fast zu einer Katastrophe geführt hätte, beschäftigt den Landtag am heutigen Tag zu Recht an prominenter Stelle. Die Schiene ist für uns Sozialdemokraten das

Verkehrsmittel der Zukunft, insbesondere an Rhein und Ruhr, wo der Verkehrskollaps kein Schreckgespenst der Zukunft mehr ist, sondern jeden Tag auf den überfüllten Autobahnen und im Stadtverkehr erlebt werden kann. Damit die Menschen auf die Schiene umsteigen, muss diese nicht nur attraktiv, pünktlich und sauber sein, sondern vor allen Dingen – das betone ich – auch sicher.

Zum Antrag der Grünen, Herr Becker: Ich bin der Meinung, dass Sie nicht ausreichend genug würdigen, dass es die Vertreter der Bahn selber waren, die eine Kürzung der Prüfintervalle vorgeschlagen haben, auch wenn Mehdorn hiervon anscheinend keine Kenntnis hatte. Das, was die Grünen fordern, ist meines Erachtens ein Systembruch. Bisher gab es klare Verantwortlichkeiten. Die Prüfintervalle werden vom Hersteller festgelegt, der auch dafür haftet, dass sie richtig gewählt sind. Die EVUs haben eine Betreiberverantwortung dafür, dass die vorgegebenen Prüfungen auch eingehalten werden. Diese Verantwortung darf den Betreibern niemand abnehmen.

Fazit: Das Eisenbahn-Bundesamt hat gezeigt, dass es eine kompetente und durchsetzungsstarke Behörde ist, die ähnlich wie die Polizei Missstände aufklären und Zwangsmaßnahmen auferlegen kann. Demnach ist das EBA Polizei, nicht aber, wie es die Grünen vorsehen, TÜV, Herr Becker. Bei der Verantwortungsverteilung, die die Grünen wünschen, würde über das EBA der Bund selbst in die Verantwortung kommen.

Zum eigentlichen Kernproblem: Der hier vorliegende Antrag der Grünen zeigt wieder einmal deutlich, wie wenig unsere Topmanager bei Kernkraft, Chemie und Bahn gelernt haben, mit Störfällen umzugehen. Klarheit und Wahrheit stehen bei der Bahn dem ersten Anschein nach hinter am Börsengang orientierten und betriebswirtschaftlich begründeten Beschwichtigungsversuchen zurück. Ich sage es ganz deutlich: So kann und darf man mit sensiblen Themen wie der Sicherheit nicht umgehen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)