Protocol of the Session on August 27, 2008

(Beifall von der SPD)

Kommen wir zu den Kopfnoten. Das kommt mir mittlerweile vor wie auf einem orientalischen Basar. Derzeit gibt es sechs Kopfnoten und einen Abiturjahrgang, der damit durch sein ganzes Leben gehen muss, nämlich der letzte, der chaotische Abiturjahrgang 2008. Dieser Jahrgang hatte sechs Kopfnoten. Wir wissen nicht, was den nächsten Jahrgängen passiert. Werden es zwei, werden es drei oder werden es vier Kopfnoten?

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Kommt die Änderung zum Halbjahr oder erst zum nächsten Jahr? Kommt sie nach der Evaluation eines Jahres oder nach der von zwei Jahren? Vielleicht sagen Sie etwas präziser, wenn Sie das nächste Mal Plakate aufhängen, was Sie eigentlich mit den Kopfnoten machen wollen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen nehmen Ihnen einfach nicht mehr ab, dass das seriöse Bildungspolitik ist. Wir haben Ihnen den Vorschlag gemacht, die Kopfnotenvergabe zumindest bei den Abiturienten auszusetzen. Auch solch einen pragmatischen Vorschlag haben Sie schlichtweg abgelehnt und lassen es zu einer Zwei-KlassenGesellschaft kommen.

Kommen wir zum nächsten Punkt, zu den kommunalfreundlichen Lösungen für Kommunen. Was die Schulstruktur bzw. die Schulverbünde bei Ihnen angeht, kann ich sagen: Fehlanzeige! – Herr Kaiser fordert lauthals Kreativität ein.

(Zustimmung von Klaus Kaiser [CDU])

Herr Kaiser, wenn die Kommunen dann kreativ werden und hervorragende Konzepte auf den Tisch legen, dann muss dieses Ministerium eine Verrenkung machen und das Schulgesetz verfremden, damit tatsächlich noch irgendwelche Lösungen herauskommen, die die Kommunen zufriedenstellen. Das ist die Realität, die Sie den Kommunen in Nordrhein-Westfalen zumuten!

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Die CDU-Bürgermeister haben eine hohe Kreativität an den Tag gelegt.

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Ich attestiere gerade Ihren Bürgermeistern eine hohe Kreativität und Sie rufen immer dazwischen, Herr Weisbrich. Das finde ich nicht nett.

(Zuruf von der SPD: Das hat er nicht ver- standen!)

Ich kann nur sagen, dass Sie Ihr eigenes Schulgesetz im Hinblick auf die Anträge der Kommunen bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln, wenn Sie ihnen angeblich pragmatische Lösungen vor Ort anbieten wollen.

Kommen wir zum nächsten Punkt, zum Ganztag. Interessant ist, welches Weinen sich auf einmal einstellt, was wir von 1995 bis 2005 in Bezug auf den Ganztag alles nicht gemacht hätten. Einige Abgeordnete der CDU werden sich noch daran erinnern, wie sie den Ganztag in der Zeit verteufelt haben, als wir trotz der schwierigen finanziellen Bedingungen den Ganztag immerhin in einer Schulform umgesetzt haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Einige Abgeordnete der Koalitionsfraktionen werden sich auch daran erinnern, dass wir in der Grundschule ein Ganztagsprogramm mit 200.000 Plätzen aufgelegt haben. Wir sind dabei sehr erfolgreich gestartet – gegen Ihren erbitterten Widerstand!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das haben Sie später trotzdem fortgesetzt. Also hören Sie bitte mit dem hohlen Gerede auf, wir hätten uns nicht um den Ganztag gekümmert! Das ist schlicht und einfach nicht wahr!

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich sage Ihnen, wie Sie mit Ihren Programmen umgehen. Ich war in Blomberg, habe die Eröffnung einer Mensa begleitet und durfte dort ein Grußwort sprechen. Herr Kern war auch dabei; ich weiß nicht, ob er hier jetzt noch anwesend ist. Wir beiden waren vor Ort und haben uns angehört, was da passiert ist. Eine Hauptschule hatte den Ganztag beantragt und wollte eine Mensa bauen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis klar war, dass die Mensa für diese Hauptschule, die in einem Schulzentrum liegt, auch von anderen Schülern benutzt werden durfte. Das heißt: Wenn es nach Ihren Plänen gegangen wäre, hätten sich die Realschüler und die Gymnasiasten die Nase am Fenster platt gedrückt, während die Hauptschüler zu Mittag gegessen hätten.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Das ist Ihre Art der Lösung gewesen. Nur mit dem Handeln dieser Kommune, die selber 800.000 € investiert hat, konnte eine Mensa gebaut werden, die allen Schülerinnen und Schülern zur Verfü

gung steht. Das sind die pragmatischen Lösungen vor Ort, die Sie im Detail häufig genug bekämpfen!

Das alles hat, wie gesagt, etwas mehr als 800.000 € gekostet. Aber jetzt bieten Sie ein Ganztagsprogramm für die Gymnasien und für die Realschulen an, das einer Kommune für den Ausbau eines Ganztags sage und schreibe 100.000 € zugesteht – aber nur, wenn die Kommune selbst 100.000 € drauflegt. Ich frage Sie ganz ernsthaft: Wie soll das denn funktionieren?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Heute Morgen haben wir gehört, wie viele Steuermehreinnahmen Sie haben: Es gab eine Steigerung dieser Einnahmen in Höhe von 25 %. Wie viel davon setzen Sie für den Ganztag ein? Da müssten Sie anfangen nachzudenken. Alles andere uns ans Revers heften zu wollen ist schlicht und einfach Unfug.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Das waren einige der Punkte, die ich aus meiner Sicht noch einmal ansprechen wollte. Insofern finde ich: Das Sofortprogramm der Grünen ist das richtige Programm zum richtigen Zeitpunkt. Ich sage allerdings auch ganz deutlich: Es gibt noch viel mehr ungelöste Probleme.

(Zustimmung von den GRÜNEN)

Ich nenne nur einige, zum Beispiel Ihr Scheitern mit dem Schulgesetz. Die Schulleiterwahl ist nicht mehr verfassungskonform.

(Beifall von Sören Link [SPD])

Sie wollen die Beförderungssperre für Schulleiter aufheben, aber Ihr Innenminister macht keinen Gesetzentwurf dazu; das funktioniert also gar nicht. Sie haben bescheinigt bekommen, dass das LPVG verfassungswidrig ist und müssen da noch Veränderungen vornehmen. Der Prognoseunterricht entpuppt sich als reines Verwaltungsmonstrum. Verfahren sind beim Verwaltungsgericht anhängig. Eltern beschweren sich. Dieses Steuerungsinstrument ist gescheitert. – Das ist Ihre Bilanz. Da spricht nichts für Durchlässigkeit und nichts für Chancengleichheit.

Wenn Sie uns dann attestieren wollen, Frau Ministerin, dass längeres gemeinsames Lernen keine besseren Lernergebnisse hervorbrächte – da kann ich Ihnen vielleicht sogar Recht geben, das weiß ich noch nicht,

(Ralf Witzel [FDP]: Aha!)

aber eines, Herr Witzel, ist erwiesen: Längeres gemeinsames Lernen schließt die Schere zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Das muss uns doch das erste Anliegen sein.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Auch der Leistungsgedanke ist wichtig, er kommt aber als Zweites hinzu. Deswegen sollten Sie diesem Gedanken nähertreten. Wir werden das hier noch weiter erörtern. Machen Sie das nicht mit der Einheitsschule platt. Es ist differenzierter, als Sie denken. Sie sollten die Kinder in den Mittelpunkt Ihres bildungspolitischen Interesses stellen. In dem Sinne stimmen wir dem Antrag zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schäfer. – Für die grüne Fraktion erhält Frau Beer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin vermisst Visionen. Frau Ministerin Sommer, wir versuchen es heute speziell für Sie mit kleinen Schritten. Aber selbst diese kleinen Schritte verweigern Sie konsequent. Dabei sind diese kleinen Schritte genau die Antwort auf die Nöte der Schulen, in die Sie diese hineingestürzt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese kleinen Schritte sind das, was die Schulen jetzt brauchen. Sie aber schalten ab und machen die Augen zu.

Die Kollegin Frau Pieper-von Heiden sagt hier: Wir treiben die Schulen in nichts hinein. – Sie treiben den Schulen die Tränen in die Augen, allein wenn Sie diesen Satz sagen. Sie haben die Nöte verursacht. Sie haben den Schulen und Schulträgern das Turbo-Abitur, die Verkürzung der Sekundarstufe I vor die Tür gekippt. Und dann sagen Sie „Wir treiben die Schule in nichts hinein“? Sie haben Kopfnoten per Zwangsverordnung in die Landschaft gegossen und müssen jetzt zugeben, dass diese nicht passgenau sind, dass sie ungerecht sind, dass Sie nach nur einem Jahr grundsätzlich daran arbeiten müssen. Und dann sagen Sie „Wir treiben die Schulen in nichts hinein“? So viel Realitätsverweigerung ist wirklich unglaublich. Das kann man sich gar nicht vorstellen.

Worauf dürfen sich die Schulen in Sachen Kopfnoten in diesem Jahr freuen? Die Ministerin sagt gerade ganz nebulös und verträumt lächelnd – viel

leicht ist das ein Tipp des neuen PR-Beraters –: Das könnte in einem Halbjahr vielleicht so sein.

Die FDP schwadroniert über drei Noten, Herr Kaiser träumt von zwei Noten. Und was ist mit den Schulen? Da herrscht absolute Unklarheit. Die Schulen müssen nach den bisherigen Vorgaben arbeiten, kennen die Kriterien nicht, nach denen die Schüler/-innen demnächst beurteilt werden sollen, und wohin die Kopfnoten laufen. Sie wissen nicht, ob es zwei, drei, vier oder vielleicht 32 sind – weil es doch viel differenzierter sein sollte. Nichts ist klar! Die Schulen haben wieder unnütze Arbeit mit einem unnützen Instrument. Und Sie müssen schon nach kurzer Zeit eingestehen, dass das Ganze im Prinzip ein Rohrkrepierer ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es wird auf jeden Fall nie wieder sechs Kopfnoten in Nordrhein-Westfalen geben; das ist klar. Ich kann den Schülerinnen und Schülern nur empfehlen, die Zeugnisse dieses Jahres aufzuheben. Sie haben Seltenheitswert und können sicherlich einmal bei eBay versteigert werden. Da werden sie eine enorme Rendite bringen.

Was wir heute Morgen hier gehört haben, grenzt wirklich an Realitätsverweigerung bezüglich der realen Situation der Schulen. Das war während der heutigen Haushaltsdebatte auch vom Ministerpräsidenten mit Händen zu greifen.