Was aber ist das Ergebnis dieses Untersuchungsausschusses, das Ergebnis von 25 Sitzungen in 14 Monaten mit 32 vernommenen Zeugen und über 500 Akten? In einer langen Kette von Versäumnissen und Versagen tragen Sie, Frau Ministerin, wegen des Organisationsversagens
Sie haben Recht, Herr Giebels, das ist das Ergebnis der SPD- Landtagsfraktion. Und das ist auch die Meinung der Menschen in diesem Land. Denn die fragen sich bis heute: Wie konnte es zu diesem Foltermord in Siegburg kommen? – Sie fragen sich erst recht: Warum trägt niemand – gar niemand – in diesem Land die Verantwortung für diese grausame Tat? – Das ist bis heute nicht beantwortet.
Aber, Frau Ministerin, das Volk muss fühlen, dass Verantwortung übernommen wird. Was aber fühlt das Volk? Was fühlen die Menschen, die sich seit mehr als anderthalb Jahren mit diesem Foltermord beschäftigen?
Wie muss sich der Vater von Hermann fühlen, wenn er heute erfährt, dass im Ministerium ein Vorschlag vorlag, Siegburg nicht nur zu entlasten, die dortige Überbelegung von 120 % im Jugendbereich und von 113 % für die gesamte JVA abzubauen, sondern Siegburg sogar in eine reine Jugendanstalt umzuwidmen? Das haben Sie heute gemacht, das wurde aber damals mit einem Anruf aus Ihrem Ministerbüro für die jungen Menschen in Siegburg abgelehnt.
(Beifall von Frank Sichau [SPD] – Dr. Stefan Berger [CDU]: Das ist unerhört! Wieder eine Falschaussage!)
Wie müssen sich Verwandte und Freunde von Hermann fühlen, wenn sie erfahren, dass diese Justizministerin bereits acht Monate vor dem Tod von Hermann einer Richterin mitteilt, dass die Mehrfachbelegung in Hafträumen eine Gefahrenzone darstellt. Das ist Ihr Begriff gewesen, Frau Ministerin; Sie haben das einer Richterin geschrieben. In dieser Gefahrenzone ist Hermann H. umgekommen.
Was fühlt die Mutter von Hermann, wenn sie erfahren muss, dass ein Mitarbeiter des Landesjustizvollzugsamtes, also einer Organisation, die aus dem Justizbereich kommt, vom Frühjahr bis zum Herbst 2006 durch nordrhein-westfälische Justizvollzugsanstalten fährt und dort vor Mehrfachbelegung warnt, Ihnen im Ministerium dieses bekannt ist, jedoch niemand in Ihrem Hause handelt und die jungen Menschen davor schützt?
Was sagt der Bruder von Hermann, wenn er erfährt, dass Sie im Januar 2006, als Sie gefragt hatten, ob die Täter-Opfer-Erkennung funktioniere, einfach blind geglaubt haben, es gehe, dass Hermann dann mit zwei Gewaltverbrechern zu
sammengelegt und von diesen später gefoltert und ermordet wird? Sie haben nicht nachgefragt. Sie haben die Information so akzeptiert, wie sie gekommen ist.
Sie glauben, die fühlen sich gut. Das glaube ich gern; das würde ich an Ihrer Stelle auch glauben. – Was fühlen die Mitarbeiter, wenn Sie im Untersuchungsausschuss sagen: „Ja, die Verantwortung trägt die JVA, die Justizvollzugsanstalt“? Auf die nächste Frage sagen Sie: dann eben das Landesjustizvollzugsamt. – Am Schluss sagen Sie: die Mitarbeiter Ihres Ministeriums. – In keinem Fall haben die Menschen in diesem Land gehört, dass auch die Ministerin für das, was hier geschehen ist, die Verantwortung trägt.
Am Schluss frage ich mich: Was muss Hermann gefühlt haben, als er in dieser Gefahrenzone lag, schwer misshandelt den Rufknopf drücken konnte, hoffte gerettet zu werden – und niemand kam? Wie schwer war sein Körper schon gekennzeichnet, als durch den Lärm der Qualen die Wachtmeister in die Zelle kamen, aber keine Vitalkontrolle durchführten und ihm die letzte Chance nahmen, sein Leben noch zu retten?
Und dann fragen wir uns alle: Frau Ministerin, wie müssen Sie sich eigentlich fühlen, wenn Ihnen Ihre eigene Kommission attestiert, in Siegburg gebe es eine unfähige JVA-Leitung? Und was denken Sie, wenn Sie heute sehen, wie einfach es gewesen wäre, das Leben von Hermann zu retten?
Darauf erwarten die Menschen in NordrheinWestfalen eine Antwort von Ihnen. Denn nichts, aber auch gar nichts hat in Ihrem Laden funktioniert: unmenschliche Haftbedingungen in mit Möbeln vollgepfropften 15-m²-Zellen – das OLG Hamm sagt es Ihnen heute noch –, keine Täter-Opfer-Erkennung, keine Rufknopfüberprüfung, keine Vitalkontrolle, eine miserable JVA-Leitung, ein Landesjustizvollzugsamt, das vor Mehrfachbelegung in den JVA warnt, und eine Ministerin, der eine Richterin von einer Gefahrenzone berichtet, die aber weiterhin, von März bis November, Hunderte von jungen Gefangenen genau in diese Gefahrenzone schickt, bis dann das passiert, was passieren musste.
Und dann, erst dann haben Sie reagiert. Dann geht alles ganz schnell: keine Mehrfachbelegung, Kontrollen, Täter-Opfer-Erkennung und ein Jugendstrafvollzugsgesetz.
14 Monate Arbeit des Unersuchungsausschusses machen eines klar: Alles Schuld der Vorgänger!, und: Ich habe doch gehandelt! – Die Wahrheit ist offenkundig, Frau Ministerin. Sie tragen persönlich und politisch die Verantwortung für den Tod eines jungen Gefangenen in staatlicher Obhut. In einem solchen Fall muss die zuständige Ministerin außer der persönlichen Verantwortung auch die politische übernehmen. Wenn etwas passiert, was solche Dimensionen hat, eine solche Einmaligkeit im Land Nordrhein-Westfalen, dann muss der Minister im Namen seines gesamten Verantwortungsbereiches zurücktreten.
Jetzt ist klar: Sie selbst, Frau Ministerin, wussten frühzeitig über die Gefahrenzone Bescheid, und über einen Zeitraum von acht Monaten – 5.856 Stunden lang – hatten Sie die Gelegenheit, etwas zu tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn eine Ministerin eine falsche Entscheidung trifft, eine Situation nicht richtig einschätzt, dann muss sie dafür einstehen. Es ist eines der ungeschriebenen Gesetze des Parlamentarismus, dass von Ministern die Verantwortung für alle Vorgänge in ihren Ressorts übernommen wird. Denn Minister und Ministerinnen repräsentieren nicht nur die Institutionen, sondern sie verkörpern sie auch. Es bedarf eines symbolischen Akts der Reinigung, nachdem das Vertrauen in die Justiz beschädigt ist.
Dazu will ich den Ministerpräsidenten aufrufen – wenn er es heute wichtig genug gefunden hätte, bei dieser Diskussion dabei zu sein. Stattdessen höre ich aus der Union, Sie würden nicht stürzen, Frau Ministerin. Ich kann nicht beurteilen, ob Sie stürzen oder nicht, aber Sie werden nicht mehr dieselbe sein. Ein Sturz ohne Rücktritt ist es, der Ihnen droht.
Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Als nächster Redner hat für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Orth das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorausschicken, dass ich es sehr tragisch finde, was passiert ist, und es bedauere, dass so
etwas im Vollzug leider nicht ganz zu verhindern ist, so wie Selbstmorde nicht ganz zu verhindern sind, so wie andere, unglückliche Umstände nicht zu verhindern sind. Das möchte ich vorausschicken, weil das auch das ist, was bei mir als Ergebnis des PUA vordringlich hängen bleibt.
Zum einen sagen Sie, hier nimmt jemand das Wort vom Prügeln in den Mund, und zum anderen sagte Ihr Kollege Jäger in dem Zusammenhang im Rechtsausschuss: Wir wollen die Ministerin grillen sehen! – Was ist denn das für eine Diktion? – Da müssten Sie mal schreien! Das ist ja wohl ekelig und absolut unangemessen!
Und wenn Sie auf Ichtershausen im Jahre 2001 zu sprechen kommen: Sie wissen hoffentlich, wer da regiert hat. Oder können Sie sich nicht erinnern? – Das sind schon mehrere Jahrzehnte SPD-Regierung hinter uns. Und dann kam Ichtershausen. Ichtershausen liegt – für die Leute, die zuhören – nicht in Nordrhein-Westfalen, sondern in Thüringen. In Thüringen gab es einen Vorfall, der dort als Verschlusssache behandelt wurde. Es gab lediglich einzelne Verlautbarungen, dass es so etwas gegeben hätte, aber keinen Vorgang dazu hier im Ministerium. Dann sollten Sie mir einmal erklären, wieso …
Aber selbst wenn man es im nordrheinwestfälischen Justizministerium schon im Jahr 2001 gewusst hätte, warum hat denn dann Herr Dieckmann nicht gehandelt, warum hat Herr Gerhards nicht gehandelt und warum sollte ausgerechnet die jetzige Justizministerin handeln –
Ich meine, Sie sollten sich ein bisschen mehr an die Jahreszahlen erinnern, bevor Sie so etwas in die Welt posaunen.
(Frank Sichau [SPD]: Man sollte doch keine Untersuchung in Auftrag geben, wenn das Ergebnis schon klar ist! – Weitere Zurufe von der SPD)
Dann sagten Sie eben: Die Verantwortung für das konkrete Tatgeschehen trägt die Ministerin. – Ja, haben Sie denn das Urteil nicht gelesen? – Meiner Erinnerung nach sind Menschen verurteilt worden, weil sie eine Tat begangen haben, für die sie verantwortlich waren. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, der Ministerin zu unterstellen, dass sie die Verantwortung dafür trägt. Sie ist doch nicht die Täterin. Die Täter sitzen hinter Schloss und Riegel – und das ist gut so, meine Damen und Herren.
Dann sagen Sie: Man hätte Siegburg doch entlasten können. – Ja, hätte man? – Wenn man entlasten will, hat man woanders eine Belastung. Und so hat man – das haben die Ergebnisse jedenfalls für mich gezeigt – im Ministerium besprochen und abgewogen, wo es Sinn macht, die Belegung rauf- und wo es Sinn macht, sie runter zu fahren. Man hat damals entschieden, die Verteilung aktuell nicht zu ändern.
Beschlossen hat man aber einen Anbau für die JVA Heinsberg. Sie müssen Sie sich also einmal klarmachen, was getan wurde: Es wurde entschieden, mehr Haftplätze zu schaffen. Denn es nützt nichts – diese Möglichkeit hätte die SPD wahrscheinlich ins Auge gefasst –, die Leute in Gefangenentransportern von A nach B zu fahren und ansonsten nichts an der Situation zu ändern. Denn was wäre das Ergebnis einer solchen Lösung gewesen? – Sie hätten Siegburg entlastet und Wuppertal belastet, meine Damen und Herren. Das ist Augenwischerei. Einen Bustourismus für Gefangene brauchen wir jedenfalls nicht.
Dann haben Sie hier mehrmals Zitate gebracht, beispielsweise, es wäre flegelhaftes Verhalten attestiert worden, es wäre blind geglaubt worden, Mitarbeiter des Hauses hätten etwas gesagt. – Das ist das „Modell Stotko“, das wir aus dem Ausschuss kennen: Sie zitieren mit Fundstellen, die es nicht gibt, zitieren Auszüge oder sagen gar nicht erst, wo etwas stehen könnte.
Meine Damen und Herren in der Öffentlichkeit, lassen Sie sich von so etwas nicht in die Irre führen! Das ist eine Zitierweise auf dem Niveau eines Vorstadtanwalts, aber jedenfalls nicht eines Parlamentes würdig ist.
Was hat die Landesregierung unternommen, meine Damen und Herren? – Die Justizministerin hat schon lange vor dem Vorfall in Siegburg das Gewaltgutachten in Auftrag gegeben. Das haben Sie