Protocol of the Session on January 24, 2008

Ich darf Ihnen aufzeigen, Frau MüllerPiepenkötter, was die Fachwelt von einem Warnschussarrest hält. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich Herrn Bernd Maelke, einen der führenden deutschen Strafvollzugsexperten, der es, wie ich finde, sehr treffend auf den Punkt gebracht hat:

„Wer die Gesellschaft vor jugendlichen Straftätern schützen will, der soll nicht von Warnschussarresten schwafeln, sondern mehr Bewährungshelfer einstellen und die Zusammenarbeit der Organisationen verbessern.“

Das unterstellt er den Politikern. Frau MüllerPiepenkötter, ich meine, Sie sollten gelegentlich auf Ihre Fachleute hören.

(Beifall von der SPD)

Zum Jahreswechsel tauchten als vierter Vorschlag, wie man jugendlichen Straftätern begegnen sollte, plötzlich in Diskussionen, angefeuert durch Herrn Roland Koch, Erziehungscamps auf. Wenn man sich chronologisch anschaut, wer in diesem Hause was dazu gesagt hat, dann wundert man sich schon. Das ist keine neue Diskussion. Sie ist fast ein Jahr alt.

Am 26. Februar vergangenen Jahres hat Herr Wüst hier im Plenarsaal erklärt

(Hendrik Wüst [CDU]: Gut, dass Sie sich noch daran erinnern!)

es gibt Dinge, an die man sich ungern erinnert, Herr Wüst –, es müsse mit eisernen Besen gekehrt werden. Erziehungscamps müssten eingerichtet werden.

Herr Wüst sagte am 10. März: Wer weniger Gewalt will, muss härter durchgreifen.

(Zuruf von der SPD)

Das „Allerbeste“ ist ein Zitat vom 26. April, Herr Wüst: Der Einsatz von Drogenspürhunden auf Schulhöfen sollte geprüft werden. – Herr Wüst, ich finde, das ist kein Ausdruck naiver jugendlicher Entgleisung. Ich halte es schlichtweg für Kokolo

res. Aber damit stehen Sie in ihren Reihen nicht allein.

(Beifall von der SPD)

Selbst der Ministerpräsident erklärte am 18. März, jugendliche Gewalttäter müssten in Erziehungscamps. Am 2. Januar dieses Jahres erklärte der Sprecher des Justizministeriums, Ihr Sprecher, Frau Müller-Piepenkötter: Die Regierung ist derzeit nicht aktiv. – Wieso eigentlich derzeit?

(Lachen und Beifall von der SPD)

Es hieß weiter: Diese Landesregierung hat keine Pläne, Erziehungscamps einzurichten.

Am 2. Januar erklärte Ihr Staatssekretär, Herr Söffing: Diese Landesregierung plant keine Erziehungscamps. – Am 4. Januar sagte Herr Laschet in einem „Spiegel online“-Interview unisono: keine Erziehungscamps in Nordrhein-Westfalen.

(Minister Armin Laschet: Amerikanischer Prägung!)

Frau Müller-Piepenkötter, anders als Ihr Sprecher und Ihr Staatssekretär erklären Sie einen Tag später, Sie begrüßten Erziehungscamps.

Nun komme ich zum 5. Januar. An diesem Tag gab es in Nordrhein-Westfalen ganz großes Kino – ganz großes Kino!

(Britta Altenkamp [SPD]: Das war ein großer Tag!)

Einen Tag nach der Klausurtagung der CDU in Wiesbaden, nachdem offensichtlich aufgefallen ist, dass es einen Integrations- und Jugendminister in Nordrhein-Westfalen gibt, der völlig kontra zur Koch-Linie ist, erklärt Herr Laschet urplötzlich: Jetzt brauchen wir Erziehungscamps. – Wenn man schon nicht dagegen sein darf, Herr Laschet, sondern dafür sein muss, dann aber richtig. Er sagte: Ich bin jetzt für Erziehungscamps, ich richte auch das erste in Deutschland ein.

(Lachen von Frank Sichau [SPD])

Er denkt an eine geschlossene Einrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen in Neukirchen-Vluyn mit 20 bis 25 Plätzen für 15- bis 18-jährige Straftäter. Schwerpunkte werden Sport und ein strukturierter Tagesablauf sein. Bei dieser einen soll es nicht bleiben, sondern wir richten noch weitere zehn in diesem Land ein.

Am 6. Januar mussten Sie sich ein wenig korrigieren, Herr Laschet: nicht das Land richtet sie ein, sondern die Kommunen über den Landschaftsverband.

(Norbert Killewald [SPD]: Da ist dem Ju- gendhilfeminister klar geworden, dass er gar nicht Träger ist!)

Es ist auch zufällig nicht Neukirchen-Vluyn, sondern Bedburg-Hau, und es sind nicht 20, sondern nur acht Plätze. Das Camp ist auch nicht für jugendliche Straftäter vorgesehen, sondern für strafunmündige Kinder. Es ist übrigens auch keine geschlossene Einrichtung, sondern es ist eine offene Einrichtung. Der Schwerpunkt liegt nicht auf Sport und einem strukturierten Tagesablauf, sondern auf sozialtherapeutischer und pädagogischer Begleitung und 1:1-Betreuung. Aber sonst stimmte alles, Herr Laschet.

(Lachen und Beifall von der SPD)

Herr Laschet, Sie sind dem Parlament noch eine Erklärung schuldig geblieben, wo die anderen zehn Einrichtungen vorgesehen sind, die Sie bereits am 5. Januar angekündigt haben. Wenn Sie es heute schaffen, auch nur einen zusätzlichen Standort zu nennen, würden wir uns freuen.

Ich darf gerne zitieren, was der Träger in Bedburg-Hau unter dem versteht, was Herr Laschet als Erziehungscamp bezeichnet. Der Träger erklärt dazu:

„Zudem helfen wir Kindern unter 14 Jahren, die zum Teil ein hohes Gewaltpotenzial aufweisen, die entwurzelt sind, suchtgefährdet oder haltlos auf der Straße leben und die trotz Sanktionen und pädagogischer Einflussnahme kein Rechtsbewusstsein entwickeln. Wir helfen ihnen mit einem breiten Angebotsspektrum in verschiedenen Bundesländern durch sozialtherapeutische und pädagogische Arbeit in Gruppen und Einzelgesprächen.“

Das, meine Damen und Herren, ist ein Erziehungscamp à la Laschet, und das ist Kuschelpädagogik à la Wüst. Aber Sie müssen sich irgendwann darauf verständigen, was dort eigentlich stattfinden soll. Ich glaube, Sie, Herr Laschet, haben mit dem Etikettenschwindel, das sei ein Erziehungscamp, erstens den Träger diskreditiert, zweitens dessen Arbeit gefährdet und drittens die Menschen in Bedburg-Hau verunsichert. Das ist schlichtweg eine Unverschämtheit.

(Beifall von der SPD – Minister Armin La- schet: Der Träger ist sehr zufrieden mit uns, Herr Jäger!)

Sie machen sich zum Hilfskellner von Herrn Koch.

(Minister Armin Laschet: Ach, Unsinn!)

Angesichts des Gender-Mainstreams die Korrektur: Sie, Frau Müller-Piepenkötter, machen sich zur Hilfskellnerin von Herrn Koch.

Tatsächlich muss man feststellen, dass das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Haushalt null Euro für die Unterbringung von Intensivstraftätern vorsieht, null Konzept zu pädagogischen und therapeutischen Einrichtungen hat, die auch für auffällige Kinder und Jugendliche eingerichtet werden sollen, null Plätze geplant hat, um auf diese Jugendlichen tatsächlich einwirken zu können. Im Übrigen stelle ich fest, dass in den Häusern Laschet und Müller-Piepenkötter auch null Ahnung zu diesem Thema herrscht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Statt Geld, Mut, Ideen und Konzepte in den Vordergrund zu stellen, bauen Sie Richter- und Staatsanwaltsstellen ab, damit die Verfahrensdauer noch länger wird.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter)

Sie, Frau Müller-Piepenkötter, 78 Stellen im Haushalt 2008.

(Zuruf von der CDU: Das war Ihre Entschei- dung!)

Frau Müller-Piepenkötter, Herr Laschet, Sie haben der Bekämpfung der Jugendgewalt in diesem Land wirklich einen Bärendienst erwiesen. Nur um mal groß rauszukommen, einen solchen Etikettenschwindel vorzunehmen, ist billige Effekthascherei.

(Beifall von der SPD)

Herr Laschet, Sie haben nach KiBiz das Verwirrspiel und Chaos um Ihre Person, um Ihr Amt, um Ihr Ministerium weitergespielt. Es war ein dreister Etikettenschwindel, der Gott sei Dank aufgefallen ist; Sie sind dabei erwischt worden.

(Minister Armin Laschet: Quatsch!)

Am Sonntag sind in Hessen Wahlen. Ich glaube, dass der Versuch, mit billiger Polemik und vermeintlich einfachen Lösungen der steigenden Jugendgewalt in diesem Lande entgegenzuwirken, am Sonntag scheitert und Roland Koch nicht zum Ministerpräsidenten gewählt wird,

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU: Clement!)

weil es besser für die Menschen in Hessen und für die politische Kultur in diesem Land ist. Laschets und Müller-Piepenkötters warten nur dar

auf, als Nachahmer einer solchen Politik einsteigen zu können.

(Beifall von der SPD)