Protocol of the Session on November 15, 2007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Der weltweit schnellste zivile Rechner steht in Jülich. Das ist sicherlich eine gute Nachricht. Aber ist das ernsthaft ein Anlass dafür, sich das so feiern zu lassen, Herr Ministerpräsident? Herr Pinkwart, muss man das hier so feiern?

(Demonstrativer Beifall von CDU und FDP)

Nicht einmal die antragstellenden Fraktionen sind in ausreichender Anzahl anwesend. Nicht einmal diejenigen Kollegen, die sich um diese Aktuelle Stunde bemüht haben, haben ihre Plätze eingenommen.

(Zustimmung von der SPD)

Es ist ein Grund zur Freude, dass der Rechner den Wissenschaftlern zur Verfügung steht. Aber Sie sehen selbst: Hier hat heute Morgen die Opposition die Mehrheit.

Meine Damen und Herren, bei dem rasanten Tempo der Entwicklung von Supercomputern wird es nur eine Frage der Zeit sein, eher eine Frage von Monaten als eine Frage von Jahren, dass an anderer Stelle ein noch schnellerer Rechner stehen wird. Ja, meine Damen und Herren, noch im vergangenen Jahr war der Rechner in Barcelona der schnellste europäische zivile Rechner; heute ist er schon auf Platz 13 abgestürzt. So schnell geht es in diesem Bereich. Da mussten Sie ganz schnell eine Aktuelle Stunde beantragen, weil das nur heute aktuell ist, was Sie feiern, obwohl dieser Rechner erst nächstes Jahr wirklich in Betrieb geht.

Das ist eine sehr schnelllebige Zeit, meine Damen und Herren. Jülich selbst hat sogar das nächste Etappenziel mit dem Petaflop-Rechner, einem weiteren Rechner, der noch besser ist, längst für 2009 angekündigt.

Was ist also das Besondere an JUGENE, das es rechtfertigt, dass wir uns heute hier damit befassen? – Wenn ich es richtig verstanden habe, dann handelt es sich bei dem Superrechner um ein Produkt einer großen amerikanischen Firma. Dieser Rechner ist also kein Produkt aus Deutschland, sondern ein Produkt einer amerikanischen Firma, das in Jülich aufgestellt ist, also praktisch ein kleiner Bruder des Rechners Blue Gene von derselben Firma aus den USA. Es handelt sich demnach gerade nicht um eine Entwicklung aus Jülich, es handelt sich eben nicht um einen besonderen Erfolg von NRW-Forscherinnen und Forschern oder um ein besonderes Know-how, das hier entwickelt wurde und das man weltweit vermarkten könnte. Das ist eben nicht der Fall.

Diese Diskussion heute Morgen, meine Damen und Herren, erinnert mich ein bisschen an die Jubelveranstaltung über die Nobelpreisträger. Ich habe mich gefreut; denn sie haben die Nobelpreise sicherlich zu Recht bekommen, und es sind NRW-Bürger. Aber was haben Sie sich feiern lassen, Herr Pinkwart, für Erfolge, die vor 30 Jahren erbracht worden sind? – Sie regieren hier erst seit zweieinhalb Jahren. Zeigen Sie erst einmal, was Sie drauf haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Bis jetzt haben wir in Nordrhein-Westfalen noch nichts von dem gesehen, was Sie bislang versprochen haben.

Damit wir uns nicht falsch verstehen, meine Damen und Herren: Ich finde es gut, dass es JUGENE gibt und dass ein solches Werkzeug für die Forscherinnen und Forscher zur Verfügung steht. Das wird immer wichtiger in allen Bereichen, in

denen man wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr in Experimenten im einfachen Rahmen, die sehr lange dauern würden, erlangen kann. Ich nenne beispielsweise die Klimaforschung. Das ist ein extrem wichtiges Feld, auf dem man solche Superrechner braucht, mit denen sich nur anhand von Simulationen berechnen lässt, was Wirklichkeit wird. Das benötigen wir dringend, um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch das sagen: Wir müssen, wenn wir schon solche Rechner haben, diese Erkenntnisse politisch zur Kenntnis nehmen und aus ihnen Konsequenzen ziehen. Dicke Rechner reichen eben nicht. Wir müssen auch handeln. Denn auch die genauesten Vorhersagen nützen uns in diesem Bereich nichts, wenn wir nicht in der Lage sind, politisch die Konsequenzen zu ziehen. Sie wollen das ignorieren – ich nenne nur Herrn Ellerbrock aus der FDP-Fraktion oder Herrn Weisbrich aus der CDU-Fraktion – die glauben immer noch, dass der Klimawandel zumindest nicht menschenbedingt vonstatten geht.

(Christian Weisbrich [CDU]: Das stimmt nicht!)

Oder man erkennt zwar an, dass unsere derzeitige Energiepolitik ins Klimachaos führt, aber bekämpft trotzdem weiterhin die erneuerbaren Energien wie zum Beispiel Herr Minister Wittke, der heute Morgen nicht da ist. Also freuen wir uns nicht nur über JUGENE und darüber, dass wir damit Möglichkeiten gewonnen haben, sondern nutzen wir auch die Erkenntnisse. Das wollen Sie in bestimmten Bereichen aus politischen Gründen nicht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Im Übrigen finde ich es auch gut, meine Damen und Herren, dass JUGENE in Jülich und nicht in Frankreich, Schweden, Japan oder in den USA steht. Das stärkt natürlich den Ruf von Jülich, von NRW als Wissenschaftsstandort, was auch aus Sicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gut ist. Das wollen wir auch. Aber ich frage noch einmal, ob es wirklich angemessen ist, dass Sie sich diesen Erfolg in dieser Breite für NRW abfeiern. Ich fände es angemessener, Herr Minister Pinkwart, wenn Sie sich stattdessen einmal mit den wirklichen Problemen unserer Wissenschaftslandschaft auseinandersetzen würden außer in großen Porträts in den Zeitungen, und zwar ernsthaft und nicht nur mit wohlfeilen Absichtserklärungen oder Forderungen, die sich in den Zeitungen gut lesen lassen, sondern wenn Sie sich tatsächlich ernst

haft täglich mit der Frage quälen würden, wie man den Wissenschaftsstandort NRW voranbringen könnte. Da geht es eben nicht nur um heiße Luft.

Was ist denn mit dem Stipendienprogramm, für das Sie sich einsetzen wollen, Herr Pinkwart? – Bezahlen sollen andere, private Sponsoren, Spender und Stifter, wie Sie sagen. Wir hingegen haben einen konkreten Haushaltsvorschlag für ein solches Stipendienprogramm gemacht. Aber das haben Sie als Regierungsfraktionen abgelehnt, meine Damen und Herren. Das muss man Ihnen ins Stammbuch schreiben. Da gibt es aus unserer Sicht keinerlei Fortschritt.

Was ist denn mit Ihrer Forderung, Herr Prof. Pinkwart, die Professoren besser zu bezahlen? – Es scheint ja nicht um Ihre Bezahlung zu gehen. Ich hoffe aber, dass Sie auch die Professorinnen gemeint haben, als Sie davon gesprochen haben.

(Unruhe von der CDU)

Aber auch hier die Frage, wer das denn bezahlen soll. Ich jedenfalls habe von einem entsprechenden Haushaltsantrag der Regierungsfraktionen bisher nichts gehört, weder als Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses noch als haushalts- und finanzpolitischer Sprecher meiner Fraktion. Sie haben da bislang gar nichts beantragt. Woher kommt denn das Geld für die bessere Bezahlung der Professorinnen und Professoren?

Einige haben es sicherlich auch nötig, wenn man sieht, womit ein W2-Professor, ein W3-Professor monatlich nach einer langen Zeit der Ausbildung, nach einer langen Zeit der wissenschaftlichen Arbeit nach Hause gehen muss. Dann ist das sicherlich gerechtfertigt. Aber wie wollen Sie das denn bezahlen? Ich habe einen solchen Haushaltsansatz nicht gesehen.

Wenn Sie also nicht bereit sind, insgesamt mehr Geld auszugeben, dann kann Ihre wohlfeile Forderung mehr Geld für Spitzenprofessoren doch nur heißen: weniger Geld für die Basis, weniger Geld für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für Nachwuchskräfte, weniger Geld für die Studierenden. Wenn dieses hinter Ihrer Forderung nach besserer Bezahlung für Professoren steckt, Herr Prof. Pinkwart, dann kann ich nur sagen: ohne uns. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Groth. – Meine Damen und Herren, wir haben im Augenblick kleinere Probleme, die hin und wieder bei unserer Lautsprecheranlage auftreten – das betrifft das Rednerpult – und im Augenblick

nicht beseitigt werden können. Ich habe die Bitte, das erstens zu tolerieren und zweitens ein bisschen leiser zu sein. Im Augenblick brauche ich mich nicht zu beklagen, aber das kann sich wieder ändern.

(Allgemeine Heiterkeit)

Dann können wir alle den Rednern und Rednerinnen folgen.

Herr Prof. Pinkwart, Sie haben für die Landesregierung das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich außerordentlich, dass wir heute diese Aktuelle Stunde zu diesem wichtigen Thema haben, weil es uns in mehrfacher Hinsicht Gelegenheit gibt, hier im Hohen Hause zum einen über das Vorhaben selbst zu sprechen, zum anderen aber auch darüber, was mit einer solchen Technologie auf Weltspitzenniveau an zusätzlichen Effekten in unserem Land erreicht werden kann, welche zusätzlichen Chancen wir damit für unseren Forschungs- und Innovationsstandort haben.

Schließlich – das ist mir ganz besonders wichtig, deswegen möchte ich es gleich an den Anfang stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren – habe ich die Aktuelle Stunde, beantragt von den Koalitionsfraktionen CDU und FDP, so verstanden, dass es darum geht, auch ganz aktuell deutlich zu machen, dass Menschen dahinter stehen, die es überhaupt erst möglich machen, eine solche Technologie hier am Standort in der Qualität auf Weltspitzenniveau zur Anwendung zu bringen.

(Beifall von CDU und FDP)

Wenn man weltweit Erfolg hat, sollte man auch einmal danken, anerkennen und sagen: Weitermachen, bitte! – Das ist das, was damit auch zum Ausdruck kommt.

Herr Groth, ich verstehe Sie gar nicht. Wir feiern hier nicht uns, wir haben uns nicht gefeiert, als die Nobelpreisauszeichnung kam.

(Ewald Groth [GRÜNE]: Das haben wir er- lebt!)

Wir feiern die Menschen, die Höchstleistungen bringen, die sich einsetzen in unserem Land.

(Beifall von CDU und FDP)

Und das ist ganz offensichtlich der Unterschied zu Ihrem Denken. Wir wollen junge Menschen ermutigen, dass sie sich anstrengen, in der Schule, in

der Hochschule, damit sie es vielleicht irgendwann auch einmal schaffen, auf diese Schwelle eines Nobelpreisträgers, eines Spitzenforschers gesetzt zu werden. Das ist Anerkennungskultur gerade denen gegenüber, die sich zu Spitzenleistungen bekennen, die wir zwingend brauchen, wenn wir das Ziel tatsächlich erreichen wollen – und wir arbeiten daran –, Nordrhein-Westfalen zum Innovationsland Nummer eins in Deutschland zu machen.

Sie kommen immer mit Ihrer Bilanz. Immer dann, wenn wir etwas Positives feststellen, sagen Sie, sie seien dafür verantwortlich, für alles andere seien wir verantwortlich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben die Ausgangslage für Nordrhein-Westfalen vor zwei Jahren auch in meiner Regierungserklärung zum Thema Innovationsstandort NordrheinWestfalen geschildert – mit dem ersten Innovationsbericht, der jemals für Nordrhein-Westfalen vorgelegt wurde und seitdem jedes Jahr neu vorgelegt wird. Wir haben beschrieben, wo wir stehen. Wir haben das Positive benannt, aber wir haben auch auf erhebliche Defizite aufmerksam gemacht, die wir in den nächsten Jahren aufarbeiten müssen, um Anschluss an die Spitzengruppe in Deutschland und in Europa zu finden. Das sind in Deutschland insbesondere die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg.

Hier geht es zum einen darum, dass wir rein quantitativ Anschluss finden an deren Kennzahlen. Zum anderen geht es aber auch um Qualitäten. Wir haben Ihnen dargelegt, dass gerade im Bereich der Spitzenforschung Bayern und BadenWürttemberg in den letzten zehn, 15 Jahren Nordrhein-Westfalen weit enteilt sind. Wenn Sie sich schon mit tollen Ergebnissen schmücken, dann nehmen Sie auch dieserlei Zahlen zur Kenntnis. Hier muss Nordrhein-Westfalen in erheblichem Umfang aufholen.

Wenn wir jetzt in Jülich die Chance haben, im Bereich der Simulation als dritter Säule der Forschung neben Theorie und Experiment – dieser Bereich auf dem Gebiet der Spitzenforschung wird immer wichtiger – nicht nur deutschlandweit, nicht nur mit Blick auf Europa, sondern weltweit den leistungsfähigsten zivilen Rechner vorzuhalten, dann ist das die Grundvoraussetzung dafür, dass Nordrhein-Westfalen auch in anderen Feldern den Entwicklungsvorsprung, den andere haben, einholen kann, um irgendwann auch tatsächlich in die Spitze zu drängen. Das ist Grund der Aktuellen Stunde.

(Beifall von CDU und FDP)

Wo sehen wir die besonderen Zusammenhänge zwischen Jülich und anderen Forschungseinrichtungen, die im Übrigen erst in den letzten zweieinhalb Jahren für Nordrhein-Westfalen gewonnen werden konnten, um das hier auch einmal ganz klar zu sagen?

Ich nenne zuerst das Materialforschungsinstitut ICAMS an der Universität Bochum. Ohne die Rechnerfähigkeiten, die wir in Jülich haben und dort weiterentwickeln, könnten wir ein solches Exzellenzforschungsinstitut nicht nach Bochum holen, wie es uns in unserer Amtszeit gelungen ist, und zwar, Herr Groth, in der Kooperation zwischen Staat und Privat. Denn hier gibt die Industrie 12 Millionen € für Grundlagenforschung. Und das Land Nordrhein-Westfalen hat gesagt: Wenn die Wirtschaft da hineingeht, dann geben wir auch 12 Millionen €.

(Beifall von der FDP)

Zusammen haben wir dann eine Größenordnung für die Anfangsfinanzierung, sodass wir auch tatsächlich Spitzenleistungen erbringen können.

Wir haben in dieser Legislaturperiode die Zusammenarbeit zwischen Jülich und der RWTH Aachen mit JARA überhaupt erst gestalten und auf den Weg bringen können. Mit der German Research School for Simulation Sciences der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich haben wir die deutschlandweit einzigartige Forschungsschule im Bereich der Computerwissenschaften einrichten können, auch ein Beitrag, um mit diesem Know-how auf dem Gebiet der Simulation Nachwuchswissenschaftler heranzubilden, die weltweit benötigt werden.