Zweite Rubrik: viele warme Worte. Hier versuchen Sie, Politik umzuetikettieren. Sie verändern schlichtweg das Wording. Früher hieß es: Sozial ist, was Arbeit schafft. – Dann haben wir unser Konzept der guten Arbeit dagegengestellt. Heute sagen Sie – ich zitiere –:
Herr Ministerpräsident, das stimmt. Aber Arbeit hat auch etwas mit Würde zu tun. Und weil sie mit Würde zu tun hat, sind und bleiben wir als SPD Kämpfer und Verfechter für den Mindestlohn. Denn das ist das bessere Konzept, Herr Ministerpräsident!
(Lebhafter Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig! Und das hat was mit Würde zu tun!)
Der Unterschied liegt doch auf der Hand: Beim Kombilohn zahlt der Staat, zahlen die Steuerzahler; beim Mindestlohn zahlen die Arbeitgeber.
Wenn Sie das, was Sie sagen, ernst meinen, dann lassen Sie uns doch gemeinsam vorgehen gegen das, was im Postbereich gerade passiert. Es ist doch ein Unding, dass wir in Deutschland 800.000 Menschen haben, die Aufstocker bei Hartz IV sind, die sich von ihrer Hände Arbeit eben nicht ernähren können. Lassen Sie uns doch die Mindestlöhne dagegensetzen, damit genau das nicht mehr geschieht!
Wenn Menschen ihr Geld als Aufstocker in Hartz IV holen, ist das eine Perversion unserer Wirtschaft, denn wir zahlen dann die Gewinne der Unternehmen im Postsektor. Das ist das, was da passiert.
Aber dass Sie, Herr Ministerpräsident, das alles gar nicht ernst meinen, das wissen wir spätestens, seit Sie das Tariftreuegesetz abgeschafft haben – das Ihr Kollege Koch gerade einführt.
Wenn Sie es ernst meinen, dann unterstützen Sie doch unseren Kampf gegen die Auswüchse bei der Leih- und Zeitarbeit. Das ist das, was den Menschen in diesem Land, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter den Nägeln brennt.
Sie singen das Hohelied auf die Sozialpartnerschaft zur Bekämpfung von Lohndumping. Ist das ernst gemeint? Beim Postmindestlohn, da fehlte Ihr gewichtiges Wort in Berlin.
Wo wir gerade bei Berlin sind: Verlängerung von Arbeitslosengeld I. Es ist gut, dass Sie das Plakat von gestern auf heute weggeräumt haben. Das ist gut.
Aber Ihr Redebeitrag zeigt: Sie haben es immer noch nicht verstanden. Ich weiß, Sie waren nicht dabei. Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I richtet sich eben nicht nach Beitragsjahren, sondern Gott sei Dank nach Alter. Und das haben wir in diesen Verhandlungen durchgesetzt, Herr Ministerpräsident.
(Beifall von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Natürlich! Und Frau Merkel hat das Rüttgers-Modell in den Papierkorb ge- schmissen!)
Kommen wir zur dritten Rubrik: zu dem Versuch, Ihre wahre Politik zu verschleiern. „Wir haben weniger Schulden“, haben Sie gesagt. Herr Ministerpräsident, dank stark steigender Steuereinnahmen gelingt es Ihnen, die Neuverschuldung abzusenken. Das ist gut so, auch wenn Sie nicht wie versprochen alle Steuermehreinnahmen in den Schuldenabbau stecken. Aber wir halten an dieser Stelle noch einmal fest: Die Schulden sind in Ihrer Regierungszeit von 110 Milliarden auf 117 Milliarden € angewachsen. Das ist und bleibt Fakt Ihrer Regierungszeit.
Politik verschleiern – da ist interessant, was Sie weggelassen haben. Sie haben diesmal weggelassen – Herr Stahl, ich bin mal gespannt, wie es bei Ihnen wird –,
diese harten neoliberalen Begriffe: „Privat vor Staat“, „Freiheit vor Gleichheit“. Auch Sie haben inzwischen gemerkt, dass die Gesellschaft ganz woanders ist. Deshalb versuchen Sie jetzt, Ihre Politik zu verschleiern, verwenden diese Begriffe nicht mehr. Aber ich fürchte, Ihre Politik ändert sich deshalb nicht. Etikett wechseln und Inhalt fortführen, das wäre fatal für unser Land.
Wenn wir bei den Inhalten der ersten Halbzeit Ihrer Regierung sind – ich bleibe dabei: Das, was wir erleben, ist ein falscher Kurs für NordrheinWestfalen. Was wir in den letzten zweieinhalb Jahren erlebt haben, sind eben keine Reformen, sondern es sind Rückschritte. Ob KiBiz, Schulgesetz, Hochschulgesetz, Studien“gebühren“gesetz, Landespersonalvertretungsgesetz, Gemeindeordnung § 107, Polizeigesetz – was wir erlebt haben, ist eine Politik gegen die Kinder und Familien in diesem Land, eine Politik gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und nicht zuletzt gegen die Kommunen, gegen die Städte und Gemeinden in diesem Land! Das ist Ihre Politik!
Und Sie stehen wie keine Regierung vor Ihnen für eine Durchökonomisierung aller Politikbereiche. Bei Ihnen steht der Markt im Mittelpunkt der Politik und nicht der Mensch.
lige Protestnoten, Resolutionen – oft auch unterstützt von Ihren Kolleginnen und Kollegen aus der CDU vor Ort –, Volksinitiativen, all das spricht eine deutliche Sprache. Die Menschen haben verstanden – Sie nicht.
Das Schlimme ist: Ihre Neigung zur Inszenierung geht einher mit einer Abschottung von der Wirklichkeit. Sie stellen sich nicht, Sie wagen zu selten den offenen Dialog mit Kritikern. Der Umgang von Regierung und Koalitionsfraktionen mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Demonstranten, mit Interessenvertretern und nicht zuletzt mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spricht in den letzten zweieinhalb Jahren Bände, meine Damen und Herren.
Gleichzeitig sind Feiern, Preisverleihungen – ich kann gar nicht mehr mitzählen – und Jubiläen ein fester Bestandteil dieser Politikinszenierung. Nordrhein-Westfalen braucht aber gute reale Politik für eine gute Zukunft. Dafür muss man hart arbeiten. Bei Ihnen bleibt vieles liegen, was dringend getan werden müsste.
Sie setzen die falschen Prioritäten. Sie haben nicht die Kraft, wirklich Schwerpunkte zu setzen – einen deutlichen Schwerpunkt auch im Haushalt zu setzen – auf die Zukunftsthemen, über die Sie so gerne reden: Kinder und Bildung. Hier verliert Nordrhein-Westfalen wertvolle Zeit, Herr Ministerpräsident.
Wir erleben zwar einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung, die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, aber leider sind die Zahlen aus der Wirtschaft und vom Arbeitsmarkt in unserem Land nicht so gut wie anderswo.
„Die NRW-Konjunkturentwicklung wieder unter dem Bundestrend“ meldet ddp am 6. November mit Blick auf den Ifo-Index. „Stimmung im Mittelstand leicht eingetrübt“ ist das Ergebnis einer Umfrage der WGZ-Bank bei 1.500 Mittelständlern. Getrübte Perspektiven auch auf dem Arbeitsmarkt. Beim Rückgang der Arbeitslosigkeit liegen wir deutlich unter dem westdeutschen Schnitt, und zwar hinter Rheinland-Pfalz und Hessen, aber sogar auch hinter Mecklenburg-Vorpommern.