Protocol of the Session on September 14, 2005

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Herr Ministerpräsident, Sie haben in den letzten Wochen immer viel von Freiheit geredet. Auch die Regierungserklärung stand unter dem Oberbegriff Freiheit. Jetzt sollen die Studierenden, die wir gerade oben auf der Tribüne gesehen haben, und auch die Hochschulen des Landes mit dieser Freiheit beglückt werden. Dadurch soll das unterstützt werden, was Ihr Generalsekretär den „Rüttgers-Effekt“ nennt.

Ich habe mir allerdings am Sonntag bei „Westpol“ die neuesten Umfragen angesehen. Ich hoffe, Sie haben es auch getan. Ich kann keinen RüttgersEffekt sehen. Ich erkenne dort einen RüttgersDefekt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen auch, warum das passiert: Die Menschen erkennen zunehmend, was Sie unter dem Begriff Freiheit verpacken, nämlich Freiheit von Verantwortung. Sie nennen es Freiheit, Verantwortung auf andere abzuwälzen - das ist Ihr Freiheitsbegriff -, in diesem Fall auf die Studierenden und auf die Hochschulen. Alles das tun Sie, um sich selbst zu entlasten: Flucht aus der Verantwortung. - So etwas ist nicht unsere Vorstellung von Politik, um das klar zu sagen.

(Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, die Studierenden wollen Ihre Freiheit gar nicht; denn sie wissen, was das bedeutet. Für viele wird ein Studium in Zukunft nicht mehr finanzierbar, nicht mehr im Bereich des Möglichen sein.

Herr Pinkwart, Sie haben Herrn Wowereit zitiert. Ich erspare mir, heute nochmals Herrn Dr. Rüttgers zu zitieren, der vor einigen Jahren genau diesen Effekt kommen sah und in diesem Land eine ganz andere Politik vertreten hat. Das erspare ich mir heute.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die aktuellen Zahlen der Kultusministerkonferenz zeigen ja deutlich, dass die Zahl der Studierenden zurückgeht. Herr Pinkwart, ich empfehle Ihnen, noch einmal die Presseerklärung von Frau Bulmahn durchzulesen. Darin steht genau das Gegenteil dessen, was Sie gesagt haben.

(Beifall von der SPD)

Die Kultusministerkonferenz sagt, dass die Zahlen bei den Neueinschreibungen aufgrund der Pläne für die Einführung allgemeiner Studiengebühren zurückgehen. Das steht dort sehr deutlich. Und die KMK ist kein Instrument der SPD, um das auch einmal klar zu sagen.

Schon durch die Debatte über Studiengebühren werden junge Menschen abgeschreckt, besonders diejenigen aus bildungsfernen Schichten und aus Familien mit geringem Einkommen. Ich füge hinzu: sogar bis in die Mittelschicht hinein, wenn man mehrere Kinder hat. Dann ist man nämlich auch besonders betroffen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie verschärfen die Auslese beim Zugang zu den Hochschulen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Faktisch wird das Studium vom Portemonnaie der Eltern abhängen.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Das, was Herr Pinkwart hier gesagt hat, finde ich schon bemerkenswert. Er hat gesagt - und diese Ansicht wird ja von manchen vertreten -: Was nichts kostet, ist auch nichts. - Mit diesem Argument müssten wir demnächst, wenn die Schulen sich im Wettbewerb befinden, ja Schulgebühren einführen. Das wäre die logische Schlussfolgerung daraus.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wie sollen die Menschen draußen, wie sollen die Studierenden Ihren Zusagen noch vertrauen, Herr Ministerpräsident? Die Eckpunkte der Landesregierung, die Herr Minister Pinkwart gerade vorgestellt hat, sind für die Studierenden ein Dokument der Täuschung.

(Beifall von der SPD)

Sie ganz persönlich haben den Empfängern von BAföG doch versprochen, für sie werde es keine Studiengebühren geben. Offensichtlich gilt das heute nicht mehr.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Selbst wenn Ihre Zahlen stimmen, muss jeder dritte BAföG-Bezieher in Nordrhein-Westfalen künftig vom ersten Semester an Studiengebühren zahlen und steht hinterher mit mehr Schulden da. Das ist die Realität. Es ist doch nicht so, wie Sie es dargestellt haben!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie sind inzwischen ein Meister des Versprochen - Gebrochen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das hat fatalerweise schon jetzt, nach wenigen Wochen, System. Wie beim BAföG haben Sie vor der Wahl auch eine Unterrichtsgarantie versprochen. Die FDP wollte sogar ein Unterrichtssicherungsgesetz; ich erinnere mich noch daran. Heute kennen Sie dieses Wort aber nicht einmal mehr. Vor der Wahl haben Sie Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau versprochen. Jetzt verkündet Ihr Finanzminister nach nur 40 Tagen im Amt, die Landesregierung müsse allein 2005 2,1 Milliarden € mehr Schulden machen. Wahrlich, das ist Ihr schnellster Rekord!

(Zurufe von der CDU)

- Zu dieser Debatte werden wir noch kommen. Das sehe ich ganz gelassen, meine Herren und Damen von der CDU.

Interessant ist doch die Begründung, die heute in den Zeitungen steht: Die Zahlungen in den Länderfinanzausgleich sind stärker gewachsen. - Offensichtlich war unser Land gar nicht so schlecht - sonst müssten wir ja nicht so viel einzahlen -, wie Sie es den Bürgern draußen immer weisgemacht haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Rüttgers, ich kann Sie da nicht außen vor lassen. Sie treiben das Ganze für mich jetzt wirklich noch auf die Spitze; denn Sie persönlich verkünden die Neueinstellung von rund 100 Parteigängern von CDU und FDP in die Regierung, wie zu lesen ist.

(Beifall von der SPD)

Wie viele es genau sind, werden wir ja noch sehen. Fest steht aber schon heute, dass es, statt den Stellenabbau durchzuziehen, den Sie vorher versprochen haben, einen Aufwuchs im Regierungsapparat geben wird. Das steht heute schon fest.

(Beifall von der SPD)

Und dann sagen Sie auch noch, dafür würden Sie sich nicht entschuldigen, weil Sie ja - ich sage es einmal etwas überspitzt - in den Ministerien von Roten umstellt seien, die als Beamte sozusagen nicht ihren Dienst tun würden.

Ich sage: Das ist eine Diffamierung der Beamtinnen und Beamten in den Ministerien, die wunderbar ihre Arbeit machen und loyal zu diesem Land stehen. Das lassen wir nicht gelten!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Mit dieser Haltung, Herr Ministerpräsident, sind Sie mit Sicherheit nicht, wie Sie immer so gerne sein würden, nah bei den Menschen. Damit sind Sie ganz weit weg von den Menschen in diesem Land.

Ich frage Sie ernsthaft: Wie bringen Sie das eigentlich zusammen? Sie verlangen mit Verweis auf die Haushaltslage den Studierenden Gebühren ab dem ersten Semester ab und stellen zugleich in erheblichem Umfang teures neues Personal mit schwarzem und gelbem Parteibuch ein. Das ruft doch zu Recht die Empörung der Studierenden hervor. Darauf darf man noch einmal hinweisen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Was Sie als Politik der Ehrlichkeit verkaufen, was sich jetzt auf der Bundesebene so durchzieht,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Hoffentlich nicht!)

ist ein Rückzug aus verantwortlichem Handeln. Das ist keine soziale Politik und erst recht kein Vorbild für den Bund, hoffe ich. Schwarz-Gelb ist das Muster für Schwarz-Gelb im Bund: Vor der Wahl versprochen heißt nach der Wahl gebrochen. Das versteht die CDU unter einem ehrlichen Wahlkampf.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Das sagen Sie!)

Und, Herr Minister Pinkwart, auch Sie haben nicht Wort gehalten. Oder stimmt es etwa nicht, dass Sie den Hochschulrektoren in einer Sitzung zugesagt haben, dass es eine verbindliche Regelung des Landes geben soll? Zumindest beschreibt der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz so den Verlauf einer Dienstbesprechung mit Ihnen. Er hat auch eine Erklärung - ich zitiere mit freundlicher Erlaubnis aus der "Rheinischen Post" -: „Wahrscheinlich hat er sich im Kabinett nicht durchsetzen können.“ Wer hat Sie da zurückgepfiffen? Waren Sie das, Herr Ministerpräsident, wie man lesen konnte? Wovor haben Sie zurückgeschreckt? Haben Sie Angst, dass die Studierenden vor den Landtag ziehen könnten? Sie sehen die Demonstranten lieber vor jeder einzelnen Hochschule bei den Rektoren stehen. Das kann ich verstehen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Rainer Schmeltzer [SPD]: Ablenken und Abwälzen!)

Offensichtlich wollen Sie sich, wie in vielen anderen Fällen auch, in die Büsche schlagen und andere die Suppe auslöffeln lassen, die Sie ihnen eingebrockt haben. Sie haben nicht den Mut, Ihre politischen Absichten selbst zu vertreten. Sie schieben die Verantwortung auf die Hochschulen ab. Die Hochschulen müssen den Konflikt über die Einführung der Gebühren austragen, nicht die Landesregierung. Nur die Hochschulen müssen das Ausfallrisiko bei den Gebühren tragen, nicht der Staat und nicht die Bank. Nur die Hochschulen! Sie erhalten auch nicht die 500 €, wie von Ihnen versprochen, sondern nur noch 375 € pro Studierenden. Damit soll der große Qualitätsschub, den Sie hier verkünden, ausgelöst werden. Ich kenne die Zahlen und kann nur sagen: Das, was Sie hier verkünden, ist lächerlich.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)