wortung ist – die Abschaffung des Gymnasiums. Ich frage Sie nun: Mit welchem Recht setzen Sie Ihre Ideologie über den Elternwillen? Das Gymnasium ist neben der Grundschule die beliebteste Schulform in unserem Land.
(Beifall von der CDU – Prof. Dr. Gerd Bol- lermann [SPD]: Wieder nicht richtig gelesen! Das ist peinlich!)
Das zeigen die jährlichen Anmeldezahlen bei einer Übergangsquote von 40 %. Wollen Sie, dass die Eltern mit ihren Kindern künftig nach Rheinland-Pfalz, Hessen oder Niedersachsen fliehen, damit die Kinder dort ein Gymnasium besuchen können?
(Dieter Hilser [SPD]: Primitiver geht es nicht mehr! Nur noch primitiv! – Prof. Dr. Gerd Bol- lermann [SPD]: In welcher Debatte sind Sie denn?)
Sind Sie sich im Klaren darüber – hier benutze ich einmal den Beer’schen Lieblingsbegriff „Chaos“ –, dass das ein jahrelanges Chaos an den Schulen im Land bedeuten würde? Sie sind offenbar bereit, eine ganze Schülergeneration für ihr unausgegorenes Experiment zu opfern.
Sie haben kein Modell zu bieten, das unseren Kindern – Sie werden das aus Ihren eigenen Reihen immer wieder gespiegelt finden – nachweislich die Bildungschancen verschafft, die sie für eine erfolgreiche Zukunft brauchen. Sie lassen auch wesentliche Fragen unbeantwortet.
(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Wann ha- ben Sie sich das letzte Mal mit Bildungsfor- schung auseinandergesetzt? Bildungsfor- schung ist für Sie kein Thema!)
Was geschieht beispielsweise mit den Schulen in freier Trägerschaft? In den über 30 Seiten des SPD-Antrags findet sich kein Wort zu den auch bei den Eltern sehr beliebten Schulen.
Sie drücken sich damit um die Frage, ob Sie auch die Gymnasien in privater Trägerschaft abschaffen wollen. Das wäre verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Schaffen Sie sie aber nicht ab, würden diese Gymnasien einen riesigen Zulauf erhalten. Eine Welle von Neugründungen wäre dann zu erwarten. Eine Flucht aus dem öffentlichen Schulwesen in bislang nie gekanntem Umfang
Was ist mit den Förderschulen? Besonders förderungsbedürftige Kinder lernen dort unter Bedingungen, die ihnen bestmögliche Bildungschancen eröffnen. Sollen diese Kinder künftig in Regelklassen gesteckt werden, um sich dort zusammen mit Gymnasiasten auf das Abitur vorzubereiten?
Meine Damen und Herren, Sie sagen, Sie wollten ein vollständig integriertes Schulsystem. Das bedeutet – ich zitiere – „im letzten Aufbaustadium eine Gesamtschule, und zwar“ – man höre und staune; da gefriert einem das pädagogische Blut – „ohne innere Differenzierung in Leistungskurse.“
Das bedeutet doch an dieser Stelle, dass Sie sogar die Gesamtschulen umformen und noch mehr Einheitsbrei machen wollen.
„Meine Bedenken gegen eine Schulstrukturdebatte haben auch einen weiteren Grund. Wenn die Strukturfrage in den Mittelpunkt der Reformdiskussion rückt – oder gerückt wird –, dann wird sie unweigerlich einen Stellenwert erhalten, den ich für problematisch halte. Denn ich bin mir an dieser Stelle mit vielen Wissenschaftlern einig, dass allein die Veränderung der Schulstruktur nicht dazu führen würde, dass Deutschland bei PISA 2006 oder später besser abschneiden wird.“
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vom „intellektuellen Tiefflug über eine konzeptionelle Ödnis“ sprach Herr Stahl gestern an dieser Stelle. Genau das ist der Antrag, den Sie gestellt haben.
Aber ich sage Ihnen auch noch: Das ist nicht nur der Antrag, sondern auch die Diskussion, die wir heute Morgen hier gehört haben, und zwar geht es um das, was Sie und diejenigen, die auf den Regierungsbänken sitzen – auch Frau Sommer –, gesagt haben.
Sie beantragen allen Ernstes eine Aktuelle Stunde gegen die Abschaffung des Gymnasiums, mit der Begründung, dass der Schulfriede im Land gestört sei. Dabei ist die Formulierung, die Sie bringen, hochinteressant. Es geht nämlich nicht um die von Ihnen angeblich so geliebten Hauptschulen; die werden gar nicht erwähnt. Nein, es geht um das, was aus Ihrer Sicht das Flaggschiff der Bildungspolitik ist: Das Gymnasium ist gefährdet. Daran kann man sehen, wo Ihr Herz tatsächlich schlägt: nicht dort, wo Sie es immer vorgeben.
Den Schulfrieden stört nicht die SPD mit ihrem auf dem Parteitag am Wochenende erst noch zu diskutierenden Programm. Den Schulfrieden an jeder einzelnen Schule stören Sie, meine Damen und Herren, tagtäglich durch strukturelle Vorgaben,
denn die Selektion erzeugt massive Konflikte, ruiniert das Ansehen von Lehrerinnen und Lehrern, diskriminiert und schneidet Kinder und Jugendliche von Bildungschancen ab. Das ist Ihre Politik. Darüber können Sie auch mit individueller Förderung nicht hinwegtäuschen.
Ihre Schulpolitik ist in vielen Punkten wahrlich rückwärts gewandt. Das trifft aber nicht auf die Diskussion der SPD zu. Es hat Sie nicht beeindruckt, dass in der PISA-Studie bei Ländern, die deutlich besser abgeschnitten haben als wir, festgestellt wurde, dass dort konsequent auf gemeinsames Lernen gesetzt wird.
Meine Damen und Herren, Sie halten weiter Ihr Vorurteil aufrecht, in Deutschland sei erfolgreiches Lernen nur dann möglich, wenn Kinder begabungsgerecht in homogene Gruppen gepresst werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse prallen an Ihrem unerschütterlichen Glauben ab, Sie hätten ein begabungsgerechtes Schulsystem.
Das Schulgesetz in NRW ist ein Ausfluss von gnadenloser Ignoranz. Hier werden Kinder in Begabungsprofile gepresst, Profile, die es eigentlich gar nicht gibt. Denn die Potenziale von Kindern sind deutlich vielfältiger als die Profile, die Sie mit Ihren Schulformen anbieten.
Mit diesem Antrag haben CDU und FDP nicht die Interessen der Kinder und Eltern im Blick. Es geht um die Schulform Gymnasium, nicht um das Wohl der Schüler und Schülerinnen.
Ich wundere mich, dass Sie hier heute Morgen nicht gleich das Gespenst der sozialistischen Einheitsschule beschworen haben. Sie waren ja sozusagen schon dabei, die kommunistischen Länder zu zitieren.
Wir wollen nicht die sozialistische Einheitsschule. Wir wollen die bürgerliche Gemeinschaftsschule. Denn in einer globalisierten Welt brauchen wir alle Bildungspotenziale, Bildungspotenziale der gesamten Bevölkerung. Ich wiederhole es: Es geht uns um eine bürgerliche Gemeinschaftsschule!
Die gemeinsame Schule gibt es längst. Das ist die Grundschule. Die gleichen Geister, die heute das Gymnasium verteidigen, haben vor 80 Jahren die Einführung der Grundschule für alle bekämpft. Heute sind sowohl Eltern als auch Kinder mit der Grundschule signifikant zufriedener als mit den weiterführenden Schulen. Was also spricht dagegen, die gemeinsame Schulzeit auszuweiten?
„Die frühe Selektion, also die Aufteilung der Kinder nach der Grundschule, auf drei Schultypen ist eine der wichtigsten Gründe für eine hohe soziale Selektivität des deutschen Schulsystems.“
Der UN-Menschenrechtsbeobachter Munoz macht darauf aufmerksam, dass kaum ein Bildungssystem so selektiv und so diskriminierend ist wie das deutsche System. Er nennt die Schulen des gegliederten Systems eine „Armutsfalle“. Das, meine Damen und Herren, praktizieren Sie mit dem Schulsystem in Nordrhein-Westfalen.