Protocol of the Session on August 22, 2007

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 66. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich vier Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Meine Damen und Herren, wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein und kommen zu:

1 Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsge- setz 2008)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/4600

In Verbindung mit:

Finanzplanung des Landes NordrheinWestfalen 2007 bis 2011

Drucksache 14/4601

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2008

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/4602

erste Lesung

Zur Einbringung der Gesetzentwürfe erteile ich zunächst Herrn Finanzminister Dr. Linssen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wer Schulden hat, der ist nicht frei.“ Dieser Satz stammt vom vormaligen schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson. Mitte der 90er-Jahre hat er damit die Notwendigkeit einer strikten Haushaltskonsolidierung auf den Punkt gebracht. Anhand

dieser griffigen Formel wird klar, weshalb wir vom Schuldenstaat wegkommen müssen.

Besonders bemerkenswert finde ich an der klaren Botschaft Perssons allerdings, dass sie von einem eingefleischten Sozialdemokraten und Premierminister stammt, der das Land regiert hat, das in Europa als Sozial- und Wohlfahrtsstaat par excellence gilt.

Während sich aber die Schweden aus eigener Kraft fleißig und erfolgreich darum bemüht haben, von den Fesseln der Verschuldung freizukommen und den Staatshaushalt zu konsolidieren, stieg die Verschuldung unseres Landes gerade in diesem Zeitraum dramatisch an.

Die summierte Nettoneuverschuldung der Jahre 1995 bis 2005 beläuft sich auf 49,6 Milliarden €. Beim Regierungswechsel vor zwei Jahren haben wir einen Gesamtschuldenberg von 112 Milliarden € übernommen. Über 44 % des Schuldenbergs haben damit Sie, meine Damen und Herren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, zu verantworten. Sie stammen aus den letzten zehn Jahren Ihrer Amtszeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Schweden haben in den 90er-Jahren die Zeichen der Zeit erkannt. Sie haben zur rechten Zeit festgestellt, dass die über viele Jahre in den meisten Ländern Europas praktizierte Haushalts- und Finanzpolitik nicht halten konnte, was sie versprochen hat, nämlich Stabilität und Wachstum zu fördern. Göran Persson hat durch seine Entschlossenheit eindrucksvoll auch den früheren Ministerpräsidenten unseres Landes widerlegt und gezeigt: Wer will, der kann!

(Michael Groschek [SPD]: Das gilt auch für die Bildungspolitik!)

Während in der jungen Bundesrepublik der 50er- und 60er-Jahre die Politik der Verschuldung noch keine Rolle gespielt hat, ist die öffentliche Hand in den 70er-Jahren massiv in die Schuldenpolitik eingestiegen. Der Staat hat auf Pump konsumiert. Er war getrieben vom Glauben an die stabilisierende Wirkung des Schuldenmachens in Zeiten des Abschwungs. Einen Privatmann, der in schlechten Zeiten kreditfinanziert einen Ferrari kauft und glaubt, dass sich dadurch seine Situation verbessert, hielte jeder zu Recht für unseriös. Der Staat aber hat sich über viele Jahre hinweg genau so verhalten.

(Beifall von CDU und FDP)

Als falsch verstandene Grundlage der Schuldenpolitik diente das keynesianische Konzept einer

nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Der Konzeption des britischen Ökonomen Keynes liegt eine einfache Idee zugrunde: Der Staat müsse in Zeiten unbefriedigender gesamtwirtschaftlicher Entwicklung mit kreditfinanzierten Ausgaben gegensteuern, um Stabilität und Wachstum zu fördern. Spiegelbildlich sei es dann – nach Keynes – in konjunkturell guten Zeiten notwendig, die Staatsausgaben wieder zu begrenzen.

Heute wissen wir: Dieses Konzept ist zumindest in der Umsetzung gescheitert – und das aus mehreren Gründen.

Zum einen: Die Regierenden haben zwar in Abschwungphasen fleißig die Ausgaben erhöht – ganz im Sinne einer expansiven Fiskalpolitik. Den notwendigen zweiten Schritt ist die Politik aber nicht gegangen: in guten Zeiten mit der Schuldenmacherei aufzuhören und die notwendige Konsolidierung einzuleiten. Beides hat die öffentliche Hand unterlassen.

Zum anderen: Das Konzept hat völlig ausgeblendet, dass die Wirtschaftsakteure ihrem Handeln rationale Erwartungen zugrunde legen. Weil die Schulden von heute die Steuern von morgen sind, passen Unternehmen und Bürger ihr Ausgabeverhalten an: Investitionen und Konsumausgaben werden zurückgehalten. Die erwarteten positiven Effekte der Staatsverschuldung für Wirtschaft und Beschäftigung bleiben aus.

Meine Damen und Herren, eine Haushalts- und Finanzpolitik, die auf Keynes’ Überlegungen beruht, hat sich damit als Irrweg erwiesen. Sie ist auch aus folgenden Gründen falsch:

Erstens. Staatsverschuldung entwickelt aufgrund von Zins- und Zinseszinseffekten eine sich selbst verstärkende Eigendynamik: Die Verschuldungsspirale dreht sich immer schneller, und die Dynamik ist kaum noch zu durchbrechen.

Zweitens. Staatsverschuldung wälzt in erheblichem Umfang Lasten auf zukünftige Generationen ab. Die Handlungsspielräume der öffentlichen Haushalte werden kleiner. Für die Bewältigung von Gegenwartsaufgaben bleibt immer weniger Geld übrig.

Hätten wir zum Beispiel einen Verschuldensstand wie Bayern, nämlich 23 Milliarden €, dann müssten wir nur 1,1 Milliarden € für Zinsen einsetzen statt der derzeitigen 4,8 Milliarden €.

Der Vergleich mit Bayern beweist: Haushaltskonsolidierung ist eine Anstrengung, die sich lohnt. Sie trägt Früchte in Form einer Konsolidierungsdividende, die sich in niedrigeren Zinsausgaben und größeren Haushaltsspielräumen niederschlägt.

Die letzten Jahrzehnte, gerade hier in NordrheinWestfalen, waren von einer anderen Philosophie geprägt. Doch die Erfahrung anderer Länder zeigt: Die alten Instrumente haben ausgedient. Wer Schulden hat, der ist nicht frei.

Meine Damen und Herren, eine ganze Reihe von Ländern haben sich bereits Mitte der 90er-Jahre von der Haushalts- und Finanzpolitik à la Keynes abgewandt. Neben Schweden sind es Reformländer wie Belgien, die Niederlande, Spanien, Finnland oder Österreich.

Sie alle haben frühzeitig erkannt, dass die überkommene Politik der Staatsverschuldung in eine Sackgasse und Schuldenspirale führt, dass von ihr negative Wirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung ausgehen. Mutig haben diese Länder auf einen Politikwechsel gesetzt und sich für einen Weg der Konsolidierung und Stabilität entschieden. Der Erfolg gibt ihnen recht.

Schweden hat die Konsolidierung insbesondere auf der Ausgabenseite bestritten. Dies belegen Untersuchungen der OECD. Sie zeigen, dass die Einnahmequote während der Konsolidierungsperiode stabil geblieben ist, die Ausgabenquote aber um mehr als 10 % geschrumpft ist.

Die Reduzierung der staatlichen Konsumausgaben, das Streichen von Subventionen, die Absenkung der Sozialausgaben, eine umfassende Reform im Bildungsbereich – mit diesen Maßnahmen hat die schwedische Regierung, eine sozialdemokratische Regierung, ein umfassendes Sanierungsprogramm erfolgreich umgesetzt. Hinzu kommt eine zurückhaltende Lohnpolitik der Tarifvertragsparteien, die den Sanierungsprozess so unterstützt haben. Bei alledem hat sich das Bild des schwedischen Sozial- und Wohlfahrtsstaates nicht wesentlich verändert. Die soziale Balance im Land ist erhalten geblieben.

Der Blick zu unseren Nachbarn in Europa zeigt mir zweierlei:

Erstens. Konsolidierung ist machbar. Sie muss entschlossen und auf der Grundlage einer Gesamtstrategie mit differenzierten Maßnahmen durchgeführt werden.

Zweitens. Ohne Einsparungen lassen sich nachhaltige Konsolidierungsziele nicht verwirklichen. Sicherlich sind Kürzungen und Einsparungen im Einzelnen durchaus schmerzhaft. Doch Studien, wie von der EZB im April 2006 vorgestellt, zeigen deutlich, dass Länder mit einer reformierten und restriktiven Ausgabenpolitik eine wesentlich bessere Entwicklung aufweisen als Länder ohne Ausgabenreformen. Dies belegen fiskalische und

wirtschaftliche Indikatoren. Wenn deshalb auch der Weg einer Ausgabenkonsolidierung beschritten wird, sind positive Auswirkungen und Impulse für Staat und Wirtschaft insgesamt unbestreitbar.

Die Praxis in den Reformländern widerlegt damit eindrucksvoll die alte Behauptung, dass man mit mehr schuldenfinanzierten Staatsausgaben die Konjunktur am besten in Gang bringen kann. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass im Rahmen der Föderalismusreform II eine strenge Verschuldungsgrenze in die Verfassung aufgenommen wird.

(Beifall von CDU und FDP)

Eine solche Selbstbindung ist wichtig. Sie garantiert zukünftig solide Staatsfinanzen.

Mindestens seit Ende der 90er-Jahre war auch für unseren Landeshaushalt die Sanierungsnotwendigkeit offensichtlich. Allerspätestens im Jahr 2001, als die Kreditverfassungsgrenze im Vollzug nicht eingehalten wurde, wäre es höchste Zeit zum Umsteuern gewesen. Aber Haushaltskonsolidierung bedarf nicht nur der Erkenntnis, dass eine Sanierung der Staatsfinanzen nötig ist. Der Erkenntnis muss eine schlüssige Gesamtstrategie folgen, ein verbindliches Ziel, auf das hingearbeitet werden soll. Vor allem aber braucht es Mut und den Willen, die Konsolidierungsstrategie umzusetzen und den Weg der Haushaltssanierung durchzuhalten.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Landesregierung hat beides: den Mut und den Willen. Nach dem Regierungswechsel haben wir einen Kassensturz gemacht und als erste Sofortmaßnahme eine Haushaltssperre verhängt. Mit dem Haushalt 2006 und der zugleich vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung haben wir dann einen strikten Sanierungsplan für unser Land aufgestellt. Seine Ziele und Etappen waren und sind: erstens Einhaltung der Kreditverfassungsgrenze, zweitens Nettoneuverschuldung null, drittens Abbau der Altschulden.

Die Landesregierung hat ihre Haushalts- und Finanzpolitik damit nach anderen Grundsätzen ausgerichtet als ihre Vorgänger. Es ist eine Politik mit Weitblick, eine Politik, die Risiken frühzeitig erkennt und vor allem rechtzeitig einkalkuliert. Ihr grundlegendes Wesensmerkmal ist, dass die Ausgaben mittelfristig in voller Höhe durch regelmäßig fließende Einnahmen gegenfinanziert werden. Für eine expansive Schuldenpolitik ist dabei kein Platz.

(Beifall von CDU und FDP)

Auf dem Weg zu einer tragfähigen Finanzpolitik, den wir seit 2006 beschreiten, haben wir bereits beachtliche Erfolge erzielt. Ich will nicht verschweigen, dass dafür nicht allein die Sparbemühungen verantwortlich sind. Parallel dazu haben sich die Steuereinnahmen erfreulich gut entwickelt. Diese Einnahmen unterstützen den Sanierungskurs zusätzlich. Da ist das Glück mit den Tüchtigen – so sagt jedenfalls das Sprichwort.