Protocol of the Session on May 23, 2007

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei unserem System in Deutschland können Länder finanziell schlechter dastehen, wenn sie wirtschaftlich und finanzpolitisch besser handeln. Ich spreche vom Länderfinanzausgleich. Wenn wir für mehr Steuergerechtigkeit und mehr Steuerprüfer eintreten, wird uns das immer vorgehalten. Sie sagen, es lohne sich nicht, weil es anderen Ländern zugute komme. Das ist ein systematisches Problem. Wir müssen andere Prinzipien anwenden. Dieses Prinzip gilt für reiche Geberländer genauso wie für ärmere Nehmerländer.

Herr Dr. Linssen, ich hoffe, die Frage der Steuergerechtigkeit ist für Sie und für mich gleichermaßen etwas, für das wir unabhängig davon eintreten, um wen es geht. In diesem Zusammenhang liegt es am Berechnungsschlüssel. Und wenn das so ist, wäre eine Landesregierung dumm, wenn sie Geld einsparte und diese Verbesserung dann über den Finanzausgleich nicht nur verlieren würde, sondern sogar noch draufzahlen müsste.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wirtschafts- und finanzpolitische Vernunft wird systematisch bestraft. Das nenne ich: systematische Verantwortungslosigkeit.

Ich glaube, in dieser Analyse sind wir uns sogar einig. Wir haben eine systematische Überschuldung, eine systematische Verflechtung und eine systematische Verantwortungslosigkeit.

Aus grüner Sicht brauchen wir eine Antwort, die den Gestaltungsföderalismus im solidarischen Grundansatz stärkt. Dazu gehört, dass die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern umfassend neu geordnet werden und die Rolle der Kommunen dabei ausdrücklich einbezogen wird. Wenn nicht jetzt, wann dann, Herr Linssen? Nur gucken, aber nicht anfassen, gilt hier nicht. Im Fußball kann man mitunter schon ein Jahr später

vertane Chancen wettmachen. Für Politik gilt das gerade bei diesem Problem nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir bei diesem Prozess jetzt nicht das Bestmögliche hinbekommen, wird es 20, 30 Jahre oder noch länger keine neue Chance, keinen neuen Anlauf im Zusammenhang mit dem Föderalismus geben.

Ziel unseres Antrags ist es, diese wichtige Debatte zum einen in den Landtag, in das Parlament zu holen, wo sie hingehört. Zum anderen wollen wir die Landesregierung aufrütteln. Ich möchte nicht sagen, dass sie sich im Tiefschlaf befindet. Aber sie dämmert ein bisschen vor sich hin. Zumindest habe ich von Ihnen noch nichts Offizielles gehört, Herr Finanzminister und Herr Kommunalminister. Herr Breuer hat sich auch noch nicht dazu geäußert, in welche Richtung die Landesregierung überhaupt agieren will.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Ich biete ausdrücklich an, dass wir uns im weiteren Verfahren als größtes Bundesland gemeinsam in diesen Prozess einbringen. Das haben wir an anderer Stelle auch hinbekommen; Herr Jostmeier wird das bestätigen. Dies geschieht im eigenen Interesse, weil wir eigene Interessen haben, aber auch, damit sich Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland an dieser Stelle auf Bundesebene gestalterisch für das ganze Land einbringt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, welche Punkte müssen berücksichtigt werden? Wir brauchen eine effektive Schuldenbremse. Das bedeutet nicht, einfach eine starre Grenze anzulegen und die Länder dann im Regen stehen zu lassen und zu schauen, was passiert. Das hilft nichts. Es muss mit echter Finanzautonomie der Gebietskörperschaften gepaart sein. Nur dann wird eine effektive Begrenzung der Verschuldung möglich sein. Das zeigen die Länder Skandinaviens oder die Schweiz.

Jede Ebene benötigt Freiheit, benötigt Autonomie. Wer für eine Aufgabe verantwortlich ist, muss auch imstande sein, sie aus eigener Kraft zu bewältigen. Die Länder benötigen Steuern, die sie selbst gestalten können.

Dieses Entflechten führt nicht dazu, dass die Menschen reihenweise in Länder mit günstigeren Steuersätzen fliehen. Ich führe wieder die Schweiz als Beispiel an. Wo es näher beieinander liegt, erkennen die Menschen offenbar den Wert, den sie vom Staat, von ihrer Gebietskörperschaft

zurückbekommen, wenn sie selbst bestimmte Steuern zahlen. Sie können es dann genauer nachvollziehen.

Drittens – das ist sicherlich das Schwierigste – brauchen wir eine Neugliederung des Länderfinanzausgleichs. Es muss sich für jedes Bundesland lohnen, nachhaltig zu haushalten. Es muss sich für jedes Bundesland lohnen, statt in Vergangenheit in Zukunftsfelder zu investieren. Es muss sich für jedes Bundesland lohnen, Schulden abzubauen.

Viertens gibt es die Solidarpakte I und II. Ich sage das auch hier sehr deutlich: Grundsätzlich stellen wir Grüne die Solidarpakte I und II nicht infrage. Aber: Wir brauchen eine Nachjustierung. Gelder, die zweckentfremdet wurden, müssen zurück ins föderale System.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gelder müssen in Zukunftsfelder investiert werden, und perspektivisch darf es nicht mehr nach Himmelsrichtungen gehen, sondern nach objektiv festgestellten Bedarfen.

Diese Position, meine Damen und Herren, vertrete ich hier nicht als West- oder NRW-Grüne, sondern sie ist Konsens in der grünen Gruppe, die auf Bundesebene mit Vertretern der Bundestagsfraktion und von Ost- und Westländern gebildet wurde.

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lind- ner [FDP]: Wow!)

Antje Hermenau aus dem sächsischen Landtag vertritt sie genauso wie ich hier, wie Krista Sager aus Hamburg oder der Fraktionsvorsitzende im Bundestag Fritz Kuhn.

(Christian Lindner [FDP]: Sie haben nur ü- berall nichts zu sagen!)

Und dass sich unsere Vorschläge aus NRW in Berlin durchgesetzt haben, darauf bin ich ein bisschen stolz. Zugegeben war das ohne öffentliches Tamtam.

Ich bin da schon gespannt, welche handfesten Ergebnisse andere am Ende vorzuweisen haben und was sie auf lange Sicht auf Bundesebene konkret durchsetzen. Ich werbe dafür – ich glaube, nur so wird es funktionieren –, dass wir diese Debatte ohne Egoismen und ohne Populismen führen und sie nicht zu einer Neiddebatte verkommen lassen.

Wenn diese Reform gelingen soll, dann brauchen wir viele Win-win-Situationen, sonst wird es näm

lich keine verfassungsändernden Mehrheiten geben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir werden diesen Prozess nur hinkriegen, wenn alle bereit sind, ohne Tabus, ohne Vorfestlegungen und ohne Egoismen zu diskutieren, denn alle Parteien und alle Länder müssen mit ins Boot.

Ich hoffe, Sie machen mit. Ich hoffe, wir werden in den weiteren Diskussionen konstruktiv diskutieren. Vielleicht bekommen wir am Ende eine interfraktionelle Resolution hin, in der wir die Interessen Nordrhein-Westfalens formulieren und in den Prozess einbringen. Dies sollte in dem Bewusstsein geschehen, ein solidarisches Konstrukt für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes insgesamt zu schaffen – im Sinne und im Interesse der Menschen von Nordrhein-Westfalen, aber auch aller Menschen der Bundesrepublik Deutschland. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Kollege Klein.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde diesen Antrag der Grünen wirklich erfreulich – nicht, dass jetzt alle Punkte des Antrages richtig wären, aber der gute Wille ist auf jeden Fall schon einmal da. Das Thema Generationengerechtigkeit ist bei den Grünen angekommen. Das finde ich ausgesprochen gut. Herzlich willkommen im Club derer, die Generationengerechtigkeit und Verschuldungsbegrenzung für ein wichtiges Thema halten!

Als CDU haben wir schon seit langer Zeit darauf hingewiesen, dass dieses Thema eine der entscheidenden sozialen Fragen unserer Zeit betrifft. Wir handeln auch danach, zum Beispiel bei der Haushaltspolitik. Das führt auch manchmal zu Ärger und Schwierigkeiten mit den Oppositionsparteien, aber vielleicht ist das ja ein Ansatz, stärker an einem Strang zu ziehen.

Auch inhaltlich hat die CDU dieses Thema in der Vergangenheit mehrfach aufgegriffen. Beispielsweise haben wir als Koalition den Antrag eingebracht, in Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes die Ausnahmemöglichkeit, bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wesentlich mehr Schulden aufnehmen zu können als die Investitionssumme, zu streichen. Das ist, glaube ich, ein wichtiger kleiner Mosaikstein, um bei die

sem – hoffentlich demnächst wirklich gemeinsamen – Ziel voranzukommen.

Bei der Anhörung im Haushalts- und Finanzausschuss am 10. Mai hat sich auch herausgestellt, dass die befragten Experten mit ziemlich breiter Mehrheit diese Position unterstützt haben. Beispielsweise hat Prof. Wernsmann gesagt: Der Ausnahmetatbestand hat dazu geführt, dass die ohnehin schon großzügigen Verschuldungsmöglichkeiten leicht außer Kraft gesetzt werden konnten.

Meine Damen und Herren, das ist einer der Mosaiksteine, der zum Versagen der Verschuldungsbegrenzung in den Ländern und im Bund in den vergangenen Jahrzehnten beigetragen hat. Diese Verschuldungsbegrenzung hat versagt. Deswegen ist es richtig, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es besonders in Nordrhein-Westfalen wichtig, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, weil gerade hier die Verschuldungsbegrenzung versagt hat und wir vor einem viel zu großen Haufen Schulden sowohl auf dem Kreditmarkt als auch bei den Pensionsverpflichtungen stehen.

Frau Löhrmann, Sie persönlich, aber auch Sie als antragstellende Fraktion haben ja mit dazu beigetragen. Umso mehr freut es mich, wenn jetzt ein Umdenken für mehr Generationengerechtigkeit an den Tag gelegt wird.

Bei der SPD in NRW ist der Weg noch ein bisschen weiter. Da werden vernünftige Signale vor allen Dingen aus anderen Bundesländern abgegeben. Wenn ich zum Beispiel in der „Financial Times Deutschland“ lese, dass der Finanzminister von Sachsen-Anhalt für das Verbot der Neuverschuldung bei den Ländern ist, dann ist der Weg, den die hiesige Landtagsfraktion noch hinter sich zu bringen hat, relativ weit.

Umdenken ist richtig. Daran, ob dieser Antrag der Weisheit letzter Schluss ist, sind wohl einige Fragezeichen erlaubt. Darin steht nämlich einiges, was völlig überflüssig ist, und anderes, was vielleicht sehr widersprüchlich ist.

So ist es überflüssig, Initiativen bei der Föderalismusreform anzumahnen, die man selber im eigenen Land schon längst hätte ergreifen können oder die jetzt bereits auf den Weg gesetzt sind und an deren Umsetzung wir diesem Landtag gemeinsam arbeiten könnten.

Zum Beispiel verlangen Sie in Ihrem Antrag unter Punkt 6 – ich sage es mit meinen Worten – die Einführung nachhaltigkeitsorientierter Darstellungen in den Haushaltsplänen. Auf der Basis eines

Fachgespräches, das die CDU-Fraktion zum Thema generationengerechte Finanzpolitik vor einigen Monaten durchgeführt hat, hat der Landtag inzwischen den Haushalts- und Finanzausschuss mit der Erstellung eines Indikatorenkatalogs beauftragt, der uns genau Ergebnisse auf diese Fragestellungen gibt. Ich lade Sie herzlich ein, dabei konstruktiv mitzumachen. Das ist wichtiger, als in Berlin irgendwelche Forderungen zu erheben.

Unter Punkt 7 fordern Sie geeignete Buchführungssysteme für die Haushalte. Das ist richtig. Aber das Projekt EPOS läuft, und wir sollten gemeinsam – alle Fraktionen in diesem Haus – weiterhin daran mitarbeiten.

Es gibt aber auch ein paar widersprüchliche Sachen, bei denen bei mir eher die Alarmglocken läuten. In Ihrem Papier heißt es ausdrücklich, Bildungsausgaben seien „zukunftsfähige Ausgaben“, und Sie definieren diese gleich als Investitionen. Am Ende wird das noch kreditfinanziert. Also: Vorsicht, keinerlei neue Verschuldungsspielräume erschließen! Das muss als oberste Überschrift über unseren Aktivitäten stehen.

Ich finde es richtig, dass wir uns im Haushalts- und Finanzausschuss – so lautet auch die Beschlussempfehlung für dieses Plenum – mit all diesen Fragen beschäftigen, vor allem mit den Fragen: Wie können wir denn ein Verschuldungsverbot so ausgestalten, dass es uns wirklich hilft? Wie können wir dynamische Anreize zur Ausweitung der Wirtschaftskraft und der damit verbundenen Verbesserung der Finanzkraft der Länder gestalten? Wie können wir für ein entsprechend erfolgreiches Land bei einem Zuwachs der eigenen Wirtschaftskraft höhere Selbstbehalte im Länderfinanzausgleich verankern? Wie können wir die wachstumsorientierte Ausgestaltung der zugesagten Mittel im Solidarpakt genau definieren?

All das sind Fragen, die in den nächsten Wochen und Monaten im Mittelpunkt unserer Überlegungen und Diskussionen stehen müssen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.