Protocol of the Session on March 8, 2007

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 14/3836 an den Ausschuss für Frauenpolitik – federführend –, den Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie, den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, den Ausschuss für Schule und Weiterbildung sowie an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

3 NRW darf eine gesetzliche Bleiberechtsregelung auf Bundesebene nicht länger blockieren

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/3854

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Frau Abgeordneter Düker das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute – leider mal wieder – um ein bundesdeutsches Trauerspiel, das sich seit Jahren vollzieht. Es geht um die Situation von geduldeten

Flüchtlingen in Deutschland. Das Problem setze ich als bekannt voraus; wir haben oft darüber diskutiert. Leider müssen wir wieder darüber diskutieren, weil wir in Deutschland offensichtlich nicht in der Lage sind, dazu wirkliche Problemlösungskonzepte zu entwickeln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Zahlen, meine Damen und Herren, sind bekannt: an die 200.000 Menschen in Deutschland, ungefähr 60.000 Menschen in NRW, davon ungefähr die Hälfte mehr als fünf Jahre mit einem völlig ungeregelten Aufenthalt, mit dieser sogenannten Duldung, die es diesen Menschen nicht ermöglicht, eine dauerhafte Perspektive für sich und ihre Familien in Deutschland zu bekommen. Die betroffenen Kinder sind hier geboren, viele von ihnen sind bestens integriert. Sie sind täglich, wöchentlich, monatlich von Abschiebung bedroht.

Meine Damen und Herren, es geht darum, diesen Menschen endlich eine faire Chance, ein Bleiberecht zu geben.

Was ist passiert? Wir haben in der Innenministerkonferenz jahrelang ein, wie ich finde, erbärmliches Gezerre über diese Personengruppe gehabt. Die Konferenz hat das Problem vertagt, vertagt, vertagt und hier und da mal mit einer wirkungslosen Altfallregelung reagiert.

2006 kam erstaunlicherweise Bewegung in diese Debatte. Der Druck von unten wurde sehr groß. Wir waren auch hier ständig mit den brutalen Abschiebungen von integrierten Familien in Länder konfrontiert, die sie gar nicht mehr kannten, deren Sprache die betroffenen Kinder nicht mehr sprachen. Dieser Druck hat nach Jahren endlich Bewegung in die Debatte gebracht.

Wir hatten im letzten Jahr einen Innenministerkonferenzbeschluss, der sagt: Wir geben denen, die noch keine Arbeit haben, bis zum 30.09.2007 eine Duldung. Ihr könnt euch Arbeit suchen. Dann bekommt ihr einen Aufenthalt.

Nach Schätzungen von PRO ASYL und anderen wären nur ungefähr 10 bis 20 % der Betroffenen mit diesem IMK-Beschluss in der Lage, ein dauerhaftes Bleiberecht zu bekommen. Sehen Sie sich die Praxis an: Inzwischen werden die Zahlen nach unten korrigiert. Aber dazu später mehr.

Deswegen war es konsequent und richtig – und das hat die IMK auch so beschlossen –, dass der Bund eine gesetzliche Regelung entwickelt,

(Beifall von den GRÜNEN)

die jetzt auf dem Tisch liegt, weitergehend ist und den Menschen eine faire Chance gibt, mit einer ganz regulären Aufenthaltserlaubnis bis zum Ende des Jahres 2009 eine wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen. Das ist das Ziel.

Herr Innenminister, es geht um die wirtschaftliche Unabhängigkeit dieser Zielgruppe. Es geht nicht um das, was Sie in der Presse immer verlautbaren, nämlich um die Einwanderung in Sozialsysteme. Es geht darum, diesen Menschen eine faire Chance zu geben, ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Es geht um nichts anderes.

(Beifall von den GRÜNEN)

Man darf sich nicht vertun: In dieser gesetzlichen Regelung ist nicht viel von Humanität die Rede. Alte und Kranke finden wenig Gnade. Denn es darf nur der Arbeitsunfähige bleiben, der hier ohne Sozialleistungen auskommt. Und auch insofern trifft Ihre populistische Unterstellung, hier finde eine Einwanderung in Sozialsysteme statt, überhaupt nicht zu. Denn wer alt oder krank ist und sich nicht selber ernähren kann, muss jemanden finden, der das für ihn übernimmt. Er darf nur hier bleiben, wenn er keine Sozialleistungen in Anspruch nimmt.

Ferner finde ich folgenden Aspekt in der Bleiberechtsregelung von Innenminister Schäuble ziemlich bedenklich: 14-Jährigen wird das Angebot gemacht, ohne ihre Eltern hier bleiben zu dürfen. Also, Kindern, deren Eltern die Kriterien des Bleiberechts nicht erfüllen, wird das zynische Angebot gemacht: Wenn die Eltern freiwillig ausreisen, bekommt die 14-jährige Tochter oder der 14-jährige Sohn ein Bleiberecht. – Das heißt, die Kinder werden in die Situation versetzt, sich entweder für ihre Eltern oder für ein Bleiberecht zu entscheiden. Meiner Auffassung nach entspricht das nicht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Schutzes von Ehe und Familie.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir reden also über eine Bleiberechtsregelung, die zwar mitnichten sehr weitreichend ist, aber unserer Meinung nach vielen Menschen eine echte und faire Chance gibt.

Dieser nun vorliegende Kompromiss wurde mit einer Menge an Verschärfungen im Ausländerrecht erkauft. Denn es liegt nicht nur ein Bleiberecht auf dem Tisch, sondern auch ein umfangreicher Gesetzentwurf zur Umsetzung von elf EURichtlinien, die zum Teil überfällig sind.

In diesem Gesetzentwurf werden neue Verschärfungen im Ausländer- und Zuwanderungsrecht formuliert. Beispielsweise werden Deutschkennt

nisse vor dem Ehegattennachzug verlangt, obwohl wir gesagt haben, dass alle Menschen, die einwandern, einen Deutschkurs belegen sollen. Nein, jetzt wird erwartet, dass sie schon vorher deutsch sprechen.

Wir finden Verschärfungen im Staatsangehörigkeitsrecht, Herr Minister Laschet, obwohl Sie immer mehr Einbürgungen fordern. Obwohl die Zahlen zurückgehen, wird den Menschen eine Einbürgerung noch schwerer gemacht. Denn die Hürden werden höher gelegt.

Ferner wird ein Sanktionssystem bei den Integrationskursen eingeführt. Es wird nicht mehr nur damit gedroht – wir haben ja schon ein Sanktionssystem –, dass ihnen Transferleistungen gekürzt werden, wenn sie nicht an den verpflichtenden Kursen teilnehmen. Nein, jetzt sollen sie auch noch eine Strafe zahlen. Das ist ein völlig unnötiges und überzogenes Sanktionssystem.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich kann das fortsetzen: Wir haben eben nicht die EU-Ansprüche beim Abschiebeschutz wegen Gefahr für Leib und Leben bei Rückführung in Gebiete mit bewaffneten Konflikten in das Gesetz übernommen, sondern finden massive Einschränkungen dieses Schutzes vor.

Des Weiteren sollen im Widerrufsverfahren die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen schneller durchgeführt werden, und es fehlt auch der Rechtsschutz für Dublin-II-Fälle usw.

Unterm Strich wird sich mit diesem riesigen Gesetzespaket die rechtliche Situation von Flüchtlingen in diesem Land verschlechtern. UNHCR beklagt insofern zu Recht Schutzlücken.

So, jetzt kommt Innenminister Wolf. Selbst dieser Kompromiss, in dem das Bleiberecht mit weitgehenden Verschärfungen im Zuwanderungsrecht gegenüber den CDU-Ländern und CDUAbgeordneten aus meiner Sicht erkauft wurde, geht den Innenministern zu weit. Sofort traten die üblichen Verdächtigen auf den Plan – allen voran Niedersachsens Innenminister Schünemann und der bayerische Innenminister usw. – und verkündeten: Mit uns nicht! Das ist alles viel zu weitgehend!

Was macht Innenminister Wolf? – Er stellt sich sofort nach Einigung in der Großen Koalition pflichtschuldigst an die Seite der bekennenden Hardliner in diesem Land und fällt Bundesinnenminister Schäuble in den Rücken. Herr Innenminister Wolf, ich finde so etwas erbärmlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Horst Becker [GRÜNE]: So ist er aber!)

Hören Sie doch auf, diese Minimalverbesserungen im Bleiberecht durch die Große Koalition – es ist schließlich wichtig, dass es eine Große Koalition ist, die sich im Ausländerrecht endlich einigt und ein paar kleine Verbesserungen erreicht – weiterhin zu blockieren.

(Horst Becker [GRÜNE]: Im Vergleich mit diesem Wolf ist Beckstein ein Lamm!)

Nun haben wir etwas auf dem Tisch liegen, was wenig genug ist, und jetzt fangen die Innenminister wieder damit an, alles zurückdrehen zu wollen. Das kann doch nicht sein.

Hören Sie mit diesen populistischen Äußerungen – ich sage es noch einmal – auf, dass das alles Einwanderung in die Sozialsysteme bedeute und sie keine Sozialhilfeleistungen beziehen dürften. Darum geht es doch gar nicht. Es geht vielmehr darum, den Menschen eine Chance zu verschaffen, sich wirtschaftlich unabhängig zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht doch nicht darum, dass sie in unsere Sozialsysteme einwandern.

Wenn man sich anschaut, wie der IMK-Beschluss hier in Nordrhein-Westfalen in die Praxis umgesetzt wird, so stellt man fest, dass die gesetzliche Regelung dringender und notwendiger denn je ist. Denn trotz Weisung der Bundesagentur für Arbeit, dass bei der Bleiberechtsregelung auf IMK-Basis eine Vorrangprüfung und langwierige Verfahren nicht mehr stattfinden sollen, um die Menschen zügig in Arbeit vermitteln zu können, gibt es Probleme; uns liegen diese Beispiele vor. In allen Regionen des Landes wird dieser IMK-Beschluss nur sehr schleppend umgesetzt. Wir haben wirklich nur Einzelne, die es damit schaffen. Auch hier werden Sie nicht tätig, Herr Minister. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie zumindest diesen Bleiberechtsbeschluss der IMK hier im Land einheitlich umsetzen, aber das findet nicht statt.

(Beifall von den GRÜNEN)

In Hessen zum Beispiel – vielleicht können Sie dem Vorbild folgen; das wäre ein konkreter Vorschlag – gibt es eine Frist für die Anfrage der Ausländerbehörden bei den Arbeitsagenturen. Eine Woche nach Ablauf der Frist wird auch ohne Rückmeldung der Arbeitsagentur von einer Zustimmung ausgegangen, und die Leute können dann schnell ihre Arbeitsgenehmigung und damit letztendlich ihren Aufenthalt bekommen. Das sind

unbürokratische gute Regelungen. All das funktioniert in Nordrhein-Westfalen nicht.

Von daher fordern wir Sie auf: Sorgen Sie in Nordrhein-Westfalen dafür, dass wenigstens der IMK-Beschluss im Sinne der Flüchtlinge umgesetzt wird, und blockieren Sie auf Bundesebene im Zuge mit den Hardlinern dieses Landes nicht weiter eine vernünftige Bleiberechtsregelung!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Düker. – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Kollege Kruse das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Düker, ja, es ist richtig: Die Themen „Asyl“ und „Ausländerpolitik“ und hier in besonderer Weise die Bleiberechts- und/oder Altfallregelungen sind und bleiben ein Schwerpunkt von Bündnis 90/Die Grünen, obwohl sie mit Ihren Vorstellungen in den vergangenen Legislaturperioden kläglich gescheitert sind und wahrscheinlich auch deswegen nirgendwo in Deutschland mehr Regierungsverantwortung tragen.

Sie haben selber ausgeführt, dass wir hier im Landtag häufig über Ihre Anträge geredet haben. Seit dem Herbst 2005 haben Sie in der Tat unter anderem folgende Initiativen ergriffen und wir dann hier darüber debattiert: am 15. September 2005 „Abschiebepraxis in Nordrhein-Westfalen muss dringend geändert werden“, am 15. März 2006 „Bundeseinheitlichkeit von Einbürgerungsverfahren herstellen“, am 31. August 2006 „Bleiberechtsregelung darf keine Alibilösung werden“ und – ergänzend die SPD-Fraktion – am 1. Dezember 2005 „Bleiberechtsregelungen für langjährig geduldete Flüchtlinge“.

In der Tat ist es nach meinem Eindruck so: Der Vorwurf, den Sie gegenüber der CDU-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode erhoben haben, dass unser System der Wiedervorlage stimmen würde, trifft Sie seit Langem selber.