Wir beginnen mit der Neuaufstellung der Verwaltung sofort. Bis zur Mitte der nächsten Legislaturperiode wird sie abgeschlossen sein. Dann gibt es einen auf seine Kernaufgaben konzentrierten Staat, eine starke kommunale Selbstverwaltung und drei Regionalpräsidien für das Rheinland, das Ruhrgebiet und Westfalen.
Zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung gehört für uns, den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu geben. Dazu gehört, dass wir die Wahl der Bürgermeister und Landräte von der Wahl der Räte und Kreistage abkoppeln werden. Dazu gehört, dass wir den Ratsbürgerentscheid einführen werden. Wir wollen, dass in wichtigen kommunalen Angelegenheiten der Rat oder der Kreistag die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden lassen kann.
Meine Damen und Herren, sozial ist, was Arbeit schafft. Das ist die Leitlinie unserer Politik für mehr Arbeitsplätze. Die Politik schafft selbst keine Arbeitsplätze; sie kann aber den richtigen Rahmen für wirtschaftliche Dynamik und Beschäftigungsaufbau setzen. Sie muss gewährleisten, dass jeder die theoretischen und praktischen Qualifikationen erwerben kann, die er dann auch im Beruf braucht.
Jeder Jugendliche verdient eine faire Chance am Beginn seines Arbeitslebens. Auch in diesem Ausbildungsjahr gibt es Probleme. Bis Juni haben sich 29.240 mehr junge Menschen beworben, als Lehrstellen zur Verfügung stehen. Damit alle versorgt werden können, werden wir alle in den
nächsten Wochen noch große Anstrengungen unternehmen müssen. Wir setzen den bewährten Ausbildungskonsens NRW fort. Es bleibt bei der Zusage an alle unvermittelten ausbildungswilligen und -fähigen Jugendlichen in NRW, dass sie ein konkretes und realistisches Ausbildungs-, Qualifizierungs- oder berufliches Integrationsangebot erhalten werden.
Ich sehe übrigens gute Chancen, in betrieblichen Bündnissen für mehr Ausbildung neue Akzente zu setzen. Wir müssen es schaffen, meine Damen und Herren, dass sich wieder mehr Betriebe beteiligen und Ausbildungsplätze bereitstellen.
In NRW bilden zurzeit nur noch 30 % der Betriebe aus. Deshalb setzen wir neue Schwerpunkte. Jugendliche müssen viel früher als heute auf das Berufsleben vorbereitet werden. Wir befürworten deshalb Partnerschaften zwischen Schule und Betrieb. Es ist eine wichtige Aufgabe, weitere Betriebe für die Ausbildung zu gewinnen. Die Kammern tragen hier eine große Verantwortung im Rahmen des Ausbildungskonsenses.
Kleinen und mittleren Betrieben wollen wir die Teilnahme an der Ausbildung erleichtern. Der damit verbundene bürokratische Aufwand soll ihnen abgenommen werden. Das gilt auch für Teile der praktischen Ausbildung, die der Betrieb nicht leisten kann. Berufskollegs beteiligen sich an diesen Partnerschaften, indem sie den Unterricht flexibler und bedarfsgerechter gestalten.
Wir wollen das System der dualen Berufsausbildung stärken und weiter entwickeln. Wir werden uns deshalb für mehr einfachere und praxisorientierte Ausbildungen einsetzen, die flexibel und für Aufstiegsmöglichkeiten offen bleiben. Das funktioniert, wenn man die Ausbildung in Stufen organisiert und auf jeder Stufe schon erworbene Teilqualifikationen testiert. Dazu wollen wir ein Bausteinsystem aufbauen, in dem keine Bildungs- und Ausbildungsleistungen verloren gehen oder mehrfach verlangt werden.
Wir wollen durch ein Modellprojekt erproben, ob und wie über einen Kombilohn lernschwache und behinderte Jugendliche beruflich in Betriebe integriert werden können. Dieses Angebot soll in erster Linie Jugendlichen zugute kommen, die sich für eine einfach strukturierte Arbeit eignen.
Meine Damen und Herren, in Nordrhein-Westfalen sind mehr als eine Million Menschen ohne Arbeit. Jeder Dritte ist bereits länger als ein Jahr arbeits
los. Wir werden neue Beschäftigungsmöglichkeiten zulassen, die helfen, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. Das gilt in erster Linie für haushaltsnahe Dienstleistungen. Dieser Beschäftigungssektor wird umso wichtiger, als sich durch die demographische Entwicklung die Nachfrage erhöhen wird. Hier liegt gerade in NordrheinWestfalen ein großes Potential von neuen Jobs.
Wir übernehmen Pionierverantwortung bei der Erschließung haushaltsnaher Beschäftigung und setzen uns ein für die Schaffung und Förderung privater Agenturen zur Vermittlung haushaltsnaher Dienstleistungen, für die generelle steuerliche Anerkennung von Privathaushalten als Arbeitgeber, für die Novellierung der hauswirtschaftlichen Ausbildung sowie für nachvollziehbare, unbürokratische und effizientere steuer- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen für eine Tagesmütter- und Tagesväterinitiative.
Dazu gehört auch die Schaffung von neuen Angeboten für Senioren, zum Beispiel Hilfen im Haushalt oder bei Ämtergängen. Ich weiß, dass damit Fachpflege nicht ersetzt, sondern allenfalls ergänzt werden kann. In Kooperation mit den Kommunen tragen wir aber damit zur Steigerung der Lebensqualität bei.
Meine Damen und Herren, auch für die heutigen Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld muss es verlässliche Perspektiven geben. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes muss statt an das Lebensalter stärker an die Dauer der Beitragszahlung gekoppelt und dementsprechend gestaffelt werden, ohne dass neue Frühverrentungsanreize oder Beitragssteigerungen entstehen.
Darüber hinaus muss beim Bezug des Arbeitslosengeldes II das, was sich die Menschen zur Altersvorsorge zurückgelegt haben, stärker als bisher anrechnungsfrei gestellt werden.
Die Landesregierung wird darauf achten, dass mit Ein-Euro-Jobs keine regulären Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt verdrängt werden. Hier sehen wir auch die Bundesagentur für Arbeit in der Pflicht.
Wir befürworten die Unterstützung von Arbeitslosen beim Schritt in die Selbstständigkeit. Die IchAGs haben sich dazu aber nicht bewährt, sie haben sich größtenteils als ein ineffektives Arbeitsmarktinstrument erwiesen.
Meine Damen und Herren, um die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen, braucht Nordrhein-Westfalen Europa. Die europäischen Völker haben sich gemeinsame Institutionen gegeben, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Sie haben beschlossen, die Grenzen in Europa zu beseitigen. Wir sind verflochten mit unseren Nachbarn wie kaum eine andere Region in der Europäischen Union. Schon deshalb werde ich mich als Ministerpräsident sehr aktiv um den weiteren Fortgang des europäischen Einigungsprozesses kümmern. Ich werde darauf achten, dass die Mitwirkungsrechte der Länder nicht eingeschränkt werden und Europa das Subsidiaritätsprinzip beachtet. Ich will mit unserem Steuergeld auch keine Arbeitsplatzverlagerungen nach Osteuropa subventionieren.
In diesem Sinne werden auch unsere Landesvertretungen in Brüssel und Berlin eine wirksame Vorfeldbeobachtung und Einflussnahme bei der europäischen Rechtssetzung übernehmen. Die Landesregierung wird mit ihren Kotrollmöglichkeiten, zum Beispiel im Arbeitsschutz, aber auch in Zusammenarbeit mit den Kammern alles tun, um Missbrauch der Dienstleistungsfreiheit, beispielsweise im Fliesenlegerhandwerk, zu bekämpfen.
Ich werde dem Ausbau der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen unseres Landes zu seinen Nachbarn große Aufmerksamkeit widmen. Mein Besuch in den Niederlanden eine Woche nach meiner Wahl zum Ministerpräsidenten war Ausdruck dieser Entschlossenheit. Sie gilt in gleicher Weise Belgien und Luxemburg. Ich möchte, dass unsere Nachbarländer NordrheinWestfalen als das freundliche Antlitz Deutschlands sehen. Ich möchte, dass wir vier - Belgien, Luxemburg, die Niederlande und NordrheinWestfalen - vormachen, was wir unter Europa verstehen.
Europa wird nur dann eine starke politische Einheit, wenn Deutschland und Frankreich ihre Zusammenarbeit vertiefen und diese Zusammenarbeit als Dienst an Europa und nicht zur Durchsetzung eigener Interessen verstehen.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, am 1. September dieses Jahres, dem Tag des Beginns des Zweiten Weltkrieges, auf Einladung des polnischen Ministerpräsidenten in Warschau und
Ein Aspekt der Globalisierungsängste, die zu den negativen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden geführt haben, war die Angst vor Europas Grenzenlosigkeit. Grenzenlosigkeit führt zu Selbstverlust. Deswegen muss sich Europa sowohl nach außen als auch durch Differenzierung im Innern Grenzen setzen, durch die sich dann ein fester Kern bildet, der das Ganze zusammenhält. Nordrhein-Westfalen soll zu diesem Kern gehören.
Europa ist, wie Jean Monnet sagte, ein Beitrag zu einer besseren Welt. Das ist in Zeiten der Globalisierung und der damit verbundenen Umbrüche wichtiger denn je.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Arbeitskosten in Deutschland sind zu hoch. Sie - nicht die Löhne, sondern die Arbeitskosten - müssen gesenkt werden.
Wir werden aber gar nicht so viel sparen können, um uns allein über Kostensenkungen im internationalen Wettbewerb behaupten zu können. Wir sind ein Hochlohnland und wir werden es bleiben. Wer teurer ist als andere, der muss allerdings auch besser sein.
Das beginnt in den Kindergärten und den Schulen. Wissen ist zum wichtigsten Produktionsfaktor geworden. Wir nehmen die Herausforderungen der Wissensgesellschaft vor allem mit einer grundlegenden Schulreform und einer Reform unseres Hochschulsystems an.
Bildung ist die neue soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Unsere Gesellschaft darf nicht in Gebildete und Ungebildete, in Ausgeschlossene und Dazugehörige auseinander fallen. Deshalb hat Bildung für uns Priorität. Sie ist für uns ein Kernelement der sozialen Ordnungspolitik. Wir Nordrhein-Westfalen müssen von den hinteren Rängen bei Pisa wegkommen.
Wir vertrauen unseren Lehrerinnen und Lehrern. Wir bauen auf ihren Elan, ihr Engagement für Kinder und Jugendliche, und wir vertrauen auf ihre pädagogische Leidenschaft. Unsere Lehrerinnen und Lehrer und die Schulleiter leisten gute Arbeit. Sie kämpfen aber mit zu vielen Problemen:
mit Unterrichtsausfall und mit ständig neuen Verordnungen und Erlassen, die nie umgesetzt werden konnten. Wir wollen sie von Schulbürokratie befreien, damit sie sich wieder auf ihre pädagogischen Aufgaben konzentrieren können.
Alle Absolventen unserer Schulen, die können und wollen, müssen wieder lesen, schreiben und rechnen können.
Sie sollen eine moderne Allgemeinbildung erhalten, die ein solides Fundament für Studium und Beruf, für Weiterbildung und für lebenslanges Lernen ist.
Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Begabung gefördert werden. Deshalb halten wir am gegliederten Schulwesen fest.