Protocol of the Session on September 14, 2006

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/2410

(Einige Abgeordnete verlassen den Plenar- saal.)

Meine Damen und Herren, das Thema Pflege geht alle an. Deswegen sollten Sie im Saal bleiben.

Ich eröffne die Beratung. Als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion Frau Abgeordnete Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Pflege – das ist gerade sehr treffend gesagt worden – geht wirklich alle an. Trotzdem scheinen sich immer noch viele mit Nebengesprächen zu beschäftigen.

(Unruhe)

Ich fände es gut, wenn man zu solch einem wichtigen Punkt der Zukunft ein bisschen Ruhe einkehren lassen könnte.

(Anhaltende Unruhe – Glocke)

Pflege – das ist Konsens hier im Haus, das ist Konsens in der Enquetekommission „Pflege“ gewesen; ich glaube, das ist auch Konsens in der ganzen Gesellschaft – ist auf die Art und Weise zu leisten, dass Zeit für den Menschen da ist, dass der Mensch im Mittelpunkt der Pflege steht. Wenn wir uns die Istsituation – nicht nur in Nordrhein-Westfalen – ansehen, dann stellen wir fest, dass Pflege sehr stark durch bürokratische Auflagen, gesetzliche Regelungen und vielfältige andere Auflagen eingeschränkt wird, dass an vielen Stellen der Raum und die Zeit für den Menschen fehlen, dass der Raum und die Zeit an bestimmten Stellen eher für andere Sachen genutzt werden. Klar ist, wir brauchen in einem großen Maße natürlich auch Dokumentation, wir brauchen Sicherheit. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen dem Schutz des Betroffenen einerseits und dem Abbau des Überflüssigen andererseits.

Es ist Konsens gewesen, dass wir mehr Zeit brauchen. Es ist Konsens gewesen, dass wir Entbürokratisierung brauchen. Wir brauchen sie nicht nur für den stationären Bereich, sondern auch für die ambulante Pflege, denn auch da gibt es viele Hürden, die die tägliche Arbeit massiv erschweren.

Es gibt Schnittstellenprobleme zwischen SGB XI und dem Heimgesetz. Wir haben eine zu geringe Überprüfung der Ergebnisqualität und demgegenüber eine zu detaillierte Festlegung von Struktur- und Prozessqualität. Wir haben Doppel- und Mehrfachprüfungen, unterschiedliche Bewertungen identischer Sachverhalte durch unterschiedlichste Prüfinstanzen. Und wir haben natürlich auch beim Heimrecht eine Menge Veränderungsbedarf, insbesondere eine Neuausrichtung an neuen Anforderungen und Bedarfen, die sich im Laufe der Zeit ergeben haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben darüber hinaus aber auch einen dringenden Bedarf, Dinge zu verändern und Verbesserungen herbeizuführen in Bereichen, die es damals, als das Heimgesetz auf den Weg gebracht worden ist, noch gar nicht gab. Wir brauchen neue Regelungen für neue Wohnformen, und zwar nicht im Heimgesetz, sondern in eigenständiger und klarer Form.

Auf Landesebene gab es eine vom Minister eingerichtete Arbeitsgruppe unter dem Titel „Entbürokratisierung in der Pflege“, die einen Abschlussbericht vorgelegt hat. Wir haben uns im Ausschuss schon darauf verständigt, dass wir zu diesem Themenbereich eine Anhörung durchführen werden, in die auch die Anträge, die zu diesem The

menkomplex gestellt worden sind, Eingang finden werden.

In diesem Abschlussbericht gab es einige Bereiche, die sehr begrüßenswert sind, die auf Konsens stoßen werden, zum Beispiel die Verbesserungen bezüglich neuer Wohnformen, die bessere Zusammenarbeit der Prüfinstanzen und die Vereinfachung der Pflegedokumentation.

Es gibt in diesem Abschlussbericht aber auch Punkte, die uns die eine oder andere Sorge bereiten. Zum Beispiel wird da die Absenkung des Schonbetrags bei der Gewährung von Pflegegeld vorgeschlagen. Ich erinnere an die Diskussion hier im Haus: Damals hat die CDU eine Erhöhung nicht um 10.000 €, sondern um 40.000 € gefordert, und die FDP hat eine Erhöhung um 15.000 € gefordert. Jetzt wird aber vorgeschlagen, man solle das absenken, um damit Bürokratie abzubauen. Die ist damit aber gar nicht verbunden. Ich hoffe, dass wir im Ausschuss zu einem Konsens kommen werden, dass dieser im Abschlussbericht enthaltene Vorschlag nicht umgesetzt wird, dass wir in eine andere politische Richtung gehen.

Gleiches gilt für die im Abschlussbericht vorgeschlagene Absenkung von Standards. Die sollen nicht abgesenkt werden, damit mehr Zeit für den zu Pflegenden vorhanden ist, sondern um vorrangig wirtschaftlichen Belangen nachzukommen, also zum Beispiel der Erhöhung der Platzzahl von stationären Einrichtungen. In der Enquetekommission hat zumindest ein klarer Konsens darüber bestanden, dass für die Bettenzahl in stationären Einrichtungen eine Obergrenze gelten soll. Eine unüberschaubar große Einrichtung wird von niemandem gewollt und dient auch nicht gerade dem Wohlbefinden der Menschen in diesen Einrichtungen.

Ich könnte noch eine Menge Punkte zu der Frage anführen, wie wir uns Bürokratieabbau vorstellen. Eine Reihe dieser Punkte sind in dem Antrag aufgeführt. Andere können wir im weiteren Verfahren noch gemeinsam präzisieren.

Wir sollten ergebnisoffen in die Anhörung hineingehen und gemeinsam versuchen, die im Interesse der Menschen bestmöglichen Schritte zu gehen, um Bürokratie abzubauen, damit letztendlich mehr Zeit für die Menschen zur Verfügung steht. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Frau Monheim.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landtagsfraktion begrüßt es außerordentlich, dass das Heimrecht im Zuge der Föderalismusreform aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten herausgenommen und in die Kompetenz des Landes übertragen wurde. Diese Zuständigkeit eröffnet nicht nur neuen Gestaltungsspielraum; sie ist auch mit einer sehr hohen Verantwortung verbunden.

Von der Intention her ist das Heimgesetz ein Schutzgesetz für die Bewohnerinnen und Bewohner. Es setzt vor allem räumliche und personelle Standards in Einrichtungen der Altenhilfe und der Eingliederungshilfe. Dabei orientiert es sich aber weitgehend an traditionellen ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten. Genau darin liegt auch seine Unzulänglichkeit.

Das Heimrecht und seine Verordnung in der jetzigen Ausgestaltung wird heutigen Ansprüchen an Pflege und Wohnen im Heim nicht mehr gerecht. Es gibt den Bedürfnissen der Menschen mit Demenz keinen Raum und Orientierungsrahmen und enthält eine Vielzahl von Schnittstellen mit anderen Rechtsvorschriften. Kurz: Es ist nicht mehr zeitgemäß, zu wenig flexibel und muss dringend modernisiert werden, um konzeptionelle Weiterentwicklungen zu fördern und vor allen Dingen neue Formen des Zusammenlebens – die neuen Wohnformen – zu ermöglichen und zu sichern.

Damit ist auch immer die Forderung verbunden, Verwaltungsaufwand und Dokumentationspflichten auf ein notwendiges Maß zu beschränken, um mehr Zeit für Pflege, für Betreuung und für Zuwendung zu gewinnen.

Dass Änderungen notwendig sind, ist völlig unbestritten; das ist seit Jahren bekannt. Frau Steffens hat da ja auch noch einmal sehr deutlich nachgelegt.

Mit dem Abschlussbericht der „Enquetekommission zur Situation und Zukunft der Pflege in Nordrhein-Westfalen“, die Anfang 2002 auf Antrag der CDU eingerichtet wurde, liegen nun nicht nur eine umfassende Analyse der Problemfelder, sondern auch konkrete Handlungsempfehlungen vor.

Auch die im MAGS eingesetzte Arbeitsgruppe „Entbürokratisierung in der Pflege“ hatte den Auftrag, praxisorientierte Vorschläge zu entwickeln, um die Pflegesituation in Nordrhein-Westfalen zu verbessern. Denn – das will ich hier sehr deutlich sagen – es geht immer um den Menschen, der zu pflegen ist.

Wir als CDU sind überzeugt, dass durch die Zuständigkeit des Landes für die Novellierung des Heimrechts viele – nicht alle – der aufgezeigten Änderungsnotwendigkeiten neu aufgegriffen werden können und dass das Heimgesetz nach zeitgemäßen Qualitätskriterien weiterentwickelt werden kann. Um die Diskussion anzustoßen, haben die Fraktionen von CDU und FDP bereits im Mai den Antrag „Mehr Zuwendung für pflegebedürftige Menschen durch Entbürokratisierung“ in den Landtag eingebracht. Heute legen auch SPD und Grüne Anträge vor, die sich mit der Umsetzung des Heimrechts auf Landesebene beschäftigen.

Der Antrag der SPD „Reform des Heimgesetzes auf Landesebene muss Interessen der Pflegebedürftigen stärker berücksichtigen“ benennt Eckpunkte, die umgesetzt werden sollen. Das sind weitgehend bekannte Forderungen.

Erstaunlich fand ich die Kritik an der Heimaufsicht wegen ihrer unterschiedlichen Bewertungspraxis in Nordrhein-Westfalen,

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist wahr!)

da die verantwortliche Kommune zugleich Kostenträger sei. Die SPD muss sich hier wirklich fragen lassen, warum sie sich bei der Novellierung des entsprechenden Bundesgesetzes im Jahre 2002 nicht für Änderungen eingesetzt hat.

„Mehr Zeit für die Pflege – bürokratischen Aufwand vermeiden – Heimgesetz zeitgemäß neu ausrichten!“ Das sind die Kernforderungen, die Bündnis 90/Die Grünen an eine Novellierung des Heimgesetzes erheben. Der Katalog ist auch hier sehr umfangreich. Er enthält aber kaum Neues, zumal ein Großteil der Maßnahmen bereits im März dieses Jahres im Antrag der Grünen „Heimgesetz muss Bundesrecht bleiben!“ gefordert worden war – damals allerdings noch in Verbindung mit der Warnung, dass die Zuständigkeit für das Heimrecht nicht verlagert werden darf. Es ist wirklich erfreulich, dass sich die Grünen offensichtlich zumindest in diesem Punkt davon verabschiedet haben, dass Qualität am ehesten durch zentralistische Zuständigkeiten zu erreichen und zu garantieren ist.

Wir als CDU sehen hingegen große Chancen und – ich wiederhole es – auch eine große Verantwortung in der neuen Situation.

Frau Abgeordnete Monheim, wollen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Steffens beantworten?

Ja, bitte.

Frau Monheim, wie erklären Sie sich, dass die Sozialverbände und andere in dem Bereich tätige Verbände gemeinsam mit den Grünen fordern, dass das Heimrecht Bundesrecht bleiben soll?

Offensichtlich liegt da dieselbe Sorge vor, die ich aber für unbegründet halte, wie bei der SPD. Sie weist in ihrem Antrag zu Recht darauf hin, dass dieses Bundesgesetz der Minimalkonsens zwischen dem Bund und den 16 Ländern ist. Man hat als Land andere Möglichkeiten, und die sollten wir nutzen und uns da auf eine Verbesserung verständigen. Wir sollten den Gestaltungsraum wirklich nutzen, um die Rahmenbedingungen für die Pflege neu und zukunftsfähig zu gestalten.

Das sollten wir zügig, doch ohne Zeitdruck tun; denn das bisherige Bundesrecht gilt so lange, bis ein Landesheimgesetz verabschiedet ist.

Ihre Redezeit ist beendet, Frau Abgeordnete.

Ein Satz noch, bitte. – Es liegen uns eine Fülle von Erkenntnissen, Anregungen und Vorarbeiten vor, die noch einmal in den heutigen Anträgen gebündelt werden. Ich freue mich auf eine fundierte Debatte im Ausschuss und auf die im Bereich Pflege bewährte Zusammenarbeit.

Der Überweisung in den Fachausschuss stimmen wir zu. – Ich danke, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Killewald, SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Monheim, ein direktes Wort an Sie: Ich freue mich, dass wir heute hier so einmütig reden, weil auch ich meine, dass wir ein gemeinsames Interesse im Sinne der Pflegenden und der zu Pflegenden haben.

Lassen Sie mich auf Ihre zwei Bemerkungen antworten.

Erstens: Wieso sind wir auf einmal anderer Meinung als 2003? – Wir haben uns im letzten halben Jahr sehr viel Mühe gemacht und sehr viel Arbeit investiert, um uns in der Pflegepolitik neu zu justieren. Dabei kommt manchmal heraus, dass man anderer Meinung als gestern ist. Das finde ich nicht schlimm. Wir stehen dazu.

Zweitens: Frau Monheim, natürlich war das auch Ihr Antrag von vor ein paar Monaten; das stand auch sinngemäß in dem Abschlussbericht. Insofern würde ich mich freuen, wenn wir hier auch solche Bemerkungen im gemeinsamen Interesse der Sache einfach lassen.

Was wollen wir mit diesem Antrag? – Wir wollen – erstens –, aufbauend auf dem gemeinsamen Entschließungsantrag, zusammen mit Ihnen hier eindeutig weiter gehen. Wir wollen die gemeinsame Entschließung mit diesem Antrag auch nicht infrage stellen. Deshalb haben wir ihn so aufgeteilt, dass wir die von uns in den letzten Monaten erarbeiteten und von uns für besonders wichtig gehaltenen Eckpunkte vor der Klammer beschreiben.