Protocol of the Session on August 31, 2006

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jedes Jahr wird uns der Verfassungsschutzbericht ausgehändigt. Im jüngsten Bericht wird nachdrücklich auf Veränderungen in den Netzwerkstrukturen des islamistischen Terrorismus hingewiesen. Das einst festgefügte, weltweite Netzwerk habe sich unter dem stark angestiegenen Verhandlungsdruck zunehmend in kleine, lokale, autonome Terrorzellen umgewandelt. Kontakte zwischen Führern und Terrorzellen seien nicht mehr erforderlich. Wann, wo, gegen wen und wie es zu einem Anschlag komme, sei den Terrorzellen überlassen. Alle Entwicklungen zeigten, dass Entwicklungen zur Radikalisierung unter jungen, heimischen Muslimen durchaus vorkommen könnten, so der NRW-Verfassungsschutzbericht. Außerdem seien die kleinen Zellen schwer auszumachen, weil sie sich stark abschotten, so das Innenministerium.

Lassen Sie mich in aller Nüchternheit sagen: Die Terroristen sind keine religiös verführten Menschen, die man mittels Sozialpolitik von ihrem Weg abbringen kann. Es handelt sich um Feinde. Sie sind gefährliche Individuen und nicht falsch handelnde Bürger. Das, was man gegenüber Terroristen tun muss, ist insofern nicht von derselben Art wie zum Beispiel Verfahren gegen Bankräuber. Terroristen und ihr Umfeld sind nichts anderes als Straftäter, die unser freiheitliches System durch Terroranschläge mit verheerenden Folgen bedrohen. Es geht um eine rechtlich wie politisch und gesellschaftlich zu bewältigende Herausforderung. Wer das in aller Klarheit sieht, kann und wird dem Staat nicht die Mittel, die er benötigt, verwehren. Allein aufgrund von Wertentscheidungen kann er keine andere Auffassung vertreten.

Deswegen bin ich dafür, dass die Beobachtung des islamistischen Extremismus verstärkt wird. Das dafür notwendige zusätzliche Personal kann aus meiner Sicht allerdings nicht aus dem allgemeinen Polizeidienst abgeordnet werden, weil die vorhandene Personalstärke das nicht zulässt.

Schon die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist strafbar, nicht erst die Beteiligung an Anschlägen. Schon der Anbau von Betäubungsmitteln durch berufsmäßige Banden wird geahndet und nicht erst der Verkauf.

Nichts rechtfertigt die Annahmen, dass es mit dem vereitelten Terrorakt sein Bewenden habe oder dass es künftig nur in Amerika oder in England Anschläge geben würde. Beide Länder mögen aus islamistischer Sicht die Speerspitze des

Westens sein. Gegenstand islamistischen Hasses aber ist nicht ein Land allein, sondern das westliche Gesellschaftsmodell. Auch darüber sind sich die Terrorismusexperten weitgehend einig.

Es wird erforderlich sein, Antworten auf Fragen zu geben, die in den vergangenen Jahren häufig tabuisiert wurden. Dazu gehören insbesondere die Fragen, ob eine multikulturelle Gesellschaft, ob Multikulturalismus wirklich friedensförderlich ist, und vor allen Dingen, was zu tun ist, wenn sich das Gegenteil als richtig erweist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus meiner Sicht ist es in der derzeitigen Debatte vom Grundsatz her nicht geboten, ja, es macht überhaupt keinen Sinn, den Rechtsstaat und den Sicherheitsstaat gegeneinander auszuspielen, wie das gelegentlich zu lesen ist.

Nicht erst jetzt, sondern schon immer hatte und hat die Polizei zwei Aufgaben, nämlich Verbrechensaufklärung und -bekämpfung. Deswegen bin ich sehr dafür, dass unsere Polizei besser ausgestattet wird: mit modernster Technik, mit Digitalfunk, um potenziellen Straftätern auf Augenhöhe begegnen zu können. Wir brauchen auch eine bessere und speziellere Ausbildung, um den islamistischen Fundamentalismus bekämpfen zu können, mehr Experten beim Verfassungsschutz neben mehr Einstellungen bei der Polizei als in den vergangenen Jahren. Wir haben – Gott sei Dank – damit angefangen, die Polizei in Nordrhein-Westfalen im Sinne von Binnenmodernisierung der Behörden, Verschlankung der Polizeiverwaltung und Abbau unnötiger Bürokratie neu zu ordnen. All das sind Schritte, die aus unserer Sicht in die richtige Richtung gehen.

Das Ende der terroristischen Bedrohung wird sich allerdings – das muss man in aller Nüchternheit ebenso anerkennen – mit einem Mehr an Einsatz von Polizei, von Geheimdienst und selbst mit dem Einsatz von Streitkräften kaum herbeiführen lassen. Da teile ich die Einschätzung unseres Kollegen Herrn Rudolph, der gesagt hat: Natürlich spielen in diesem Zusammenhang auch die Auslandspolitik, die Bewältigung des Nahostkonflikts und viele andere Aspekte eine Rolle. – Es gehören allerdings auch Antworten auf die Fragen dazu, aus denen heraus die Bereitschaft in unserer Gesellschaft entsteht, das eigene Leben zu opfern, um die Probleme im eigenen Sinne mit Gewalt zu lösen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, innerhalb unseres liberalen und freiheitlichen Rechtsstaats gibt es gelegentlich eine Diskussion über Freiheit und Sicherheit. Das sind aus meiner Sicht

Geschwister, zwei Seiten derselben Medaille. Ich sage in aller Ernsthaftigkeit: Die CDU ist eine Partei, die sich uneingeschränkt zum freiheitlichen, liberalen Rechtsstaat bekennt. Aber wir sagen auch sehr deutlich – nicht zuletzt in dieser Debatte; wir haben das in den letzten Jahren programmatisch fortgeschrieben –: „Im Zweifel für mehr Sicherheit“ und nicht „Im Zweifel für mehr Freiheit“.

Darüber kann man sicherlich trefflich streiten. Ich habe festgestellt, dass es in der Vorgehensweise in unserem Landtag eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten gibt. Innerhalb unseres Rechtsstaats müssen selbstverständlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um ein hohes Maß an subjektiver und objektiver Sicherheit zu gewährleisten. Die neue Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen werden diese Aufgabe immer auf der Tagesordnung behalten. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kruse. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Abgeordnete Düker.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den fehlgeschlagenen Bombenattentaten, den Kofferfunden in Regionalzügen in Dortmund und Koblenz und den Festnahmen wurde uns allen – mal wieder! – die terroristische Bedrohung in unserem Land vor Augen geführt. Ausnahmsweise stimme ich Bundesinnenminister Schäuble zu. Seine Feststellung ist so sorgenvoll wie ehrlich, wenn er sagt: Wir hätten es nicht verhindern können.

Das Täterprofil, soweit es bekannt ist, wäre im Vorfeld nicht aufgefallen. In keiner noch so gut vernetzten Terrordatei wären die jetzt Beschuldigten vermerkt gewesen. In keiner dem Verfassungsschutz bekannten und beobachteten Organisation sind sie aufgefallen und konnten daher auch nicht Zielscheibe von Auskunftsersuchen, Unterwanderung oder Ausspähung von V-Leuten sein. Sie ließen sich durch die Videokameras überführen, aber nicht abschrecken. Bei einer noch so schrankenlosen Rasterfahndung wären sie nicht im Netz hängen geblieben, da ihre Auffälligkeit aus Unauffälligkeit bestand.

Sie waren keine aus den Ausbildungscamps in Afghanistan oder Pakistan importierten sogenannten Schläfer. Sie entsprechen auch nicht dem Profil des Homegrown-Terroristen analog zu den festgenommenen Beschuldigten in London; denn

sie reisten erst 2004 beziehungsweise Anfang des Jahres zwecks Studium ein – wie ca. 10.000 weitere Studenten arabischer Herkunft, die an deutschen Hochschulen studieren.

Die Fragen sind: Gibt es ein Netzwerk hinter den Beschuldigten? Was war der Auslöser, der Hintergrund, das Motiv für die Attentatsplanung? Auch hier haben wir noch keine klaren Anhaltspunkte. Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Libanon bieten ebenfalls keine ausreichende Erklärung; denn sie hatten noch längst nicht begonnen, als die Beschuldigten bereits die Gasflaschen kauften.

Trotz dieser, wie ich finde, eher nachdenklich stimmenden Rahmenbedingungen für uns als Politiker begann kurz nach der ersten Verhaftung der übliche reflexartige Überbietungswettbewerb der Sicherheitspolitiker, die immer dann, wenn das Thema Terror Konjunktur hat, ihren Zettelkasten leeren und angeblich wissen, was zu tun ist – so auch die Innenpolitiker der Landesregierung und der hier vertretenen Koalitionsfraktionen. Ihre Vorschläge widersprachen sich, es wurden wirre Botschaften in die Welt posaunt – ich glaube, das hat in den letzten Wochen eher zu Verunsicherung beigetragen –, anstatt der Bevölkerung klare Leitlinien zur Terrorbekämpfung in NRW deutlich zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Beispiele: Herr Kruse kündigt in der „Welt am Sonntag“ vollmundig an, schon in diesem Jahr würden die Weichen dafür gestellt, dass zur Terrorbekämpfung mehr Polizeibeamte eingestellt als pensioniert würden. Aber, Herr Kruse – Sie haben es nicht dementiert –, was finden wir im Haushaltsentwurf der Landesregierung? Dort steht nach wie vor die Einstellungsermächtigung für 500 Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter. Dass Sie damit – mal wieder! – Ihr Wahlversprechen brechen, ist die eine Sache, aber dass Sie auch hier Ihre Ankündigung nicht umsetzen, finde ich mehr als peinlich, Herr Kruse.

(Beifall von den GRÜNEN)

Weiterhin reden Sie mal wieder vollmundig – was Sie auch in der Opposition fünf Jahre lang getan haben –

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

vom verstärkten Einsatz von Videokameras im öffentlichen Raum. Wider besseres Wissen wird dann auch noch per Presseerklärung von Ihnen verkündet, der Fahndungserfolg von Kiel habe gezeigt, dass der Einsatz von Videoüberwachung – jetzt kommt es! – ein probates Mittel der Gefahren

abwehr sei. Herr Kruse, Ihnen als Fachpolitiker müsste der Unterschied zwischen Gefahrenabwehr, nämlich Verhinderung von etwas, und Strafverfolgung eigentlich bekannt sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Innenminister konterte dann im WDR – wie er es heute auch wieder getan hat –, er sehe Videoüberwachung im öffentlichen Raum sehr kritisch und warne vor Technikgläubigkeit. Also: Wo bitte geht es hier lang?

Kollege Engel kommt mit einem ganz neuen Vorschlag: Seiner Auffassung nach brauchen wir spezielle Zielfahnder – laut Engel „echte Profis“, die wir im Landeskriminalamt offensichtlich nicht haben, Herr Innenminister – und eine Zentrale Informationsstelle Terrorismusbekämpfung in NRW oder – wie vom Bund Deutscher Kriminalbeamter formuliert – ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum. Prompt wird vom Leiter des Kriminalamtes widersprochen, ein Antiterrorzentrum sei nicht erforderlich. Auch der Koalitionspartner Herr Kruse distanziert sich davon.

Vielleicht, Herr Engel, sollten Sie sich nach einem Jahr Regierung doch so langsam umstellen und sich mit Regierung und Koalitionspartner absprechen, bevor Sie etwas in die Welt posaunen oder wie früher Forderungen von Ihren Freunden beim Bund Deutscher Kriminalbeamter und von Herrn Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft unkommentiert abschreiben, um danach den ungeordneten Rückzug anzutreten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kruse, Herr Engel, Herr Minister, Sie sind im Bereich der Sicherheitspolitik offensichtlich noch nicht in der Regierungsverantwortung angekommen. Ich stelle fest: Das, was Sie als Opposition hier in den letzten Jahren nach dem Motto „Jeden Tag eine neue Idee oder immer mal wieder dieselbe, Stichwort: Videoüberwachung“ zum Thema geboten haben, können Sie sich in der Verantwortung gegenüber den Menschen im Land nun nicht mehr leisten. Dieses Spätsommertheater hätten Sie uns besser erspart. Dafür ist das Thema zu wichtig und zu ernst.

(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Robert Orth [FDP]: Bei Ihrer Rede bekomme ich Herbst- stimmung!)

In der Analyse der bisher bekannten Bedrohungslage wird deutlich – es ist gesagt worden –, dass wir uns mit völlig neuen, vielschichtigen Strukturen im Bereich des Terrorismus beschäftigen müssen, als wir das bisher kannten.

In der Anschlagsplanung gibt es offenbar keine Parteinahme, keine Beschränkung. Es gilt das Prinzip der größtmöglichen Zahl von Opfern – unabhängig von sozialem Stand, Religion oder politischer Haltung.

Angesichts dieser Gefahrenlage wächst das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung. Umfragen belegen, dass es eine große Bereitschaft gibt, Einschränkung von Freiheitsrechten in Kauf zu nehmen, um den Terrorismus bekämpfen zu können. Kolleginnen und Kollegen, gerade vor diesem Hintergrund dürfen wir das große Vertrauen, das die Menschen hier in den Staat und seine Institutionen setzen, nicht missbrauchen oder instrumentalisieren und die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft ohne Not preisgeben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Sorgen sind berechtigt, denn es geht um rechtsstaatlich Wesentliches. Es geht um die Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Grund- und Freiheitsrechte wie Art. 10, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, wie Art. 13, Unverletzlichkeit der Wohnung, oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Natürlich – und dieser Debatte entziehen wir uns als Grüne nicht – geht ein Mehr an Sicherheit zumeist auch zulasten der Freiheit. Aber das einfache Rezept vieler konservativer Politiker – jüngst wieder zu lesen in allen Zeitungen –, dass wir, um mehr Sicherheit zu erreichen, nur den Datenschutz abbauen, dann mal wieder das Bundesverfassungsgericht zur Ordnung rufen – wie im „Spiegel“ getan – oder die Eingriffe des Staates in Grundrechte zu einer Standardmaßnahme der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung machen müssen, kann in einem Rechtsstaat aus unserer Sicht nicht die Antwort auf den Terrorismus sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage aber gleich dazu: Die Antwort kann auch nicht sein, reflexartig jede Videokamera zu verteufeln.

Welche Maßstäbe und Leitlinien brauchen wir also bei der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit?

Erstens. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedeutet ein Übermaßverbot bei Bürgerrechtseingriffen. Wenn sie rechtlich normiert werden, müssen sie zielgerichtet und auf die konkrete Gefahrenlage eingegrenzt sein.

Zweitens. Sicherheitspolitische Eingriffe in Bürgerrechte müssen sich immer und kontinuierlich dem

Wirksamkeitsnachweis stellen und daher befristet sein.

Drittens. Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden müssen kontrolliert werden. Je nach Tiefe des Eingriffs in die Rechte der Bürger muss die Kontrolle auch strengeren Kriterien unterliegen und Verfahrensrechte der Betroffenen sichern. Die Gewaltenteilung ist nicht irgendetwas. Sie ist eine der Säulen unseres Rechtsstaats, bietet dafür die Grundlage und ist Leitplanke der Rechtsstaatlichkeit. Das heißt: parlamentarische Kontrolle und Richtervorbehalte bei den Kompetenzen der Exekutive.

Es sind, meine Damen und Herren, genau diese rechtsstaatlichen Leitlinien, die die Sicherheitsgesetze der rot-grünen Bundes- und Landesregierung aus dem Jahr 2002 gekennzeichnet haben. Ich finde sie im Verfassungsschutzgesetzentwurf der Landesregierung nicht wieder. Dazu werden wir sicher beim nächsten Punkt noch ausführlich diskutieren.

Videoüberwachung ist ein beliebtes Schlagwort. Ich plädiere hier für Differenziertheit statt für ideologische Patentierung als Sicherheitsinstrument. An Bahnhöfen und Flughäfen hat es sich als taugliches Mittel zur Strafverfolgung – und nicht zur Gefahrenabwehr, Herr Kruse; vielleicht sollten wir noch einmal über den Unterschied reden – erwiesen. Die dafür notwendigen gesetzlichen Grundlagen sind durch das Bundesdatenschutzgesetz – wie ich finde – ausreichend normiert und bieten auch der Bahn die Möglichkeit, zielgerichtet Videokameras einzusetzen. In den Zügen allerdings ist, denke ich, vor allen Dingen mehr Personal sicher besser als ein elektronisches Auge geeignet, herrenlose Koffer zu identifizieren. Hier könnte die Landesregierung sehr schnell handeln; denn man kann Geld in die Hand nehmen, um mehr Personal einzustellen.

(Beifall von den GRÜNEN)