Protocol of the Session on August 30, 2006

(Beifall von den GRÜNEN – Ministerpräsi- dent Dr. Jürgen Rüttgers: Das habe ich schon in der Zeitung gelesen!)

Sie wiederholen sich auch gelegentlich. Sie wiederholen sich so häufig, da habe ich noch viel Gelegenheit, das eine oder andere zu wiederholen, was ich für richtig halte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Winnetou, der Häuptling der Apachen, hätte gesagt: Weißer Mann spricht mit gespaltener Zunge. So viel Widerspruch zwischen Wort und Tat, ein so tiefer Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit war selten festzustellen. Zwischen Schein und Sein der Landesregierung liegen Welten. Konrad Adenauer hat ja einmal gesagt: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Bei Ihnen müsste

es heißen: Was schert mich mein Geschwätz von heute?

(Beifall von den GRÜNEN)

Links reden, rechts regieren – das ist Ihr Motto. Das macht der Haushaltsentwurf der Landesregierung für 2007 erneut deutlich. Die Leidtragenden, die Opfer Ihrer Haushaltspolitik sind die Frauen, die Kinder und Jugendlichen, deren Eltern und – sie sind diesmal das Hauptsparschwein der Landesregierung – die Kommunen.

Meine Damen und Herren, dies war ja der Sommer der Lebenslügen. Was für ein Glück, dass nicht nur die der CDU, sondern auch die von Günter Grass durch die Medienlandschaft geisterte. Sonst wäre es für die Union wahrscheinlich noch schlimmer ausgegangen als ohnehin schon. Gewaltige gedankliche Einsichten waren es, die Sie, Herr Rüttgers, hatten. Ich habe mich gefragt, wie es kommt, dass unser Ministerpräsident mit unverkennbar rheinischer Fröhlichkeit, aber auch mit einer Selbstgewissheit, die ihresgleichen sucht, über Lebenslügen seiner eigenen Partei schwadroniert.

Du meine Güte, Herr Rüttgers, was für ein Wort: Lebenslüge. Was heißt das denn? Da lebt einer sein ganzes Leben mit einer Lüge, mit Selbstbetrug also. Und kurz vor dem Ende, bevor er sie mit ins Grab nimmt, gesteht er sie ein, um sein Gewissen, seine Seele frei zu machen. So etwas haben Sie jetzt kollektiv Ihrer eigenen Partei attestiert, für die Sie als Zukunftsminister in der Bundesregierung gearbeitet haben, deren stellvertretender Bundesvorsitzender Sie seit sechs Jahren sind. Was haben Sie da eigentlich die ganzen Jahre gemacht? Oder meinten Sie nur sich selbst?

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn man das ernst nimmt, dann haut es einen um. Herr Rüttgers, ich vermute aber, dass Sie das mit der Lebenslüge eigentlich gar nicht ernst gemeint haben. Das war wohl nur ein Marketinggag. Sicher, ich verstehe das. Wenn Sie gesagt hätten, hört mal alle her in der Union, das mit der Freiheit über alles war ein politischer Irrtum, hätte das keinen interessiert. Angela Merkel, Wulff und Stoiber hätten nicht einmal gezuckt. Das passiert Ihnen in Berlin ja öfter. Das ist natürlich nicht schön, schon gar nicht, wenn man Ministerpräsident des größten Bundeslandes ist. Also musste wohl eine Keule her.

Ich habe mich gefragt, was Sie sonst hätten sagen können. Ich hätte eine Alternative: ideologische Verblendung. Herr Rüttgers, auch das hätte

eingeschlagen wie eine Bombe. Das wäre treffender gewesen; denn von ideologischer Verblendung strotzt es in der CDU nur so. Was ist denn sonst der Grund dafür, dass die CDU den Marktradikalen seit Jahren hinterherläuft und jeden Unfug zur Heilslehre erklärt?

Mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2007 wird die falsche Politik umgesetzt, die Sie, Herr Rüttgers, an Ihrer CDU kritisieren. Herr Ministerpräsident, Sie reden mit gespaltener Zunge.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine und Damen, beim Haushalt 2006 waren die Hauptopfer Ihrer Politik die Kinder und Jugendlichen und ihre Eltern. Passenderweise haben Sie das Jahr, in dem es zwei erfolgreiche Volksinitiativen gegen Ihre Kinder- und Jugendpolitik gab, zum Jahr des Kindes ausgerufen. Auch das eine Art Marketinggag!

Und Sie haben den Umweltschutz rasiert. Die angeblich aufgeblähte Umweltverwaltung wurde drastisch zusammengestrichen. Dabei musste die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage Bärbel Höhn im Nachhinein bescheinigen, dass ihr Haus bei der Modernisierung und Entwicklung von Effizienz ganz vorne lag – hört, hört! –, mit 16,2 % abgebauten Stellen in den Jahren 1995 bis 2005! Warum wurde also die Umweltverwaltung zusammengestrichen? – Ich sage es Ihnen: weil Sie sich an Frau Höhn abarbeiten müssen, statt sich um die Sachen im Umweltbereich zu kümmern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dabei zeigen doch der Gammelfleischskandal, PFT-verseuchtes Trinkwasser, Vogelgrippe und Schweinepest und – wenn ich den Blick etwas öffne – auch die verheerenden Folgen der Klimaerwärmung: Gute Umweltpolitik schützt die Menschen und nützt den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Man kann es nicht oft genug sagen: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. Deswegen ist es absolut kurzsichtig und unverantwortlich, Umweltstandards abzubauen und die Strukturen des öffentlichen Umweltschutzes zu zerschlagen.

Meine Damen und Herren, angesichts wachsender Volkswirtschaften wie China, Indien oder Indonesien kommt es gerade darauf an, mit Innovationsprozessen im Umweltsektor zu wuchern, statt sie zu kappen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und das tun Sie nur, weil es von den Grünen kommt, weil die Grünen hier auch einen immen

sen volkswirtschaftlichen Erfolg angestoßen und entwickelt haben. Welche ideologische Kurzsichtigkeit und Verblendung, ich muss sogar sagen: Blindheit!

Und im Haushalt 2007? – Da hat sich die Landesregierung die Frauen vorgeknöpft. Die Regionalstellen „Frau und Beruf“ werden kurzerhand abgeschafft. Versprochen hatten Sie eine Umstrukturierung.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das meint er da- mit!)

Das Ergebnis: Aktive Beratung für Frauen, die nach der Familienphase zurück in den Beruf wollen, wird es in NRW nicht mehr geben.

(Minister Armin Laschet: Stimmt doch nicht!)

Dabei brauchen wir kaum etwas dringender als eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote in Deutschland.

Im Wissenschaftsetat von Minister Pinkwart wird die Frauenförderung gleich komplett eingestellt. Wir schließen daraus: Ihnen reichen die dank RotGrün mühsam erreichten 12,7 % Professorinnen offensichtlich aus. In manchen Fachbereichen gibt es nach wie vor keine einzige, habe ich diese Woche erfahren. Uns reicht das nicht aus;

(Beifall von den GRÜNEN)

denn das Ziel der Gleichberechtigung ist damit noch lange nicht erreicht, meine Damen und Herren. Offensive Gleichstellungspolitik, faktische Gleichberechtigung – das hat in Ihrer Ideologie immer noch keinen Platz.

In dieser Lage, Herr Dr. Rüttgers, wäre es doch Zeit, Ihr Image aufzupolieren. Vielleicht rufen Sie das kommende Jahr zum Jahr der Frauen aus. Das würde doch zum Jahr des Kindes 2006 mit seinen Volksinitiativen passen. Mittlerweile geht ja bei den Menschen in NRW schon die Angst um: Wenn Rüttgers wieder eine Gruppe zum Schwerpunkt des Jahres wählt, dann geht es denen nämlich garantiert an den Kragen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Laschet, und Ihnen scheint es gar nicht aufzufallen, dass Sie jedes Mal die Scherben zusammenkehren müssen. Es reicht nicht, schöne allgemeine Reden zu halten über Multikultur, die jetzt auch Ihre Partei akzeptiert, und über Frauen und Kinder.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das kann er aber gut!)

Es wird langsam Zeit, dass Sie sich einmal kräftig wehren, damit Sie nicht immer die Scherben zusammenkehren müssen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Allerdings würde zu diesem Haushalt – Frau Kraft hat zu Recht darauf einen Schwerpunkt gelegt – auch eine ganz andere Losung passen: das Jahr der Kommunen. Denn auch sie sind ein besonderes Opfer Ihrer gedankenlosen Kürzungswut.

Der Finanzminister ist jetzt nicht da.

(Minister Dr. Helmut Linssen: Doch!)

Entschuldigung, alles andere hätte mich auch gewundert, denn es zeichnet Sie ja aus, dass Sie ein pflichtbewusster Mensch sind. Herr Finanzminister, Konsolidierung zeichnet sich eigentlich dadurch aus, dass Schulden der öffentlichen Hand insgesamt reduziert werden. Sie stattdessen verschieben die Haushaltslöcher aus dem Landeshaushalt in die Haushalte der Kommunen. Allein 162 Millionen € werden den Kommunen entzogen, weil ihr Anteil am Grunderwerbsteueraufkommen in 2007 auf null gesetzt wird.

Trotz dieser Operation – wir haben das ja eben erlebt – behaupten Sie hier, dass die Kommunen unverändert mit einem Verbundsatz von 23 % am Steuerverbund beteiligt würden. Das wird hier so gesagt, ohne rot zu werden. Herr Minister, diese bodenlose Frechheit werden sich die Kommunen nicht bieten lassen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Auch die CDU- Kommunen nicht!)

Wir werden sie auch dabei unterstützen, dass sie sich das nicht bieten lassen. Insgesamt bekommen unsere Kommunen fast 500 Millionen €, also eine halbe Milliarde, weniger, damit der Landeshaushalt wie ein Sparhaushalt aussieht.

(Minister Dr. Helmut Linssen: 820 Millionen € mehr!)

Sie konsolidieren überhaupt nichts. Sie verschieben bloß die Schulden von einem Konto auf das andere. Das ist linke Tasche – rechte Tasche. Sie sind ein Jahr an der Regierung, und Sie haben schon keine Ideen mehr. Das sind nur noch ziemlich dreiste Versuche, mit Taschenspielertricks über die Runden zu kommen. Von nachhaltiger Haushaltspolitik keine Spur, Schein und Sein der Landesregierung.

Herr Ministerpräsident, Sie reden mit gespaltener Zunge. Das ist und bleibt das Makelzeichen der schwarz-gelben Koalition. Das will ich an fünf Punkten weiter deutlich machen.

Erstens. Der Schein ist sozial. Das Sein ist marktradikal. Erinnern Sie sich! In Ihrer Regierungserklärung – das ist gerade einmal ein Jahr her – haben Sie gesagt, Sie wollten „Freiheit vor Gleichheit“, Sie wollten „privat vor Staat“. Damals haben Sie den Marktradikalen das Wort geredet, zur besonderen Freude der „Mir ist es doch egal, wie du klarkommst“-Liberalen an Ihrer Koalitionsseite. Und nun, ein Jahr danach, zaubern Sie im Sommertheater das Sozialkaninchen aus dem Hut, dass es den FDP-Kollegen ganz schwindelig wird. Kein Wunder, dass Herr Pinkwart Sie lobt, während Herr Papke drauflosdrischt, was das Zeug hält.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Also wie immer!)

Wie immer, genau. Die – ich betone das – verbale Wende war dermaßen scharf, Herr Ministerpräsident, da musste der Flottenverband ja aus der Kurve fliegen. Vielleicht geben Sie Herrn Papke doch einmal Ihre Handynummer oder vielleicht wenigstens die von Herrn Berger.

(Beifall von den GRÜNEN)