Protocol of the Session on February 1, 2006

Die Sitzung ist eröffnet.

Meine Damen und Herren! Wir trauern um Johannes Rau. Ich möchte Sie bitten, sich zu einem Gebet von Ihren Plätzen zu erheben.

Präses Nikolaus Schneider: Im Gebet wenden sich Menschen des Glaubens an Gott. Menschen, die diesen Glauben nicht teilen, hören und denken gemäß ihrer Überzeugungen mit, wenn wir nun beten.

Du, unser Gott, wir denken vor dir an den verstorbenen Ministerpräsidenten unseres Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau.

Wir danken dir für einen Menschen, der sich voller Leidenschaft dafür einsetzte, dass diese Welt ein besserer Lebensort für die Menschen sein soll, der Versöhnung lebte und Spaltungen überwinden half, der Freude am Leben verbreitete und ein zuverlässiger, treuer Freund, Vertrauter und Begleiter war.

Wir bitten dich: Lass ihn nun schauen, was er geglaubt hat, halte ihn mit deiner Hand und führe ihn zum ewigen Leben. Hilf uns, sein Andenken zu bewahren über alle Grenzen hinweg. Und schenke uns Kraft und Zuversicht, die Welt und das Leben so zu gestalten, dass Menschen in gerechtem Frieden leben können. Amen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gemeinsam trauern wir um Johannes Rau. In unseren Gedanken sind wir bei seiner Frau Christina und seinen Kindern Anna, Philip und Laura.

Ich habe der Familie unser Mitgefühl ausgesprochen.

Erst vor gut zwei Wochen habe ich Johannes Rau zu seinem 75. Geburtstag gratuliert. Im Namen dieses Hauses hatte ich ihn eingeladen, an den Feierlichkeiten anlässlich des 60-jährigen Jubiläums von Land und Landtag teilzunehmen.

Doch das Schicksal hat es anders gewollt. Heute müssen wir diesen herausragenden Politiker und Staatsmann in Verbindung mit seinem plötzlichen Tod würdigen. Dies erfüllt uns mit tiefer Traurigkeit.

Wir trauern in ganz Deutschland, aber insbesondere in Nordrhein-Westfalen, dem Land, das Johannes Rau wie kein Zweiter geprägt hat.

Über 40 Jahre war er Mitglied dieses Landtags, damit dienstältester Landtagsabgeordneter überhaupt, immer direkt gewählt in seinem Wuppertaler Wahlkreis, ein Parlamentarier par excellence.

Über Jahrzehnte hat er die Debattenkultur in diesem Haus maßgeblich mitbestimmt. Und er blieb, egal welches Amt er bekleidete, ein wirklicher Kollege, der alle Abgeordneten mit Namen kannte und von jedem auch Persönliches wusste. Das hat mich immer sehr beeindruckt.

Sein Talent und sein politisches Potenzial hatte die SPD-Fraktion früh erkannt. Schon nach kurzer Zugehörigkeit zum Parlament wählte sie ihn mit gerade 36 Jahren zu ihrem Vorsitzenden. Zuvor leitete er bereits den Jugend- und auch den Kulturausschuss.

Es folgte der Eintritt ins Kabinett Kühn als Minister für Wissenschaft und Forschung. 1978 wurde Johannes Rau vom Landtag zum Ministerpräsidenten unseres Landes gewählt.

In diesem Amt wuchs er immer stärker in die Rolle eines Landesvaters, dem die Anliegen der Menschen im Rheinland, in Westfalen und in Lippe nah waren und die ihm deshalb vertrauten.

Zwei Jahrzehnte regierte Johannes Rau dieses Land. Die Spuren, die er hinterlassen hat, sind tief und unübersehbar: die Bildung für breite Schichten durch neue Hochschulen ermöglichen, den Strukturwandel an Rhein und Ruhr ohne soziale Verwerfungen bewältigen und ein Wir-Gefühl schaffen, das den Zusammenhalt in der Gesellschaft gewährleistet. Das waren die drei Hauptthemen, die Johannes Rau in seinem letzten Interview zum 75. Geburtstag noch einmal benannte.

Gemäß seinem Motto „Versöhnen statt Spalten“ führte er die Menschen zusammen, auch die anderer Herkunft und unterschiedlichen Glaubens. Diese persönliche Integrationsleistung ist nicht hoch genug zu bewerten. Er ist uns ein Vorbild für Toleranz und Menschlichkeit.

Mich hat es deshalb nicht verwundert, dass sich seit dem letzten Wochenende schon weit über tausend Bürgerinnen und Bürger in die Kondolenzbücher des Landtages eingetragen haben. Mit Widmungen haben sie ihre Trauer und ihre persönliche Verbundenheit mit dem Verstorbenen zum Ausdruck gebracht.

Als Bundespräsident hat Johannes Rau dieses Wirken im höchsten Staatsamt der Bundesrepublik Deutschland fortgeführt. Er verstand sich dabei durchaus als politischer Präsident mit hohem ethischem Anspruch. Hier lautete sein Motto: „Wer Anstöße geben will, muss auch Anstoß erregen.“

Missstände in der Wirtschaft zulasten der kleinen Leute prangerte er ebenso an wie die Freigabe gentechnischer Manipulationen an menschlichen Embryonen. Der Vorrang der Menschenwürde vor dem wirtschaftlichen Nutzen stand für ihn außer Frage. Seine mahnende Stimme war dabei mitentscheidend für die weiteren politischen Beratungen.

Zu seinen großen Leistungen gehört auch der Ausbau der deutsch-israelischen Beziehungen. Johannes Rau war ein Freund Israels.

Avi Primor, ehemals israelischer Botschafter in Deutschland und mehrfach Gast dieses Hauses, hat Recht, wenn er anlässlich des Todes von Johannes Rau sagt:

„Viele haben Richtiges gesagt zur deutschen Vergangenheit und zu den deutsch-israelischen Beziehungen. Aber bei ihm hatte man den Eindruck, er sagt nicht nur, was als politisch korrekt gilt, sondern spricht aus dem Herzen.“

Und Avi Primor fügte hinzu:

„Er war echt.“

Auch in viele andere Länder, insbesondere nach Polen, hat Johannes Rau neue Brücken gebaut, die in Zukunft tragfähig sind.

Johannes Rau gehörte zu den Menschen, für die der Glaube das Fundament ihres politischen Handelns ist. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, hat ihn als einen zutiefst ökumenisch eingestellten evangelischen Christen gewürdigt. Seine Bibelfestigkeit galt dabei als besonderes Markenzeichen.

Selbst in heftigster Debatte verletzte er niemals. Er verstand es, mit Humor und feinsinniger Ironie Parteifreunde wie die politische Gegenseite einzubinden. Dabei war es nahezu unnachahmlich, wie er festgefahrene Situationen mit Anekdoten und Pointen wieder gängig machte und zum Erfolg führte.

Lassen Sie mich abschließend den Verstorbenen noch einmal zu Wort kommen – so, wie wir ihn kannten und wie wir ihn in Erinnerung behalten werden –:

„Das Ideal meiner Politik ist es,“

so Johannes Rau im Jahre 1985 –

„das Leben der Menschen im Laufe der Jahre ein Stück menschlicher zu machen.“

Und als er 1993 gefragt wurde, was er gerne hätte, das ihm nachgerühmt werde, antwortete er:

„Er mochte die Menschen, und er hat Liebe zurückzugeben versucht.“

Beides ist ihm in beeindruckender Weise gelungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Johannes Rau hätte gerne noch gelebt. Er wollte noch Bücher schreiben. Er wollte seine Kinder auf ihrem weiteren Weg ins Leben begleiten. Er hat gekämpft um seine Gesundheit.

Er ist gestorben, so wie die meisten Menschen es sich wünschen: friedlich, zu Hause, umsorgt von seiner Familie. Er ist gestorben im tiefen Glauben an die Auferstehung und an das Leben nach dem Tode.

So empfehlen wir ihn in Gottes Ewigkeit, und so ist er uns auch weiter nah.

Als er im Frühjahr 1999 seine 923. und letzte Parlamentsrede in diesem Haus hielt, sagte er:

„Ich nehme Abschied, aber ein Stück von mir bleibt zurück.“

So wird es sein.

Wir verneigen uns in Dankbarkeit und werden Johannes Rau ein ehrendes Gedenken bewahren.

Ich darf Sie bitten, sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen zu erheben. – Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, voraussichtlich am Freitag, 17. Februar, wird das Land nach Absprache mit seiner Familie Johannes Rau in einem Staatsakt gedenken.

Ich möchte Sie noch auf die Gelegenheit hinweisen, sich in das Kondolenzbuch des Landtags einzutragen. Es liegt in der Wandelhalle bereit. – Danke schön.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 10:18 Uhr bis 10:38 Uhr)

Die Sitzung ist wieder eröffnet.

Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 19. Sitzung des