Doch welche Zukunft werden die Rüttgersschen Restschulen haben? So viele Möglichkeiten gibt es da leider nicht. Entweder finden sich in der Umgebung der Schulen weiterhin ausreichend Kinder, deren Eltern ihre Kinder nicht durch die halbe Gemeinde fahren können oder wollen. Dann überleben diese Schulen zwar, aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Kinder hier nicht ansatzweise die gleichen Startchancen haben werden wie an den Schulen mit guter sozialer
Durchmischung – trotz all des Geldes, das Sie angeblich dort investieren wollen. Allerdings steht von der versprochenen finanziellen Sonderförderung solcher Schulen natürlich nichts in Ihren Eckpunkten. Da hat wohl der Finanzminister Korrektur gelesen.
Oder aber die Anmeldezahlen dieser Problemschulen entwickeln sich gleich so negativ, dass den Kommunen schon aufgrund ihrer finanziellen Situation nichts anderes übrig bleiben wird, als diese Standorte zu schließen. Doch die Kinder, die bislang dort unterrichtet wurden, bleiben dann ja nicht zu Hause. Nein, sie werden einfach die nächstgelegene Schule besuchen, und das ursprüngliche Problem wird nur um einige Kilometer weiter verlagert.
Aber werfen wir auch einen Blick auf die Gewinnerschulen, also auf die Grundschulstandorte, die einen vermeintlich guten Ruf genießen. Diese Schulen werden sicherlich hohe Anmeldezahlen haben. Sie sagen jetzt natürlich, dass die Wahl einer anderen Schule nur im Rahmen einer bestehenden Aufnahmekapazität möglich sein soll. Rein rechtlich mag das auch so sein. In der Praxis aber wird der Schulträger auf Dauer dem Druck der Eltern nachgeben und kostspielig zusätzlichen Schulraum an der einen Stelle neu errichten, während an der anderen Stelle durch Ihre Politik Schulraum leer stehen wird.
Den gleichen Irrsinn planen Sie übrigens auch bei den Berufskollegs. Auch deren Einzugsbezirke wollen Sie ja streichen.
Genau das wissen die Kreise, Kommunen und ihre Verbände. Genau deswegen laufen sie auch Sturm gegen Ihre unsoziale und unvernünftige Politik. Hören Sie ihnen doch einmal zu! Oder legen Sie auf ihre Meinung – die Ihnen in Ihrer Oppositionszeit doch immer so wichtig war – auf einmal keinen Wert mehr?
Wäre Ihnen ernsthaft an kommunaler Selbstverwaltung gelegen, dann würden Sie die Abschaffung der Schulbezirke zumindest in die Verantwortung der Schulträger legen. Folgen Sie da doch dem Städtetag und dem Städte- und Gemeindebund! Hören Sie auf die CDU-Vertreter vor Ort! Oder haben Sie in einer Koalition mit dieser FDP so viel Freiheit nicht?
Nicht genug der Gängelei – auch bei der Besetzung der Schulleiterstellen beschneiden Sie die Rechte der Kommunen. Hier soll nämlich künftig die Schulkonferenz berufen sein, allerdings natürlich ohne minderjährige Schülervertreter. Die sind da mal wieder raus.
Hören Sie einmal zu, Herr Witzel! Gerade für Sie ist das jetzt wichtig. Mit Verlaub: Das ist schon einzigartig, dass es ein Unternehmen geben soll, in dem sich Mitarbeiter den Chef selber wählen. Da steigen doch selbst dem wildesten Alt-68er die Tränen der Rührung in die Augen.
Letztlich wird mit diesem Schritt aber den Kommunen ein wichtiges Detail kommunaler Selbstverwaltung ersatzlos gestrichen. Denn das Vetorecht, das Sie ihnen einräumen wollen, dürfte in der Praxis vermutlich genauso funktionieren wie die Geld-zurück-Garantie bei Ihren Studiengebühren, nämlich gar nicht.
Ihre untauglichen schulpolitischen Reformmaßnahmen gehen voll zulasten der Kommunen, beschneiden wesentliche Rechte der Städte und Gemeinden und sind in sich widersprüchlich. Ich bin einmal gespannt, wie viele Kommunen von der Option Gebrauch machen werden, die Einzugsbezirke schon vor 2008 zu streichen. Mein Tipp: Das wird eine sehr übersichtliche Veranstaltung.
Da bleibt für mich nur festzustellen: Sie konnten es nie. Sie können es nicht. Ich hoffe im Interesse des Landes, Sie lernen es bald. Anders wär’ nämlich schlecht. – Danke schön.
Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Aktuelle Stunde.
Hier ist keine weitere Wortmeldung angekommen, sorry. Ist sich die CDU klar darüber, ob sie noch reden will? – Sie will nicht. Der Fraktionsvorsitzende hat den Kopf geschüttelt. Klären Sie das bitte unter sich!
EU-Dienstleistungsrichtlinie: Abwärtsspirale bei Sozial-, Verbraucher- und Umweltstandards verhindern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Europäische Rat hat auf seiner Regierungskonferenz 2000 bekanntlich beschlossen, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen.
Neben den Binnenmarkt für Waren sollte der Binnenmarkt für Dienstleistungen treten. Die EUKommission erhielt den Auftrag, dazu einen Richtlinienentwurf vorzulegen. Das war 2004 der Fall.
Die vom damaligen Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein vorgelegte Richtlinie sorgte europaweit für große Unruhe, vor allem wegen des auf breiter Basis angewandten Herkunftslandprinzips. Dieses besagt, dass ein Dienstleistungserbringer einzig den Rechtsvorschriften des Landes unterliegt, in dem er niedergelassen ist. So sollte eine Dienstleistung, die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den dort geltenden Vorschriften erbracht wird, ohne weitere Formalitäten auch in allen übrigen Mitgliedstaaten erbracht werden.
Die Dienste von allgemeinem Interesse und von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse waren in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen, damit unsere kommunale Daseinsvorsorge. Weitere sensible Bereiche wie die Gesundheits- und Sozialdienste waren ebenfalls enthalten. Mir ist kein Richtlinienvorschlag bekannt, der auf solch breiter Basis höchst umstritten war.
Unsere Kritik war von Anfang an: Die absolute Dominanz des Herkunftslandprinzips würde zu einer Verdrängung von Vorschriften der Staaten mit höheren Standards führen, in denen die Dienstleistung erbracht wird. Zudem beschränkte es die Möglichkeit eines Mitgliedstaates, gegen einen in
einem anderen Staat niedergelassenen Dienstleiter vorzugehen, der auf seinem Hoheitsgebiet Dienstleistungen erbringt.
Der Bundesrat hatte deutlich gemacht, dass die im Richtlinienvorschlag enthaltenen Regelungen über das Herkunftslandprinzip von der Regelungskompetenz der Gemeinschaft nicht gedeckt sind, weil sie über eine Koordinierung der nationalen Bestimmungen hinausgehen.
Die Bolkestein-Richtlinie konzentrierte sich allein auf die Herstellung eines wirtschaftlich funktionierenden Binnenmarktes für Dienstleistungen und ließ gleichwertige Ziele, zum Beispiel ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards, wie sie in Art. 2 des EG-Vertrages und auch in der neuen EU-Verfassung verankert sind, außer Acht. Denn der gleichzeitige Verzicht auf Harmonisierung, den die Kommission auf anderen Gebieten, zum Beispiel dem Finanz- und Kreditwesen, für erforderlich hält, führt zu einem Wettbewerb ungleicher Sicherungssysteme, der die bisher in vielen Mitgliedstaaten vorhandenen Normen und Standards für Qualität und Transparenz im Dienstleistungsbereich bedroht.
Werfen wir einen Blick auf die Dienstleistungsbranche in NRW! Zweifellos ist diese Branche für die Produktion, Wertschöpfung und Beschäftigung unserer Volkswirtschaft von großer Bedeutung. Mehr als 50 % des nordrhein-westfälischen Inlandsprodukts entfallen auf nicht vom Staat erbrachte Dienstleistungen. Rund zwei Drittel der Beschäftigten arbeiten in Unternehmen dieser Branchen, denen mehr als vier Fünftel der Unternehmerinnen und Unternehmer zuzurechnen sind. Andererseits hat die Dienstleistungswirtschaft heute einen Anteil von gerade einmal 14 % der Exporte.
Welche Folgen und welche Chancen hätte der „Binnenmarkt Dienstleistung“ für unser Land und für unsere Wirtschaft? Solche, wie die BolkesteinRichtlinie sie vorsah? Das trieb alle Fraktionen des Landtages um, mit Ausnahme der FDPFraktion.
Kritisiert wurde an dem Bolkestein-Vorstoß auch, dass, wie schon bei Reach, keine vorherige Folgenabschätzung vorgenommen worden war. Das schnell von der Kommission beauftragte dänische Institut „Copenhagen Economics“ hatte die Daten von 275.000 überwiegend mittelständischen Unternehmen in Europa zugrunde gelegt.
Die im Januar 2005 von der Kommission vorgelegte Studie pries zwar beträchtliche Wachstumsimpulse ohne signifikante Verlagerungen von Ar
beitsplätzen an und warb mit einem überproportionalen Erfolg gerade für Deutschland. Sie blendete aber ganze Bereiche aus der Untersuchung aus, zum Beispiel den Gesundheits- und den Baubereich – mithin eine nicht sehr aussagekräftige Studie.
Daher unterstützten wir die alte Landesregierung in ihrem Bemühen, ein ähnliches Planspiel wie bei Reach gerade für die kleinen und mittelständischen Chemieunternehmen in Nordrhein-Westfalen aufzulegen – mit dem sie, wie wir alle wissen, einen sehr erfolgreichen proaktiven Ansatz gefahren hat –, eine solche Folgenabschätzung der Dienstleistungsrichtlinie auf die kleinen und mittelständischen Dienstleistungsunternehmen in NRW in Auftrag zu geben.
Die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer stellte im Februar 2005 ihre Ergebnisse in einem Expertenworkshop vor, wobei die Wissenschaftler und Experten viele Fragen aufgrund der Kürze der Untersuchungszeit, aber auch der Komplexität der Aufgabenstellung nicht eindeutig beantworten konnten und viele neue Fragen aufwarfen, sodass mögliche Folgen im Nebel blieben.
Evelyne Gebhardt, die zuständige Berichterstatterin im Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments, legte Ende 2004 ihr erstes Arbeitsdokument vor, in dem sie das Herkunftslandprinzip infrage stellte und sich auch sonst kritisch mit dem Vorschlag der Kommission auseinander setzte.
Nun, nach vielen Monaten, hat der Binnenmarktausschuss als federführender Ausschuss vor drei Wochen den Bericht mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen abgestimmt. Wie sieht nun der abgestimmte Vorschlag aus? Hat er zur Entschärfung beigetragen und neue Fragen aufgeworfen?
Prinzipiell ist eines festzustellen: Der ursprüngliche Vorschlag ist zwar entschärft worden, aber nach wie vor ist das Herkunftslandprinzip das Grundprinzip der Richtlinie. Es gilt für die Zulassung zum Markt und für die Dienstleistungserbringung, auch wenn es aIs „Recht, Leistungen zu erbringen“, bezeichnet wird.
Ausgenommen vom Herkunftslandprinzip sind Postdienste, Finanzdienstleistungen, Verkehrsdienstleistungen und Dienstleistungen im audiovisuellen Bereich – soweit sie durch andere Gemeinschaftsrechtsakte gestützt sind – und das Steuerwesen. Auch Gesundheitsdienstleistungen von Kliniken, Ärzten und der Gesamtheit der Gesundheitsberufe sind von der Richtlinie ebenso wenig betroffen wie Dienstleistungen von Rechtsanwälten – immer mit dem Zusatz: sofern sie von
anderen Gemeinschaftsinstrumenten geregelt werden – und auch Berufe und Tätigkeiten, die an der Ausübung der Staatsgewalt mitwirken.