Protocol of the Session on December 17, 2009

Jetzt kommen wir zum ASMK-Beschluss vom Montag: Ich verstehe, dass Sie sich darauf beziehen, weil ich vermute, dass Sie das mitformuliert haben: In Punkt 4 steht weiterhin, dass in Bezug auf eine Verfassungsänderung weiterhin Gesprächs- und Kompromissbereitschaft vorhanden ist. Wenn das auf der dritten Seite in den letzten drei Zeilen steht, aber zweieinhalb Seiten davor ausgeklügelt im Konjunktiv genau das Gegenteil beschrieben wird, glaubt in dieser Republik doch kein Mensch mehr, dass Sie bezüglich dieser Verfassungsänderung, der Gesprächs- und Kompromissbereitschaft auch nur noch ein Deut etwas gegenüber Frau Merkel und Frau von der Leyen erreicht werden kann.

Vor zwei Wochen habe ich es schon betont und betone es heute wieder: Für Frau von der Leyen steht der Koalitionsvertrag auf der gleichen Ebene wie das Grundgesetz. So wie sie es immer wieder darlegt – behaupte ich – geht der Koalitionsvertrag sogar vor das Grundgesetz. Sie ist stolz darauf, dass sie die Linie beibehält und nicht kompromissbereit ist, wie sie es immer wiederholt. Ich hoffe, Herr Laumann, Sie haben den Mut, ihr an der Stelle Paroli zu bieten.

Zweieinhalb Seiten vorher wird der Ausstieg aufgezeigt, und dann heißt es am Anfang – Herr Brakelmann, das haben Sie falsch zitiert ; ich sehe Ihnen das nach –, die ASMK habe den Eckpunkten nicht zugestimmt, sondern sie haben gesagt, es sei ein diskussionswürdiger Ansatz. Das hatten Sie eben anders gesagt.

(Zuruf von Peter Brakelmann [CDU])

Wenn die Länderminister hinter vorgehaltener Hand – man hört sie schon wieder auch auf den Fluren ihrer eigenen ASMK – sagen, das Eckpunktepapier sei Mist, frage ich: Warum haben die 16 Länder nicht das Kreuz, das auch Frau von der Leyen zu sagen? Wir wissen, dass das Eckpunktepapier Mist ist und die getrennte Aufgabenwahrnehmung den Kommunen, den Leistungsempfängern und den Beschäftigten in den Argen schadet. Außerdem hat Ihnen das Professor Wieland auch in das Gutachten geschrieben, das an der Stelle klar sagt, dass das Eckpunktepapier klar verfassungswidrig ist.

Die getrennte Aufgabenwahrnehmung ist rechtlich klar und für die Betroffenen transparent zu regeln, steht in Ihrem ASMK-Beschluss. Wie denn? Über die Freiwilligkeit? – Es bleibt bei der getrennten Aufgabenwahrnehmung oder bliebe dabei unter einem Dach. Und „unter einem Dach“ ist auch noch fragwürdig, deutet doch die BA in einigen Landkreisen schon an, die Jobcenter im Einzelnen – wie zum Beispiel bei mir im Kreis Unna – seien nicht aufrechtzuerhalten. Dann haben wir die getrennte Aufgabenwahrnehmung unter getrennten Dächern. Das hat mit Abstand überhaupt nichts mit Leistung aus einer Hand zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Beschäftigtensicherung durch die Angebote der BA erzeugt nichts anderes als ein Lachen in den Argen bei den kommunalen Beschäftigten. Ich habe noch von keiner Stadt gehört – und ich habe seit Montag mit vielen geredet –, wo irgendjemand auch nur ansatzweise gesagt hat: Das mag ja ein gutes Angebot sein; ich überlege mir das mal. Das Gegenteil ist der Fall. Der Tenor geht eindeutig dahin: Annahme gen Null. Vielleicht auch deshalb, weil die FDP letztendlich immer für die Abschaffung der BA gewesen ist.

Die Mehrkosten sind vom Bund zu tragen, steht in diesem Papier. Das höre ich gerne. Das lese ich auch gerne. Ich frage mich nur, ob Sie auch mit Herrn Schäuble schon darüber gesprochen haben. Denn spätestens, wenn er gerechnet hat, wird er Ihnen einen großen Strich durch die Rechnung machen, und letztendlich werden die Kosten – wenn es dann so weit kommt – bei den Kommunen verbleiben.

Dann kommt der Punkt, warum die Kommunen, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, gesagt haben, wir wollen optieren. Weil sie auch nicht ansatzweise auf gleicher Augenhöhe Einfluss auf die

Arbeits- und Sozialpolitik in ihren Kommunen, in ihren Regionen nehmen können.

Dann steht in dem ASMK-Beschluss: Es müssen Spielräume ausgeschöpft werden, und es muss Mitwirkungsmöglichkeiten geben. Herr Minister Laumann, es ist ja schön formuliert. Aber wenn es um die Zukunft von Langzeitarbeitslosen geht, wenn es um die Zukunft, die Perspektiven und um die Existenz der Menschen geht, die zur Arge müssen, dann geht es hier nicht um Spielräume und Mitwirkungsmöglichkeiten, sondern es geht um verbindliche Mitgestaltung der Kommunen bei der Arbeits- und Sozialpolitik in ihren Städten, und zwar auf gleicher Augenhöhe. Es ist schon ziemlich hämisch, wenn man dann von Spielräumen spricht. Die Spielräume sind nämlich nicht da. Mitwirkung hat nichts mit tatsächlicher Mitsprache zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Unabhängig von den Punkten, die Kollegin Steffens beim Thema IT-System angesprochen hat, ist es schon merkwürdig und auch traurig, dass so etwas formuliert wird, dass die BA den städtischen Bediensteten Leserechte einräumt. Ja, wo sind wir denn? Wir sind doch hier nicht in der Stadtbibliothek, wo der städtische Verwaltungsbedienstete zur BA hinübergehen kann und sagt: Darf ich mal bitte auf deinen Bildschirm schauen; ich habe ein Leserecht.

Hier geht es tatsächlich darum, in den Verwaltungen menschliche Existenzen zu sichern. Die Kommunen werden nicht darum herumkommen, eigene IT-Systeme in Hard- und Software zu haben. Herr Schäuble wird sich bedanken, wenn Sie dann sagen, der Bund hat die zu bezahlen. Er wird es nämlich nicht tun. Es ist schon lächerlich. Zumindest haben Sie den Punkt angesprochen, aber haben nicht damit gerechnet, was Sie damit auslösen.

Es ist mittlerweile – nach diesem Beschluss – kein Geheimnis mehr, dass die Koalitionsräson vor den Interessen von Kommunen, Beschäftigten und bundesweit rund 7 Millionen Leistungsempfängern geht. Sie, Herr Minister Laumann, wissen, dass ich recht habe. Sie teilen alle inhaltlichen und fachlichen Punkte mit Kollegin Steffens und mit mir, weil Sie sie oft angesprochen haben, weil Sie sie oft verschriftlicht haben, weil Sie dazu oft Interviews gegeben haben, weil Sie hier im Parlament auch oft genau in dem Sinne gesprochen haben und weil Sie natürlich auch stolz sind auf Ihre Handschrift in dem Kompromiss von Februar und auf Ihre Handschrift in dem ASMK-Beschluss von November. Von daher glaube ich nicht, dass Sie sich weiter verbiegen werden und können.

Sie wissen, dass sich mit diesem katastrophalen Szenario der getrennten Aufgabenwahrnehmung auch Herr Rüttgers innerparteilich nicht hat durch

setzen können und Herr Rüttgers sich letztendlich, wenn dieser ASMK-Beschluss so umgesetzt wird, gemeinsam mit Ihnen und der CDU ganz deutlich vom überparteilichen damaligen Konsens der Reform verabschiedet.

Wenn das passiert, dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die SGB-II-Reform nicht mehr die damaligen überparteilich getroffenen Reformen sind, sondern dann sprechen wir von der Merkel/Westerwelle-Reformwelle, die wir dort haben, gegebenenfalls auch unter Assistenz von Rüttgers und Laumann,

(Beifall von der SPD)

und dies alles – die Wiederholung muss sein – zulasten der Menschen, der Kommunen und der Beschäftigten.

Wenn die Eckpunkte konkretisiert in einem Gesetzentwurf formuliert werden, dann sprechen wir von Ende März. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ende März beginnt bei uns die sitzungsfreie Zeit, weil wir Wahlkampf bis zum 9. Mai haben.

Dann wird Frau von der Leyen keinen Zweifel daran lassen, wie sie es immer wieder gesagt hat, dass sie es zu dieser getrennten Aufgabenwahrnehmung kommen lässt. Dann passiert nichts anderes, als dass die Jobcenter zu Dienststellen der BA, der Bundesagentur, degradiert werden und sie – wie Kollegin Watermann-Krass eben schon im Zwischenruf mitgeteilt hat – reine Zahlstellen bei der SGB-II-Diskussion werden.

Dass es so ist, dass die Kommunen nun Beauftragte der BA werden und dann zum Schwarzen Peter dieser Bundesregierung abgestempelt werden, haben Sie am 20. November in Ihrem Interview in der „Aachener Zeitung“ bestätigt. Sie sind – wie Ihre anderen B-Länder-Kollegen – von Frau von der Leyen im Vorfeld der Montagssitzung eingenordet und dazu verpflichtet worden, koalitionstreu zu sein.

Sie stellen die Koalitionsinteressen in Berlin deutlich vor die Landesinteressen. Weil das so ist, hat die B-Seite auch die Aufnahme dieses wichtigen Punktes der Neuorganisation in die Tagesordnung der gestrigen Ministerpräsidentenkonferenz abgelehnt. Denn wie hätte sich Herr Rüttgers dort auch geben sollen: als Ministerpräsident, der sich für die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung einsetzt, oder als CDU-Vize von Frau Merkel, der der Koalitionsräson unterworfen ist?

Ich komme zum Schluss. – Hier in NordrheinWestfalen sind die Kommunen deutlich orientierungslos. Sie haben die Pflichtaufgabe nach Weisung eingeführt, Herr Minister Laumann. Was sagen Sie jetzt den verunsicherten Kommunen, bzw. wie nehmen Sie an dieser Stelle Ihre Pflichtaufgabe nach Weisungsrecht wahr? Das müssen Sie dem Haus noch einmal erklären.

Ich würde mich freuen, wenn die CDUBundestagsfraktion über ihre Schiene, über Herrn Schiewerling, der sich auch schon geäußert hat, jetzt endlich den Einfluss nimmt, den NordrheinWestfalen dort braucht. Den Einfluss haben Sie bisher vermissen lassen. Herr Rüttgers hat sich dort einbuckeln lassen müssen. Sie haben sich nicht durchgesetzt. Setzen Sie sich endlich durch. Sie bekommen ja vielleicht ein bisschen Rückendeckung; Sie können sie gebrauchen.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Als nächster Redner hat für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Dr. Romberg das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmeltzer hat hier wieder ein Schreckensszenario aufgebaut, das in der Wirklichkeit nicht existiert. Hintergrund ist einfach nur, dass die Bundesregierung jetzt einem Konzept nachgeht, im Rahmen der Verfassung eine Lösung zu suchen, die der letzte Bundesarbeitsminister, den die SPD gestellt hat, über viele Monate nicht hinbekommen hat. So einfach ist das.

(Frank Sichau [SPD]: Warum denn wohl nicht? – Gerda Kieninger [SPD]: Warum denn nicht? Das ist ein Witz!)

Mit dem Eckpunktepapier, das derzeit zur Diskussion steht, beabsichtigt die neue Bundesarbeitsministerin von der Leyen, das Prinzip der Zusammenarbeit auf die freiwillige Kooperation zwischen Kommunen und der Bundesagentur zu übertragen. Wichtig sei, dass die Betroffenen nicht von Pontius zu Pilatus laufen müssten, um ihre Leistungen zu beantragen. Das halten wir im Ansatz für sehr vernünftig, wenn wir wollen, dass Beratung und Betreuung möglichst bürgernah erfolgen.

Deshalb können wir der Bewertung des überwiegenden Teils der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zustimmen, die das Papier für eine gute Grundlage hält. Selbstverständlich liegt es auch in unserem Interesse, dass die Kommunen und deren Kompetenz auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen; denn wie allgemein bekannt ist, haben wir Liberalen uns im Zusammenhang mit der Betreuung von Langzeitarbeitslosen seit jeher im besonderen für das Optionsmodell ausgesprochen.

Der Hintergrund des Modells besteht darin, dass die Kommunen den örtlichen Arbeitsmarkt sehr genau kennen und daher zwischen den Arbeitgebern und den arbeitsuchenden Bürgern zielgenau vermitteln können. Außerdem sind die Kontakte zu den sozialen Einrichtungen und Diensten vor Ort eng genug, um die richtigen Ansprechpartner für die jeweiligen Bedarfe zu erkennen. Aus diesem

Grund ist die im Koalitionsvertrag vereinbarte Entfristung der Optionskommunen eine wichtige Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Betreuung der Betroffenen.

Die Herausforderung bezüglich der Neuordnung der Jobcenter wird nunmehr darin bestehen, diese so zu organisieren, dass keine unnötigen Doppelstrukturen entstehen. Vor diesem Hintergrund wird der Ausgestaltung des Mustervertrags sicher eine zentrale Bedeutung zukommen.

Wir hätten auch nichts dagegen, wenn mehr Kommunen dieses Optionsmodell übernehmen könnten; ein solches Signal kam ja am letzten Montag von der Sozial- und Arbeitsministerkonferenz. Es wäre in unserem Sinne, diese Möglichkeit genau zu prüfen. Die Zielsetzung einer bürgerfreundlichen und möglichst verfassungsfesten Lösung ist gleichfalls zu unterstreichen. Die Bürger sollen durch mehr Transparenz in die Lage versetzt werde, das relativ komplexe Leistungsgeschehen nachvollziehen zu können. Auch eine Benachteiligung der kommunalen Seite soll laut Beschluss der Minister ausgeschlossen werden. Darüber besteht Einigkeit.

(Frank Sichau [SPD]: In der Theorie!)

An dieser Stelle möchte ich noch einige Worte an die SPD-Fraktion richten. Sie haben diese Woche Ministerpräsident Rüttgers und Minister Laumann vorgeworfen, nicht mehr zu den ursprünglichen Plänen zu stehen und sich gegen die Interessen von Millionen von Hartz IV-Empfängern zu stellen.

Herr Kollege Dr. Romberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich würde meine Rede sehr gerne fortsetzen.

Erst einmal möchte ich sagen, dass ich den Begriff „ALG-II-Bezieher“ vorziehe, denn der Begriff „Hartz“ hat doch inzwischen einen höchst stigmatisierten Beigeschmack.

(Frank Sichau [SPD]: Wie der Begriff „Wüst“!)

Diesen Begriff hat übrigens auch der Vorsitzende des Arbeitsausschusses, Garbrecht, häufiger angemahnt. Daran könnten Sie sich ein Beispiel nehmen.

Außerdem fände ich es gut, wenn Sie sich dort ein bisschen zurückhalten würden. Wir hätten uns eben nicht seit vielen Monaten damit befassen müssen, wenn Ihre Kollegen in der rot-grünen Bundesregierung seinerzeit sorgfältiger gearbeitet hätten.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Tullux!)

Wer hat denn dieses Konstrukt der Mischverwaltung geschaffen? Das war doch eine Niederlage vor dem Verfassungsgericht. Dann muss man auch

dazu stehen, dass die Arbeit handwerklich eben nicht gut war, wenn die Verfassungsrichter das für verfassungswidrig erklären.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist doch tota- ler Quatsch! Wer hat das denn mitgetragen? Das wissen Sie doch!)

Dazu müssen Sie stehen, Herr Kollege Schmeltzer.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist überpartei- lich mitgetragen worden! Erzählen Sie hier doch nicht so einen Mist!)

Außerdem haben Sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ziemlich lange die Hände in den Schoß gelegt.