Protocol of the Session on December 16, 2009

Also, lassen Sie die Scheinheiligkeit, das durchschaubare taktische Wahlkampfmanöver, das Sie eilends angelegt haben, um die Opposition zu jagen.

Interessant ist in dem Zusammenhang – man hört es –, dass Sie diesen Gesetzentwurf offensichtlich unter Zeitdruck zusammengeschustert und überstürzt eingebracht haben. Wir hören auch, dass Sie im Kabinett auf der Grundlage einer Tischvorlage nicht mal darüber diskutiert haben; das zeigt den Stellenwert, den die Landesverfassung in Ihrem Kabinett hat.

Ich dachte, Herr Finanzminister, Sie hätten aus dem Verfassungsbruch von 2007 gelernt, als Sie schon mit Ihrem ersten eingebrachten Haushalt vor dem Verfassungsgerichtshof gescheitert sind.

(Christian Möbius [CDU]: Das müssen Sie gerade sagen!)

Das sage ich, Herr Kollege Möbius. Ich sage das gerade, weil es bei diesem Verfassungsbruch darum ging, dass unzulässigerweise, über die Verfassungsregeln hinaus Schulden gemacht worden sind. Sie sind 2005 mit einem Haushalt gestartet, der nichts anderes vorsah, als die Schulden nach oben zu treiben. Das hat das Verfassungsgericht gerügt.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, bevor eine Umsetzung der Grundgesetzänderung in Landesrecht erfolgt, müssen wir wissen, wie Schuldenabbau in Haushaltsrecht umgesetzt werden soll. Allein ideologische Positionen und die dauernden Wiederholungen eines primitiven Anti-Keynesianismus reichen hier, Herr Finanzminister, nicht aus, um seriöse Haushaltspolitik zu machen oder uns davon zu überzeugen, dass wirklich Neuverschuldung abgebaut wird.

Dazu noch einmal Ihre Haushaltsfakten. Entwicklung Schuldenstand seit Regierungsübernahme 30. Juni 2005: Der Finanzminister bestätigte einen Schuldenstand – hier von diesem Rednerpult aus – von 106,8 Milliarden €.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Morgen werden die regierungstragenden Fraktionen einen Haushalt beschließen, der 129,1 Milliarden € Schulden vorsieht. 22,3 Milliarden € mehr Schulden bei sprudelnden Steuereinnahmen – das ist Schuldenbremse à la Linssen und Rüttgers hier in diesem Land.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Markus Töns [SPD])

Meine Damen und Herren, weitere Fakten: Machen Sie sich mal die Mühe und blättern durch die mittelfristige Finanzplanung von Dr. Linssen. Es gibt dort eine Tabelle auf Seite 77 der Drucksache 14/9701 – in der Mitte der Seite; vielleicht zum Nachlesen, Kollege Möbius –, in der steht: Schuldenstand in 2011 135,7 Milliarden € – dann soll die Schuldenbremse nach dem heutigen Gesetzentwurf ja schon wirken –, in 2012 142,1 Milliarden €, in 2013 148,5 Milliarden €. Also noch mal zum Stand von heute fast 20 Milliarden € mehr Schulden. Das ist das Live-Szenario Schuldenbremse Dr. Linssen.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind sehr wohl der Auffassung, dass man über die Reduktion von Schulden und die Struktur des Haushalts reden muss. Aber wir nehmen die Warnungen des Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, Herrn Roland Schäfer, auf, der da formuliert: Die Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung – ich zitiere wörtlich –, führt zwangsläufig dazu, dass das Land zulasten der Kommunen spart.

Meine Damen und Herren, recht hat er. Diese Einschätzung teilen wir voll umfänglich. Deshalb werden wir uns mit dem Aspekt noch einmal gesondert beschäftigen.

Herr Minister Dr. Linssen, ich fordere Sie heute vor dem Hintergrund dieser Debatte auf: Ziehen Sie die Drucksache 14/10358 einfach zurück, überarbeiten Sie sie. Dann können wir darüber reden, ob wir gemeinsam hier im Land Nordrhein-Westfalen Schulden abbauen. – Schönen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Walsken. – Ich habe jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Dann bekommt Herr Dr. Linssen das Wort, der Finanzminister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einige Argumente näher eingehen. Zunächst möchte ich mich mit Frau Löhrmann beschäftigen. Es ist schon erstaunlich, Frau Löhrmann, dass Herr Sagel, der leider auch verschwunden ist, sich etwas differenzierter ausdrückt als Sie. Er spricht nämlich von einer Luftblase, und Sie meinten, das Ganze sei verlogen. Vielleicht überlegen Sie sich vor dem Kontrastprogramm, das Herr Sagel hier geboten hat, doch noch einmal Ihre Wortwahl.

Ich würde gerne zu Frau Löhrmann Folgendes sagen:

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Dass Sie sich an Herrn Sagel orientieren, ist ein Hinweis!)

Sie hat hier natürlich die Meinung der Grünen auf Bundesebene vertreten und ist offensichtlich gegen jede Schuldenbremse. Ich vermute, dass Sie das auch einzelgesetzlich nicht haben wollen – weder in der Verfassung noch sonst irgendwo. Sie sagen, wir müssten dann so viele Schulden abbauen. Wir wollen die Nettoneuverschuldung – das, was draufkommt – endlich auf null bringen, so, wie wir es im Jahre 2008 praktisch geschafft haben, Frau Löhrmann.

(Beifall von der CDU)

Das, was wir in drei Jahren geschafft haben, schaffen wir sicherlich auch in zehn Jahren.

Zu Herrn Töns und Frau Walsken. Herr Töns hat einen ganz interessanten Beitrag geleistet. Ich habe gedacht: Mal sehen, wie er mit den Argumenten umgeht, die bisher durch Frau Kraft im politischen Raum waren oder die Herr Körfges im Haushalts- und Finanzausschuss gebracht hatte. Bisher hieß es immer: Wir müssen einen Kassensturz haben.

(Gisela Walsken [SPD]: Machen Sie Ihren Kassensturz, Herr Kollege!)

So etwas haben wir 2005 gemacht. Da haben wir Ihre Schattenhaushalte BVG und BLB aufgelöst.

(Gisela Walsken [SPD]: Sie haben zwei neue Schattenhaushalte geschaffen!)

Sie erinnern sich daran: In diesen Haushalten haben wir denen das Kapital zugewiesen, das Sie ihnen geraubt hatten. Liebe Frau Walsken, Sie sprechen von Verfassungsbruch. Sie wissen, dass das Urteil des Verfassungsgerichtshofs sehr differenziert ausgefallen ist. Zur Erinnerung: Das war zu unserem zweiten Nachtrag 2005.

(Gisela Walsken [SPD]: 2006!)

Da hatten wir gerade die Kapitalentnahme von BVG und BLB, die Sie betrieben hatten, zurückerstattet.

(Gisela Walsken [SPD]: Ihr erster Haushalt, genau wie ich es gesagt habe!)

Dass wir Ihre 6,7 Milliarden Nettoneuverschuldung, die Sie drei Jahre lang gemacht haben, nicht in einem Rutsch auf 3 Milliarden heruntergebracht haben – wir lagen noch 50 Millionen über der Verfassungsgrenze –, ist wegen der Vergangenheit, die Sie verursacht haben, nun wirklich kein Wunder.

(Gisela Walsken [SPD]: Dann hat das Ver- fassungsgericht das missverstanden!)

Ich komme gerne noch einmal auf die Bemerkung von Herrn Töns zurück. Er hat nicht den Kassensturz angemahnt. Denn das können Sie nachlesen. Wie viele Schulden wir haben,

(Gisela Walsken [SPD]: Ihre! Sie regieren hier fünf Jahre!)

haben Sie hier alles aufgelistet. Da brauchen wir keinen Kassensturz, sondern Sie haben selber die Zahlen hier alle aufgeblättert – meist sogar richtig aus der mittelfristigen Finanzplanung. Sie haben eigentlich auch kaum noch davon gesprochen, dass man einen Konsolidierungspfad vorlegen muss. Das werden wir ja wohl in zehn Jahren schaffen; das sind im Durchschnitt – Herr Weisbrich ist kurz darauf eingegangen – 600 Millionen im Jahr.

Ich will Ihnen mal vortragen, was wir in den Jahren 2006, 2007 und 2008 geschafft haben. Da haben wir die Nettoneuverschuldung von 6,7 Milliarden auf 3,2, auf 1,9, auf 1,1 Milliarden heruntergefahren. Wir haben die Nettoneuverschuldung in drei Jahren um 5,6 Milliarden heruntergedrückt und haben noch Rücklagen von 1,3 Milliarden gebildet. Das sind in drei Jahren zusammen 6,9 Milliarden, um die wir die Verschuldung gesenkt und Rücklagen gebildet haben.

(Beifall von der CDU)

Also werden wir das doch in zehn Jahren schaffen. Fangen Sie doch nicht an, so hasenfüßig zu sein, Frau Löhrmann! Das brauchen Sie gar nicht. Erklären Sie doch einfach, dass auch Sie endlich sparen wollen!

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben es zwar in Ihrer Regierungszeit anders gemacht – das wissen wir ja –, aber Sie müssen der Bevölkerung erklären, warum Sie nicht sparen wollen. Wenn Frau Walsken sagt: „So einfach kommen Sie hier nicht vom Gelände“, sage ich: Sie haben das in Berlin beschlossen. Herr Steinbrück hat das gemacht. Warum sind Sie nicht in der Lage dazu? Inwiefern ist das ein Placebo, Frau Löhrmann? Das kann ich beim besten Willen überhaupt nicht mehr nachvollziehen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Weil es ablen- ken soll von Ihren Schulden!)

Gott sei Dank haben Sie auch nicht wie bisher davon gesprochen, das sei alles viel zu schnell, überfallartig. Sie sind von mir seit zwei Jahren immer auf dem Laufenden gehalten worden, wie die Diskussion lief. Und Sie selber haben ja noch gesagt, ein begleitendes Gremium in Ihrer Partei gehabt zu haben. Dann sind Sie bestens informiert.

Es bleibt übrig, dass Sie uns vorwerfen, wir würden Wahlkampf damit machen. Meine Damen und Herren, wenn das so ein Wahlkampfschlager ist, warum beteiligen Sie sich denn nicht daran? Warum machen Sie denn nicht mit?

(Beifall von der CDU)

Es wäre doch toll, wenn wir das gemeinsam machten.

(Gisela Walsken [SPD]: Scheinheilig!)

Wir teilen dann sogar diesen Wahlkampfschlager mit Ihnen. Aber, Frau Löhrmann, wenn Sie sonntags über Nachhaltigkeit reden, praktizieren Sie sie endlich auch mal werktags!

(Beifall von CDU und FDP)

Kommen wir zu Herrn Töns. Er hat drei Argumente gebracht – hochinteressant.