Protocol of the Session on September 11, 2009

Außerdem ist es bemerkenswert, dass die SPD bei ihrem Engagement für Arbeitnehmer keineswegs so viel Gerechtigkeit walten lässt, wie sie sonst immer vorgibt. Nur so ist es zu erklären, dass Sie zusammen mit ver.di ausschließlich die Interessen der Streikenden im Auge haben und die der anderen schlichtweg ignorieren. Die Zeitarbeitnehmer wehren sich nun gegen den Vorwurf, sie seien nicht kompetent. So erwägt eine examinierte Krankenpflegerin und Rettungsassistentin eine Klage gegen ver.di wegen übler Nachrede. Auch andere Pflegekräfte aus der Klinik machen der Gewerkschaft heftige Vorwürfe. – Man ist immer gut beraten, beide Seiten zu sehen und erst dann zu einer Bewertung zu kommen.

Von den Vorrednern ist schon mehrfach der offene Brief der Ärzteschaft angesprochen worden. Viele Kollegen kennen ihn nicht, deswegen möchte ich daraus zitieren. Die Ärzteschaft der Klinik schreibt:

Im Rahmen der Tarifauseinandersetzung in der Lippischen Nervenklinik greifen die Streikenden zu immer unlauter werdenden Mitteln. Nachdem zunächst die nicht streikenden Pflegekräfte herabgewürdigt wurden, wird nun über Medien und politische Vertreter

da wird speziell die Abgeordnete Howe angesprochen –

unterstellt, dass infolge des Streiks in der Klinik vermehrt Fixierungen und Medikamente eingesetzt würden. Die Ärzte der Lippischen Nervenklinik, die über die Medikamente und eventuelle Fixierungen entscheiden, fühlen sich durch derartige Unterstellungen in ihrer Berufsehre verletzt.

Ich sage: berechtigt. – Ich zitiere weiter:

Als Ärzteschaft verwahren wir uns gegen die diffamierenden Behauptungen der Streikenden, angesichts des Streiks würden Patienten vermehrt mediziert und fixiert. Das ist böswillig und ein Griff in die antipsychiatrische Mottenkiste, ein Bärendienst für die Psychiatrie.

(Beifall von FDP und CDU)

Ich stelle mich hinter diese Äußerungen der Ärzte, die natürlich Medikationen und Fixierungen anordnen. Dass Sie diese Vorwürfe ins Parlament brin

gen und den Mitarbeitern das indirekt unterstellt haben, ist eine Diffamierung, für die ich eine Entschuldigung bei den Betroffenen erwarte.

(Beifall von FDP und CDU)

Das erwarten die Betroffenen, und das erwarte ich hier auch. Sie müssen sich davon distanzieren. Es geht einfach nicht, dass die Äußerungen von Streikenden im Rahmen der Tarifautonomie, eines Arbeitskampfes einseitig ins Parlament eingebracht werden.

(Heike Gebhard [SPD]: Aber im Rahmen von Patientenfreiheit!)

Das ist ein unerhörter Eingriff in die Tarifautonomie. Eigentlich sollten Sozialdemokraten diese doch hochhalten.

Damit haben Sie auch den Patienten in der Klinik keinen Dienst erwiesen, sondern sie verängstigt. Was geschieht denn mit den Patienten, die sich in den Wochen und Monaten in der Klinik aufgehalten haben? – Sie werden durch solche Berichte und politischen Äußerungen natürlich verängstigt. Das würde uns allen so gehen.

Ich rate der SPD: Beteiligen Sie sich mit sachgerechten Vorschlägen an der Diskussion, wie man die Arbeitswelt modern und human gestalten kann. Hören Sie auf, Flexibilität und vor allem die Zeitarbeit an sich zu dämonisieren

(Beifall von der FDP)

und Ereignisse wie in der Lippischen Nervenklinik für Ihre realitätsferne Politik zu nutzen! – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Romberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Steffens das Wort.

Herr Präsident! meine Damen und Herren! Herr Kern, wir sind uns einig darüber, dass sich das Parlament nicht in laufende Tarifverhandlungen einmischen soll und wir die Tarifautonomie hochhalten. Aber es gibt Fälle wie das konkrete Beispiel in der Lippischen Nervenklinik, die zeigen – wenn man sich den Zeitablauf ansieht –: Es gab bis Ende August noch nicht einmal den Versuch von Tarifverhandlungen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das Parlament mischt sich daher nicht in die Autonomie ein, sondern es fordert die Klinikleitung nur auf, ihrer Verantwortung nachzukommen, Tarifverhandlungen mit den Beschäftigten zu führen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist der grundlegende Unterschied. Sie wissen, dass ich die Tarifautonomie hochhalte.

Der Streik hat im Mai begonnen und sich langsam gesteigert. Die Beschäftigten, die in den Streik getreten sind, haben sich sehr verantwortungsbewusst überlegt, wie viel Streik sie der Klinik und den Patienten und Patientinnen zumuten können. In der gesamten Phase sind weder Gespräche noch Tarifverhandlungen geführt worden, sondern die Klinikleitung hat versucht, das Ganze auszusitzen. Es gipfelte in einer Aussperrung. Diejenigen, die von ihrem Recht, zu streiken und Tarifverhandlungen zu fordern, Gebrauch gemacht haben, sind ausgesperrt worden.

Aussperrungen sind natürlich ein Instrument, aber eines von Tarifverhandlungen und nicht ein Instrument des Arbeitgebers, um Tarifverhandlungen zu unterbinden. Das war hier der konkrete Fall, und das ist für mich ein grundlegender Unterschied.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Jetzt hat Herr Romberg wieder nicht zugehört, dass er es verstehen konnte! – Heike Gebhard [SPD]: Er will auch nicht verstehen!)

Deswegen ist das Parlament in der Pflicht, zu sagen: Wir halten die Tarifautonomie hoch und fordern dazu auf, dass Tarifverhandlungen stattfinden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ein weiterer Punkt ist – auch da haben Sie eben gesagt, dass sich die Gewerkschaften darum kümmern sollen –: Es gibt einen Manteltarifvertrag Zeitarbeit. Dieser sieht vor, dass Mitarbeiter der Zeitarbeit nicht in Betrieben eingesetzt werden sollen, die unmittelbar von einem rechtmäßigen Arbeitskampf betroffen sind. Dies ist ein rechtmäßiger Arbeitskampf. Ich stelle die Frage, ob es sich nicht um ein Unterwandern des Auftrags, Tarifverhandlungen zu führen, handelt, wenn an der Stelle Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen eingesetzt werden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Frau Steffens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kern?

Aber selbstverständlich.

Gut. – Bitte schön, Herr Kollege.

Danke schön, Herr Präsident. – Frau Steffens, Ihnen ist aber auch bekannt, dass es in jüngster Zeit zur Aufnahme von Gesprächen gekommen ist und sich jetzt doch etwas bewegt?

Ja, Herr Kern, ich habe gehört, dass es jetzt zur Aufnahme von Gesprächen gekommen ist. Diese haben aber nach der Antragstellung der SPD-Fraktion stattgefunden. Der SPD-Antrag war zuerst da, die Aufnahme der Gespräche war danach.

(Beifall von der SPD)

Deswegen finde ich es wichtig, Walter Kern, dass wir die Diskussion trotzdem klar führen. Es geht uns nicht um die Einmischung in die Tarifautonomie, sondern wir wollen, dass diese Verhandlung vonseiten der Klinikleitung ernst genommen und zu einem Ergebnis geführt wird und dass nicht missbräuchlich Instrumente der Tarifauseinandersetzung zum Knebeln und Unterdrücken – in Anführungsstrichen – der Beschäftigten benutzt werden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist ein wichtiges Signal, und ich hätte mir gewünscht, dass auch Sie es heute gesendet hätten.

Dieser Antrag beinhaltet aber noch zwei andere Bereiche, über die man sprechen muss.

Erstens. Eben ist intensiv auf die Qualität der Versorgung eingegangen worden. Ich kann das nicht beurteilen. Weil ich nicht in der Klinik gewesen bin, weder vorher noch nachher, kann ich nicht beurteilen, ob die Qualität der Versorgung sichergestellt ist. Ich kann aber verstehen, dass die ausgesperrten Beschäftigten sich Sorgen um ihre Patienten und Patientinnen in ihrer Klinik machen und sich nicht vorstellen können, dass eine Kompensation über Leiharbeit möglich ist – gerade vor dem Hintergrund, dass eine geringere Zahl von Leiharbeiterinnen eingesetzt wird.

Möglicherweise werden in dieser Auseinandersetzung an der einen oder anderen Stelle Vermutungen als Tatsachen dargestellt. Das wird denjenigen Leuten, die jetzt in dieser Klinik ihrer Tätigkeit nachgehen, mit Sicherheit nicht gerecht. Es handelt sich aber um einen Prozess, der sich hochgeschaukelt hat. Wir als Parlament sollten auch nicht das eine als gut und das andere als böse bezeichnen. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. An einigen Stellen wird es durchaus Defizite geben. Schließlich wissen wir, dass ein eingespielter Klinikablauf sich von dem Fall unterscheidet, dass man mal eben Menschen von draußen dazuholt. Auch wenn man versucht, sie anzulernen und einzufügen, ist es etwas anderes als ein eingespieltes Team.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich glaube aber, dass wir die Patienten- und Patientinnenversorgung hier nicht beurteilen können. Das ist Sache der Fachaufsicht. Wenn sich herausstellt, dass es nicht richtig funktioniert, ist die Fachaufsicht gefragt. Solange die Fachaufsicht allerdings erklärt, es sei alles in Ordnung, können wir das Ganze zwar weiter hinterfragen; beurteilen können wir es aber nicht.

Zweitens. Ein Punkt in dem Antrag, den ich ganz wichtig finde und der hier leider untergeht, weil wir uns nur mit der Nervenklinik in Bad Salzuflen beschäftigen, ist die grundsätzliche Problematik gerade im Gesundheitssektor. Es gab ja nicht nur in Essen einen Termin, zu dem die Abgeordneten eingeladen worden sind, sondern auch in anderen Universitätskliniken.

Von daher kennen wir das System, über PersonalService-Gesellschaften neben der Stammbelegschaft eine niedriger bezahlte, an anderen Sozialstandards ausgerichtete Belegschaft aufzubauen, die zum Teil das Gleiche leistet. Manche gehen bis zum Ende des einen Monats noch als Stammkräfte arbeiten, werden dann ausgelagert und bekommen ab dem Ersten des nächsten Monats für dieselbe Tätigkeit monatlich 400 € weniger ausgezahlt. Diese Lebensrealität finden wir im Moment in vielen Kliniken.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Es kann nicht sein, dass wir in Kliniken Beschäftigte erster und zweiter Klasse haben, die dieselbe Patienten- und Patientinnenverantwortung wahrnehmen.

Hinzu kommt, dass es an Universitätsklinika mittlerweile zum Teil die dritte Klasse gibt; denn neben den Mitarbeitern der Personal-Service-Gesellschaft werden noch Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen beschäftigt. Das führt dazu, dass wir in einer Abteilung drei Personen haben, die dieselbe Tätigkeit ausüben, aber jeweils ein unterschiedliches Gehalt bekommen. Das können wir als Politik nicht akzeptieren.