Protocol of the Session on June 25, 2009

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lohn. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Stotko das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Danke, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lohn, ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber dass es so schlimm kommt, habe ich wirklich nicht gedacht. Ich gehe darauf gleich noch einmal ein.

(Widerspruch bei der CDU)

Wir reden über 40.000 Schusswaffen, aneinander gereiht ergibt dies eine Länge von sieben Kilometern, die diese Landesregierung für 93 € das Stück verkauft, für insgesamt 3,5 Millionen €. Dadurch geben Sie 40.000 Menschen in den USA die Gelegenheit, damit zu schießen.

Vielleicht, Herr Lohn, haben Sie völlig Recht: Früher, auch zu Zeiten einer rot-grünen Bundes- oder auch Landesregierung, hat man nicht darüber diskutiert. Aber heute, in einer Zeit, in der wir uns Vorfällen stellen – von Erfurt bis Winnenden, von Dunblane über Columbine bis nach Virginia und dem Vorfall von Emsdetten in 2006 –, muss Politik auch die Möglichkeit haben zu sagen: Das, was wir

damals gemacht haben, war nicht richtig, und wir machen es heute anders.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Was ist daran so schwierig? Das frage ich Sie. Dann sagen Sie, Herr Lohn, Sie haben die Risiken abgewägt, und behaupten ernsthaft – ich kann das gar nicht glauben –, die Haushaltskrise würde das verlangen. Es ist ernsthaft so, dass wir 3,5 Millionen € erwirtschaften müssen auf die Gefahr hin, dass mit unseren Waffen Straftaten begangen werden, und Sie sagen als Begründung: Ist ja nicht so schlimm; es ist keine Gefahr für Deutschland.

Mit der Argumentation verkaufen Kriegswaffentreiber quer durch die Welt ihre Waffen, weil sie sagen: Hauptsache, bei uns passiert nichts. Das kann keine Argumentation für Nordrhein-Westfalen sein. Das sage ich ganz klar, Herr Lohn. Mit uns würde es in Nordrhein-Westfalen derzeit keinen Waffenverkauf geben.

(Beifall von der SPD)

Aber ich will Ihnen auch etwas anderes vorhalten: Freundlicherweise weisen Sie darauf hin, dass § 63 der Landeshaushaltsordnung es bereits ermöglicht. Es ist eine Kann- und keine Mussbestimmung. Der Innenminister sah das bis vor Kurzem noch ganz anders, wenn ich das einmal sagen darf. Ich wäre froh, man würde nun vom § 63 derart Gebrauch macht, dass man sagt: Nein, wir brauchen gar nicht mehr das Parlament zu beschäftigen. – Der Antrag sagt das ja auch gar nicht. Der Antrag sagt: Schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, dass die Waffen nicht verkauft werden können. – Deshalb stehen wir auch hinter diesem Antrag.

An Ihrer Argumentation erstaunt mich Folgendes: Wir haben erst vor Kurzem hier zusammengesessen und ernsthaft und in aller Ruhe darüber diskutiert, dass Eltern ein mulmiges Gefühl haben, wenn in Schulen ihrer Kinder geschossen wird. Vollmundig hat die Frau Ministerien verkündet, Schießstände zu verbieten – bisher ohne Wirkung.

Und dann, als wenn es kein Emsdetten gegeben hätte, keine Diskussion über Schulschießstände, sitzt der Herr Innenminister letzte Woche im Innenausschuss. Wir debattieren über die Verschärfung des Waffenrechts; wir debattieren über Amokläufe. Und, Herr Innenminister, mit keinem Wort erwähnen Sie 40.000 zu verkaufende Waffen aus NordrheinWestfalen. Das ist eine Missachtung des Parlaments; das ist skandalös. Denn diese 40.000 Waffen gehen in Privathände und sonst nirgendwohin.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Deswegen sage ich Ihnen ganz deutlich: Der massenhafte Verkauf von Schusswaffen durch die schwarz-gelbe Landesregierung passt nicht in die heutige gesellschaftspolitische Debatte. Wer über die Verschärfung des Waffengesetzes debattiert, wer sich ernsthaft anstrengt, Amokläufe zu verhin

dern, der kann nicht im gleichen Atemzug den privaten Waffenbesitz vergrößern, um ein dickes Geschäft zu machen.

Herr Abgeordneter Stotko, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Lohn möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Aber gern.

Bitte schön, Herr Kollege Lohn.

Herr Kollege Stotko, ich denke, Ihnen ist bekannt, dass von der SPDLandesregierung bereits in den 80er-Jahren weit über 30.000 Waffen verkauft worden sind. Hinzu kommen die jetzt verkauften Waffen. Ist Ihnen auch nur ein einziger Fall bekannt, bei dem mit einer dieser Waffen direkt eine Straftat begangen wurde?

Mir muss kein Fall bekannt sein. Jeder Fall, der noch nicht passiert ist, ist ein wichtiger Fall. Ich sage es Ihnen noch einmal – Sie haben offensichtlich nicht zugehört, Herr Lohn –: Eine Waffe, wie Sie selber sagen, ist in Hamburg irgendwie in Verwendung geraten. Können Sie garantieren, dass keine dieser 40.000 Waffen demnächst nach Deutschland zurückkehrt und hier für eine Straftat benutzt wird? Können Sie das garantieren? – Doch nicht ernsthaft.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sensibilität ist offensichtlich keine Einstellungsvoraussetzung für einen Innenminister, Herr Wolf, aber die politische und moralische Verantwortung tragen Sie.

(Zuruf von der CDU: Und das aus Ihrem Mund!)

Dass es anders geht, Herr Kollege Lohn, sehen Sie in Schleswig-Holstein, in Hamburg, in Bremen. Dort werden auch nicht wegen einer Wirtschaftskrise Waffen in Privathände verscherbelt, sondern dort werden sie wie beim Zoll und bei der Bundespolizei verschrottet.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Mir wäre es lieber gewesen, Herr Kollege Kruse, wenn Sie ans Rednerpult gegangen wären. Denn interessanterweise haben Sie gestern – so ist es zumindest heute Morgen in der „WAZ“ zu lesen – die Aussage getätigt: Ich bin dafür, die Praxis zu überdenken, weil sie sehr sensibel ist.

Dazu, die Praxis zu überdenken, habe ich von Herrn Lohn gar nichts mehr gehört. Offensichtlich haben Sie Ihre Meinung schon geändert. Im WDR

haben Sie nämlich heute gesagt: Das ist doch dasselbe, als wenn man einen PC verkauft oder einen Schreibtisch. – Meinen Sie das ernst? Welcher PC hat Sie denn mal angegriffen? Von welchem Schreibtisch wurden Sie denn mal bedroht?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Von keinem hier in Nordrhein-Westfalen! Deshalb, lieber Kollege Kruse, haben Sie heute Gelegenheit dazu, den Kollegen Lohn und alle anderen von Ihrer Aussage „Das ist sehr sensibel, ich will das überdenken“ zu überzeugen. Denn wir werden im Gegensatz zu Herrn Wolf und Ihnen dem Antrag der Grünen zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stotko. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Engel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Engel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt solche, die glaubhaft Politik machen, und es gibt die Grünen – nach diesem unsäglichen Beitrag, Herr Stotko, nehme ich Sie ausdrücklich hinzu –,

(Beifall von der CDU)

die sich pharisäerhaft wie ein Wendehals im Wind drehen. Ihr Motto lautet: Was schert es mich, was ich früher einmal in Regierungsverantwortung gefordert oder getan habe. Nun ist Opposition; da muss das Handeln der jetzigen Regierung skandalisiert werden, auch wenn das früher unter Rot-Grün in NRW ständige Praxis war.

(Thomas Stotko [SPD]: Das ist Politik der FDP! – Barbara Steffens [GRÜNE]: Dass Sie nicht lernfähig sind, wissen wir!)

Wenn Grüne, Frau Düker, abends in den Spiegel schauen, müssten Sie rot sehen: Schamesröte. In der eigenen Regierungsverantwortung verkaufen Sie für ein bisschen Macht Ihre Grundsätze, um sie auf der Oppositionsbank unter Krokodilstränen, Frau Düker, wieder neu zu entdecken. So war das im Bund von 1998 bis 2005 bei Rüstungsexporten. So ist das in Hamburg etwa bei Themen der Energie- und Umweltpolitik, Stichwort: Kraftwerk Moorburg. So war es beim Anbandeln mit der Linkspartei in Hessen, und so sehen wir es nun auch hier nach dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen.

Lassen Sie mich aber ganz nüchtern die Fakten nennen. Von 1980 bis 1995 regierten die Sozialdemokraten das Land Nordrhein-Westfalen allein. In den Jahren 1983 bis 1984, Herr Stotko, hat die SPD-geführte Landesregierung gut 34.000 ausgediente Dienstpistolen der Polizei ohne weitere Vorgaben unmittelbar an deutsche Waffenhändler verkauft.

Heute verkauft nicht die Polizei die ausrangierten Dienstwaffen. Sie werden vielmehr über die VEBEG, eine bundeseigene Verwertungsgesellschaft, veräußert. Aus Beständen der Bundeswehr und anderer öffentlicher Auftraggeber verkauft die VEBEG seit 1951, also auch unter Rot-Grün im Bund, laufend überschüssige – in Anführungszeichen – „Artikel aller Art“, darunter Polizeihubschrauber, Schiffe der Wasserschutzpolizei, LKW, PKW, Bagger, Busse und ausgemusterte Bundeswehrausstattung. Alleinige Gesellschafterin ist die Bundesrepublik Deutschland – das haben wir schon gehört –, vertreten durch das Bundesfinanzministerium mit dem derzeitigen Minister Steinbrück, Herr Stotko, Herr Rudolph, der leider heute nicht da ist.

Seit 2003, also unter der rot-grünen Vorgängerregierung verhandelt und abgeschlossen, besteht dazu ein Rahmenvertrag zwischen NRW und der bundeseigenen VEBEG. Er sieht vor, dass ausgemusterte Dienstwaffen unter strengen Auflagen durch die VEBEG ausschließlich in den USA unter Beachtung der dortigen Gesetze zum Verkauf angeboten werden. Wir wissen, in den USA gibt es schätzungsweise 250 Millionen Schusswaffen in privatem Besitz. Sollte es da Fehlentwicklungen gegeben haben, wie das hier anklang, muss dem nachgegangen werden.

Rot-Grün hat also in NRW mit Frau Düker als ihrer innenpolitischen Sprecherin – auch Sie, Herr Stotko, sind angesprochen; Herr Rudolph ist leider nicht da – bereits von 2002 bis 2005 ausgediente Dienstwaffen der Polizei über die bundeseigene Gesellschaft ins Ausland veräußert. Das ist Fakt.

Trotz des Amoklaufs von Steinhäuser in Erfurt im April 2002 wurden im Jahre 2003 von Rot-Grün dienstliche Waffen der Polizei an die VEBEG veräußert – mit Billigung des damaligen Kabinettsmitglieds Bärbel Höhn als Umweltministerin und für den Bundeshandel mit Billigung von Joschka Fischer als Außenminister und Mitglied des Bundessicherheitsrates.

Fakt ist zudem, dass SPD-regierte Bundesländer wie Rheinland-Pfalz dies ebenfalls so über die VEBEG praktizieren, ebenso Niedersachsen, das Saarland und Sachsen, da das dortige Haushaltsrecht das auch so vorsieht.

(Monika Düker [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal etwas zur Sache!)

Fakt ist auch, das Rot-Grün im Bund in der Zeit von 1998 bis 2005 massive Waffenexporte zugelassen hat

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist wirklich bezeich- nend!)

und Tausende ausgediente Bundeswehrwaffen, darunter Maschinengewehre, Panzerfäuste etc., ins Ausland verkauft hat.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE] – Ge- genruf von Ralf Witzel [FDP]: Mal wieder grü- ne Doppelmoral!)

Auch hierzu – Frau Kollegin, Sie mit Ihren Zwischenrufen – ein paar Zahlen: Laut Rüstungsexportbericht von 2005 – hören Sie zu – der Bundesregierung haben sich mit 1,6 Milliarden € im Jahre 2005 die Ausfuhren deutscher Kriegswaffen innerhalb der letzten acht Jahre unter Rot-Grün um mehr als das Doppelte erhöht.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE] – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)