Protocol of the Session on March 18, 2009

Wir haben in unserer Regierungszeit, wenn ich es richtig sehe, mehr Gesamtschulen errichtet als Sie von 1998 bis 2005, nämlich drei neue, die jetzt ihre Arbeit aufgenommen haben. Wenn die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, wird die Gründung neuer Gesamtschulen auch genehmigt. Damit sind wir bei dem Thema Leistungsheterogenität, das eben angesprochen worden ist.

Das Schulgesetz sieht in § 17 vor, dass die Gesamtschule in einem differenzierten Unterrichtssystem Bildungsgänge ermöglicht, die ohne Zuordnung zu allen Abschlüssen der Sekundarstufe I führen. Dafür, allein von der Logik und dem Aufbau dieses Schulsystems her, benötigt die Schulform zwingend eine heterogene Schülerschaft, in der alle Begabungen gleichmäßig vertreten sind.

In einer Angelegenheit werden Sie mir wahrscheinlich, Frau Kollegin Beer, und andere hier im Saal Recht geben. Es kann doch nicht angehen, dass in zwei Bonner Gesamtschulen über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die neu aufgenommen worden sind, eine Empfehlung für das Gymnasium hatten, aber nur – Sie hören richtig – armselige 4 % von ihnen hatte eine Empfehlung für die Hauptschule hatten – und dies, obwohl genauso viele Anmeldungen mit Hauptschulempfehlungen wie mit Gymnasialempfehlungen vorlagen. Das kann doch nicht der Auftrag einer Gesamtschule sein, wenn man diese Schulform als eine richtige Schulform ansieht.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Frau Beer, Sie haben hier über die Gesamtschule gesprochen als Schule für Behinderte und für nicht Behinderte, für Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, für Professorenkinder und Arbeiterkinder. Wenn aber schon bei den Anmeldungen so wie an dieser Schule ausgewählt wird, dann wird diese Mischung eben nicht erreicht.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, dieses Prinzip der Heterogenität erkennt auch das Verwaltungsgericht Köln an. Es ist jedoch der Auffassung, dass die letzte Entscheidung über die Erreichung der notwendigen Leistungsheterogenität nach derzeitiger Rechtslage allein dem kommissarischen Schulleiter zusteht, der mit dem Aufnahmeverfahren betraut ist. Nun wissen wir, dass Gesamtschulleitungen das unterschiedlich handhaben. Wir haben heute einige Beispiele gehört.

Die Errichtung einer Gesamtschule darf aber nicht von den individuellen Maßstäben eines Einzelnen abhängen. In Bonn dürfen keine anderen Kriterien angesetzt werden als in Dortmund, Münster oder Paderborn. Deshalb wollen wir landeseinheitliche Maßstäbe. Diese müssen vor Errichtung einer Gesamtschule bekannt sein. Das Ministerium wird prüfen, dieses rechtlich festzuschreiben, damit es darüber keinen Streit mehr geben kann.

Ich denke, die Debatte heute war wieder stark von Strukturen geprägt. Die Kinder haben außer in den Wortbeiträgen der Koalitionsredner so gut wie keine Rolle gespielt.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie sprechen immer über Strukturen, Gesetze und Ideologien. Ich höre die Debatte ja nicht so oft, Frau Beer. Lassen Sie sich das aber einmal sagen: An jeder Schulform gibt es Kinder, die Förderung verdient haben. Das würde ich mir gerade in solchen Debatten wünschen.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Laschet. – Für die SPD spricht Frau Schäfer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne des Landtages! Herr Laschet, Sie haben eben davon gesprochen, dass die Ministerin einen Brief an die Gesamtschulen und die Eltern geschrieben habe, in dem stünde, was Sie als Würdigung der Gesamtschulen empfände und was man dafür tun müsse. Wir passt ein solcher Brief zusammen mit der Aussage derselben Ministerin, in der es heißt: Ich kann das Gerede über die soziale Herkunft der Schüler an Gesamtschulen nicht mehr hören?

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich denke, dieser Brief war überfällig, weil sie genau mit dieser Aussage ein vergiftetes Klima zwischen der Elternschaft, dem Ministerium, der Landesregierung, der CDU und der FDP geschaffen hat. Und das ist das eigentliche Dilemma.

Ja, es ist richtig, es gab immer schon viel mehr Wünsche nach Gesamtschulplätzen als befriedigt werden konnten, auch unter der alten Landesregierung. Aber noch niemals hatten wir eine solche Situation wie zurzeit, auch was die Initiativen, was die Unruhe im Lande angeht. Sie müssen sich wirklich fragen, ob das nicht auch originär mit Ihrer Bildungspolitik zu tun hat. Mittlerweile ist eine Stimmung entstanden, die tatsächlich dazu geführt hat, dass dieser Staatssekretär, Herr Winands, über Land gezogen ist, in Bezirksregierungen angerufen hat, Anweisungen gegeben hat, was man tun muss, um die Gesamtschulgründungen zu verhindern. Das haben die Menschen gespürt. Das haben die Bürgermeister gespürt, das haben auch CDUKommunalpolitiker gespürt.

Man konnte es in der „Welt am Sonntag“ vom 8. März nachlesen. Da sagte übrigens ein CDURatsvertreter etwas ganz Richtiges. Das möchte ich hier einmal zitieren:

Parteiprogramme sind ja schön und gut. Aber den Wunsch der Eltern kann man nicht ignorieren, sagt

Gerhard Webers, Fraktionsvorsitzender der CDU im Hemeraner Stadtrat.

Recht hat er. Alles, was wir hier und heute gehört haben, war nur darauf angelegt zu vernebeln, dass Sie den Elternwillen hier in Nordrhein-Westfalen an der Stelle ignorieren wollen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist der zentrale Punkt. Das fällt auf Sie zurück. Das wird nicht unbemerkt bleiben.

Sie sagen, Sie machen keine gesamtschulfeindliche Politik. Dann entgegne ich Ihnen: Sie kriegen diesen Antrag wie einen Schluckauf jedes Mal, wenn Sie wieder eine neue Aktion starten. Und Sie haben eine neue Aktion bei den Lernstandserhebungen gestartet.

(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)

Das ist dem einen oder anderen vielleicht gar nicht so aufgefallen. Es gibt einen offenen Brief, den ich heute Morgen in meiner Post hatte – Sie vielleicht auch, Herr Witzel, also schreien Sie nicht gleich „Oh!“ –, in dem sich zwölf Schulpflegschaften der Kreise Aachen, Düren, Heinsberg gegen eine Maßnahme aussprechen, die diese Landesregierung im Rahmen der Lernstandserhebungen durchgeführt hat.

Bei den Lernstandserhebungen, die dieses Jahr im achten Schuljahr durchgeführt worden sind, hat man den Gesamtschulen das Testheft C verweigert, das an den Gymnasien ausgeteilt worden ist. Herr Witzel, habe ich das noch richtig im Ohr, dass Sie eben gesagt haben, Sie träten für zentrale Lernstandserhebungen ein, und Sie wollten, dass alle gleich unter Beweis stellen können, was sie für einen Lernstand haben? Warum verweigert man dann den Gesamtschulen die Möglichkeit, sich mit den Gymnasien in gleicher Weise zu messen? – Ich verstehe das nicht. Für mich ist das diskriminierend und wieder ein Beispiel dafür, dass Sie gesamtschulfeindliche Politik machen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wann immer Sie das tun, kriegen Sie erneut einen Antrag auf den Tisch, Herr Laschet. So wird das Ganze auch rund, und deswegen müssen wir jedes Jahr wieder darüber diskutieren.

Frau Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kaiser?

Herr Kaiser, ich möchte gerade etwas anderes ansprechen. Vielleicht fragen Sie danach.

Sie haben eben gesagt, Sie seien durch Bad Salzuflen gefahren und hätten gesehen, wie sich die Eltern gegen die Gesamtschule dort stark machten. Sie haben nicht richtig hingeschaut. Es ging darum,

zwei Gymnasialstandorte aufgrund mangelnder Schülerzahlen zu einem zusammenzufügen. Die Eltern haben sich dagegen gewehrt, dass ein Gymnasialstandort geschlossen werden soll, an dem man einen Gesamtschulstandort hätte gründen wollen – übrigens, Herr Witzel, mit Stimme der FDP; das möchte ich ausdrücklich sagen. Das ist vom Staatssekretär – auch das sage ich ausdrücklich – torpediert worden. Der Rat von Bad Salzuflen hat sich deshalb entschlossen, nichts weiter zu tun, sondern abzuwarten, bis diese Bürgerfrage entschieden ist.

Aber zwischenzeitlich, Herr Kaiser, nenne ich Ihnen drei Zahlen: An diesem Gymnasialstandort, der eigentlich nicht mehr überlebensfähig ist, haben sich jetzt 60 Schüler angemeldet. Insgesamt sind 835 Schüleranmeldungen aus Bad Salzuflen nach auswärts gegangen, davon 243 an auswärtige Gymnasien und – hören Sie genau hin – 570 an auswärtige Gesamtschulen. Dann muss man doch einmal darüber nachdenken, ob man den Elternwillen nicht mit Füßen tritt, wenn man dem Ort nicht die Möglichkeit gibt, eine solche Gesamtschule zu gründen. Das ist Ihre Politik und hat mit Ideologie von unserer Seite überhaupt nichts zu tun.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich sage klar und deutlich: Wir erwarten, dass Sie dem Elternwillen, der sich in vielen Initiativen in Nordrhein-Westfalen zurzeit Bahn bricht, endlich stattgeben und dass wir nicht auf Gerichtsurteile angewiesen sind, bis Sie Ihre Politik korrigieren müssen, wie es jetzt wieder passiert ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Schäfer. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Stahl.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Da Bonn mehrfach angesprochen worden ist, möchte ich als Bonner die Ideologie, die auf der linken Seite des Hauses deutlich wird, mit ein wenig Empirie konfrontieren.

In meinem privaten Umfeld habe ich eine Umfrage gemacht – das können auch Sie einmal machen –, was eine Gesamtschule ist. Sie besteht zu einem Drittel aus Gymnasialempfehlungen, einem Drittel aus Realschulempfehlungen und einem Drittel aus Hauptschulempfehlungen. Das ist in etwa das Image. Man muss gar nicht administrieren, aber das ist die Vorstellung von Menschen, die mit dem Thema Gesamtschule umgehen.

Dann habe ich mir die Zahlen geben lassen und habe geprüft, was in Bonn konkret läuft: Welche Kinder werden in Bonn angemeldet, mit welcher

Empfehlung, und welche Kinder haben in Bonn eine Chance, mit welcher Empfehlung einen Platz an einer Gesamtschule zu bekommen? – Ich könnte das lang elaborieren, aber meine Zeit ist knapp, daher sage ich das Ergebnis. Ganze 12 % der Kinder mit einer Hauptschulempfehlung haben in Bonn die Chance, an einer der Gesamtschulen aufgenommen zu werden. Wer dann von integrativer Gesamtschule redet und dabei außen vor lässt, wie selektiv vorgegangen wird, der – ich formuliere es verkürzt – verrät das Konzept Gesamtschule!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Hätten sich die drei bestehenden Gesamtschulen dort nicht vollgesogen mit Gymnasiasten, hätte es überhaupt keine Probleme gegeben, eine vierte Gesamtschule in Bonn zu gründen. Mehr als 50 % der für das Schuljahr 2009/2010 aufgenommenen Kinder an Bonner Gesamtschulen haben eine Gymnasialempfehlung, ungefähr 44 % haben eine Realschulempfehlung, und nur jeder achte, der eine Hauptschulempfehlung hat, hat eine Chance, einen Platz an einer Gesamtschule zu bekommen.

(Karl Schultheis [SPD]: Was wollen Sie uns damit sagen?)

Wenn ich mir die Anzahl der Bewerbungen derjenigen anschaue, die an einer Gesamtschule tatsächlich Aufnahme finden, so haben Kinder mit Gymnasialempfehlung zu 80 % eine Chance, aufgenommen zu werden, Kinder mit einer Realschulempfehlung zu 50 % eine Chance, aufgenommen zu werden, und Kinder mit Hauptschulempfehlung haben eine Chance im Verhältnis von eins zu vier. Das heißt, Kinder mit einer Hauptschulempfehlung, obwohl es genügend gibt, werden an Bonner Gesamtschulen nicht aufgenommen. Wer dann meint, das Thema soziale Gerechtigkeit mit dem Thema Gesamtschule in Bonn und darüber hinaus verbinden zu müssen, der lügt, der setzt voraus, dass alle anderen so dumm sind, ihm das tatsächlich abzunehmen.

(Beifall von CDU und FDP – Sören Link [SPD]: Mein Gott, wenn das empirisch ist, Herr Stahl!)

Ich empfehle Ihnen hinzugucken. Wir werden verstärkt hingucken. So lange Sie nicht hingucken wollen, wo sich zeigt, was die Aufnahme von Kindern angeht, dass nicht das gegliederte Schulsystem selektiv ist, sondern die Gesamtschulen hoch selektiv arbeiten, zumindest in Bonn, fahren Sie weiter fort, eine kinderverachtende, spießbürgerliche Arroganz an den Tag zu legen.

(Beifall von CDU und FDP – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das müssen Sie sagen!)

Wenn Sie gleichzeitig die Hauptschulen madig machen, die Eltern und ihre Kinder an Hauptschulen, die Lehrerinnen und Lehrer an Hauptschulen madig machen, so ist das ein Zeichen dafür, dass Sie

ideologisch agieren und nicht empirisch, nicht hingucken, sondern nur behaupten.