Protocol of the Session on October 24, 2008

Schulpolitik ist ein wichtiges Thema, aber Bildung ist ein bisschen mehr, als darüber zu streiten, ob die Einheitsschule so herum oder so herum kommt. Bildung ist ein ganzheitlicher Prozess.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beer?

Ja.

Frau Kollegin Beer, bitte schön.

Danke schön. – Herr Minister, Sie haben gesagt, man kann nicht aus allem eine Schulstrukturdebatte machen. Ich möchte Sie trotzdem fragen, ob Sie das Votum der Sachverständigen zur Kenntnis genommen haben, die sich mehrheitlich gerade dafür ausgesprochen haben, diese Diskussion mit der inneren Reform der Schule zu verbinden und die notwendigen Wege zu gehen. Ich glaube, das sollte Ihnen zu denken geben.

Mir gibt alles zu denken.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das weiß ich ja! Dann ist es ja gut!)

Ich bin auch nicht der Oberschlauberger, sonst bräuchten wir ja keine Enquetekommission. Natürlich gehen die Diskussionen weiter. Aber wenn man einen solch umfassenden Bericht hat, über Bildung in einer umfassenden Form spricht, ist es einfach zu kurz gegriffen, direkt wieder mit den üblichen Schul

debatten, die wir hier Woche für Woche austragen, anzufangen.

(Beifall von der CDU – Monika Düker [GRÜ- NE]: Damit sortieren Sie die Kinder aus!)

Dass die Wissenschaftler einiges Wichtige gesagt haben und die Diskussion auch weitergeht, Frau Düker, und wir uns noch in 50 oder 100 Jahren über Bildung streiten werden, ist ja gut und richtig. Ich wollte nur an Sie appellieren, die Dinge nicht immer zu verkürzen. Das ist Flugblatttext. Wir haben jetzt einen wichtigen Enquetebericht zu diskutieren, der umfassender ist als manchmal unsere Debatten.

Herr Minister, gestatten Sie noch eine zweite Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hendricks?

Ja.

Bitte schön, Frau Kollegin.

(Minister Armin Laschet: Jetzt habe ich mit Schule angefangen, und schon geht es los! Aber gut!)

Herr Minister, ich wollte Sie jetzt gar nicht auf Schule festlegen, sondern meine Frage ist lediglich, ob Ihnen klar geworden ist, dass die SPD ihre Redezeit geteilt hat und über andere Dinge des Enqueteberichts, die uns genauso wichtig sind, anschließend meine Kollegin Hack reden wird, sodass wir es nicht auf eine Schuldiskussion verkürzen.

Ja, ich habe gemerkt, dass die SPD ihre Redezeit geteilt hat.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu den Perspektiven sagen, die die Kommission aufgezeigt hat. Ich möchte vier Stichworte nennen.

Erstens. Individualisierung. Noch stärker als bisher müssen wir auf die biografische Vielfalt der Kinder eingehen. Solidarität und gemeinschaftliche Verantwortung gehören da untrennbar zusammen. Das bedeutet, jeden mitzunehmen und kein Kind zurückzulassen.

Zweitens. Die Bildungsprozesse informeller und nonformeller Art habe ich erwähnt.

Ein dritter Punkt ist mir besonders wichtig. Wir müssen auch – das zeigt der Bericht auf, und das ist in der Diskussion oft zu kurz gekommen – die Familien wieder stärker in den Blick nehmen. Wir werden nicht so viele Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher oder andere aufstellen können,

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Geld dafür geben können und dann glauben können, das Bildungs- und Erziehungsproblem sei damit erledigt.

(Walter Kern [CDU]: Richtig!)

Das ist jetzt kein Streitpunkt parteipolitischer Art, sondern die Erkenntnis, dass die Familien als solche gestärkt werden müssen. Bei allem, was wir tun – das sagen uns auch die Experten –, ist der Einfluss des Elternhauses immer noch größer

(Beifall von der CDU)

als der jeder noch so gut bezahlten staatlichen Einrichtung. Deshalb werden wir die Familien weiter unterstützen und stärken durch den Ausbau des Betreuungsangebotes, die bessere Qualität der Einrichtungen, aber insbesondere durch die Familienzentren, die mehr Familien erreichen und sie in ihrer Kompetenz auch stärker machen oder – wie das der Enquetebericht genannt hat – „Familien lebbar machen“. Das ist ein sehr schöner Ausdruck, der genau deutlich macht, was jetzt in den Familien zu passieren hat.

Geld ist dabei sicher eine wichtige Ressource. Aber Geld ist nicht alles. Hinzukommen müssen die Bereitschaft zum Engagement, der Mut zur Veränderung, fachliche und personelle Kompetenz, Reflexionsfähigkeit und vor allem der Wille zur Gemeinsamkeit. Es braucht Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit. Das schafft Vertrauen, das Kinder und Familien in diesem Lande auch brauchen. Ich denke, es ist unsere gemeinsame Verantwortung, Kinder stark zu machen. Dazu gibt der Enquetebericht wichtige Impulse. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laschet. – Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Kollegin Hack zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben hier heute Morgen auch schon über den Bildungsgipfel debattieren können. Dieser Bildungsgipfel – so ist das ganz überwiegende Echo – hat die in ihn gesetzten Erwartungen in weiten Teilen nicht erfüllt. Er sei schnell auf dem Weg, zu einer Fußnote der Geschichte zu werden, so ist zu hören.

Dass dies mit unserem Enquetebericht nicht passieren möge, betrachte ich als Aufgabe nicht nur der ehemaligen Kommissionsmitglieder, sondern auch als Aufgabe für uns alle hier im Parlament.

(Beifall von der SPD)

Ein Zweck der seinerzeit von der SPD-Fraktion beantragten Kommission war doch, dass sich der

ganze Landtag des Themas Leben und Aufwachsen von Kindern in Nordrhein-Westfalen annimmt und es in den Mittelpunkt des Handelns stellen soll. So ist es nur schlüssig, wenn wir uns alle nun den Bericht und seine Empfehlungen zu eigen machen und, wenn möglich, über Fraktionsgrenzen hinweg an seiner Umsetzung arbeiten.

Erlauben Sie mir diese Zwischenbemerkung, die nicht in meinem Manuskript steht: Herr Witzel, ich hatte bei Ihrer Einlassung über die Enquetekommission den Eindruck, dass es Ihnen sehr wenig um das Gemeinsame in der Kommission geht. Ich möchte das hier bedauern.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Aufschlussreich sind eben die Unter- schiede!)

Wir bemühen uns darum, die Gemeinsamkeiten herauszustellen. Damit möchte ich jetzt auch gerne fortfahren.

Es gab natürlich Auseinandersetzungen in einzelnen Sachfragen, in denen keine Einigkeit hergestellt werden konnte, beispielsweise über eine gemeinsame Handlungsempfehlung.

Aber mir ist wichtig, den jetzt auch schon mehrfach hier zitierten – das ist das Brot des Zweiten oder Dritten, der spricht – Konsens hervorzuheben, nämlich den Konsens, vom Kind aus zu denken und seine Lebenswelten und sein direktes Umfeld zu stärken. Das waren zwei unstrittige Ausgangspunkte für unsere Arbeit.

Ein wichtiges Thema unseres Berichts sind ganz ohne Zweifel schulische Fragen gewesen, aber wir haben bereits viel darüber gehört, dass wir die Begrifflichkeit von Bildung, von Kinderleben sehr viel weiter gefasst haben.

Eine Folge – und auch das ist ein erfreulicher Konsens – ist, dass wir gemeinsam festgestellt haben, dass die frühe Bildung der schulischen längst noch nicht gleichgestellt ist, was ihre Wertschätzung und Ausstattung, was das für sie tätige Personal und die Bewertung ihrer Effekte betrifft. Umso erfreulicher ist aus meiner Sicht der Konsens, dass das eben im Ganzen gestärkt werden muss.

Ergänzend zur Familie sind die Einrichtungen der frühen Bildung wichtige Elemente des kindlichen Lebensumfelds, die es in allem ihrer Bedeutung entsprechend auszustatten gilt.

Konsens erzielten wir darüber, dass Erzieherinnen über – ich zitiere – „fundierte Kenntnisse in Entwicklungspsychologie, Entwicklungsdiagnostik und frühkindlicher Lernpsychologie verfügen müssen“. Die Weiterentwicklung der Ausbildung des Personals stellt sich also als Aufgabe.

Einigkeit herrschte auch darüber – Andrea Asch erwähnte es bereits –, dass der Betreuungsschlüssel große Relevanz für die Qualität der frühen Bil

dung hat. Die Empfehlung, die wir gemeinsam mit den Grünen ausgesprochen haben, bedeutete umgesetzt etwa die Halbierung der jetzigen Gruppengrößen in unseren Einrichtungen.

Bevor nun die Frage gestellt wird – bzw. ist sie teils schon vor allen Dingen auch heute Morgen in der Debatte gestellt worden –, warum nicht früher Mehrheiten und Geld für diese Zwecke vorhanden waren, frage ich: Standen denn Kinder und ihr Aufwachsen je so auf der Agenda wie seit der Zeit, seit klar ist, welche handfesten, wirklich wirtschaftlich messbaren Misserfolge oder Erfolge für NordrheinWestfalen und für Deutschland damit verbunden sind? War jemals so deutlich wie jetzt, wie groß der Standortfaktor Bildung und der Wirtschaftsfaktor Familie sind? Hatten denn nicht Kinder- und Jugendpolitiker in allen Fraktionen nicht nur dieses Hauses einen gelinde gesagt schweren Stand?

Wenn nun der viel zitierte demografische Wandel und seine Auswirkungen jedem klar sind und der viel zitierte Fachkräftemangel die Debatte beherrscht, dann offenbar kann das Thema Mehrheiten finden, dann offenbar kann auch gehandelt werden.

Verehrte Kollegen, wir haben einen weiteren Konsens der Kommission bereits gehört. Wir empfehlen ein Sprachförderkonzept für alle Kinder vom Eintritt in die Kindertageseinrichtung über die Primar- bis zur Sekundarstufe.

Die fundierte Erfahrung der RAA ist einzubeziehen und die Mehrsprachigkeit von Kindern als Kompetenz anzuerkennen und zu fördern – unter vorrangiger Förderung der Deutschkenntnisse.