Protocol of the Session on October 22, 2008

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer heutigen, 102. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Meine Damen und Herren, wir treten in die Beratung der Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Lage der Wirtschaft und der Finanzmärkte in Nordrhein-Westfalen

Unterrichtung durch die Landesregierung

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/7732

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/7738

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 hat mir der Chef der Staatskanzlei mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in seiner heutigen Sitzung zu dem genannten Thema zu unterrichten.

Zu dieser Unterrichtung erteile ich zunächst Herrn Finanzminister Dr. Linssen das Wort. Bitte schön, Herr Finanzminister.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einer Woche haben wir über das Finanzmarktstabilisierungsgesetz auf sehr ungesicherter Basis debattiert. Wir konnten vortragen, was bis zu diesem Mittwochmorgen passiert war. Sicherlich ist die Lage für die Wirtschaft und die Finanzmärkte jedenfalls aus meiner Sicht die kritischste seit Kriegsende. So hat es sich vor 14 Tagen dargestellt.

Ich darf kurz in Erinnerung rufen: Die Konferenzen von Washington und Paris haben – zusammen mit den Umrissen eines Finanzmarktstabilisierungsgesetzes – am Wochenende des 11./12. Oktober dafür gesorgt haben, dass die Märkte am Montag, dem 13. 10., positiv eröffnet haben.

Am Montag voriger Woche ist der Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt worden. Am Dienstag ha

ben die Finanzminister der Länder gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister über dieses Paket konferiert. Am Mittwoch hat die Anhörung stattgefunden. Am Donnerstag gab es die Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Am Freitag haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz verabschiedet. Der Bundespräsident hat es ausgefertigt, und es ist im Bundesgesetzblatt erschienen, sodass es am Samstag, dem 17. 10., in Kraft getreten ist.

Meine Damen und Herren, am Montag ging die Arbeit weiter. Die Rechtsverordnungen sind vom Kabinett verabschiedet worden. Der Leitungskreis, der die bei der Bundesbank etablierte Bundesmarktstabilisierungsanstalt leitet, ist ebenfalls eingesetzt worden. Wir werden in kürzester Zeit den Lenkungsausschuss bestimmen.

Die Ziele des Gesetzes darf ich kurz referieren:

Schaffung tragfähiger Instrumente zur Beseitigung bestehender Liquiditätsengpässe am deutschen Interbankenmarkt

Stabilisierung des deutschen Bankenmarktes

Das Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern soll wiederhergestellt werden.

Um Stützungsmaßnahmen erhalten zu können, müssen die Institute zwingend Auflagen hinsichtlich der Geschäftspolitik, der Angemessenheit der Vergütungen der Organe und der Nichtzahlung von Dividenden erfüllen.

Zu den Maßnahmen im Einzelnen:

Es wird ein Finanzmarktstabilisierungsfonds in Höhe von insgesamt 480 Milliarden € errichtet. Der Interbankenhandel und das Geld, das bei Banken von Institutionellen eingelegt wird, wird in einem Volumen von 400 Milliarden € garantiert. Die Rekapitalisierung und die Übernahme von Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors sind im Volumen von 70 Milliarden €, im Bedarfsfall auch bis zu 80 Milliarden €, möglich, sodass sich das gesamte Paket auf 480 Milliarden € beläuft. 20 Milliarden € kommen für Garantiezwecke hinzu. Das Ganze kann durch eine Mittelaufnahme des Fonds, durch Begebung von Schuldverschreibungen bis maximal 100 Milliarden € finanziert werden.

Meine Damen und Herren, der Fonds läuft zum 31. Dezember 2009 aus. Es ist ein wichtiges Signal, dass sich der Staat nicht auf Dauer als Banker etablieren will. Die Abwicklung und Verteilung der möglichen Defizite auf Bund und Länder im Verhältnis von 65 : 35 ist festgelegt worden. Die Deckelung für die Beteiligung der Länder ist auf 7,7 Milliarden € und nicht, wie vor einer Woche geplant, auf 7 Milliarden € festgelegt worden. Die Länder tragen die Lasten für die Landesbanken und Zweckgesellschaften, die deren Risikopositionen übernommen haben, entsprechend ihren Anteilen an der jeweiligen Landesbank.

Meine Damen und Herren, wir haben letzte Woche noch nicht über die Verordnungen sprechen können, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Darin sind alle Details geregelt. Neben der Verwaltung des Fonds durch die Finanzmarktstabilisierungsanstalt, der Garantie- und Risikoübernahme sowie der Rekapitalisierung werden die Bedingungen für Stabilisierungsmaßnahmen festgelegt.

Zu den Bedingungen der Stabilisierungsmaßnahmen gehören im Wesentlichen: Unternehmen müssen die Geschäftspolitik und deren Nachhaltigkeit überprüfen. Der Fonds kann verlangen, dass Risiken oder Geschäfte reduziert oder aufgegeben werden. Es muss marktübliche Konditionen für inländische mittelständische Unternehmen geben. Die Vergütungssysteme müssen auf ihre Anreizwirkung und die Angemessenheit hin überprüft werden. Die Vergütung der Organmitglieder muss auf ein angemessenes Maß reduziert werden; dabei gelten bis zu 500.000 € als angemessen. Individualisierte Vergütungen der Geschäftsleiter müssen in einem Vergütungsbericht veröffentlicht werden. Es gibt keine Abfindungen, sofern nicht rechtlich geboten.

Darüber hinaus haben die Rechtsverordnungen zum Inhalt: keine Zahlung von Bonifikationen, solange das Unternehmen Stabilisierungsmaßnahmen des Fonds in Anspruch nimmt; keine Dividendenzahlungen während der Dauer der Stabilisierungsmaßnahmen; angemessene vertragliche Informationsrechte für die Anstalt zur Bewertung der Maßnahmen und Prüfungsrecht zugunsten des Bundesrechnungshofs; eine Verpflichtungserklärung von den Organmitgliedern, sofern die Bedingungen nicht durch vertragliche Regelungen sichergestellt werden können.

Meine Damen und Herren, über die von mir geschilderten Maßnahmen hinaus gibt es eine Änderung der Bewertungs- und Bilanzierungsregeln. Das heißt, eine Bewertung kann auf Basis der aktuellen oder nicht vorhandenen Marktpreise vorgenommen werden. Das halte ich für einen ganz wesentlichen Punkt, der in seiner Bedeutung bisher unterschätzt wird. Dadurch sehen nämlich die Quartalsbilanzen – jedenfalls derjenigen, die als Aktiengesellschaft eine Bilanz oder Quartalsberichte veröffentlichen müssen – anders aus, als wenn das nicht erfolgt wäre.

Wir haben weiterhin eine Liquiditätssicherung durch Geldmarktfonds, also die Bereitstellung von Sonderliquiditätshilfen durch die Bundesbank. Wir haben die Verbesserung der Finanzmarktaufsicht, was sicherlich dringend geboten ist, also eine engere institutionelle Verzahnung von Bundesbank, BaFin und internationaler Aufsicht. Es gibt eine Verbesserung der Eingriffsmöglichkeiten der Aufsicht in Krisenzeiten. Die Einlagensicherungen, das heißt der Schutz der Sparer und die Optimierung der Leistungsfähigkeit der bestehenden Sicherungssyste

me, werden überprüft. In der Krise ist deutlich geworden, dass dafür ein Bedarf besteht.

Meine Damen und Herren, zur Rolle von NRW bei den Verhandlungen über den Finanzmarktstabilisierungsfonds: Wir konnten uns mit den Forderungen weitgehend durchsetzen.

(Lachen von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Frau Kraft hatte in ihrer Erklärung betont, dass der Ministerpräsident seine Position nicht durchgesetzt hat. – Jawohl, keiner der Beteiligten hat sich vollständig durchgesetzt, weder der Bundesfinanzminister noch Herr Beckstein noch Herr Oettinger.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Die haben aber wenigstens gekämpft!)

Soll ich die Ministerpräsidenten alle erwähnen? – Ich glaube, das war ein bisschen kleines Karo, und ich nehme an, heute werden Sie das auch so sehen, Frau Kraft.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ein bisschen mehr, als Ihnen lieb ist!)

Die Deckelung der Lasten der Länder für Unterstützungsleistungen wurde auf 7,7 Milliarden € festgelegt. Ich hatte in der letzten Woche von 7 Milliarden € gesprochen; das waren 5 % auf die 400 Milliarden €, die als Verlustrisiko von der Bundesregierung geplant waren. Man hat nachher nicht nur 400 Milliarden €, sondern 480 Milliarden € genommen. Deshalb gab es die Erhöhung.

Zunächst wurde seitens des Bundesfinanzministers von den Ländern eine Deckelungsobergrenze von 8,4 Milliarden € verlangt. Sie wurde dann auf 7,7 Milliarden € reduziert. Danach berechnet sich unser maximal möglicher Verlust mit gut 1,6 Milliarden €.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: In der letzten Woche waren es noch 1,4 Milliarden €!)

Ja, in der letzten Woche waren es 1,4 Milliarden €.

(Ewald Groth [GRÜNE]: Das ist ein gutes Er- gebnis!)

Wenn Sie etwas aufgepasst hätten,

(Gisela Walsken [SPD]: Ja, haben wir!)

Frau Löhrmann, wüssten Sie, dass ich davon gesprochen habe, dass in der vorigen Woche ein maximaler Verlust von 7 Milliarden € seitens der Bundesregierung eingeplant wurde. 20 % von 7 Milliarden € sind, nachdem man 20 Milliarden € mit 35 % auf die Länder verteilt hat, nun einmal in der Endrechnung die von mir genannten 1,4 Milliarden €.

Sie hatten natürlich wieder Horrorzahlen in Höhe von 7,5 Milliarden € in die Welt gesetzt.

(Gisela Walsken [SPD]: Ja, ja, genau!)

Auch das hat sich als völlig obsolet erwiesen.

(Ewald Groth [GRÜNE]: Warten wir erst ein- mal ab! – Gisela Walsken [SPD]: 1,6 Milliar- den € haben Sie gesagt! – Weitere Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Entschuldigen Sie, wir brauchen doch nicht abzuwarten! Die Deckelung des Fonds ist vereinbart.

Im Übrigen: Die Abwicklung des Fonds zwischen Bund und Ländern im Verhältnis 65:35 erfolgt nicht mehr auf Basis verbleibender Defizite, sondern auf der Grundlage des Schlussergebnisses.

Ich hatte in der letzten Woche davon gesprochen, dass in Schweden positive Ergebnisse erwirtschaftet worden seien. Auch das können wir nicht ausschließen. Deshalb wird jetzt auf Grundlage der Schlussergebnisse abgerechnet. Der Erlass dieser Rechtsverordnung erfolgt im Übrigen mit Zustimmung des Bundesrates, was vom Bundesfinanzminister so nicht vorgesehen war.

Die Lasten für die Sparkassen und für die öffentlichen Versicherungen werden nunmehr vom Bund zu 65 % getragen. Die Lasten für die Landesbanken und Zweckgesellschaften, die deren Risikopositionen übernommen haben, werden von den Ländern entsprechend ihrer Anteile zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes getragen. Wir tragen also nicht 100 % der Lasten, die eventuell aus einer Fondsmitgliedschaft der WestLB entstehen könnten – wie vom Bundesfinanzminister geplant –, sondern „nur“ 38 % entsprechend unserer Beteiligung an der Bank.