Protocol of the Session on December 9, 2020

Danke schön, Frau Kollegin. - Im Reigen der Fraktionen fehlt jetzt noch die FDP. Herr Dr. Marco Genthe, Sie haben das Wort. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Corona-Pandemie hat auch den Rechtsstaat vor ganz besondere Herausforderungen gestellt.

Die Gerichte mussten verschiedenste Rechtsverordnungen auf ihre Rechtmäßigkeit und zuletzt auch auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüfen und haben einige von ihnen als unwirksam erklärt. Die Bürger erlebten nie dagewesene Eingriffe in ihre Grundrechte, und zunehmend mehr Menschen scheinen auch das Vertrauen in den Rechtsstaat zu verlieren. Und das, meine Damen und Herren, halte ich für ein gesellschaftspolitisches Alarmsignal.

(Beifall bei der FDP)

Denn das Vertrauen in den Rechtsstaat ist die tragende Säule unserer freiheitlich-demokratischen Bürgergesellschaft. Ich dachte, da sind wir alle uns eigentlich parteiübergreifend einig. Nun haben wir mehrere Redner der Großen Koalition gehört, die sich sehr gelobt haben, und ich werde Ihnen jetzt ein wenig Wasser in den Wein gießen. Das hätte ich auch ganz gerne mit dem Kollegen Limburg getan, der jetzt aber garantiert vor dem Livestream sitzt.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ga- rantiert! - Christian Meyer [GRÜNE]: Der kommentiert alles!)

Insofern noch einmal gute Besserung an dich, Helge!

Meine Damen und Herren, bereits im letzten Jahr habe ich Sie an eine Stelle in Ihrem Koalitionsvertrag erinnert. Da heißt es:

„SPD und CDU wollen die Voraussetzungen für schnelle, verständliche und nachvollziehbare Verfahren verbessern sowie einen modernen und sicheren Justizvollzug gewährleisten.“

Das war Ihr Anspruch an fünf Jahre Große Koalition in Niedersachsen. Und an diesem Anspruch werden Sie sich auch messen lassen müssen.

Wie Justizministerin Havliza aber selbst einräumt, ist der Justizhaushalt mit einem Gesamtvolumen von gerade mal 1,4 Milliarden Euro auch in GroKoZeiten eher bescheiden geblieben. Wir hätten uns - insbesondere aufgrund der eingangs erwähnten gesellschaftlichen Situation - deutlich mehr Engagement gewünscht. Dieses Budget, meine Damen und Herren, reicht einfach nicht aus.

Die niedersächsischen Strafkammern haben inzwischen die höchste Belastung seit zehn Jahren. Es ist keine Lösung, Richter aus dem Zivilbereich im Strafbereich aushelfen zu lassen. Löcher zu stopfen, indem man woanders welche aufreißt, meine Damen und Herren, kann keine ernsthafte Justizpolitik sein. Gerade im Bereich des Strafrechts ist es entscheidend, auf kriminelle Phänomene schnell und entschieden zu reagieren.

Ich freue mich daher auch persönlich sehr, dass Sie unserem Antrag „Konsequentes Vorgehen gegen kriminelle Familien-Clans“ endlich gefolgt sind. Sie haben schon sehr lange gebraucht, um sich unserer Meinung anzuschließen, dass die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften sinnvoll ist, um dem Phänomen Clan entgegenzuwirken. Herr Calderone hat es eben noch einmal ganz deutlich erwähnt. Aber ich sage an dieser Stelle: Das hätten Sie auch schon zwei Jahre früher haben können, wenn Sie unserem Antrag gefolgt wären. Jetzt ist natürlich von entscheidender Bedeutung, dass diese neuen Strukturen mit ausreichend Personal unterlegt werden.

Meine Damen und Herren, die Personalsituation wird in den nächsten Jahren insgesamt eine sehr große Herausforderung werden. Bis 2030 gehen bundesweit etwa 40 % aller Staatsanwälte und Richter in den Ruhestand. Wie Sie mit Ihrer Personalpolitik einen Kollaps vermeiden wollen, ist mir völlig schleierhaft.

Ich darf Sie erinnern:

„SPD und CDU wollen sich für eine angemessene Ausstattung der Justiz einsetzen. Am Personalbedarfsberechnungssystem

(PEBB§Y) wird festgehalten. Ziel ist eine Erreichung von PEBB§Y 1,0 über das gesamte System.“ Dieses Ziel ist auch nach drei Jahren nicht erreicht worden. Über alle von PEBB§Y erfassten Dienstgruppen hinweg errechnet sich ein Fehlbedarf von rund 210 Vollzeiteinheiten. Dabei stechen der Bezirk der OLG Braunschweig mit knapp 42, die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg mit 85 und - der Spitzenreiter, meine Damen und Herren - die Generalstaatsanwaltschaft Celle mit 115 fehlenden Vollzeitstellen besonders hervor. Von PEBB§Y 1,0 sind Sie meilenweit entfernt. Mir fehlt darüber hinaus jedes Verständnis dafür, dass die alte rot-grüne Vereinbarung hinsichtlich der 35 wegfallenden Stellen für die Digitalisierung von der Großen Koalition nicht rückgängig ge macht worden ist. Nun ist die Justizministerin wie der Finanzminister von der CDU. Dass diese beiden Häuser nicht in der Lage waren, diese völlig - völlig! - realitätsferne Planung zurückzunehmen, ist völlig unverständlich. (Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, daher stellen wir mit unserem Antrag knapp 600 000 Euro zur Verfügung, um der Überlastung der Gerichtsbarkeit in Niedersachsen entgegenwirken zu können.

Straftäter müssen nicht nur schnell verurteilt werden können. Vielmehr muss die Vollstreckung ebenfalls schnell erfolgen. Hier ist es wichtig, dass genügend Haftplätze und vor allen Dingen auch genügend Personal vorhanden sind.

Doch leider fehlen nach wie vor fast 200 Strafvollzugsbeamte. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Verband Niedersächsischer Strafvollzugsbediensteter und das Justizministerium nun eine einheitliche Sprachregelung gefunden haben, um diesen Mangel zu beseitigen. Aber nun, meine Damen und Herren, muss dieser Mangel auch einmal angegangen werden. Unser Haushaltsentwurf sieht daher an dieser Stelle 20 zusätzliche Vollzeiteinheiten vor.

Personalmangel in den Vollzugseinrichtungen führt dazu, dass Inhaftierte am Ende nur noch verwaltet werden. Die Resozialisierung bleibt auf der Strecke. Es bleibt den Beamten schlicht und ergreifend nicht genügend Zeit, um z. B. auf die drohende islamistische Radikalisierung eines Inhaftierten zu reagieren. Welche Folgen das haben kann, das wissen wir alle.

Ein weiteres Beispiel aus der Praxis macht deutlich, wie dünn die Personaldecke in einer JVA inzwischen geworden ist: In den Anstalten herrscht ein Ärztemangel, den Sie im Übrigen auch nicht in den Griff bekommen. Aus diesem Grunde müssen Ärzte außerhalb einer Anstalt aufgesucht werden. Diese Ausführungen sind mit einem enormen Personalaufwand verbunden und begründen zugleich natürlich auch ein Sicherheitsrisiko. Eine Ausführung dauert zwei bis drei Stunden. Pro Gefangenen werden stets mindestens zwei, manchmal auch drei Vollzugsbeamte als Begleiter eingesetzt. Die fehlen dann schlicht und ergreifend in den Anstalten.

Um hier eine Entlastung für das Personal - und am Ende natürlich auch für die Inhaftierten - zu erreichen, haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, der die Einführung der Telemedizin in

den Justizvollzugsanstalten vorsieht. Ich war gleichzeitig erstaunt und erfreut, als ich erfuhr, dass die Große Koalition unseren Entschließungsantrag - im Übrigen inklusive der Überschrift - inzwischen abgeschrieben hat und als ihren eigenen zu verkaufen versucht. Aber sei es drum! Hauptsache, wir kommen an dieser Stelle weiter.

(Beifall bei der FDP - Christian Calde- rone [CDU]: Wir haben ihn besser gemacht!)

Meine Damen und Herren, neben der Personalsituation darf die bauliche Situation nicht aus dem Blick geraten. Dass die Baumaßnahmen im Vollzug mit diesem Haushalt um 4 Millionen Euro gekürzt werden, obwohl weiterhin Haftplätze fehlen, ist nicht nachzuvollziehen.

Gleiches gilt für den Staatsschutzsenat in Celle. Auch hier wird - Herr Calderone hat es eben erwähnt - ein neues Gebäude dringend benötigt. Die Ministerin bemüht sich schon sehr lange um Zuschüsse aus Berlin. Aber aus der Hauptstadt kam sehr lange keine Antwort.

(Christian Calderone [CDU]: Aber jetzt!)

Ich hoffe aber, dass wir jetzt - ganz aktuell - an dieser Stelle konkreter werden können und dass sich da etwas verbessern kann.

(Christian Calderone [CDU]: Auf alle Fälle!)

Meine Damen und Herren, die Leistungsfähigkeit der Justiz ist gerade in diesen angespannten Zeiten entscheidend für den Rechtsfrieden in unserer Gesellschaft. Die immer größer werdenden Herausforderungen für den Rechtsstaat durch politische und religiöse Radikalisierung, Organisierte Kriminalität und die Folgen der Corona-Pandemie sind ohne eine ausreichend ausgestattete Justiz nicht zu stemmen. Es wird Zeit, dass auch Sie das erkennen.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. Wie bei Ihnen gewohnt, war es wieder eine Punktlandung.

Meine Damen und Herren, aus dem Plenum liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass jetzt die Landesregierung am Zuge wäre. Frau Ministerin Havliza, Sie haben das Wort. Bitte sehr!

Vielen Dank. Bei mir wird es wahrscheinlich keine Punktlandung.

Herr Präsident! Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses starten, die wie jedes Jahr den Haushalt - wie ich finde - ganz perfekt vorbereitet und auf den Weg gebracht haben.

(Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz übernimmt den Vorsitz)

Ebenso danke ich den Mitgliedern des Rechtsausschusses, die die Haushaltsberatungen immer sehr konstruktiv begleitet haben. Ganz besonders danke ich natürlich auch den Fraktionen von SPD und CDU für die Unterstützung und das vertrauensvolle Miteinander. Ich finde, die politische Liste ist wieder einmal ein gutes Beispiel für diese ausgezeichnete Zusammenarbeit. Und die, Herr Kollege Bajus, lasse ich mir nicht schlechtreden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Dieses Jahr, meine Damen und Herren, war ein besonderes und ein besonders schwieriges. Da freut es mich, dass wir trotz der schon vielfach dargestellten schwierigen finanziellen Ausgangssituation infolge der Corona-Krise mit dem Haushaltsplan 2021 zum einen wichtige Schwerpunkte für die Justiz setzen, zum anderen bereits begonnene Themen fortführen und intensivieren.

Es ist schon mehrfach gesagt worden: Wir werden die Strafjustiz und die Ausbildung stärken, die Digitalisierung vorantreiben, mehr Sicherheit für die Gerichte und Staatsanwaltschaften aufbauen und den Justizvollzug stärken.

So viele Beschäftigte, meine Damen und Herren, wie im Moment in der Justiz arbeiten, haben nie zuvor in der Justiz in Niedersachsen gearbeitet.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir haben seit Beginn der Legislaturperiode bereits 300 Stellen neu geschaffen.

Mit dem Haushalt 2021 setzen wir einen deutlichen personellen Schwerpunkt im Bereich der Strafjustiz. Denn die Strafkammern - auch das ist schon gesagt worden - hatten in der ersten Instanz bei den Landgerichten zum Jahresende 2019 den höchsten Bestand seit zehn Jahren. Das ist zum einen auf einen starken Zuwachs der Eingänge - also der Straftaten - zurückzuführen. Zum anderen

werden die Strafprozesse - das wissen wir alle - immer komplexer.

Klar ist: Wir brauchen eine starke Justiz. Strafen müssen möglichst zeitnah ausgesprochen werden. Verbrechen dürfen sich nicht lohnen.

Da ist es nur richtig und konsequent, nach der erfolgten Personalverstärkung der Staatsanwaltschaften nun auch die Strafgerichte auf allen Kriminalitätsfeldern personell zu unterstützen. Deshalb freue ich mich, dass 2021 zwanzig unbefristete Richterstellen sowie zehn weitere Beschäftigungsmöglichkeiten neu geschaffen werden können.

Wir haben auch die Staatsanwaltschaften erneut berücksichtigt. Wir setzen die begonnene Stärkung der Staatsanwaltschaften im Jahr 2021 mit insgesamt sechs neuen Staatsanwaltsstellen konsequent fort. Hier gilt es, außer auf die Bekämpfung von Clankriminalität auf zwei weitere Kriminalitätsfelder besonderes Augenmerk zu legen: die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Kinderpornografie sowie die Bekämpfung von Hasskriminalität.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen Moment von meinem Redetext abschweifen.