Protocol of the Session on September 14, 2020

Wer definiert diese Begriffe? - Bis auf Weiteres die Behörde. Hier in Niedersachsen ist der Verfassungsschutz nach wie vor keine eigenständige Behörde, sondern eine Abteilung des Innenministeriums. Im Zweifel bestimmt also der Innenminister über diese Abteilung.

Wer definiert also im Ergebnis die Begriffe? - In Wahrheit die Politik, und zwar je nach aktueller Bedürfnislage.

Selbst wenn ein Minister keinen Einfluss nimmt, steht die Behörde da und rätselt, was eine erhebliche Größe ist: „Bei Verein X haben wir 100 Personen als erhebliche Größe angesehen. Ach, dann gehen auch 95!“

Was hier erfolgen soll, ist doch keine redaktionelle Änderung! Das ist eine massive Aufweichung der Bindung der Behörde an klare Einsatzvoraussetzungen!

Und was ist, wenn Mischformen vorliegen? Ach ja, nicht unerhebliche Finanzstärke, immerhin 80 Mitglieder, und dreimal wurden deren Beiträge auf Facebook sehr erfolgreich geteilt, Strahlkraft! - Reicht dann auch so eine Gesamtschau? - Alles ungeklärt!

Meine Damen und Herren, man spielt nicht mit den Grundrechten. Das zeichnet einen Rechtsstaat aus. Aber diesem Spiel mit Grundrechten werden hier Tür und Tor geöffnet.

Übrigens: Selbst wenn ich Auskunft erhalte, bekomme ich nach dieser Gesetzesänderung nur Auskunft über den konkreten Sachverhalt, den ich zur Begründung der Auskunft sowieso erst einmal vortragen muss. Wie soll denn der Antragsteller wissen, wegen welches konkreten Sachverhalts er

möglicherweise beobachtet wird, wenn er den schon bisher gerade erst durch eine Anfrage erfahren konnte? Und ja, die Behörde hat nach diesem Gesetzentwurf ein Ermessen, auch mehr zu berichten, aber ein Ermessen an dieser Stelle halte ich für falsch. Das Auskunftsrecht der Bürger muss so weitgehend sein, wie es die Funktionsfähigkeit des Dienstes zulässt.

(Zuruf)

- Ja, dann müssen Sie es aber anders begründen und nicht so schwach.

Meine Damen und Herren, unter dem Gesetzentwurf steht die ohne Zweifel wichtige Auskunft „Auswirkungen auf die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Keine“. Da hätte aber auch stehen müssen: „Auswirkungen auf Bürgerrechte und Bürgerfreiheiten. Katastrophal“. Ich weiß nicht, wer sich bei Ihnen so etwas ausdenkt. Wir werden die bürgerlichen Freiheiten, wir werden das Verhältnismäßigkeitsprinzip und damit das Grundgesetz verteidigen. Darauf können Sie sich verlassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Danke, Herr Wichmann. - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Helge Limburg.

(Zuruf von Sebastian Lechner [CDU])

- Herr Lechner, wenn ich es richtig sehe, haben Sie sich sowieso zu Wort gemeldet. Sie müssen also jetzt nicht die ganze Zeit vor sich hinreden. Danke schön.

Herr Kollege Lechner, vor allem wäre es schön, wenn Sie die Zwischenrufe so laut machen, dass sie hier vorne auch ankommen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wichmann, zu Ihrem letzten Satz nur so viel: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist viel zu wertvoll und viel zu gut, als dass es verdient hat, von Ihrer Partei auch nur in irgendeiner Weise verteidigt zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Klaus Wichmann [AfD]: Das sagen Sie, Herr Limburg!)

- Genau, Herr Wichmann, das sage ich Ihnen hier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der uns hier heute vorliegt, ist eindeutig eine Rolle rückwärts in die Zeit vor der letzten großen Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes - vor der rot-grünen, gemeinsam getragenen Reform und Modernisierung des Verfassungsschutzrechtes. Offensichtlich ist die Große Koalition geleitet von dem alten, aber auch schon stets falschen Gedanken: Je größer eine Gefährdungslage, desto größer muss man Grundrechtseingriffe ausgestalten, und schon wird die Sicherheit irgendwie zurückkommen. - Das aber ist grundfalsch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Um es klarzustellen: Natürlich leistet der Verfassungsschutz wichtige Beiträge zur Verteidigung unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Überhaupt keine Frage! Aber: Das leistet er auch in der gegenwärtigen gesetzlichen Situation. Herr Innenminister, Sie haben in Ihrer Rede auch nicht darlegen können, wofür genau die weitreichenden Grundrechtseingriffe in diesem Gesetzentwurf nötig sind. Eine solche genaue Begründung ist aber durchaus angezeigt; denn es geht hier darum, dass Sie in der Tat in sensible Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen eingreifen.

Sie haben es selber angesprochen: Sie wollen den Einsatz von V-Leuten erleichtern. Ich darf daran erinnern, dass die Beschränkung des Einsatzes von V-Leuten natürlich auch eine Schlussfolgerung war, die übrigens nicht nur von den Grünen, sondern von allen im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen - und auch in vielen Landesparlamenten quer durch die Fraktionen - aus dem katastrophalen Versagen einiger Sicherheitsdienste rund um die Mörderbande des Nationalsozialistischen Untergrundes gezogen wurde. Dort hat es im Umfeld zahlreiche V-Leute gegeben. Dort gab es den Eindruck, dass sogar massiv Gelder, die die Verfassungsschutzämter an die V-Leute gezahlt haben, in die rechtsextreme Szene geflossen sind. Dem wollte man einen Riegel vorschieben. Das war doch der Hintergrund für die Begrenzung des V-Mann-Einsatzes! Dass Sie diesen Einsatz jetzt hier wieder so sang- und klanglos ausweiten wollen, ohne auf ausreichende Kontrollmechanismen zu achten, ist hoch problematisch, Herr Innenminister.

Sie haben die Minderjährigen angesprochen. Ich möchte hier noch einmal dem Eindruck entgegenwirken, als dürften unter 16-Jährige nach dem gegenwärtigen Gesetz gar nicht beobachtet wer

den. Das ist mitnichten der Fall. Das gegenwärtige Gesetz erlaubt natürlich unter ganz engen Voraussetzungen auch die Beobachtung von 14- und 15Jährigen, aber eben unter engen Voraussetzungen. Ihre einzige Begründung, Herrn Innenminister, warum Sie das weiter absenken und die Beobachtung von 14- und 15-Jährigen erleichtern wollen, ist ja die Strafmündigkeit.

Nun wissen Sie aber so gut wie ich, dass die Strafmündigkeit zwar ab 14 Jahren besteht, aber eben auch nur eingeschränkt besteht, und zwar aus gutem Grund: Weil man eben weiß, dass Jugendliche in diesem Alter keine gefestigten Weltbilder oder - auf das Strafrecht bezogen - keine gefestigten kriminellen Karrieren haben und dass man deswegen eher mit pädagogischen Mitteln kommen muss. Sie aber wollen die pädagogischen Mittel wieder ein Stück weit beiseiteschieben und wieder in den Hintergrund rücken und wollen stärker mit der Beobachtung und mit der Sicherheitsbehörde kommen. Das ist hoch problematisch, Herr Innenminister.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie erschweren die Selbstauskünfte. Warum ist das Selbstauskunftsrecht beim Verfassungsschutz so wichtig? Das Recht, dass Bürgerinnen und Bürger erfahren können, welche Daten der Verfassungsschutz über sie gespeichert hat, ist einer der wichtigen Bausteine, die unseren Verfassungsschutz hier in Bund und Ländern von Nachrichtendiensten in totalitären Staaten unterscheidet. Bürgerinnen und Bürger sind natürlich nicht gegenüber der Behörde rechtlos gestellt, sondern können in Teilen gerichtlichen Rechtsschutz erlangen, haben aber auch die Möglichkeit zu erfahren: Was hat die Behörde eigentlich über mich?

Wir erinnern uns doch alle noch daran, wie wichtig es den Menschen in der früheren DDR war, nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes zu erfahren: Was hat eigentlich die Stasi über mich gespeichert? - Die Nutzung dieses Rechts wollen Sie jetzt erschweren, und zwar nicht in geringem Maße. In der Tat sagen Sie: Man muss schon einen konkreten Sachverhalt vortragen. - Tatsächlich können aber doch Bürgerinnen und Bürger häufig genug gar nicht wissen, welcher Sachverhalt eigentlich dazu geführt hat, dass sie - vielleicht auch nur als Beifang oder aus Versehen - ins Visier der Nachrichtendienste geraten sind. Das den Bürgerinnen und Bürgern aufzudrücken, konterkariert dieses Auskunftsrecht de facto vollkommen.

Darüber hinaus, Herr Innenminister, vermute ich, dass das so nicht beabsichtigt ist: Wenn Sie sich den Gesetzentwurf genau durchlesen, dann stellen Sie fest, dass es überhaupt keine Hürde dagegen gibt, dass der Verfassungsschutz solche Anträge auf Selbstauskunft dann selbst wiederum als Beobachtungsanlass nimmt. Eine Bürgerin oder ein Bürger schreibt: Ich war bei dieser oder jener Demo. - Der Verfassungsschutz sagt: Vielen Dank, das wussten wir noch gar nicht. Dann legen wir mal eine Akte über dich an. - Im Grunde genommen müssen Sie diesen Paragrafen in das Kapitel über die Datenerhebung des Verfassungsschutzes aufnehmen und nicht hinten bei den Auskünften.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich komme zum Abschluss, Frau Präsidentin.

Die parlamentarische Kontrolle findet in Ihrem Gesetzentwurf keinerlei Verbesserung. Dass Sie die Finanzermittlung erweitern, finden wir gut. Das loben wir ausdrücklich. Darüber werden wir im Detail im Ausschuss noch zu reden haben.

Insgesamt muss es aber doch darum gehen, die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes auch tatsächlich in die Arbeit unserer Waffenbehörden, unserer Polizei und unserer Justiz einzubeziehen und nicht einfach nur wild mehr Daten zu sammeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Kollege Limburg. - Jetzt erhält der Kollege Sebastian Lechner das Wort für die CDUFraktion.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sie haben immerhin neun Minuten, Herr Lechner.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Die reichen ja für jeden einzelnen Paragrafen, Frau Präsidentin!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen und Monaten hier ziemlich oft gestanden und darüber debattiert, wie wir mit steigender Gewaltbereitschaft im linksextremen Bereich - laut Verfassungsschutzbericht - umgehen wollen, mit der nach wie vor hohen Bedrohungslage durch islamistischen Extremismus und Terrorismus und vor

allem auch explizit mit der wachsenden Bedrohungslage von rechts, mit der Vernetzung von rechtsextremistischen Gruppen, mit dem Hass und der Hetze im Internet. Insofern kann man aus diesen ganzen Debatten, die wir dort geführt haben, eigentlich nur einen Schluss ziehen: Wir brauchen einen starken Verfassungsschutz, ein Frühwarnsystem für unsere Demokratie, einen Schutzschild. Genau das beabsichtigen wir mit dieser Gesetzesvorlage.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben es uns wirklich nicht einfach gemacht. Wir haben sehr intensiv beraten,

(Ulrich Watermann [SPD]: Ach, ich kann mich nicht erinnern!)

auch in der Koalition, lieber Uli Watermann. Wir haben miteinander gerungen. Ich finde, dass wir am Ende einen Weg gefunden haben, der ein guter Ausgleich zwischen erweiterten Instrumenten und gleichzeitig Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit ist.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ich fürchte, dass Sie diese Auffassung exklusiv haben, Herr Kollege!)

- Herr Limburg, zu Ihnen komme ich gleich noch.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ja, bitte! Machen Sie das mal!)

Wir werden als Erstes - Sie haben es schon angesprochen - eine Ausweitung des Einsatzes von V-Leuten vornehmen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wieso Ausweitung?)