Protocol of the Session on July 15, 2020

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 8: Abschließende Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung niedersächsischer Rechtsvorschriften aus Anlass der COVID-19-Pandemie - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/6482 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 18/6981 - Schriftlicher Bericht - Drs. 18/7034 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/7024 - Änderungsantrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/7035 - dazu gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 GO LT: Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/7036

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf mit Änderungen anzunehmen.

Der Änderungsantrag der Fraktion der Grünen zielt hinsichtlich zahlreicher Artikel auf Abweichungen von der Beschlussempfehlung.

Der Änderungsantrag der Fraktion der FDP hat ebenfalls Abweichungen von der Beschlussempfehlung zum Inhalt.

Über den Antrag auf Annahme einer Entschließung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Landtages - also einer Entschließung, die der Sache nach zu diesem Gesetz gehört - beschließt der Landtag nach § 36 unserer Geschäftsordnung nach der Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.

Ich eröffne die Beratung. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben sich bereits zwei Kolleginnen angemeldet, zunächst die Kollegin Susanne Menge und dann die Kollegin Meta JanssenKucz. Bitte schön, Frau Kollegin Menge!

Danke schön. - Haben wir jetzt nur sieben Minuten? Ich dachte: zehn, also jede fünf.

Bei mir in der Anzeige haben die Grünen zehn Minuten. Unten am Redepult haben sie sieben. Vielleicht kann die Regie das klären.

(Jörg Bode [FDP]: Das liegt an den Zeitzonen!)

- Die Zeitzonen, Herr Kollege, können es durchaus sein. Ja, hier ist alles möglich.

Aber das werden wir jetzt nicht klären. Die Frau Kollegin Menge hat jetzt erst einmal das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich an dieser Stelle betonen, wie wertvoll für unsere Arbeit der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst ist. Der GBD, wie wir ihn in Niedersachsen kennen und schätzen, ist in dieser Qualität offenbar nicht in allen Bundesländern üblich. Wer im Niedersächsischen Landtag saß und nun ein Mandat im Bundestag hat, vermisst die Qualität eines GBD, wie wir sie haben. Es gebühren ihm der Dank und die Anerkennung des Landtages dafür, dass er uns bei diesem Galopp begleitet hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung von Sebasti- an Lechner [CDU])

Ganz im Gegensatz dazu steht das Vorgehen der Regierungsfraktionen bei der Gesetzeseinbringung. Diese ist geprägt von Schnelligkeit statt Gründlichkeit, von Unübersichtlichkeit statt Klarheit und von dem Bärendienst, den sie der Demokratie damit liefern. Sie betonen, dass sie der Bevölkerung in pandemischen Zeiten einfache und schnelle Lösungen anbieten wollen. Aber geprägt waren die Ausschusssitzungen davon, dass ihre Vorschläge widersprüchlich, unklar, einige sogar gesetzes-, mitunter verfassungswidrig waren.

Das Pfund Zeit spielte bei dieser Gesetzgebung keine Rolle. Wie oft hat der GBD angemahnt, dass Anmerkungen nur vorbehaltlich getroffen werden konnten, weil ihm die nötige Zeit fehlte! Gleiches gilt für uns, die Abgeordneten.

Meine Kollegin, Frau Janssen-Kucz, wird gleich näher auf den Gesundheits- und Pflegebereich eingehen, in dem die verfassungsrechtlichen Bedenken in Teilen bis heute nicht ausgeräumt werden konnten.

Eine Kernfrage ist z. B.: Soll bzw. darf der Landesgesetzgeber für den Fall einer epidemischen Lage von nationaler Bedeutung eine weitere Feststellung zur landesweiten Tragweite treffen und diese auch regeln?

Wir haben darüber, über die Gewaltenteilung, über das Verhältnis von Legislative und Exekutive - eine zentrale Frage unserer Demokratie - und ihre Aufgaben mangels Zeit übrigens nie grundsätzlich diskutieren können. Das finde ich mehr als fahrlässig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diese Diskussion hätte u. a. die drängende Klärung der Frage gehört, wie die Regelungen dieses Gesetzes zur Feststellung einer landesweiten pandemischen Lage vollzogen werden sollen.

Meine Fraktion hat sich dennoch konstruktiv in diesen Prozess eingebracht, u. a. zu Artikeln zur Kommunalverfassung, zur Personalvertretung und zu Wahlen.

Wir haben eine komplette Alternative vorgelegt, die auf der Basis des vorhandenen Rechts und unter Nutzung der digitalen Möglichkeiten die Demokratie stärkt. Wie viele Ratsmitglieder haben sich bei uns gemeldet und waren entsetzt, dass nun plötzlich Hauptverwaltungsbeamte in der Hauptsache allein Entscheidungen treffen oder dass allenfalls der Hauptausschuss bzw. der Verwaltungsausschuss zur Entscheidungsfindung zusammenkommt!

Lärmschutz und Baurecht hebelt man auch nicht einfach in einer Infektionsphase aus. Seit Willy Brandt wissen wir, dass eine wichtige Botschaft für unsere Demokratie ist, mehr Demokratie zu wagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist mir völlig unverständlich, gerade in heutigen Zeiten ein Weniger an Mitbestimmung zu befürworten. Demokratie gilt auch in Krisenzeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Geehrte Damen und Herren, wieso legen Sie z. B. zuerst ein Gesetz vor, bevor Sie überhaupt genau hinschauen, was in dieser pandemischen Lage gut und was weniger gut gelaufen ist? Üblich sollte doch wohl eigentlich der umgekehrte Weg sein: zuerst evaluieren und dann daraus die Folgerungen ziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Sonderausschuss „Corona“ soll eingerichtet werden - soll. Bis heute ist uns überhaupt nicht klar, welchen Auftrag er hat und ob er überhaupt eingerichtet wird.

Warum wählen Sie ein parlamentarisches Verfahren, das auf Schnelligkeit setzt? Warum entscheiden wir heute über einen Gesetzentwurf, über den wir nicht ordentlich und intensiv beraten konnten? Warum gestatten Sie dem Parlament und den gewählten Vertreterinnen und Vertretern nicht die wichtigen Diskussionen?

Wir werden uns deshalb nach reiflicher Überlegung dazu entscheiden, das Gesetz abzulehnen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN - Sebastian Lechner [CDU]: Im Ausschuss haben Sie sich noch enthalten!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Menge.

(Gegenruf von Susanne Menge [GRÜNE])

- Wollen Sie beide draußen fortsetzen? - Danke schön.

(Jörg Bode [FDP]: Das ist spannend!)

- Ja, das ist spannend. Herr Bode, das glaube ich durchaus.

Entgegen der Ursprungsplanung hat Frau Janssen-Kucz sich entschieden, erst nachher in das Geschehen einzugreifen. Deswegen bekommt jetzt für die FDP-Fraktion der Herr Kollege Dr. Genthe das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident, ich glaube, ich habe siebeneinhalb Minuten. Kann das sein?

Sie haben hier oben sieben und da unten auch. Ich meine, das kann ich von hier aus erkennen. Ist Ihnen das zu viel, Herr Kollege, oder zu wenig?

Ich meine, wir hätten siebeneinhalb angemeldet. Aber keine Ahnung!

Gut, machen Sie mal!

Mein Parlamentarischer Geschäftsführer ist auch gerade weg. Dann rede ich ein bisschen schneller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Anfang dieser Pandemie wussten wir alle nicht, was auf uns zukommt. Wir alle haben noch die erschreckenden Bilder aus den europäischen Nachbarländern im Kopf. Daher war es völlig richtig, dass diese Landesregierung schnell und entschlossen handelte. Dass in einer solchen Situation auch Fehler passieren, steht außer Frage. Als FDP-Fraktion haben wir auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir für diese Fehler Verständnis haben.

Das Grundgesetz und auch die Niedersächsische Verfassung behalten aber auch in einer solchen Ausnahmesituation ihre Gültigkeit. In diesen Gesetzen sind im Übrigen auch Vorbereitungen auf solche Situationen getroffen worden. Das hat die Landesregierung - schon hinsichtlich der parlamentarischen Beteiligung - bereits vom ersten Tag an vergessen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

So bekam dieses Parlament die Verordnungen der Landesregierung, die ja massive Einschnitte in die bürgerlichen Freiheitsrechte bedeutet haben, nur über die Presse zu Gesicht.

Hinzu kamen massive Fehler in den Verordnungen selbst. Ich denke dabei insbesondere an die erste Verordnung bezüglich der Kontaktverbote. Die hätte nämlich bedeutet, dass Alleinstehende in ihren eigenen Wohnungen quasi in Isolationshaft genommen worden wären.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ja! Ja!)