Protocol of the Session on July 15, 2020

Bitte, Herr Minister Althusmann!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für Gespräche bin ich jederzeit zu haben. Ich habe ver.di frühzeitig darüber informiert. Wir stehen seit über einem Jahr - das ist also nicht überraschend vom Himmel gefallen - in Gesprächen sowohl mit der SPD-Fraktion als auch mit der CDU-Fraktion. Wir haben alles rechtlich geprüft. Wir haben rechtlich keine andere Handhabe.

(Zuruf von Jörg Bode [FDP])

- Ja, ich gehe gerade auf den Tarifvertrag ein. Ich gehe auf die letzte Einlassung des Kollegen der SPD-Fraktion ein.

Ich bin mir aber sehr sicher, dass wir das gemeinsam hinkriegen werden. Wir haben bisher immer gute Gespräche geführt.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will aber eines einmal sehr grundsätzlich sagen: Wenn wir es in Niedersachsen ernst meinen mit „Niedersachsen packt an“ und „Niedersachsen hält zusammen“, dann dürfen wir doch, um Gottes Willen, in der schwersten Krise dieses Landes nicht wieder reflexartig in die alten Vor-Corona-Argumentationsmuster zurückfallen. Das hilft in einer Krise mit Sicherheit nicht weiter.

(Beifall bei der CDU)

Ich will nur einmal darauf aufmerksam machen, dass der niedersächsische Einzelhandel Thema einer Onlineveranstaltung der niedersächsischen IHKs mit der Überschrift „Die Hütte brennt - Der Einzelhandel steht in Flammen“ war. Dort unterstützt man ausdrücklich die Überlegung des Einzelhandels. Der Vorschlag auf eine Sonntagsöffnung kommt ja nicht von mir. Der Vorschlag kommt vom Einzelhandel, der gesagt hat: Gebt uns die Möglichkeit, ein Stück weit ein Signal zu setzen, um wieder ein wenig Umsatz möglich zu machen.

Wir werden ihn dadurch nicht retten. Aber geben Sie uns die Chance, mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen darüber zu sprechen - mit

den Kirchen, mit den Gewerkschaften, mit dem Einzelhandelsverband selbst, mit den IHKs, mit dem Landessportbund und den kommunalen Spitzenverbänden. - Und genau das haben wir getan. Wir haben mit allen - außer mit den Vertretern von ver.di und DGB - eine Einigung erzielt. Mein Ziel bleibt es aber, einen Konsens in der Frage zu finden, ob es in einer Ausnahmesituation für Niedersachsen eine Möglichkeit gibt, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Dieses möchte ich mit allen Beteiligten noch einmal ausdrücklich und ernsthaft besprechen. Und ich fand es großartig, dass die Kirchen gesagt haben: Ausnahmsweise können wir uns das vorstellen.

(Beifall bei der CDU)

Worüber sprechen wir? Die von uns durch unsere Verordnungen in Niedersachsen und die in allen Teilen der Republik verfügten Geschäftsschließungen haben dazu geführt, dass der Einzelhandel bundesweit einen Umsatzausfall von 1 Milliarde Euro täglich hatte, 7 Milliarden Euro in der Woche. Jetzt stehen wir vor der Situation, dass 50 000 Insolvenzen bundesweit auf uns zukommen. Wenn wir das umrechnen: 10 % könnten auf Niedersachsen entfallen. Dann könnten es hier bis zu 5 000 Betriebe sein.

In einer solchen Situation müssen wir tatsächlich zusammenhalten, damit Kurzarbeit nicht am Ende zu Langzeitarbeitslosigkeit wird. Daran können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, daran können wir als Politik, daran kann der Einzelhandelsverband und daran können alle Gewerkschaften zusammen kein Interesse haben. Wir müssen dagegen ankämpfen, wir müssen gegenhalten.

(Beifall bei der CDU)

Nach einer aktuellen Umfrage des ifo-Instituts befürchten 45 % der Unternehmen im Einzelhandel, dass sie auf Basis ihrer Liquidität und ihrer Eigenkapitalsituation nur noch ganze drei Monate überleben können. 63 % sagen: Maximal noch ein halbes Jahr, dann werden wir in die Insolvenz gehen und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen müssen.

Wir hatten niemals zuvor, auch nicht in der Finanzkrise, eine derart schwierige Lage im deutschen Einzelhandel, insbesondere im Non-Food-Bereich, weil der Lebensmitteleinzelhandel durch die Krise natürlich eine ganz andere Situation hatte. Wie bedeutsam ist dieser Einzelhandel? - Es sind allein in Niedersachsen 235 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in 39 000 Betrieben. Keine

andere Branche in Niedersachsen ist mit 88 000 Beschäftigten so massiv von Kurzarbeit betroffen wie der Einzelhandel. Und wenn Galeria Karstadt Kaufhof schließt, dann schließt ein Magnet für lebendige Innenstädte.

Das sind Warnsignale für uns als Politik, und da können wir uns nicht zurücklehnen und sagen: Ja, wir versuchen, das Ganze mit diesem oder jenem Konzept, mit Zuschüssen oder sonst etwas aufzufangen. - Vielmehr brauchen wir ein breit angelegtes Konzept. Deshalb bin ich den Koalitionsfraktionen dankbar dafür, dass man heute einen Nachtragshaushalt auf den Weg gebracht hat, der es mir wiederum ermöglicht, 10 Millionen Euro für den Einzelhandel zur Verfügung zu stellen, auch für die Digitalkapazitäten des niedersächsischen Einzelhandels, also um zu ermöglichen, neben dem klassischen Einzelhandelsgeschäft den digitalen Sektor stärker zu bespielen. Auch das wird letztlich dadurch möglich gemacht.

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bothe zu?

Ja, immer.

Bitte, Herr Bothe!

Ach, Bothe! Ich habe Bode verstanden. Deswegen habe ich ihn auch angeguckt.

(Heiterkeit - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Jetzt haben wir den Salat!)

Nein, Bothe.

Na gut, sei es drum.

Zu spät, Herr Minister. Vielen Dank, für das Zulassen dieser Zwischenfrage.

Ich bin mir sicher, dass der Herr Minister - - -

Ich dachte, ich überlege es mir noch einmal, aber meinetwegen.

Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, für die undeutliche Aussprache meines Namens.

Herr Minister, ich frage vor dem Hintergrund, dass Sie von der Krise im Einzelhandel sprachen: Sehen Sie die Pflicht für das Tragen einer MundNase-Bedeckung als mitverantwortlich dafür, dass es aktuell zu Umsatzeinbrüchen im Einzelhandel kommt?

Danke schön.

(Beifall bei der AfD - Miriam Staudte [GRÜNE]: Natürlich hat es einen Ein- fluss! Die Frage ist, ob es verhältnis- mäßig ist!)

Die Frage wurde verstanden, Herr Bothe.

Der Einzelhandel sagt, dass das eine Ursache sein könnte. Wenn Sie darauf anspielen, dass ich gesagt habe, man müsse das überprüfen, dann kann ich sagen: Ich habe lediglich formuliert, dass man in den kommenden Monaten - gemessen am Infektionsgeschehen und die tatsächliche Situation betrachtend - darüber nachdenken und prüfen muss, ob man dort, wo es möglich ist, wo Abstand gehalten werden kann, von einer Pflicht zu einer Empfehlung kommen kann. An dieser Formulierung halte ich nach wie vor fest.

Daran ist auch nichts falsch, weil ich nämlich eines deutlich gemacht habe, Herr Abgeordneter Bothe: Wir als Politik haben die Pflicht, in diesem Land dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht vergessen, dass wir in der schwersten Pandemie in der Geschichte unseres Landes sind, dass wir alle aufeinander achten müssen und dort, wo es notwendig ist, Mundschutz tragen, Abstandsregeln und Hygieneregeln einhalten. Das ist auch in den kommenden Monaten noch einzuhalten, weil die Menschen Angst um ihre Gesundheit haben. Weiterhin für das Einhalten zu sorgen, ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sollte die Insolvenzwelle eintreten, so gehen nicht nur Arbeitsplätze verloren, wir verlieren am Ende auch Versorgungszentren, und wir verlieren die Attraktivität der Innenstädte. Der Einzelhandel braucht Kundenfrequenz. Das Argument, die Konsumlaune sei schlechter geworden, die Menschen hätten weniger in der Tasche, kann ich zumindest mit Blick auf den Onlinehandel so nicht bestätigen. Der ist um fast 29 % gestiegen. Das heißt, die Menschen sind offensichtlich aus Sorge, weil Sie sich in den Geschäften nicht sicher fühlen, stärker auf den Onlinehandel eingestiegen. Daran müssen wir etwas ändern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen keine Angst haben, wenn sie in Einzelhandelsgeschäfte in Hannover, Braun

schweig, Oldenburg oder wo auch immer gehen. Deshalb haben wir es bezüglich des Vorschlags aus dem Einzelhandel selbst, in diesem Jahr an vier zusätzlichen Sonntagen zu öffnen, mit Blick auf das öffentliche Interesse geschafft, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen.

Das Bundesverfassungsgericht sagt übrigens

nicht, dass es eines Anlasses bedarf. Es kann auch einen Anlass geben, es bedarf aber eines rechtfertigenden Grundes. Wir, die Kollegin Reimann und ich, haben uns darauf verständigt, dass wir das Gesetz nicht ändern wollen. Wir wollen das Gesetz so, wie es die kommunalen Spitzenverbände jetzt fordern, nicht ändern. Stattdessen appellieren wir an die Vernunft, die Gemeinsamkeit und den Zusammenhalt aller, in dieser Situation einen Weg zu finden, regionale Lösungen zu ermöglichen und landesweit in allen Teilen der relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen - von den Gewerkschaften bis zu den Kirchen - vielleicht ein Stück weit aufeinander zuzugehen. Das ist meines Erachtens Größe in einer Krise, und das ist auch eine Notwendigkeit in dieser Situation.

Natürlich wird die Sonntagsöffnung den Einzelhandel nicht retten. Aber wir müssen an Unterstützungsmöglichkeiten arbeiten, und wir müssen vor allen Dingen mit den Beteiligten vor Ort - den Beschäftigten in den Einzelhandelsbetrieben genauso wie mit den Vertretern der Gewerkschaften, der Kirchen und der kommunalen Spitzenverbänden -, die sich dazu geäußert haben, einen vertretbaren Weg des Interessensausgleichs finden. Dafür werde ich mich einsetzen. Vielleicht kommt es am Ende zu einer regionalen Lösung oder zu einem Einverständnis aller, dass wir in diesem Jahr eine Ausnahme machen, ohne in die ideologische Debatte über den Sonntagsschutz zu verfallen.

Ich stehe ausdrücklich zum Schutz des Sonntages - damit das hier niemand missversteht; ich stehe wirklich dahinter -, aber dass wir in diesem Jahr eine Sondersituation im niedersächsischen Einzelhandel haben, sollten wir auch zur Kenntnis nehmen. Ich wünsche mir sehr, dass wir uns an dieser Stelle nicht auseinanderdividieren lassen. Und natürlich gilt mein Gesprächsangebot in diesem Fall ausdrücklich auch für ver.di. Ich weiß, dass es dort verschiedene Gespräche gibt, und ich möchte diese Gespräche in gewohnter vertrauensvoller Art und Weise fortführen, weil wir hier die gesamte Gesellschaft brauchen - von Gewerkschaften über Kirchen bis zu Wirtschaftsvertretern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister.

Ich habe hier zwei Bitten um zusätzliche Redezeit vorliegen. Der Minister hat die Redezeit der Landesregierung um 3:18 Minuten überzogen. Ich vermute, Herr Bode, 90 Sekunden nach § 71 Abs. 3 GO LT sollten reichen. Das Gleiche gilt dann auch gleich für den Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel.

Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Althusmann, ich kann vieles von dem, was Sie dargestellt haben, unterschreiben. Gerade die Beschreibung der besonderen Situation und der Schwierigkeiten des Einzelhandels stimmt. Natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass es diesen gesellschaftlichen Konsens gerade in dem Bündnis „Niedersachsen hält zusammen“ gegeben hätte. Aber dort sollte so etwas, obwohl wir versucht haben, es anzusprechen, nicht beraten werden.

Die Frage ist, wie man tatsächlich damit umgeht. Natürlich werden Öffnungen an vier zusätzlichen Sonntagen die Situation nicht beheben, wie Sie richtig dargestellt haben. Da braucht man mehr. Aber mit Verlaub: Das werden die 10 Millionen Euro für den Einzelhandel in ganz Niedersachsen, die die Regierungsfraktionen im Nachtragshaushalt beschlossen haben, halt auch nicht tun. Wenn ich mir allein die Oberzentren und Mittelzentren anschaue: Jedes Zentrum bekommt vielleicht

50 000 Euro. Das ist aber auch schon alles. Da wird man keinen Effekt spüren.