Protocol of the Session on May 12, 2020

Wir dürfen jetzt durch die Corona-Krise einen Rückfall in die alte Verkehrspolitik nicht zulassen. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt für die Landes- und die Bundesregierung gekommen, ihre verkehrspolitischen Schwerpunkte zu überdenken und vor allem neu auszurichten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Notwendig, meine Damen und Herren, sind jetzt ein vorübergehender Planungsstopp und, wie in unserem Antrag vorgesehen, eine umfassende Bedarfsplanüberprüfung, deren Parameter auch in die Nutzen-Kosten-Analysen eingerechnet werden müssen, und zwar inklusive der explodierenden Kosten für die Straßenneubauten. Die durch ein Straßenbaumoratorium frei werdenden Mittel können dann in Abstimmung mit der Bundesregierung vollständig in bezahlbare und nachhaltige Mobilität in Niedersachsen für die Menschen investiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn ich über den ÖPNV rede, dann möchte ich auf unseren neuen Antrag zu sprechen kommen. Wir werden erheblich mehr Finanzmittel für den öffentlichen Personennahverkehr brauchen und vor allem aber jetzt einen Zukunftsplan für den ÖPNV in Niedersachsen. Das ist Gegenstand des zweiten Antrages, den wir heute hier einbringen.

Die negativen Auswirkungen sind bereits jetzt spürbar. Auch in den nächsten Jahren werden wir die massiven Folgen des Coronavirus im öffentlichen Personennahverkehr zu spüren bekommen. Im besten Fall sind es zwei verlorene Jahre, aber im schlimmsten Fall, meine Damen und Herren, verlieren wir ein halbes Jahrzehnt. Deshalb brauchen wir jetzt Strategien, die den zusätzlichen Finanzierungsbedarf und Maßnahmen entwickeln, um die Fahrgäste nach dem Shutdown zurückzugewinnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schon jetzt berichten verschiedene Kommunen als Aufgabenträger für den ÖPNV, aber auch Eisenbahnverkehrsunternehmen von einer schwierigen Lage, die jetzt Antworten erfordert, um auch eine notwendige Verkehrswende in den nächsten Jahren nicht zu gefährden.

Anstatt sich weiterhin für eine ökologisch und wirtschaftlich unsinnige Abwrackprämie 2.0 einzusetzen, ist die Landesregierung gefordert, sich gerade jetzt engagiert für den öffentlichen Personennahverkehr einzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ohne einen Zukunftsplan und eine Mobilisierungskampagne drohen viele kommunale Verkehrsträger und -unternehmen sowie Regionalanbieter zum Opfer der Corona-Pandemie zu werden. Wir müssen jetzt gemeinsam verhindern, dass nach der Krise der Pkw-Verkehr massiv ansteigt und damit die Schadstoffbelastung für die Gesundheit und das Klima weiter ansteigt.

Unser Zukunftsplan sieht Staatshilfen des Bundes in Höhe von mindestens 4 Milliarden Euro vor. Es gibt aber auch schon Studien, die sagen, dies wird bundesweit mindestens 7 Milliarden Euro kosten. Niedersachsen muss hier eine aktive Rolle im Bundesrat übernehmen und darüber hinaus - da spreche ich vielleicht auch einmal dem Verkehrsminister aus der Seele - deutlich mehr Regionalisierungsmittel einfordern.

Wir müssen auch als Land investieren, werden aber den Kraftakt nicht alleine leisten können.

Was braucht ein solcher Zukunftsplan? - Zunächst einmal bestmöglichen Gesundheitsschutz für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für die Fahrgäste durch die landesweite Ausgabe von Schutzmasken in den Zügen und in den Bussen, eine niedersachsenweite App zur digitalen Information und zum Onlineticketkauf für alle ÖPNVAngebote. Diese Maßnahme ist schon lange überfällig und kann den ÖPNV erheblich attraktiver gestalten, ebenso wie ein Komfort-Check-in, wie er ja auch schon im ICE möglich ist. Kurzfristig ist eine bessere Taktung im Nahverkehr notwendig. Ebenso ist es an der Zeit, mit Hochdruck an Vereinfachungen bei den Tarifstrukturen zu arbeiten. Mittelfristig brauchen wir landesweit nach Möglichkeit einen einheitlichen Tarif. Wir werden auch mehr Busse und Fahrzeuge benötigen, bessere Waschräume und bessere Sanitäranlagen. Ich könnte diese Liste fortsetzen, aber wir werden das ja im Ausschuss beraten.

Sie merken: Es gibt ein Bündel von Maßnahmen, die für einen Zukunftsplan für den ÖPNV, dem öffentlichen Personennahverkehr, erforderlich sind.

(Glocke der Präsidentin)

- Letzter Satz!

Lassen Sie uns gemeinsam die erforderlichen Maßnahmen im Ausschuss beraten! Mein Wunsch und Wille und der meiner Fraktion wäre, dass wir am Ende gemeinsam einen starken ÖPNVZukunftsplan auf den Weg bringen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. - Als Nächster bekommt jetzt der Abgeordnete Frank Henning von der SPD-Fraktion das Wort.

(Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung desinfizieren das Redepult)

- Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich dem Kollegen Schulz-Hendel zuhöre, kann ich nur sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier!

Ich weiß nicht, lieber Kollege Schulz-Hendel, warum Sie und Ihre Fraktion eigentlich permanent das Thema Auto und Autobahnneubau durch das Dorf treiben müssen, warum Sie ständig Ihre ideologiegeprägten Sichtweisen hier in den Landtag tragen müssen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Wenn ich mir Ihren Antrag ansehe, stelle ich nur ganz nüchtern fest: Im ersten Punkt ist der Antrag schlicht überflüssig. Das wissen Sie auch sehr genau. Wir haben eine schriftliche Unterrichtung der Landesregierung bekommen. Wenn Sie hier fordern, dass wir eine verpflichtende Bedarfsplanüberprüfung durchführen sollen und diese im Hinblick auf diese Autobahnprojekte, die Sie hier aufführen, also A 20, A 39, A 33, und auf Klimaschutzprojekte überprüft werden soll, dann wissen Sie sehr genau, dass das alle fünf Jahre sowieso gemacht wird.

Ich zitiere aus unserer schriftlichen Unterrichtung gemäß § 4 des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen: Das Bundesministerium für Verkehr überprüft alle fünf Jahre, ob der Bedarfsplan anzupassen ist. In dieser Prüfung sind Aspekte der Raumordnung, des Umweltschutzes, des Städtebaus usw. einzubeziehen. Die Anpassung geschieht durch Gesetz. - Dafür bedarf es dieses Antrags nicht.

Ich hätte es auch ehrlicher gefunden, wenn Sie geschrieben hätten, Sie wollen die A 20 nicht, Sie wollen die A 39, Sie wollen die A 33. Ansatzweise haben Sie das unter dem dritten Punkt angedeutet. In Abstimmung mit dem Bundesverkehrsministerium soll die Planung für die drei genannten Autobahnprojekte eingestellt werden, bis diese Bedarfsplanüberprüfung abgeschlossen ist. Aber diese Bedarfsplanüberprüfung wird laufen. Ich bin gespannt. Die Landesregierung hat auch mitgeteilt, dass für diese Bedarfsplanüberprüfung eine neue Verkehrsprognose, auf das Prognosejahr 2035 bezogen, erstellt wird. Herr Schulz-Hendel, das ist nicht mehr so lange. Wir unterhalten uns dann noch einmal über die Güterverkehrsentwicklung.

Wer sich die heutige Situation auf den Bundesautobahnen ansieht, der kann einfach feststellen: Die rechte und die mittlere Spur sind von Lkws besetzt, die Pkws fahren allenthalben noch auf der linken Spur.

Ich habe überhaupt nichts gegen Ihren ÖPNVAntrag, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Ich habe auch nichts dagegen, das Zufußgehen, klimaschutzrelevante Verkehrsträger, Elektromobilität in den Städten zu fördern - überhaupt kein Problem! Aber warum müssen Sie ständig Ihren Kampf gegen den Autobahnbau wie in diesem Antrag zum Gegenstand einer Abstimmung hier im Landtag machen?

Ich glaube, wir brauchen den Autobahnneubau in den genannten Regionen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Kommunen, z. B. bei der A 39 im Raum Lüneburg-Wolfsburg, aber auch die Stadt Osnabrück den Lückenschluss bei der A 33 dringend benötigen! Wir machen dort Politik für die lärmgeplagten Anwohner. Sie können sich die Innenstadtsituation in Osnabrück gerne einmal ansehen. Wir könnten in Osnabrück ein Durchfahrtsverbot für Lkw für die Innenstadt aussprechen; das wollen wir. Das können wir aber nur dann, wenn der Lkw-Verkehr aus der Innenstadt auf die Autobahn verbannt wird. Dafür brauchen wir den A-33-Lückenschluss-Nord.

Auch die A 20 - darüber haben wir uns ja schon lang und breit unterhalten - ist eine wichtige Infrastrukturmaßnahme. Sie ist eine Verbindung vom Baltikum nach Westeuropa. Sie entlastet die A 1. Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, dass natürlich Elektroautos und anderer Automobile ebenfalls eine intakte Verkehrsinfrastruktur benötigen

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

und dass diese Autobahnprojekte in Zeiten von wachsender Mobilität schlicht und einfach notwendig sind! Daher kann ich Ihren Antrag nicht ganz nachvollziehen.

Sie haben davon gesprochen, dass wir Angst hätten, uns inhaltlich mit Ihren Positionen auseinanderzusetzen. Ich sage Ihnen einmal, wovor ich wirklich Angst habe: Ihre Fraktionsvorsitzende - ich habe mir das heute Nachmittag noch einmal auf einem Video, das auf ihrer Homepage veröffentlicht ist, angesehen - hat heute Morgen bei der Regierungserklärung unseres Ministerpräsiden

ten - das war gegen 9.30 Uhr; sie hat es tatsächlich gesagt, ich habe es noch einmal nachgeguckt - Folgendes sinngemäß gesagt: VW sollte Mobilitätsdienstleister werden, um Lücken in der Mobilität zu schließen.

Wissen Sie, was das bedeutet? - Das bedeutet, dass VW nur noch Dienstleister ist. Es gibt dann keine Automobilproduktion mehr in Deutschland, in Niedersachsen - eine Schlüsselindustrie!

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Das ist abenteuerlich, was Sie hier fordern. Ich kann es nicht glauben.

(Beifall bei der SPD - anhaltende Un- ruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss jetzt etwas ruhiger werden. Es gibt gleich die Möglichkeit, dass sich der Kollege Schulz-Hendel zu einer Kurzintervention meldet und er seine Meinung noch einmal bekräftigt. Jetzt aber hat erst einmal der Kollege Frank Henning das Wort.

Ich kann Ihnen sagen: Diesen Beitrag zur Deindustriealisierung werden wir nicht mitmachen. Wir werden auch nicht auf dem Rücken der Beschäftigten bei VW Ihre ideologiegetriebene Politik hier weiter fortsetzen. Ich sage Ihnen noch einmal: Bei VW sind 100 000 Menschen beschäftigt. Mit den Zuliefererbetrieben sind hier 250 000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie mittelbar betroffen. Die meisten davon machen mittlerweile Kurzarbeit. Ich verstehe nicht, wie man in so einer Zeit auch noch sagen kann: VW soll sich doch zum Mobilitätsdienstleister entwickeln. - Wir brauchen die Automobilproduktion in Deutschland.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir brauchen sie, um die Energie- und Verkehrswende hinzubekommen. Wir brauchen sie in Richtung Elektromobilität, wir brauchen sie auch im Nutzfahrzeugbereich.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Da- gegen habe ich doch gar nicht ge- sprochen! Hören Sie doch zu!)

Wir brauchen aber auch den Diesel, meine Damen und Herren; das sage ich auch noch einmal sehr deutlich. Für einen langen Übergangszeitraum werden wir den Diesel noch brauchen. Auch wenn VW die Elektromobilität forciert, was richtig ist, wird der Diesel noch eine Zeit lang produziert werden müssen. Der Diesel ist übrigens im Verhältnis zum Benziner, was den CO2-Ausstoß angeht, deutlich besser. Daher verstehe ich solche Äußerungen nicht, dass sich VW zum Mobilitätsdienstleister entwickeln soll.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Was spricht den dagegen, dass die sich weiterentwickeln? - Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Nein, wir als SPD-Fraktion stehen zum Automobilstandort Niedersachsen, und wir wollen, dass in Niedersachsen weiterhin Autos produziert werden. Wir können uns gerne darüber unterhalten, ob diese Autos eine andere Antriebstechnologie haben müssen, ich glaube, da sind wir uns einig. Aber wir können uns hier nicht nur zum Dienstleister entwickeln.

Zum Schluss möchte ich, da meine Redezeit abläuft - ich habe noch 44 Sekunden - einen versöhnlichen Satz zu Ihrem ÖPNV-Antrag sagen.

Ja, dazu kann ich mir ein gemeinsames Vorgehen vorstellen. Dieser ÖPNV-Antrag geht mir im Grunde genommen nicht weit genug, wenn Sie hier 4 Milliarden Euro fordern, um die Fahrgeldeinnahmeausfälle der Aufgabenträger zu erstatten. Ich glaube, wir werden uns schnell darüber einig, dass das gar nicht reichen wird. Nach meiner Information sind allein die Fahrgeldeinnahmen, die durch die Corona-Krise ausfallen, ungefähr im Bereich von 7 Milliarden Euro anzuordnen. Das ist aber ein Detailproblem. Darüber werden wir uns im Ausschuss einig werden.