Protocol of the Session on February 26, 2020

Mit der Reform sollen vor allem die Rettungsstellen der Kliniken entlastet werden. Künftig soll stärker vorab entschieden werden, ob Patienten in die Notaufnahme kommen sollen oder ob etwa ein zeitnaher Arzttermin ausreicht. Notfallleitstellen sollen klären, ob ein Patient ins Krankenhaus kommen soll, ob der Bereitschaftsdienst zuständig sein soll oder ob auch eine normale Sprechstunde reicht.

So weit, so gut! Es gibt dort offensichtlich ein Problem. Mit diesem Lösungsvorschlag, der aus dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt worden ist, mögen sogar die mächtigen Player im Gesundheitssystem einverstanden sein, als da sind: Krankenhäuser, Ärztevereinigung und Krankenkassen. Auch die Bürgerinnen und Bürger, die medizinische Hilfe brauchen, sind heute nicht selten irritiert, ob sie die 112 anrufen sollen oder in die Notaufnahme des Krankenhauses fahren sollen oder den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116117 nutzen sollen. Eine einfachere Struktur wäre auch für die Bürger eine Erleichterung.

Meine Damen und Herren, die offene Flanke dieses Entwurfes ist aber, dass sich der Bund der Rettungsinfrastruktur der Kommunen bemächtigen will. Die Landkreise und kreisfreien Städte unterhalten eine sehr effektive und effiziente Notfallrettung, die wir zentral unter der Nummer 112 erreichen. Jedes Kind kennt diese Nummer und kann dort um Hilfe rufen bei Feuer, Überfall und jeglichen Notlagen, die weit über medizinische Akutfälle hinausgehen.

Gespräche über Arzttermine oder zur Beratung gehören nicht auf diesen Kanal. Dafür haben die kassenärztlichen Vereinigungen die Nummer

116117 etabliert. Dieser kassenärztliche Bereitschaftsdienst ist strukturell allerdings nicht gut aufgestellt, nicht ausreichend leistungsfähig und vielerorts auch nicht bekannt genug. Deshalb soll er mit dem kommunalen Rettungsdienst zusammengelegt werden.

Für uns, meine Damen und Herren, ist nicht ersichtlich, warum der ohne Frage funktionierende Rettungsdienst der Kommunen den offensichtlich nicht einwandfrei funktionierenden Notfallstrukturen des Gesundheitssystems untergeordnet werden soll. Aber das Thema steht natürlich auch erst am Anfang der Beratung auf Bundesebene. Ich hoffe, man kommt am Ende auf eine Lösung, die bürgerfreundlich ist und gleichzeitig auch funktioniert.

Dazu müsste man demjenigen die Verantwortung zuschreiben, der bisher seine Aufgaben bereits im Griff hatte: Das sind die Kommunen. Mit noch mehr medizinischer Kompetenz könnte die Lotsenfunktion der kommunalen Rettungsleitstellen gestärkt werden. Wir bitten daher die Landesregierung - auch wenn es nicht zu einem zustimmungspflichtigen Bundesgesetz kommen sollte -, sich dennoch für den Erhalt der kommunalen Kompetenz im Rettungswesen mit allen Kräften einzusetzen.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Hillmer. - Für die FDPFraktion hat das Wort der Kollege Björn Försterling. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie in Not sind, wählen Sie heute die 112, und Sie wissen, Sie bekommen adäquate, schnelle Hilfe. Die Frage, die man sich stellen muss: Wird es auch noch so sein, wenn dieser Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers tatsächlich Realität wird? - Daran gibt es berechtigte Zweifel aus vielerlei Gründen. Einige sind hier schon genannt worden.

Zum einen geht es um die Frage: Wen erreiche ich dann eigentlich künftig bei der 112? Was wird dort alles geleistet? - Es ist dann so, dass Sie dort den Termin beim Facharzt bekommen, dass Sie den ärztlichen Bereitschaftsdienst erreichen können, dass Sie den Rettungsdienst bekommen können und dass Sie auch die Feuerwehr bekommen können. Ich möchte ganz ehrlich kein System, wo Sie die 112 wählen und dann erst einmal eine Bandansage abfragt: Bitte wählen Sie die 1, wenn es bei Ihnen brennt, bitte wählen Sie die 2, wenn Sie glauben, Sie brauchen den Rettungsdienst, und wählen Sie die 3, wenn Sie einen Termin beim Facharzt möchten. Das kann nicht das Ziel einer strukturellen Verbesserung sein.

(Beifall bei der FDP)

Der Gesetzentwurf geht zum anderen noch weiter, und da müssen wir als Land Niedersachsen sehr wachsam sein. Es geht am Ende darum, den Kassen mehr Rechte bei der Steuerung einzuräumen und gleichzeitig die Kassen von der Kostenbeteiligung im Rettungsdienst zu befreien. Das ist nichts

anderes als eine Kostenverlagerung aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenkassen auf Länder und Kommunen im Gegenwert von rund 3 Milliarden Euro. Das heißt, die Landeskasse bzw. auch die kommunalen Kassen in Niedersachsen würden mit diesem Gesetzentwurf in Höhe von 300 Millionen Euro mehr belastet werden, und gleichzeitig würden wir Steuerungsrechte verlieren. Dem können wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Auch die Frage der Integrierten Notfallzentren ist ja ein eigentlich positiver Ansatz. Aber wenn man sich das anschaut, erkennt man: Es wird nicht in jeder Kommune ein solches Integriertes Notfallzentrum geben, sondern für Niedersachsen möglicherweise acht bis zehn solcher Integrierten Notfallzentren. Sofern dann der Rettungsdienst nicht direkt die Indikation für eine spätere stationäre Aufnahme feststellt, ist nach dem Gesetzentwurf ein solches INZ anzufahren.

Das heißt, Sie werden dann nicht mehr ins nächstgelegene geeignete Krankenhaus gebracht, sondern Sie werden an eines der acht bis zehn INZ in Niedersachsen gebracht. Das heißt im Ergebnis auch, dass die Patienten länger unterwegs sind und dass die Rettungsmittel im Einsatz länger gebunden werden und deswegen die Vorhaltekosten noch mal deutlich steigen werden. Unser Ansinnen muss doch immer sein: Ein Patient, der der Hilfe bedarf, muss ins nächstgelegene geeignete Krankenhaus gebracht werden. Die Hilfe steht im Mittelpunkt und nicht die Abrechnung der Leistungen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Johanne Modder [SPD] und Wi- ard Siebels [SPD])

Und das ist auch der Versuch, durch die Hintertür eine Patientensteuerung einzuführen, indem die Kassen dann mitreden können. Dann werden sich auch Standortfragen für die Krankenhäuser entsprechend anschließen. Die Steuerung der Krankenhauslandschaft darf nicht durch die Hintertür über das SGB V erfolgen, sondern muss in Landeszuständigkeit und kommunaler Zuständigkeit bleiben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Insgesamt kann man sich auch die Frage stellen, warum der Gesetzentwurf vorsieht, aus den Vorhaltekosten für Großschadensereignisse auszusteigen. Wir haben in Niedersachsen eine sehr gut funktionierende Lösung. Es hat lange gedauert, bis

sich auch die Kassen an diesen Vorhaltekosten für Großschadenslagen beteiligt haben.

Es gibt für manche Komponenten, also für Massenanfall verletzter Personen, Clusterungen und eine Mitfinanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen. Das ist auch notwendig. Für Notfälle muss unser System unabhängig davon, ob es bei einem Autounfall einen Verletzten, 7, 15 oder 20 Verletzte gibt, so ausgerichtet sein - daran müssen Kassen, Länder und Kommunen gemeinsam arbeiten -, dass allen Verletzten und betroffenen Personen adäquat geholfen werden kann. Es ist also wirklich Zeit, zu sagen: Wir müssen die 112 vor dem Durchgriff des Bundes retten!

Und ja: Es ist möglicherweise nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat. Es stellt sich hier aber eine ganz andere Frage. Es gibt nach unserer Einschätzung überhaupt keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Wenn man es dem Bundesgesundheitsminister an dieser Stelle durchgehen lässt, zu sagen, er habe die Gesetzgebungskompetenz für die Sozialgesetzbücher, und wenn er einen Leistungsbereich dort hineinhole, habe er automatisch auch dort die Gesetzgebungskompetenz, dann öffnen wir hier eine Tür für die Aushebelung der Kompetenztrennung zwischen Bund und Ländern. Dann kann der Bund künftig alles ins SGB schreiben - in eines der vielen SGBs - und uns damit unsere Gesetzgebungskompetenz vollkommen nehmen. Auch das dürfen wir an dieser Stelle nicht zulassen. Der Widerstand des ganzen Hauses gegen dieses Gesetz ist erforderlich.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Försterling. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Meta Janssen-Kucz das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hat ja den Eindruck, dass sich der CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Daueraktivposten im Bundeskabinett profilieren will. 20 Gesetze in 20 Monaten - ein Wahnsinnstempo!

(Zurufe von der CDU)

Ich will gar nicht abstreiten, dass wir im Gesundheitswesen Handlungsbedarf haben. Ich nenne nur das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, das DigitaleVersorgung-Gesetz, das Intensivpflegegesetz.

Aber auch diese Gesetze zeigen: Unter der Eile des Bundesgesundheitsministers leidet die Sorgfalt.

(Jörg Hillmer [CDU]: Was genau be- schwert Sie?)

Denn in vielen Bereichen hat Jens Spahn die Situation verschlimmbessert.

(Jörg Hillmer [CDU]: Wann kommen Sie zum Thema?)

Das zeichnet sich auch bei der Reform der Notfallversorgung ab. Obwohl das schon der zweite Aufschlag seitens Jens Spahn ist, hat er anscheinend nicht ausreichend dazugelernt.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Er ist auch mit anderen Dingen beschäftigt!)

Der Handlungsbedarf - darin sind wir uns doch alle einig - liegt auf der Hand. Das teilen wir auch in der Enquetekommission; Thela Wernstedt hat es ausgeführt.

Wir haben in der Notfallversorgung starre Sektorengrenzen, die zu einer starken Fehlnutzung insbesondere in den Kliniken führen. Das hat auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen erkannt und bereits 2018 umfangreiche Empfehlungen vorgelegt. Daran hat er sich orientiert, aber er hat das einfach nicht zu Ende gedacht. Er hat nur an die Bundesebene gedacht, nicht aber an die Länder und die Kommunen. Ich bin dem Kollegen Försterling dankbar, dass er das so deutlich gesagt hat.

Wir haben dieses Thema in der Enquetekommission ziemlich am Anfang bearbeitet, und wir sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, nämlich dass wir einheitliche sektorenübergreifende Anlaufstellen für die Menschen in medizinischen Notfällen brauchen - einerseits in Form gemeinsamer Leitstellen von 112, 116117, andererseits auch Integrierte Notfallzentren in den Kliniken.

Aber der Teufel steckt im Detail. So soll beispielsweise über die Standorte der Integrierten Notfallzentren nicht etwa die Krankenhausplanungsbehörde entscheiden, sondern der Landesausschuss mit den Krankenkassen, mit der Kassenärztlichen Vereinigung, die dort die Mehrheit haben. Hier wird ganz massiv in die Planungshoheit der Länder eingegriffen. Wir verlieren damit die Steuerung.

Ich finde, es ist in einem Flächenland wie Niedersachsen unerlässlich, dass wir die Versorgung in der Fläche gewährleisten. Es kann doch gar nicht

angehen, dass wir die Versorgung auf fünf bis zehn Standorte konzentrieren. Solch eine Zentralisierung geht in Niedersachsen gar nicht. Ich glaube, da sind wir uns einig.

Auch der kassenärztliche Bereitschaftsdienst ist heute, gerade im ländlichen Bereich, personell kaum in der Lage, die Praxisschließzeiten abzudecken. Ich will mir gar nicht vorstellen, was das bedeutet, wenn die Bereitschaftsärzte und -ärztinnen zukünftig in den Integrierten Notfallzentren eingesetzt werden anstatt in der Versorgung vor Ort.

Auch die Planungen für die gemeinsamen Leitstellen sind eine Lightversion von sektorenübergreifender Versorgung. Geplant ist, dass sowohl 112 als auch 116117 erhalten bleiben. Die Träger der beiden Nummern, KV und Länder, werden lediglich zu einer Kooperation verpflichtet. Damit liegt es weiterhin in der Verantwortung der Hilfesuchenden, der Patienten, sich die richtige Versorgungsebene zu suchen. Ich glaube, das ist eindeutig nicht im Sinne einer besseren und notwendigen Patientensteuerung.

Dass in den gemeinsamen Leitstellen dann auch Anrufe für die Terminservicestellen eingehen sollen, macht das Ganze in meinen Augen noch absurder. Das haben auch die Kommunen mehr als deutlich gemacht.

Eine weitere Absurdität ist die Finanzierung der Reform. Die liegt allein in der Verantwortung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die private Krankenversicherung ist in dem Referentenentwurf mit keinem Wort erwähnt. Ich gehe davon aus, dass auch Privatversicherte künftig noch die 112 wählen können.

Der dritte Schwerpunkt der Reform ist, den Rettungsdienst im Leistungsbereich des SGB V zu verankern. Damit ist der ursprüngliche Plan, die Grundgesetzänderung, erst einmal vom Tisch, und der Rettungsdienst bleibt weiterhin Aufgabe der Länder.

Die Kommunen sehen den Rettungsdienst zu Recht in Gefahr und laufen Sturm gegen diese Regelung. Ich will nicht noch einmal ausführen, was die Verankerung im SGB V bedeutet. Am Ende steht - ich kann die Sorgen der Kommunen verstehen -: Die Strukturen im Rettungsdienst haben sich jahrzehntelang bewährt. - Es geht hier nicht um Leben und Tod, aber es geht um eine sachliche Debatte. Auch wir fordern das Land auf, sich da einzubringen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich fordere aber auch die CDU-Fraktion auf, Herrn Spahn an die Leine zu nehmen. So kann es - im Interesse der Patienten - nicht gehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)