Protocol of the Session on February 26, 2020

Einen Moment, bitte, Frau Abgeordnete Guth! - Ich darf um mehr Ruhe im Plenarsaal bitten.

Bitte!

Ein zutiefst bürgerlicher Mensch, der sich pflichtschuldig sofort von der AfD, allen Konservativen und sich selbst distanziert hatte, war mit den Stimmen der AfD gewählt worden.

„Wo ist das Problem?“, möchte man meinen. - Im demokratischsten Deutschland aller Zeiten spielt keine Rolle mehr, was man denkt oder tut. Nein, es ist inzwischen sogar wichtig, von wem man gewählt wird.

Der eigentliche Skandal geschah aber einen Tag später - irgendwo in Afrika. Die Kanzlerin trat vor die Weltpresse und verkündete, der Wahlvorgang sei unverzeihlich. - Um Gottes willen, hatte man nicht vorher im Kanzleramt nachgefragt, welches Wahlergebnis mit welchem Stimmenverhältnis zulässig wäre?

(Beifall bei der AfD)

Aber es sollte noch besser kommen! Die Staatsratsvorsitzende - Verzeihung, die Bundeskanzlerin - forderte, das Votum müsse rückgängig gemacht werden.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN - Christian Meyer [GRÜNE]: SED-Vergleich, das ist die Saat!)

Was, bitte, haben wir verpasst?

Einen Moment, bitte! Keine Aufregung! - Frau Abgeordnete Guth, für diese despektierliche Bemerkung erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und jetzt fahren Sie bitte fort!

Sehr gern. Vielen Dank.

Das Votum müsse rückgängig gemacht werden.

Was haben wir verpasst? Unverzeihliche Wahlergebnisse, die auf Anweisung von oben rückgängig gemacht werden müssen? - Gesagt, getan! Der Widerstand des unverzeihlich Gewählten wurde mit vereinten Kräften der unverzüglich angereisten Politkavallerie pulverisiert.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Das hilft Ihnen auch nicht gegen Höcke! - Jo- hanne Modder [SPD]: Ihr Kandidat hatte keine Mehrheit!)

Rücktritt, Büßerhemd, Ende der politischen Karriere!

Was nun folgte, war nahezu grotesk: spontane Demos und Distanzierungsarien; Christian Lindner stellte mal schnell die Vertrauensfrage - alles, weil man einen Ministerpräsidenten der FDP gewählt hatte.

(Zuruf von Imke Byl [GRÜNE])

Noch schlimmer war das Beben in der CDU. Es kam nicht nur der Ordnungsruf für die unbotmäßigen Abgeordneten in Thüringen, nein, hier schmiss gleich die Parteivorsitzende hin. Die konservative Restansammlung WerteUnion wurde kurzerhand zum „Krebsgeschwür“ erklärt, welches man von vornherein rücksichtslos bekämpfen müsse. - Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und

Nazijargon - nein, nicht von der AfD, von den eigenen Parteikollegen!

(Beifall bei der AfD)

Bedrohungen von CDU- und FDP-Politikern bundesweit - spätestens jetzt müssten sich doch alle Kräfte des selbsternannten demokratischen Spektrums aufbäumen. Es sind doch Ihre Leute! Aber nein, sie haben das Recht auf Solidarität verloren. Das Wort der Presse war „Tabubruch“.

Zu Ihrem Verständnis von Tabu und Demokratie: Sie sprechen 25 % der Wähler das Recht ab, an politischen Entscheidungen beteiligt zu werden.

(Beifall bei der AfD)

Wie vereinbaren Sie das mit Ihrem Wunschdenken, Wähler zurückgewinnen zu wollen? Was wollen Sie mit diesen Wählern? Die sind nach Ihrem Verständnis doch kontaminiert. Die haben schon mal die AfD gewählt. Nein, mit den Stimmen dieser Menschen können Sie keinesfalls eine Wahl annehmen. Sollten diese Stimmen entscheidend sein, müssten Sie ablehnen.

(Beifall bei der AfD)

Ich fasse zusammen: Demokratisch zustande gekommene Wahlergebnisse werden moralisch bewertet und bei Nichtgefallen rückabgewickelt. Gewählte Ministerpräsidenten werden massiv unter Druck gesetzt zurückzutreten. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, wird gefeuert, weil er dem neuen Ministerpräsidenten gratuliert hatte. Wie kann er nur?

Der Nachfolger Marco Wanderwitz ist rhetorisch natürlich viel geschickter. Mit dem Zitat „Die AfD und Gauland sind giftiger Abschaum“ hat er gleich klargemacht, wie 25 % der Wähler im Osten zu behandeln sind. Das ist jedoch kein Grund für eine Abberufung.

Die Ex-SED verlangt, dass ihr Ministerpräsident jetzt im ersten Wahlgang zu wählen ist, und das mit Stimmen, die von vornherein zu garantieren sind.

(Zuruf von der SPD: Was ist das denn?)

Parteizentralen greifen in das freie Wahlrecht ihrer Abgeordneten ein. Die Meinungsmacher in den Parteien laufen auf Hochtouren. Das Ergebnis sieht man in Hamburg. Das war nicht das Ergebnis der Wahl von Herrn Kemmerich, sondern Ihres Verhaltens hinterher.

(Lachen bei der SPD - Sebastian Zin- ke [SPD]: Hamburg ist für Sie auch nicht besonders toll gelaufen!)

Kommen Sie zurück auf den Boden der Tatsachen! Zu den Grundfesten der Demokratie gehören freie Wahlen und die Akzeptanz ihrer Ergebnisse, egal wer von wem gewählt wurde,

(Beifall bei der AfD)

freie Abgeordnete mit eigenen Entscheidungen und nicht Befehlsempfänger ihrer Parteizentralen,

das Recht, sich politisch frei zu betätigen, ohne Bedrohungen durch einen medial aufgeheizten Mob zu riskieren, mündige Wähler, die wählen dürfen, was sie wollen, ohne dafür als Abschaum bezeichnet zu werden, Meinungsfreiheit und nicht: Sie legen fest, welche Meinung zulässig ist.

(Zuruf von Miriam Staudte [GRÜNE])

Demokratie ist das Recht, sich für seine Meinung -

Bitte kommen Sie zum Schluss!

- Mehrheiten zu sichern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD - Miriam Staudte [GRÜNE]: Sie müssen sich wohl bei den Lilienthals und Co. anbiedern! - Christian Meyer [GRÜNE]: Das rettet Sie auch nicht, Frau Höcke!)

- Ich muss mich nirgendwo anbiedern.

Vielen Dank. - Ich darf noch einmal um Ruhe im Plenarsaal bitten.

Wir fahren jetzt fort. Das Wort hat für die FDPFraktion Herr Kollege Grascha. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn zu den Vorgängen in Thüringen Folgendes feststellen:

Die Annahme der Wahl zum Ministerpräsidenten durch Herrn Kemmerich mit offenbarer Unterstützung der AfD war ein schwerer Fehler. Dieser Fehler war ein zwischenzeitlicher Höhepunkt einer Reihe von Fehlern und Versäumnissen von vielen Beteiligten seit der Landtagswahl in Thüringen. Es wäre die Aufgabe aller Demokraten gewesen, jenseits der AfD eine handlungsfähige und unabhängige Regierung zu bilden. Das ist leider nicht gelungen.

Nun zum Thema dieser Aktuellen Stunde: Die Vorgänge in Thüringen zeigen kein Demokratiedefizit.

(Lachen bei der AfD)

Sie zeigen vor allem eines: Die AfD will den Parlamentarismus lächerlich machen.