Protocol of the Session on February 25, 2020

(Beifall bei der AfD)

Danke, Herr Kollege Henze. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Pistorius das Wort. Bitte, Herr Minister!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer hat für uns als Niedersächsische Landesregierung hohe Priorität. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran: Jeder Mensch, der im Straßenverkehr ums Leben kommt, ist einer zu viel.

Keine Statistik kann auch nur im Ansatz abbilden, was es bedeutet, einen Freund, eine Freundin, einen Ehepartner oder ein Familienmitglied bei einem Verkehrsunfall zu verlieren. Keine Statistik kann abbilden, was es für einen Menschen bedeutet, mit den psychischen und physischen Folgen eines Unfalls umgehen zu müssen.

Natürlich ist die statistische Erfassung ein ganz wichtiges Instrument, um die Entwicklungen auf unseren Straßen zu erfassen und auf bestimmte Entwicklungen gezielt reagieren zu können. Deswegen veröffentlichen wir in Niedersachsen jedes Jahr die Verkehrsunfallstatistik. Sie ist zu Recht der Ausgangspunkt für die Verkehrssicherheitsarbeit unserer Polizei.

Aber dabei müssen wir uns eben auch immer wieder bewusst machen: Hinter diesen Zahlen und Ziffern stehen Menschen, für die ein Verkehrsunfall nicht bloß ein statistischer Wert ist, sondern ein einschneidendes, oft traumatisches Erlebnis, ein

Erlebnis mit weitreichenden Folgen für das eigene Leben und das der Angehörigen.

Wir setzen uns deshalb seit Jahren konsequent dafür ein, die Zahl der Verkehrsunfälle nachhaltig zu reduzieren. Das ehrgeizige Ziel lautet „Vision Zero“, also die vollständige Verhinderung tödlicher Verkehrsunfälle. Natürlich ist sie schwer zu erreichen. Aber sie ist ein ständiger Leitgedanke unserer Arbeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Verkehrsunfälle passieren nicht einfach so. Es ist eben nicht einfach nur die Technik, die versagt. Das Verhalten der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer spielt in der Mehrzahl die zentrale, die eigentliche, die maßgebliche Rolle.

Dabei hat die Ablenkung im Straßenverkehr, insbesondere durch die Nutzung von Handys oder Smartphones, massiv zugenommen. Das ist hochgefährlich. Wer z. B. bei Tempo 100 auf der Landstraße nur zwei Sekunden auf sein Smartphone sieht, ist für fast 60 m im Blindflug unterwegs. Niemand käme auf den Gedanken, bei Tempo 100 die Augen für diese Zeit zu schließen.

Wir haben diese Gefahr in Niedersachsen aber sehr früh erkannt und reagiert. Bereits im Frühjahr 2014, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, haben wir gemeinsam mit der Landesverkehrswacht und weiteren Partnern die landesweite Präventionskampagne „Tippen tötet“ gestartet. Seitdem informieren wir fortlaufend über die Gefahren der Ablenkung und werben gleichzeitig gezielt für mehr Aufmerksamkeit im Straßenverkehr.

Zusätzlich hat sich Niedersachsen gemeinsam mit weiteren Ländern bereits erfolgreich für eine Anpassung des Unfallursachenverzeichnisses eingesetzt. Ja, auch das ist längst passiert. Das Statistische Bundesamt bereitet aktuell die erforderlichen Schritte vor. Ab dem kommenden Jahr sollen bundesweit auch Faktoren der Ablenkung in den entsprechenden Statistiken erfasst werden. Das ist eine weitere wichtige Maßnahme.

Meine Damen und Herren, die Verkehrssicherheitsarbeit gehört zu den Kernaufgaben der Polizei in Niedersachsen, und das wird auch in Zukunft so sein. In den vergangenen Jahren haben wir in Niedersachsen das Thema Ablenkung noch stärker als zuvor in den Fokus genommen, zum einen durch vielfältige Aktionen in der Unfallpräventionsarbeit - auch gemeinsam mit Schulen, Fahrschulen und vielen weiteren Partnern -, zum anderen durch eine Intensivierung der zielgerichteten Kontrollen

zu diesem Thema. Auch hier wurden wir großartig von vielen Partnern unterstützt, u. a. durch den Zoll und das Bundesamt für Güterverkehr, und das nicht nur im regionalen Bereichen; immer wieder sind zeitgleich landesweite und sogar bundesweite Kontrollen durchgeführt worden. Auf den Pilotversuch in Weser-Ems will ich noch einmal hinweisen.

Sehr geehrte Abgeordnete der AfD, ich freue mich, dass auch Sie dieses wichtige Thema - wenn auch mit gut und gerne vierjähriger Verspätung - für sich entdeckt haben. Sie scheinen in den vergangenen Jahren leider viel zu oft abgelenkt gewesen zu sein. Ansonsten hätten Sie längst registriert, wie vielfältig und umfangreich wir hier bereits aktiv sind.

(Zustimmung von Detlev Schulz- Hendel [GRÜNE] - Stefan Henze [AfD] lacht)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist deutlich geworden: In diesem Bereich sind wir gut aufgestellt. Auch in Zukunft werden wir alles daransetzen, die Sicherheit auf unseren Straßen weiter zu verbessern. Gemeinsam mit unseren Partnern werden wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen.

Der vorliegende Entschließungsantrag kann hierzu nichts beitragen. Er kommt mehrere Jahre zu spät.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Minister.

Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, beenden wir die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung.

Meine Damen und Herren, wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der AfD in der Drucksache 18/5437 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Beschlussempfehlung des Ausschusses ist mit großer Mehrheit gefolgt worden.

Wir kommen zu dem

Tagesordnungspunkt 13: Abschließende Beratung: Für mehr Verkehrssicherheit und Klimaschutz: Ja zum Tempolimit auf Autobahnen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/3650 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung - Drs. 18/5821

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir eröffnen die Beratung. Ich gebe das Wort dem Kollegen Detlev Schulz-Hendel, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bestimmt haben auch Sie schon einmal den Kopf geschüttelt, wenn die Sprache auf die irrationale Diskussion über das US-Waffenrecht kam. Vielleicht haben Sie aber auch schon den Kopf geschüttelt über die ebenso absurde innerfranzösische Debatte über Gänsestopfleber als kulinarisches Kulturerbe, das man sich von keinem Tierschutzgesetz nehmen lässt.

Aber Vorsicht! Hier in Deutschland haben wir eine ähnliche Debatte, die rational nicht mehr erklärbar ist, und zwar über die Frage, ob wir ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen brauchen oder nicht. Auf der einen Seite sind die - meist männlichen - Vertreter des grenzenlosen Fahrens, die das schnelle Autofahren zum deutschen Kulturerbe erklären wollen, auf der anderen Seite diejenigen, die für ein Tempolimit und damit für mehr Verkehrssicherheit und Klimaschutz eintreten.

Mittlerweile sprechen sich mehr als zwei Drittel aller Befragten für ein Tempolimit aus. Man kann also nüchtern feststellen: Den Befürwortern der grenzenlosen Freiheit auf den Autobahnen bricht die Basis weg.

Herr Ministerpräsident Weil, wir freuen uns, dass auch Sie das verstanden haben und mit der Einführung eines Tempolimits die Diskussion endlich beenden wollen. Das begrüßen wir sehr.

Gleichzeitig zeigen sich aber auch bei der Frage des Tempolimits deutliche Risse in der Landesregierung. Denn weiterhin lehnt die CDU um Verkehrsminister Althusmann ein Tempolimit aus ideologischen Gründen ab.

(Lachen bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole mich gerne und empfehle einen Blick in die Unfallstatistiken anderer Länder wie beispielsweise der Schweiz. Dieser Blick macht sehr deutlich, dass ein Tempolimit zu weniger Verkehrstoten führt und somit Leben rettet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich weiß genau, was gleich kommen wird: Wir liegen doch im europäischen Durchschnitt! - Aber ich sage Ihnen: Jeder geschwindigkeitsbedingte Unfall, schlimmstenfalls mit tödlichem Ausgang, ist einer zu viel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das gilt umso mehr, wenn er sich durch einfache, schnell umsetzbare und kostengünstige Maßnahmen wie ein Tempolimit verhindern lässt.

Wir brauchen auch gar nicht in die Schweiz oder in andere europäische Länder zu gucken. Es reicht, auf die Modellversuche in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zu schauen.

So starben auf der A 4 zwischen Köln und Aachen innerhalb weniger Monate neun Menschen. Nach der testweisen Einführung eines Tempolimits im September 2017 gab es dort keinen einzigen Unfall mit Todesfolge mehr.

In Brandenburg, auf der A 24, sank mit der Einführung des Tempolimits die Zahl der tödlichen Unfälle um mehr als die Hälfte, nämlich um 57 %.

Herr Minister Althusmann, ich bin schon sehr irritiert, dass Ihr Ministerium nun in der jüngsten Unterrichtung diese eindrucksvollen Studien als nicht belastbare Studien abtut und Sie nun einen neuerlichen Modellversuch einfordern. Das ist überflüssig und dient wohl ausschließlich dazu, den offensichtlichen Konflikt zwischen Ihnen und dem Ministerpräsidenten auf die lange Bank zu schieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Althusmann, Handlungsfähigkeit einer Landesregierung sieht anders aus!

Meine Damen und Herren, neben der Verkehrssicherheit ist das Tempolimit aber auch ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz, der weitestgehend kos

tenfrei ist, der einfach einzuführen ist und der vor allem sofort wirkt. Sie können natürlich wieder sagen: Ach, das ist doch nur ein verschwindend geringer Teil an CO2-Einsparung! - Aber - wie gesagt - keine andere Maßnahme lässt sich so schnell umsetzen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir plädieren zwar weiterhin für das Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen. Aber auch ein Tempolimit von 130 km/h, wie vom Ministerpräsidenten vorgeschlagen, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich weiß, Sie werden das heute ablehnen. An der CDU und der FDP prallt das alles ab. Dennoch geben wir nicht auf. Wir werden weiterhin für ein Tempolimit streiten, und wir freuen uns, Herr Ministerpräsident Weil, Sie an unserer Seite zu haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Ulf Prange [SPD])

Herr Ministerpräsident Weil, wir empfehlen Ihnen als Chef einer Landesregierung, jetzt ein Machtwort zu sprechen und endlich handlungsfähig zu werden.