Protocol of the Session on February 25, 2020

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Grascha.

Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung sehe ich nicht, sodass die Aussprache damit beendet ist.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 10: Abschließende Beratung: Zulassung für Medizinprodukte reformieren - Sicherheit des Patienten muss an erster Stelle stehen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/3941 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - Drs. 18/5738

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag unverändert anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion Frau Kollegin Glosemeyer das Wort.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Alle anderen darf ich um Aufmerksamkeit bitten. - Bitte, Frau Kollegin!

Danke. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Unseren Antrag „Zulassung für Medizinprodukte reformieren - Sicherheit des Patienten muss an erster Stelle stehen“ haben wir im Juni 2019 zur ersten Beratung in das Plenum eingebracht. Seitdem hat sich auf bundespolitischer Ebene Einiges getan.

Wie von uns gefordert, hat der Bundestag ein Implantateregister-Errichtungsgesetz verabschie

det. Das ist ein erster guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Allerdings muss der Schutz der Patientinnen und Patienten weiter ausgebaut werden; denn Medizinprodukte sind ein zweischneidiges Schwert. Sie lindern große Schmerzen und retten Leben, können aber auch verheerende Auswirkungen haben.

Es war eine Sensation, als 1961 zum ersten Mal in der Bundesrepublik ein Herzschrittmacher implantiert wurde. Heute gehört ein solcher Eingriff zum Krankenhausalltag. Laut Statistischem Bundesamt wurde 2018 in Deutschland sage und schreibe 127 000 Mal ein Herzschrittmacher implantiert. Implantate sind für viele Menschen überlebenswichtig, und dennoch sind sie nicht ausreichend kontrolliert.

In der Vergangenheit hatte dies zu Skandalen, Rückrufaktionen, Folgeoperationen und schlimmstenfalls sogar Todesfällen geführt.

Im November berichtete die Süddeutsche Zeitung über einen entlassenen Arzt aus Nordfriesland, der sich voraussichtlich 2020 wegen Körperverletzung in 59 Fällen vor Gericht verantworten muss. Der Mann soll seinen Patientinnen und Patienten defekte Bandscheibenprothesen, für die er vom Hersteller Geld kassiert haben soll, implantiert haben. Die Patienten litten unter verrutschten und zerbröselten Prothesen und mussten sich Folgeoperationen unterziehen.

Ich könnte noch zahlreiche weitere Skandale von giftigen Hüftprothesen aus Metall, von das Schlaganfallrisiko erhöhenden Stents oder von sich selbst entladenden Herzschrittmachern schildern.

Ein Problemverursacher sind u. a. die von der EU sogenannten Benannten Stellen der EU. Dabei handelt es sich um private Unternehmen, die staatlich benannt wurden, die Zulassung von Medizinprodukten zu übernehmen.

An dieser Stelle möchte ich aus einer Stellungnahme der Bundesärztekammer zitieren.

„Die Befugnis der Hersteller, eine Benannte Stelle europaweit frei auszuwählen, begründet einen Preiswettbewerb der Benannten Stellen, der dazu verleitet, Ermessensspielräume zugunsten der Hersteller und des schnellen Marktzutritts neuer Medizinprodukte zulasten der Produktsicherheit auszunutzen.“

Auch nach Inkrafttreten der neuen EU-MDR werden die Benannten Stellen selbstständig ausgewählt werden können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Hier besteht eindeutig ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Benannten Stellen und den Pharmakonzernen.

Das höchste Sicherheitsniveau für die Patientinnen und Patienten können wir nur mittels einer finanziell unabhängigen zentralen Zulassungsstelle für Hochsicherheitsmedizinprodukte und Implantate erreichen.

Am 26. Mai 2020 soll die EU-Medizinprodukte-Verordnung in Kraft treten, gefolgt von der Verordnung über In-Vitro-Diagnostik, die im Mai 2022 in Kraft treten soll. Diese Neuregelungen versprechen u. a. eine einheitliche Benennung und Überwachung der Benannten Stellen, die aus konkretisierten und verschärften Anforderungen bestehen sollen, sowie die Einführung eines Konsultationsverfahrens für Hochsicherheitsmedizinprodukte.

Dr. Marc-Pierre Möll, der Geschäftsführer des Bundesverbandes Medizintechnologie, warnt im Hinblick auf die Implementierung der EU-MDR vor einem Zertifizierungschaos.

Diese Aussage konnte aber im Ausschuss vom Ministerium entkräftet werden. Für alle Produkte der Klassen IIa, IIb und III, die nach aktuellen Medizinprodukte-Richtlinien zugelassen sind, gelten Übergangsfristen bis maximal 2024. Die Übergangsfristen beziehen sich natürlich nicht auf die Produkte, die neu zugelassen werden müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier muss der Verbraucherschutz vor den medizinischen Innovationen stehen. Pharmakonzerne können ihre Interessen eigenständig behaupten, kranke Menschen sind auf sich allein gestellt. Ihre Gesundheit und ihre Sicherheit müssen für uns das erste Ziel sein.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

In der Vergangenheit war es leider oft der Fall, dass Patientinnen und Patienten keine Unterstützung erhielten. Die Kosten wälzen die Pharmaindustrie und die Produkthersteller auf die Sozialversicherung ab oder sogar auf die Betroffenen selbst.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die SPDFraktion strebt gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, der CDU, die bestmögliche Versorgung mit der höchstmöglichen Sicherheit für alle Patientinnen und Patienten an. Die hohe Dynamik und Innovation des Medizinmarktes haben wir selbstverständlich im Blick.

Das Implantateregister-Errichtungsgesetz ist ein ebenso wichtiger Schritt wie die ab Mai 2021 gültige EU-Verordnung, die eine Zertifizierungsnummer vorsieht, die es den Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht, Hochsicherheitsmedizinprodukte sofort zu erkennen.

Darüber hinaus bitten wir die Niedersächsische Landesregierung, dass Hochsicherheitsmedizinprodukte, die in die Körper der Patientinnen und Patienten implantiert werden oder Arzneimittel in den Körper abgeben - ich nenne beispielsweise Insulinpumpen -, einen zentralen Marktzugang analog zur Arzneimittelzulassung bekommen, dass die Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur in Amsterdam erfolgt, dass es für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten in Europa keine Möglichkeit mehr geben soll, eine Benannte Stelle selbst auszuwählen, und dass die sachgerechte Verwendung von Implantaten gewährleistet wird.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, es geht um den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in Niedersachsen. Stellen Sie die Patientensicherheit an die erste Stelle, und stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es folgt nun für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Joumaah.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Bitte, Frau Kollegin!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Glosemeyer hat es gerade gesagt: Medizinprodukte sind immer lebenswichtig, aber eben ganz oft auch überlebenswichtig. Ich denke, deshalb gehen wir alle davon aus, dass es für diese hoch riskanten Produkte ein sehr effektives Kontroll- und Überwachungssystem gibt. Dem ist aber leider nicht so. Das wurde ja eben auch schon angesprochen.

Fakt ist, dass immer wieder in Menschen Produkte implantiert werden, die absolut unzureichend getestet worden sind. Die Folgen sind dramatisch: zerbröselnde Bandscheibenimplantate - wir erinnern uns an den Skandal in Leer, wo mehr als 100 Patienten „der Plastikschrott aus dem Körper entfernt werden musste“ -, geplatzte Brustimplantate - allein 2017 wurden bundesweit 3 170 Brustimplantate entfernt -, Herzschrittmacher, die nicht richtig sendeten, oder Hüftprothesen, die nach kurzer Zeit ausgewechselt werden mussten.

Diese fehlerhaften Medizinprodukte führten allein in Deutschland im Jahr 2017 bei mehr als 14 000 Patientinnen und Patienten zu schweren gesundheitlichen Komplikationen, bei einigen sogar mit Todesfolge.

Es gilt als absolut sicher, dass nur ein Bruchteil der Fälle gemeldet wird. Wir können und müssen also von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgehen.

Viele Fälle werden übrigens deshalb nicht publik, weil die Hersteller Entschädigungszahlungen an Verschwiegenheitsverpflichtungen der Betroffenen knüpfen. Das ist eine sehr fragwürdige Angelegenheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden im Übrigen beim Geschäft mit diesen Medizinprodukten über einen Umfang von mehr als 280 Milliarden Euro weltweit. Allein deutsche Unternehmen setzen jährlich 30 Milliarden Euro mit diesen Produkten um.

Daher muss es das dringliche Ziel sein, die Zulassung von Medizinprodukten stärker zu reglementieren bzw. zu kontrollieren, den Patientinnen und Patienten mehr Sicherheit zu geben. Genau dieses Ziel verfolgen wir mit dem vorliegenden Antrag.

Einige Forderungen - wir haben es eben gehört - sind schon auf den Weg gebracht worden. Die Europäische Medizinprodukte-Verordnung - kurz MDR - wird ab Mai 2020 in Kraft treten und trägt erfreulicherweise bereits zu einer verschärften

Kontrolle von Medizinprodukten bei. Dadurch wird eben auch eine höhere Sicherheit für die Patientinnen und Patienten gewährleistet.

Die Definitionen im Bereich der Medizinprodukte und implantierbaren medizinischen Geräte werden erweitert. Einzelne Produkte werden höher klassifiziert, und die Dokumentationsanforderungen werden verschärft. Diese entstehen dadurch, dass sich die Definition eines Vorkommnisses in der MDR ändert.

Zwar müssen schon jetzt Vorkommnisse bei Medizinprodukten ähnlich wie bei Nebenwirkungen von Arzneimitteln gemeldet werden. Doch derzeit versteht man unter einem Vorkommnis ein schwerwiegendes Ereignis oder eine Fehlfunktion, die für den Patienten lebensgefährlich sein oder ein Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen könnte.

Künftig werden unter dem Begriff „Vorkommnis“ alle unerwünschten Wirkungen beim Patienten sowie jegliche Mängel und Fehlfunktionen des Medizinproduktes subsumiert. Dazu gehört z. B. auch eine fehlerhafte Gebrauchsanweisung.