Protocol of the Session on January 25, 2018

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 7. Sitzung im 4. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 18. Wahlperiode.

Tagesordnungspunkt 12: Mitteilungen der Präsidentin

Ich darf die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 13, Fortsetzung der Aktuellen Stunde. Anschließend setzen wir die Beratungen mit Ausnahme der bereits gestern behandelten Tagesordnungspunkte 22 und 24 in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 20 Uhr enden.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr der Schriftführer Herr Brinkmann mit. Bitte, Herr Brinkmann!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: von der Landesregierung Frau Justizministerin Barbara Havliza bis 14 Uhr und von der Fraktion der SPD Herr Uwe Schwarz.

Vielen Dank. - Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 13: Aktuelle Stunde

Wir setzen die Aktuelle Stunde fort. Wir befassen uns zunächst mit dem Antrag der Fraktion der SPD, dann mit dem Antrag der Fraktion der FDP und schließlich mit dem Antrag der Fraktion der AfD.

Ich eröffne die Besprechung zu

a) Am Leben teilnehmen: Organspendenbereitschaft erhöhen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 18/201

Ich erteile das Wort der Vorsitzenden der Fraktion der SPD. Frau Modder, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde meiner Fraktion ist zugegebenermaßen ein sperriges und für viele Menschen auch ein sehr unangenehmes Thema. Wir wollen heute hier in diesem Haus über die Organspende sprechen. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema zieht fast zwangsläufig die Beschäftigung mit dem eigenen Sterben und mit dem Tod nach sich. Dennoch ist es ein Thema, das auch wir als Politikerinnen und Politiker nicht ausblenden dürfen.

Ich sage an dieser Stelle ganz offen: Die Organspende hat in den letzten Jahren einen nachhaltigen Vertrauensverlust erlitten. Skandale wie die Vorgänge in Göttingen und an vielen anderen Klinikstandorten im Jahr 2012, als bekannt wurde, dass Mediziner die Daten ihrer Patientinnen und Patienten manipuliert hatten, um schneller an Spenderorgane zu kommen, haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nachhaltig erschüttert.

Das lässt sich leider auch in Zahlen belegen. Die Spendenbereitschaft ist seit Jahren rückläufig und hat im Jahr 2016 mit nur 797 Spenderinnen und Spendern im gesamten Bundesgebiet einen neuen Tiefststand erreicht. Dieser Zahl steht ein Bedarf an Spenderorganen von rund 10 000 Patienten gegenüber. Die allermeisten von ihnen warten auf eine Niere, die, wie wir wissen, auch lebend gespendet werden kann. Unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war ein prominentes Beispiel dafür, als er dies seinerzeit für seine Frau getan hat und dafür große Anerkennung erhalten hat.

Meine Damen und Herren, die Entwicklung der sinkenden Spendenbereitschaft muss nachdenklich stimmen. Organspenden retten Leben. Im Umkehrschluss bedeutet das: Viele Patienten, die kein Spenderorgan erhalten, sterben an den Folgen ihrer Erkrankung. - Ich sage das ganz nüchtern, weil wir diese Debatte nicht überfrachten dürfen, wenn wir wollen, dass die Bereitschaft zur Organspende in Zukunft wieder zunimmt.

Man muss es ganz deutlich sagen: Niemand kann ein Interesse daran haben, moralischen Druck auf die Bürgerinnen und Bürger auszuüben. Die Frage, ob ein Mensch seine Organe vor oder nach seinem Tod für eine Transplantation zur Verfügung stellt, ist eine zutiefst persönliche. Wir dürfen nicht

den Fehler machen, jene, die sich gegen einen solchen Schritt entscheiden, verurteilen oder gar belehren zu wollen.

Meine Damen und Herren, was wir jedoch tun können und meiner festen Überzeugung nach auch tun müssen, ist, dieses Thema wieder in die Gesellschaft zu tragen, mit all seinen unangenehmen Konsequenzen. Wir brauchen eine offene und direkte Kommunikation. Vor allem brauchen wir eine offene und ehrliche Aufklärung.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Was wissen wir denn wirklich über den Hirntod? - Viele Menschen geben inzwischen mithilfe einer Patientenverfügung ihre Vorstellung von ihrem Sterben ab und lehnen oftmals einen übermäßigen Einsatz von Technik ab. Die Transplantation aber ist ein hochkomplexer und hochtechnisierter Vorgang.

Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die sich vorstellen können, ihre Organe anderen Menschen zu spenden, auch wissen, wie sie das anstellen können. Vor allem müssen wir wieder Vertrauen aufbauen. Vielleicht sind dazu z. B. Transplantationsbeauftragte an den Kliniken dringend erforderlich.

Die Einrichtung eines zentralen Transplantationsregisters für die gesamte Bundesrepublik im Jahr 2016 war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Mit einem neuen Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz des Bundes werden wir auch in Niedersachsen unseren Beitrag zu diesem Ziel leisten.

Meine Damen und Herren, ich kann an dieser Stelle nur dafür werben: Informieren Sie sich über die Möglichkeiten der Organspende. Sprechen Sie mit Ihren Angehörigen, auch wenn es kein angenehmes Thema ist; denn hier liegt die eigentliche Krux. Im Falle eines plötzlichen Ablebens sind es die Angehörigen, die darüber entscheiden müssen, ob Organe entnommen und gespendet werden können. Das ist eine Entscheidung, um die niemand zu beneiden ist. Es ist absolut nachvollziehbar, dass viele Angehörige eher dazu tendieren, auf Organspenden zu verzichten, wenn dazu keine Absprachen getroffen wurden.

Ich kann nur dafür werben, sich ausführlich zu informieren. Ich empfehle dafür z. B. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder auch unser Sozialministerium. Sehen Sie sich an, welche Möglichkeiten es gibt und unter welchen Bedingungen Organspenden überhaupt möglich sind.

Wenn Sie sich für die Möglichkeit zur Organspende entscheiden, dann besorgen Sie sich bitte einen Organspendeausweis. Mit solch einem Organspendeausweis sind Sie es, die aktiv entscheiden. Sie allein legen fest, wie nach Ihrem Tod mit Ihren Organen umgegangen werden soll. Es bleibt ein unangenehmes Thema - ohne Frage. Wer beschäftigt sich schon gern mit der Tatsache, dass das eigene Leben endlich ist? Aber wenn Sie sich einmal intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, ersparen Sie Ihren Angehörigen, für Sie entscheiden zu müssen.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir mit der heutigen Debatte hier im Niedersächsischen Landtag einen kleinen Beitrag leisten können, um eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Organspende neu zu eröffnen.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Modder. - Das Wort hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Meta Janssen-Kucz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2017 hatten wir bundesweit die niedrigsten Organspendezahlen seit 20 Jahren. Das sind wirklich sehr dramatische Zahlen, und dahinter - die Kollegin Modder hat das schon gesagt - stehen 10 000 Betroffene. Das ist bitter für die Betroffenen, für ihre Angehörigen und für ihre Freunde. Sie alle warten auf ein Organ.

Meine Damen und Herren, ich gehöre zu den persönlich betroffenen Angehörigen. Viele, viele, viele Monate habe ich an der Seite meiner Tochter auf ein Spenderorgan gewartet, habe ich gehofft. Es waren Monate, in denen das Lebenslicht meiner Tochter Tine immer spärlicher leuchtete und sie kaum noch am Leben teilnehmen konnte. Es war eine Erlösung, als die Nachricht von Eurotransplant im Februar 2003 kam, dass es ein passendes Spenderorgan gibt.

Das Erlebte treibt mich wirklich bis heute um. Ich denke in dem Sinne: Lassen Sie uns alles dafür tun, dass immer mehr Betroffene geschenkte Lebenszeit bekommen.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben in Niedersachsen in den letzten Jahren für die Organspende geworben: mit Plakataktionen an Bushaltestellen, mit Postkarten, sogar in Gastronomiebetrieben, mit Organspendeausweisen und in unseren Krankenhäusern. - Unser Hausärztinnen und Hausärzte haben große Plakate ausgehängt. Dennoch ist nicht nur bundesweit, sondern auch in Niedersachsen die Bereitschaft zur Organspende weiter zurückgegangen, und das, obwohl die Zahl der Menschen mit einem Organspendeausweis von 2012 bis 2014 von 22 % auf 35 % deutlich angestiegen ist. Also eigentlich hat mittlerweile jeder Dritte einen Organspendeausweis im Portemonnaie. Es liegt also nicht allein an der Zahl der Organspendeausweise. Es liegt auch daran, dass wir z. B. hier in Niedersachsen bis heute kein Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz haben. Darin sollte u. a. festgeschrieben werden, welche Qualifikation die Transplantationsbeauftragten vorweisen müssen und in welchem Umfang sie für diese Aufgabe freigestellt werden. Außerdem sollte es auf Bundesebene ein Melderegister für transplantierbare Organe geben. Doch leider gilt auf Landes- und auf Bundesebene: Still ruht der See.

In diesem sehr stark emotional besetzten medizinisch-ethischen Themenfeld ist es mehr als wichtig, für umfassende Transparenz zu sorgen. Hier geht es um Vertrauen, um viel verloren gegangenes Vertrauen. Die Kollegin Modder hat dazu schon Ausführungen gemacht. Nur wenn deutlich gemacht wird, wann und wo wie viele Organe entnommen bzw. transplantiert werden, können wir das Vertrauen der Menschen in den Organspendeprozess zurückgewinnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Dafür brauchen wir fachlich qualifizierte Transplantationsbeauftragte mit ausreichend Zeit für die betroffenen Menschen.

Im Mai 2017 wurde der Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Transplantationsgesetz durch die Landesregierung in den Landtag eingebracht. Durch die vorgezogenen Neuwahlen fiel der Gesetzentwurf der Diskontinuität zum Opfer. Meine Damen und Herren, um dem Abwärtstrend etwas entgegenzusetzen, müssen wir jetzt zeitnah das

Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz auf den Weg bringen.

Noch eine Anmerkung: Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es nur in Bayern gegen den Bundestrend eine Steigerung der Organspendezahlen um 18 % in 2017 gegeben hat. Dort gibt es nämlich klare, verbindliche Regeln, die nach dem Transplantationsskandal 2012 sehr konsequent mit vollständiger Freistellung der Transplantationsbeauftragten umgesetzt wurden.

(Glocke der Präsidentin)

In diesem Fall sollten wir uns Bayern zum Vorbild nehmen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Aus meiner Sicht ist es etwas zu kurz gedacht, den aktuellen Organmangel in Deutschland vor allem auf Menschen zu schieben, die noch keinen Organspendeausweis haben. Er ist wichtig. Aber das zentrale Problem liegt darin, dass wir ebenso wie Angehörige und Ärzte gern dieses Thema meiden; denn wir müssen uns mit unserer Endlichkeit, wir müssen uns mit dem Tod auseinandersetzen.

Es herrscht viel Unwissen. Daran ändert auch das Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes aus dem Jahr 2012 nichts. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Organspendeausweise durch die Krankenkassen versendet werden. Das trägt einfach nicht dazu bei, Ängste, Unwissen und Vertrauensverlust abzubauen.

Meine Damen und Herren, Vertrauen zu verlieren, ist einfach. Vertrauen zurückzugewinnen, ist sehr schwierig. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam das Vertrauen in diesen medizinischethischen und hochemotionalen Bereich der Organtransplantation zurückgewinnen. Lassen Sie uns das eine tun - für Organspendebereitschaft werben - ebenso wie das andere, nämlich schnell und zeitnah ein umfassendes niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz mit verbindlichen Regeln konsequent umsetzen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Janssen-Kucz, für Ihre auch sehr persönlichen Worte. - Nächster Redner ist für die CDU-Fraktion nun Herr Kollege Volker Meyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine beiden Vorrednerinnen haben über die dramatische Entwicklung der Organspendezahlen in den letzten Jahren gesprochen. Es kann nicht sein, dass wir heute die schlechtesten Organspendezahlen seit etwa zwei Jahrzehnten haben. Nur etwa ein Drittel aller, die betroffen sind, gerade im Bereich der Niere, werden überhaupt die Möglichkeit haben, ein Spenderorgan zu bekommen, und das nicht nur in der Bundesrepublik, sondern europaweit, in den Staaten, die Eurotransplant angeschlossen sind.