Protocol of the Session on January 29, 2020

Wer ohne triftigen Grund einen Termin versäumt, büßt 10 % der monatlichen Regelleistungen ein. In Karlsruhe ging es um krassere Fälle. Mit einer Kürzung von 30 % muss rechnen, wer ein Jobangebot ausschlägt oder eine Fördermaßnahme abbricht. Beim zweiten Mal in einem Jahr sind es bisher 60 %, beim dritten Mal entfällt das Arbeitslosengeld II komplett.

2018 haben die Jobcenter rund 904 000 Sanktionen verhängt - in gut drei Viertel der Fälle wegen nicht eingehaltener Termine. Um gravierende Verfehlungen ging es bei knapp jeder fünften Sanktion. Da es dieselbe Person mehrfach treffen kann, waren 2018 insgesamt 441 000 Menschen betroffen. Das sind 8,5 % aller Hartz-IV-Empfänger.

Im Juli 2019 waren in Niedersachsen 11 136 erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit mindestens einer Sanktion belegt. Dies entspricht einem Anteil von 2,9 % an allen Berechtigten. Dies zeigt, dass fast alle ihren Verpflichtungen nachkommen. Bei denen, die nicht mitwirken, muss der Staat aber ein Mittel haben, um die Mitarbeit durchzusetzen. Deshalb kann ich der Überschrift des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen „Sanktionen abschaffen - Hartz IV überwinden!“ nicht zustimmen.

Die Richter haben nun selbst mit dem Urteil die Sanktionen entschärft. Kürzungen von 60 % und mehr darf es nicht mehr geben. Das Existenzminimum ist somit gesichert. Ein sofortiger Handlungsbedarf des Gesetzgebers existiert folglich nicht.

Wie in der Unterrichtung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung berichtet wurde, wird auf Bundesebene für dieses Quartal

ein Gesetz vorbereitet. Die Sanktionsregelungen werden danach in Abstimmung mit den Ländern modifiziert. Dabei wird auch der starre Ablauf, der ja ebenfalls kritisiert wurde, verändert. Zudem hat das Bundesministerium angekündigt, für unter 25Jährige einen Vorschlag zu unterbreiten.

Damit haben sich beide Forderungen des Antrags erledigt. Folglich hat der Ausschuss bei Abwesenheit der Abgeordneten der Grünen einstimmig die Ablehnung empfohlen. Ich bitte den Landtag, diesem Votum zu folgen.

(Beifall bei der CDU)

Danke vielmals, Herr Kollege Jasper. - Für die FDP-Fraktion hat sich die Kollegin Sylvia Bruns zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Ansmann und der Kollege Jasper haben ausgeführt, inwieweit sich der Sanktionsbereich bewegt. Wir möchten uns auch nicht von dem Prinzip „Fördern und fordern“ verabschieden. Wir sehen ganz andere Probleme im Bereich von Hartz IV, auf die ich nachher noch zu sprechen komme.

Ich glaube - Herr Jasper hat es aufgeführt -, dass es im Sanktionsbereich bei drei von vier Fällen um die Einhaltung von Terminen und die Einhaltung von Bewerbungsgesprächen geht. Wir finden die Grundannahme schon richtig: Wer von staatlichen Leistungen lebt, muss auch die Möglichkeit haben, sich darum zu kümmern, wieder in Berufstätigkeit zu kommen. - Wir reden jetzt nicht von denen, die es nicht können. Diejenigen sind jedoch meistens nicht von Sanktionen bedroht, weil die Jobcenter natürlich nicht jeden sanktionieren, sondern sich jeden Einzelfall genau angucken.

Das andere Problem, das ich tatsächlich bei Hartz IV sehe, ist die Undurchsichtigkeit des ganzen Systems. Wenn man das erste Mal Hartz-IVLeistungen beantragt, ist für einen selbst überhaupt nicht ersichtlich, welche Ansprechpartner man hat. Man hat zehn verschiedene Ansprechpartner. Man bekommt Wohngeld, Kindergeld und vieles weitere. Es ist für die Menschen tatsächlich entwürdigend, die Leistungen beantragen zu müssen. Dann beginnt der Gang durch die Ämter. Manchmal findet man nicht mehr durch den Dschungel, wo die Leistungen überall zu beantragen sind.

Deswegen haben wir seit Langem ein anderes Konzept vorgeschlagen und gesagt: Wir möchten gern, dass alle Sozialleistungen in einer Hand bleiben. Wir haben das damals „liberales Bürgergeld“ genannt. Danach gibt es immer einen gewissen Grundanspruch auf Leistungen, die derjenige bekommt, ohne dass diese gekürzt werden dürfen. Es muss andere Zuverdienstgrenzen geben. Das heißt, es muss sich für die Menschen lohnen, arbeiten zu gehen. Man muss sagen: Ihr müsst nicht wieder alles abführen. - Tatsächlich ist manchmal gar nicht klar, welche Zusatzleistung wegfällt, wenn man wieder arbeiten geht. Das ganze System ist einfach für denjenigen, der das erste Mal Ansprüche erhebt, nicht zu erkennen. Deswegen würden wir gern eine Änderung dazu einführen.

Zu den anderen Leistungen ist schon ganz viel gesagt worden. Die Situation bei den unter 25Jährigen muss angeglichen werden. Ich bin auf den Gesetzentwurf beim Bund gespannt. Tatsächlich möchten wir uns nicht von dem Prinzip „Fördern und fordern“ verabschieden und werden den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen deswegen ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön, Frau Kollegin Bruns. - Abschließend hat sich die Ministerin, Frau Dr. Reimann, gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. November letzten Jahres eine wichtige Entscheidung getroffen. Die Sanktionsregelungen für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur teilweise. Auf diese Klarstellung haben wir schon lange gewartet.

Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass der Bezug existenzsichernder Leistungen an zumutbare Mitwirkungspflichten geknüpft werden darf. Zum anderen zeigt das Urteil aber auch klare verfassungsrechtliche Grenzen für die Sanktionen auf. Das Prinzip des Förderns und Forderns wird damit eben nicht infrage gestellt. Der Bund ist nun - das ist schon angesprochen worden - aufgefordert, eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Gesetzesänderung ist mir besonders wichtig, dass die verschärften Sanktionsregelungen für Leistungsberechtigte unter 25 Jahren endlich abgeschafft werden. Ich kann keinen sachlichen Grund dafür erkennen, diesen Personenkreis anders zu behandeln als die älteren Leistungsberechtigten.

Ich bin außerdem davon überzeugt, dass diese strengen Sanktionsregelungen eher kontraproduktiv sind. Es darf nicht sein, dass die jungen Menschen Gefahr laufen, ihre Wohnung zu verlieren, dass bei ihnen weitere schwerwiegende soziale Problemlagen ausgelöst werden oder dass die Aufnahme irregulärer Beschäftigungsverhältnisse begünstigt wird. Im schlimmsten Fall wenden sich diese Leistungsberechtigten vom Jobcenter ab. Damit wird eine nachhaltige Integration in Arbeit und Ausbildung sogar noch erschwert.

Deshalb setze ich mich auf der Bundesebene dafür ein, dass die Sanktionsregelungen für alle Altersgruppen vereinheitlicht werden. Für die Übergangszeit ist das schon jetzt über die fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit so umgesetzt. In der vergangenen Woche hat mein Haus zudem auch allen kommunalen Jobcentern eine entsprechende Anwendung dieser fachlichen Weisungen empfohlen. Damit gilt dies schon jetzt für alle SGB-II-Empfängerinnen und -Empfänger in Niedersachsen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte es aber auch für richtig, das Prinzip „Fördern und fordern“ nicht grundsätzlich infrage zu stellen.

(Zustimmung von Burkhard Jasper [CDU])

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt das auch keineswegs her. In dem Urteil wird vielmehr festgestellt, dass der Gesetzgeber nicht nur positive Anreize zur Arbeitsaufnahme geben darf; es dürfen auch belastende Sanktionen verlangt werden, falls bekannte und zumutbare Mitwirkungspflichten grundlos nicht erfüllt werden.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Aber man darf die Probleme nicht individualisie- ren! Das ist ein Systemfehler!)

Die örtliche Praxis bestätigt uns, dass Sanktionen einen Anreiz schaffen können. Sie werden bei verschuldeten Terminversäumnissen, bei versäumten Eigenbemühungen und bei konsequenter Arbeitsverweigerung benötigt. Aus den Statistiken wissen wir - der Abgeordnete Ansmann hat darauf auch schon hingewiesen -, dass die Jobcenter

ganz überwiegend sehr verantwortungsvoll mit diesem Instrument umgehen; denn im Bundesschnitt sind monatlich nur 3 % der Leistungsberechtigten von Sanktionen betroffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb ist mein Ziel, die Sanktionsregelungen in Zukunft moderat auszugestalten. Dabei sollten die Anreizfunktionen erhalten bleiben. Zugleich müssen aber zu starke Einschnitte in die Lebensverhältnisse vermieden werden. Wir wollen einen Staat als Partner, der in erster Linie zugewandt und hilfsbereit ist - und nicht misstrauisch und strafend. Für diese Haltung werde ich mich auf Bundesebene einsetzen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen daher zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 18/5083 ablehnen will, den bitte ich nunmehr um ein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gegenstimmen der Grünen. Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Somit wurde der Antrag abgelehnt.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 12: Abschließende Beratung: a) Zukunft der Geburtshilfe in Niedersachsen sichern - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 18/1065 - b) Hebammenversorgung in Niedersachsen flächendeckend sichern - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/4815 - c) Geburtshilfe in Niedersachsen stärken - Arbeitsbedingungen für Hebammen verbessern! - Antrag der Fraktion der AfD - Drs. 18/4819 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - Drs. 18/5348

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU unverändert anzunehmen sowie die Anträge der

Fraktion der FDP und der Fraktion der AfD abzulehnen.

Wir kommen nun zur Beratung. Als erster Redner hat sich Herr Burkhard Jasper von der CDUFraktion gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Gesellschaft ist kinderfreundlich, wenn dies schon vor der Geburt durch ein entsprechendes Umfeld deutlich wird. Dazu gehören ausreichend und gut ausgebildete Hebammen. Deshalb wollen wir eine flächendeckende Versorgung sicherstellen.

Damit haben wir uns im Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, im Ausschuss für Wissenschaft und Kultur sowie in der Enquetekommission zur medizinischen Versorgung ausführlich beschäftigt. Dies zeigt die große Wertschätzung des Niedersächsischen Landtags für diesen Beruf.

Maßnahmen müssen ergriffen werden, weil nach Angaben des Hebammenverbandes in den kommenden acht Jahren etwa ein Viertel der Hebammen aus dem Berufsleben ausscheidet, die Akademisierung beschlossen wurde und sich das Aufgabenfeld erweitert hat. Im Bereich der frühen Hilfen gibt es den Einsatz von Familienhebammen in Familien mit Kindern bis zu einem Jahr. Zudem möchte ich auf die Stärkung der vor- und nachgeburtlichen Hebammenleistungen hinweisen.

Nun werde ich auf einige Maßnahmen näher eingehen.

140 zusätzliche Studienplätze werden eingerichtet. In Osnabrück, Oldenburg und Göttingen wird der Studienbetrieb im Wintersemester 2020/21 beginnen, in Hannover wegen Bauarbeiten ein Jahr später. Niedersachsen ist in der glücklichen Lage, dass an der Hochschule Osnabrück schon ein Studiengang mit 45 Plätzen existiert. Die dort gewonnenen Erfahrungen können nun genutzt werden.

Somit wird es insgesamt 185 Studienplätze in Niedersachsen geben. Da an den Fachschulen auf der Grundlage aktueller Zahlen durchschnittlich 90 bis 100 Ausbildungsplätze entfallen, handelt es sich um eine Kapazitätserweiterung.

Ich bedanke mich recht herzlich bei Wissenschaftsminister Björn Thümler für sein großartiges Engagement.

(Beifall bei der CDU)

Nun soll das vorhandene Wissen in den Fachschulen genutzt werden. Die Hochschulen sind aufgefordert, Kooperationsverträge abzuschließen.

Erfreulich ist, dass es eine Ausbildungs- und Studienvergütung gibt. Dies trägt zur Attraktivität des Studiums bei.

Kollege Jasper, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Limburg?