Frau Kollegin, einen Augenblick bitte! - Ich bitte darum, die Gespräche an der Regierungsbank umgehend zu beenden, damit man der Kollegin folgen kann. - Vielen Dank.
Jede dieser Maßnahmen ist absolut sinnvoll und sollte umgesetzt werden, aber dieser Antrag, wie gesagt, bezieht sich auf das Containern. Es ist traurig, dass in Zeiten überhaupt darüber diskutiert werden muss, in denen es auch in Deutschland Menschen gibt, die arm sind. Es gibt sozial Schwache. Es gibt Alleinerziehende. Es gibt Rentner, die sich nicht genug Dinge kaufen können - ganz einfach aufgrund kleiner Einkommen. Und verzehrbare Lebensmittel werden in Müllcontainer geworfen, abgeschlossen und auf verriegelte Gelände gestellt.
Die Begründungen dafür darf man durchaus als fadenscheinig betrachten, nämlich die Haftung, falls sich jemand mit diesen Lebensmitteln einen Schaden zufügt. Menschen, die erwachsen sind und sich dazu entschließen, diese Lebensmittel aus einer Mülltonne zu holen - genau das ist es! -, wissen durchaus, glaube ich, dass sie ein gesundheitliches Risiko eingehen; sie tun das ganz bewusst. Im Gegenzug muss man fragen: Was ist mit den Rentnern und Obdachlosen, die man immer wieder in den Innenstädten sieht, die sich dort tatsächlich Lebensmittelreste aus Mülltonnen kratzen. Wer fragt da nach den Gesundheitsrisiken dieser Menschen?
Vor Kurzem wurden zwei Studentinnen verurteilt, weil sie in der Nähe von München Obst, Gemüse und Joghurt aus dem Müll eines Supermarktes gefischt hatten. Sie wurden wegen Diebstahls verurteilt. Es gab Sozialstunden und eine Geldstrafe. Diese zwei Studentinnen ziehen nun vor das Bundesverfassungsgericht. Sie meinen nämlich, dass sie zu Unrecht schuldig gesprochen wurden; denn - jetzt kommt die Begründung - wer „sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetze, tue nichts Verwerfliches - im Gegenteil“!
In dieser Sachlage findet man den Widerspruch unserer heutigen Gesellschaft ganz klar formuliert: Die Einhaltung von Gesetzen wird in manchen Fällen ignoriert, wenn der Ausführende ein moralisch vermeintlich höherwertiges Ziel verfolgt. Ein gutes Beispiel hatten wir vor einigen Wochen auf der Tagesordnung - darüber wurde auch hier heiß diskutiert -: Fridays for Future. Wir haben eine Schulpflicht. Nicht die Schule zu besuchen, ist Schwänzen; das ist nicht zulässig. Trotzdem wurde es aufgrund eines höheren moralischen Zwecks gebilligt und am Ende des Tages zugelassen.
Unter diesem Aspekt, muss man sagen, müsste auch das Containern straffrei sei. Aber wir werden mit derartigen Kollisionen in Zukunft vermutlich noch des Öftern zu tun haben.
Danke, Frau Kollegin Guth. - Das Wort hat nun für die CDU-Fraktion die Kollegin Veronika Koch. Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist mit dem Titel „Lebensmittel retten - Containern und ‚Bändern‘ entkriminalisieren“ überschrieben.
Ich beginne mit dem zweiten Teil dieses Titels: „Containern und ‚Bändern‘ entkriminalisieren“. Ich kann dieses Rechtsempfinden ehrlicherweise nicht nachvollziehen. Wir sprechen von folgender Situation: Es gibt einen Lebensmittelmarkt, bei dem natürlich Abfälle entstehen, die von dem Markt in den üblichen Behältern entsorgt werden.
Der Abfallbehälter steht ver- oder möglicherweise sogar abgeschlossen auf dem Grundstück des Lebensmittelmarktes - eine ganz normale, alltägliche Situation.
Nun soll mit diesem Antrag bezweckt werden, dass wir von einer Strafe absehen, oder diese soll gemildert werden, wenn sich jemand über den Abfallbehälter hermacht, um daraus beispielsweise einen noch genießbaren Joghurt oder eine überreife Banane herauszuholen.
Ich frage mich: Was ist das für eine Mentalität? - Es bleibt doch Hausfriedensbruch, wenn ich mir vorsätzlich Zugang zu einem eingefriedeten Eigentum verschaffe. Es bleibt doch Diebstahl, wenn ich mir eine Sache rechtswidrig aneigne.
Die Vorschriften in den §§ 123 und 242 des Strafgesetzbuchs zu Hausfriedensbruch und Diebstahl sind doch zu Recht geschaffen worden - aus Respekt vor Eigentum und Besitz. Es ist doch nicht zuletzt auch eine Frage des Anstands und der Erziehung, ob man sich ungefragt und ungebeten Zugang zu einer Sache verschafft oder unerlaubt einfach eine Sache mitnimmt.
Wollen wir wirklich, dass wir solche widerrechtlichen Handlungen weniger bestrafen und damit quasi legalisieren?
Nein, meine Damen und Herren, das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz! Wir können sehr stolz auf unseren geordneten Rechtsstaat in Deutschland sein, und es kann daher nicht in unserem Sinne sein, dass diese grundsätzlichen Schutzgüter gelockert werden. Aus gutem Grund hat das Bayerische Oberste Landesgericht erst kürzlich die Verurteilung zweier Studentinnen bestätigt, die weggeworfene Lebensmittel aus einem verschlossenen Container eines Supermarktes nahmen.
Was wäre denn dann der nächste Schritt? Lockern wir dann auch die Strafverfolgung, wenn jemand vermeintlich verdorbene Lebensmittel einfach aus dem Regal nimmt, weil diese nicht mehr verkauft werden können?
Meine Damen und Herren, das Eigentum ist nach Artikel 14 des Grundgesetzes garantiert. Der Eigentümer oder auch Besitzer muss nach unserer Meinung selbst entscheiden können, was mit seinen Sachen passieren soll. Führt er sie dem Müll zu, hat sich daran niemand einfach zu bedienen. Das hat schließlich auch haftungsrechtliche Gründe; denn das Geschrei wäre groß, wenn sich derjenige, der sich widerrechtlich einer Sache bedient, dabei verletzt, nach Verzehr erkrankt oder was auch immer.
Die Motivation für diesen Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ist grundsätzlich eine Motivation, die durchaus Beachtung finden kann.
Die Problematik hat auch unsere Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast erkannt und bereits aufgegriffen. Denn sie wird eine der zentralen Aufgaben des ZEHN, des Zentrums für Ernährung und Hauswirtschaft in Niedersachsen, sein, das auf Initiative der Ministerin gegründet wurde und inzwischen auch schon seine Arbeit aufgenommen hat. Dort werden wir in Niedersachsen u. a. gezielte Maßnahmen zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung entwickeln. Dort wird es um Wertschätzung unserer Güter gehen, und dort werden die Alltagskompetenzen der Menschen wieder stärker geschärft werden.
Nennen möchte ich auch noch das Projekt „Zu gut für die Tonne“ oder auch die „Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“, welche aktiv zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung betragen wird.
Meine Damen und Herren, es kann in dieser Frage einzig darum gehen, wie Lebensmittel gerettet werden können. Containern und Bändern zu entkriminalisieren, kann nicht im Sinne eines geordneten Rechtsstaates sein. Daher lehnen wir den Antrag ab.
Vielen Dank, Frau Kollegin Koch. - Für die FDPFraktion hat sich nun der Kollege Hermann Grupe gemeldet. Bitte sehr!
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich glaube, ich muss hier schon wieder die Männerquote hoch halten. Sei es drum!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus der ersten Debatte ist es vielleicht noch im Gedächtnis, dass ich sehr viel Sympathie für junge Menschen habe, die sich dagegen wenden, Lebensmittel zu verschwenden. Als Ursache kristallisiert sich immer wieder dieses unsägliche Mindesthaltbarkeitsdatum heraus. Einerseits entsorgen die Geschäfte im Einzelhandel dann völlig intakte Lebensmittel, andererseits werden - Frau Staudte, Sie haben es angesprochen - 50 % in den Haushalten weggetan. Da gibt es keine sensitive Prüfung mehr, sondern man guckt auf dieses Datum und entsorgt dann auch Lebensmittel, die völlig in Ordnung sind.
Wir können nur versuchen, das Bewusstsein dafür zu verbessern. Natürlich kann es nicht sein, dass uns deswegen die 25 % Verlust im Handel egal sind.
Nun haben Sie gesagt, man müsste vor dem Containern ansetzen. Genau das ist richtig. Ich sage, ich habe sehr viel Sympathie dafür, dass junge Menschen zu Aktionen greifen. Der Verstoß gegen eine Verordnung, indem man sagt: „Ich besorge mir das jetzt, und das ist völlig in Ordnung“, gehört irgendwo zu der Aktion dazu, sage ich mal.
Da stellt sich dann die Frage, wie man darauf reagiert. Die Gesetzeslage ist ja eindeutig. Sie sagen, Sie wollen das straffrei stellen. Dann würden wir es im Umkehrschluss ja erlauben - wenn ich das richtig sehe; ich bin ja kein Jurist -, dann könnte man ja sagen: „Ihr könnt euch das holen!“
Aber das kann nicht die Lösung sein. Dort liegt die Lösung nicht, sondern wir müssen das Problem an sich lösen.
Nun hat die Kollegin Koch hier den Vergleich mit dem Diebstahl einer Waffe gebracht. Frau Kollegin, ich muss sagen, da bin ich völlig anderer Meinung. Das ist wie das exakte Gegenteil.
Für jemanden, der eine Waffe stiehlt, habe ich überhaupt keine Sympathie. Den muss die volle Wucht des Gesetzes treffen, weil das eine schwere Straftat ist, während hier ein Verstoß begangen wird, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, von dem wir alle sagen: Wir müssen das endlich einmal lösen!
Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass, wie Frau Staudte sagt, die Gerichte das meist auch nicht weiter verfolgen. Insofern ist zumindest der Protest, wenn es denn einer sein sollte, angekommen.
Also an uns alle der Appell, hier Lösungen zu beraten. Ich habe leider keine Patentlösung. Aber ich kann Ihnen sagen - das haben wir im Ausschuss schon angesprochen -: Wir haben einen Antrag in Vorbereitung. Wir werden einen Antrag dazu stellen. Wir werden das Thema weiter beraten. Wir können dem Antrag hier nicht zustimmen, weil die Erlaubnis, im Zweifelsfall einzubrechen, nicht rich
tig sein kann. Aber wir werden einen eigenen Antrag stellen, um dieses Thema weiter zu behandeln. Wir müssen zu Lösungen kommen.