Protocol of the Session on November 19, 2019

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Natürlich ist es für uns auch denkbar, über ein Bundesaufnahmeprogramm in Richtung der Jugendlichen und Kinder auf Lesbos zu sprechen. Dabei muss aber klar sein, dass dieses Programm zeitlich, örtlich und auch von den Kriterien her eng umgrenzt ist. Ich finde es zwar richtig, dass unser Landesinnenminister nach Lesbos fährt und sich die Situation dort anschaut - das begrüße ich ausdrücklich -, aber das allein reicht natürlich nicht als Begründung aus. Ich glaube dennoch, dass man Lesbos schon als besonderen Fall klassifizieren kann, weil es dort eine besondere Situation gibt und weil es dort insbesondere um Kinder und Jugendliche geht. Deswegen glaube ich, dass man das herleiten kann.

Ich bin aber auch sicher, dass im Verfahren sichergestellt werden muss, dass wir diejenigen zu uns holen, die wir zu uns holen wollen, und dass wir diejenigen auch so begleiten, wie sie es verdient haben. Da bin ich der Meinung, dass wir schon noch einmal darüber reden sollten, wie unbegleitete minderjährige Ausländer in Niedersachsen behandelt werden. Das heißt, wir sollten die Verantwortung des Landes herausstellen. Aus unserer Sicht müssen wir dahin kommen, dass wir bei diesem Thema wieder eine Fachaufsicht des Landes bekommen. Ich glaube, der Richtige Weg, um diesem Thema zu begegnen, wäre eine entsprechende Änderung des Ausführungsgesetz zum SGB VIII.

(Beifall bei der CDU)

Und natürlich dürfen wir die Kommunen dabei nicht alleinlassen. Wenn wir das entscheiden, ist es unsere Verantwortung. Wir übernehmen sie.

(Präsidentin Dr. Gabriele Andretta übernimmt den Vorsitz)

Insofern müssen wir das dann auch auf unserer Ebene handhaben. Das heißt, wir müssen auch das Geld zur Verfügung stellen. Wir müssen es aus dem Innenetat bezahlen und diese Hilfe dann auch als Landesverantwortung begreifen.

Unter diesen Gesichtspunkten - in einem so eng abgegrenzten Bereich mit dem zusätzlichen Aspekt, dass wir auch vor Ort helfen wollen, eingebettet in eine europäische Initiative - wäre das unsere Antwort, wie wir helfen wollen. So können wir uns gemeinsam auf den Weg machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Lechner. - Es folgt nun Herr Kollege Dr. Genthe für die FDP-Fraktion. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie bereits sehr deutlich gemacht wurde, sind die Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln völlig undiskutabel und menschenunwürdig, gerade auch in Moria auf Lesbos. Die Einrichtung ist gegenwärtig massiv überbelegt. Ich glaube, statt der 3 000 Menschen, die dort möglich sind, sind dort bis zu 13 000 Menschen. Leider gilt das auch für viele andere Flüchtlingslager in anderen europäischen Ländern an den EU-Außengrenzen, z. B. insbesondere in Italien. Wir begrüßen daher, dass sich Innenminister Pistorius selbst ein Bild von der Lage in Griechenland gemacht hat und nun etwas gegen diese Zustände unternehmen möchte.

Zur Wahrheit, meine Damen und Herren, gehört allerdings auch, dass diese Zustände nicht erst seit diesem Jahr in diesen Lagern herrschen. Da muss man schon mal die Frage stellen, was die Bundesregierung aus SPD und CDU/CSU in den letzten Jahren unternommen hat, um diese Zustände zu verbessern. Keinen Sinn macht es jedenfalls, dass jetzt jeder Landesinnenminister nach Griechenland fährt.

Aber - auch das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich - die Sonderkontingente, die jetzt hier vorgeschlagen worden sind, sind auf jeden Fall positiv zu bewerten. Allerdings betrifft dieser Vorschlag nur diejenigen, die über ein solches Sonderkontingent nach Europa reisen können. Solche Maßnahmen können maximal ein humanitäres Signal sein. Das grundsätzliche Problem lösen sie aber, wie gesagt, nicht.

Das Problem wird letztendlich nur auf der europäischen Ebene zu lösen sein. In erster Linie brauchen wir dafür ein funktionierendes europäisches System zur Verteilung von Flüchtlingen. Dafür bedarf es einer umfassenden Reform des Dublin-III-Systems. Diese Reform muss endlich dafür sorgen, dass sich ganz Europa seiner Verantwortung bewusst wird und die Länder an den EUAußengrenzen nicht mit ihren Problemen alleingelassen werden.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die griechische Regierung muss dringend die erforderliche Unterstützung erhalten, damit die Aufnahmebedingungen für die Migranten in Griechenland verbessert werden. Zügige und rechtsstaatlich einwandfreie Asylverfahren, gegebenenfalls aber auch Rückführungen müssen konsequent durchgeführt werden können.

Eine Abkehr von dem Hotspotkonzept kann jedoch gegenwärtig nicht die Lösung für den Umgang mit den Zuständen in Griechenland sein. Die griechische Regierung hat in diesem Zusammenhang allerdings auch schon Zusagen gemacht, die Asylverfahren wie auch den Grenzschutz zu verbessern. Die Bundesregierung hat zuletzt Experten des BAMF nach Griechenland entsandt, um einen Know-how-Transfer zu ermöglichen.

Im Hinblick auf die Gesamtsituation in Griechenland sind aber, wie gesagt, die EU und die Bundesregierung gefragt, weitere Hilfs- und Unterstützungsleistungen beizusteuern und die griechische Regierung dann auch wirklich beim Wort zu nehmen.

Meine Damen und Herren, nur der lange Weg über einen europäischen Kompromiss wird am Ende zu besseren Zuständen in den Flüchtlingslagern an der europäischen Außengrenze führen. Nach meinen Informationen diskutiert der zuständige Ausschuss auf EU-Ebene bereits mit der Kommission über die Problematik.

So unerfreulich es auch ist: Der Niedersächsische Landtag hat insoweit nur sehr wenig Möglichkeiten. Es bleibt uns eigentlich nicht sehr viel mehr, als auf die EU-Ebene und auf die Bundesebene einzuwirken, um hier zu Verbesserungen zu gelangen.

Allerdings ist es auch der Großen Koalition in Hannover unbenommen, bei der Großen Koalition in

Berlin insoweit Druck zu machen, damit wir hier schneller zu Lösungen kommen. Wir Freie Demokraten würden Sie dabei jedenfalls gerne unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Ahrends. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2016 wurde zwischen der EU und der Türkei ein sogenanntes „Flüchtlingsabkommen“ geschlossen. Die Türkei erhielt 6 Milliarden Euro, um die Lebensbedingungen der Migranten in der Türkei deutlich zu verbessern.

In der jüngsten Vergangenheit jedoch forderte Präsident Erdogan u. a. mehr Geld sowie Unterstützung bei der Einrichtung einer Sicherheitszone im Bereich Nordsyriens, in der nach seinem Plan bis zu 3 Millionen syrische Flüchtlinge angesiedelt werden sollen. Erdogan drohte in diesem Zusammenhang der EU mit mehr Migranten, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden.

Die Zahl aus der Türkei kommender Flüchtlinge stieg in den letzten Wochen tatsächlich stark an. Dies führte auf den griechischen Inseln zu einer hohen Anzahl von Migranten, die allein aus Platzgründen auf das Festland verlegt werden mussten. Aber auf dem Festland greift eben die Rücknahmeverpflichtung der Türkei nicht mehr.

Nicht nur Zypern, das mit der Anzahl der Flüchtlinge überfordert scheint, wirft der Türkei in diesem Zusammenhang einen klaren Bruch des Flüchtlingsabkommens vor. Deshalb sollte es jetzt vor allem darum gehen, die Türkei zur Einhaltung des Abkommens zu bewegen und die Migranten in die Türkei zurückzuführen.

Leider sind bisher ernsthafte Reaktionen vonseiten der EU oder gar Deutschlands ausgeblieben. Zu groß scheint die Angst, dass die Türkei tatsächlich die Schleusen vollends öffnet und Millionen von Migranten Richtung Europa schickt. Aber auch in diesem Punkt sollte die EU eine einheitliche Sprache sprechen und konsequent die Außengrenzen Europas schützen. Alle Möglichkeiten, die Türkei zur Einhaltung des Abkommens zu bewegen, müssen geprüft werden.

In Griechenland - wir hörten es - gibt es derzeit ca. 4 400 UMAs, also unbegleitete minderjährige Asylbewerber, wobei die Zahlen über die letzten Jahre stark angestiegen sind - wie üblich auch dort hauptsächlich männliche Jugendliche, die übrigens überwiegend aus Afghanistan und Pakistan kommen und komischerweise nur zu 10 % aus Syrien stammen. Zwischenzeitlich kam sogar die Mehrheit dieser Gruppe aus Algerien.

Wie auch immer, die Jugendlichen aus Pakistan und auch aus Algerien haben wenig Chance auf Anerkennung ihres Asylbegehrens. So wurden 2018 lediglich 4,5 % der Antragsteller aus Pakistan erkannt und lediglich 1,5 % der Antragsteller aus Algerien. Bei den Antragstellern aus Afghanistan waren es immerhin 37,5 %. Das bedeutet aber auch: 62,5 % der Antragsteller wurden abgelehnt.

Die absoluten Zahlen mögen jetzt nicht besonders beeindruckend wirken. Aber wir erinnern dabei an die Möglichkeit der Familienzusammenführung. Aus einer einmaligen humanitären Aktion wird schnell ein dauerhafter Mechanismus.

Problematisch dabei ist natürlich auch, festzustellen, wer überhaupt minderjährig ist und wer nicht. Sie, meine Damen und Herren, widersetzen sich einheitlich einer obligatorischen Altersfeststellung.

(Anja Piel [GRÜNE]: Weil sie nichts bringt! Weil diese Untersuchung Un- fug ist! Das haben wir doch im Aus- schuss schon diskutiert!)

Diese halten wir nach wie vor für eine zwingende Voraussetzung für die Anerkennung eines unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbers.

Bleibt schlussendlich die Frage: Warum eigentlich wieder Deutschland? - Deutschland hat doch den größten Teil aller Asylbewerber in der EU aufgenommen. Ebenso sind wir führend bei der Mittelmeerrettung. Wir haben dem Compact for Migration zugestimmt. Wir haben auch dem Resettlementprogramm zugestimmt;

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sie haben dem zugestimmt? Das wäre mir neu! Ihre Landtagsreden klangen nicht so!)

da sind bereits die ersten Menschen für 6 Millionen Euro nach Deutschland eingeflogen worden. Wir haben darüber hinaus die Familienzusammenführung. Und jetzt soll Deutschland auch bei den UMAs eine Vorreiterrolle einnehmen, die wir bei dem Thema Migration ohnehin schon haben.

Hier stellt sich die Frage - meine Vorredner haben es angedeutet - nach einer gerechten Lastenverteilung innerhalb der EU. Ganz kurz die Zahlen: 2015 hatten wir 66 000 unbegleitete Minderjährige, aktuell sind es 35 000. Deutschland zahlte pro Jahr 4 Milliarden Euro bundesweit, Niedersachsen immerhin 240 Millionen Euro für die UMAs.

Zweifellos ist die humanitäre Lage auf den griechischen Inseln und dem griechischen Festland problematisch. Aber es kann nicht immer Deutschland und schon gar nicht immer Niedersachsen sein, das versucht, die Probleme der ganzen Welt zu lösen. Das ist eine Aufgabe der EU und der UNO.

Vor allen Dingen müssen wir endlich aktiv die Fluchtursachen bekämpfen. Auch die Rückführung der abgelehnten Asylbewerber in ihre Heimat muss, wenn dies die Umstände zulassen, vorangetrieben werden.

Die bereitwillige Aufnahme von immer mehr Migranten führt zu sogenannten Pulleffekten und steigert damit auch die Anzahl der Migranten, die versuchen, nach Deutschland zu kommen. Solange wir die Probleme bei der Abschiebung nicht in den Griff bekommen, sollten wir keine weiteren Anreize schaffen, die die Menschen dazu bewegen, sich auf die gefährliche Reise nach Deutschland zu begeben.

Deutschland kann offene Grenzen haben, und Deutschland kann auch ein Sozialstaat sein. Die Frage ist aber: Wie lange kann Deutschland ein Sozialstaat mit offenen Grenzen sein?

Die AfD-Fraktion setzt sich von daher für eine Rückführung der UMAs in die Türkei und eine finanzielle Unterstützung Griechenlands zur Versorgung der UMAs vor Ort ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Ahrends. - Für die Landesregierung erhält nun Herr Innenminister Pistorius das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele von uns machen im Leben gelegentlich Erfahrungen, nach denen sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, weil sie das, was sie gesehen und erlebt haben, tief bewegt.

Ich habe einen solchen Moment - oder mehrere solcher Momente - vor zehn Tagen erlebt. Anfang dieses Monats war ich, wie schon gehört, gemeinsam mit einer kleinen niedersächsischen Delegation in Griechenland. Mir ging es vor allem darum, mir vor Ort ein Bild von der Flüchtlingssituation auf Lesbos zu machen und Gespräche mit den verantwortlichen Ministern in Athen zu führen.