Protocol of the Session on November 19, 2019

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie starke, anhaltende Zustimmung von Jochen Beekhuis [fraktionslos])

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Weil, für die Abgabe Ihrer Regierungserklärung.

Nach unserer Geschäftsordnung ist über die Ausführungen die Besprechung zu eröffnen, wenn diese zehn Mitglieder des Landtages verlangen. Da hier zahlreiche Wortmeldungen der Fraktionen vorliegen, gehe ich davon aus, dass wir nun zur Aussprache kommen.

Ich stelle fest, dass die Regierungserklärung 18 Minuten gedauert hat. Für die nun folgende Aussprache erhalten, wie üblich, die beiden großen

Fraktionen ebenso viel Redezeit, wie die Landesregierung verbraucht hat, also ebenfalls je 18 Minuten. Die drei Oppositionsfraktionen erhalten in der Summe so viel Redezeit wie die beiden Regierungsfraktionen zusammen, also jeweils 12 Minuten.

Ich darf die Besprechung eröffnen und erteile das Wort der Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Frau Piel. Bitte, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Weil, sehr verehrter Herr Althusmann, zunächst einmal vielen Dank für die ausführliche und richtige Problembeschreibung.

Mein Problem ist allerdings, dass ich mich zunehmend darüber ärgere, dass in all diesen Gesprächen der Eindruck vermittelt wird, wir hätten es hier mit einem Problem zu tun, das vom Himmel gefallen sei, praktisch dieser Landesregierung ins Feld. Wir wissen dabei, Herr Weil und Herr Althusmann, dass es sich in Wirklichkeit ganz anders verhält und dass Ihre Kollegen in der Bundesregierung und insbesondere im CDU-geführten Wirtschaftsministerium die Energiewende sehenden Auges und ohne jede Rücksicht auf Arbeitsplatzverluste vor die Wand gefahren haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das haben sie schon bei der Photovoltaik getan. Jetzt geht es der Windenergie an den Kragen. Ausschreibungspflichten, Ausbaukorridore, Netzausbaugebiete - jede dieser bundespolitischen Schikanen hat Arbeitsplätze in der Windenergie gekostet. Das sind die Gründe für den Niedergang der Windenergie.

Aber da erzähle ich Ihnen nichts Neues. Deswegen schaue ich nicht nur verärgert nach Berlin, wo die Verantwortlichen sitzen, sondern ich schaue auch Sie beide an. Sie sind die politischen Vertreter Niedersachsens und damit mitverantwortlich für diese Entwicklung. Wo waren Sie, als die schwarzrote Bundesregierung, Ihre Parteikollegen, mit genau diesen Maßnahmen den Untergang der Windenergie beschloss? Und warum führen Sie Ihre Krisengespräche nicht endlich in Berlin?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lieber Stephan Weil, gestatten Sie mir ein ganz persönliches Wort: Vom Regierungschef des Windenergielandes Nummer eins hätte ich wenigstens erwartet, dass er in seiner Problembeschreibung eindeutig und unmissverständlich Ross und

Reiter benennt. Die Verantwortlichen für diese dramatische Krise haben Namen. Sie sitzen in Berlin. Sie gehören der Bundesregierung an. Das sind Ihre Kolleginnen und Ihre Kollegen, die seit Jahren von Energie und Klimaschutz reden, aber das Gegenteil tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die nun beschlossene 1 000-m-Abstandsregelung ist eigentlich nur der finale Sargnagel. In den letzten Jahren sind 35 000 Jobs in der Windbranche verloren gegangen. Das ist ein Fünftel der Stellen in dieser Branche. Wie kann es da sein, dass jetzt erst bei Ihnen, Herr Althusmann, und bei Ihnen, Herr Weil, Ärger über das entsteht, was sich da abspielt?

Was mich außerdem ärgert: Lassen Sie uns doch nicht die Schuld bei Enercon suchen! Wir wissen nicht erst seit gestern, dass Enercon Lücken in der Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lässt. Das ist keine Neuigkeit.

(Zuruf von Johanne Modder [SPD])

- Nein, Frau Modder, es ist keine Neuigkeit. Wir wissen schon seit der Zeit, als wir noch gemeinsam in der Koalition gesteckt haben, dass die IG Metall da vor den Toren warten muss. Wir haben schon damals, als das EEG nachverhandelt werden musste, gesagt, dass Sigmar Gabriel mit Enercon und den Beteiligten über diese Beteiligung sprechen muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber das ist nicht der Grund, warum die Windenergie dieser Tage zugrunde geht und versenkt wird. Denn im Kern geht es hier um die Energiewende, und die Windenergie wird an diesen Stellen von Leuten zu Fall gebracht, die noch nie ein Interesse an einer echten Klimapolitik hatten, die die Energiewende auch schon immer scheitern lassen wollten. Hier wird eine klimafreundliche Energieversorgung mit Ansage kaltgestellt. Und Sie beide entwickeln nicht die Kraft, gemeinsam in Berlin auf den Tisch zu hauen und Herrn Altmaier, die GroKo und auch die Kanzlerin zur Rede zu stellen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Weil, Herr Althusmann, wir haben schon an vielen Stellen gemerkt, dass es schwierig ist, in einer Koalition Kompromisse zu finden, in der beide Partner gleichauf sind. Dieses Thema ist - das ist mir ganz wichtig, weil wir hier von der Solidarität mit den Beschäftigten und ihren Familien gehört

haben; die fühlen auch wir - kein Thema für ein Armdrücken zwischen Koalitionspartnern. Bei diesem Thema muss man sich hier zusammensetzen und auch in Berlin die Interesse Niedersachsens vertreten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dem Klima sind übrigens die strategischen Spiele im Wirtschaftsministerium in Berlin ziemlich egal.

Wir hören immer wieder - gerade bei den Kohlenkumpeln, die uns auch am Herzen liegen -, dass es wichtig ist, den Transformationsprozess vernünftig zu organisieren. Ja, die Zukunft der Kohlekumpel muss uns wichtig sein. Aber das ist nur die eine Seite dieser Energiewende. Bei der anderen Seite sind Sie für meinen Geschmack in Berlin noch viel zu leise. Ihre Aufgabe ist es doch, neue Jobs zu sichern. Das Gegenteil passiert hier gerade. Es sind zukunftsfähige Arbeitsplätze, die die Bundesregierung hier ohne Not versenkt.

Sie, Herr Althusmann und Herr Weil, müssen sich entscheiden, ob sie nur den Zeitungen und uns - in einer Regierungserklärung - erzählen, dass Sie unzufrieden sind, oder ob Sie sich wirklich dieser Bundesregierung dabei in den Weg stellen, dass sie die Klimawende scheitern lässt. Nicht weniger als der Erfolg und die Zukunft der Windenergie stehen hier auf der Kippe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und noch mehr: Dass jetzt so viele Arbeitsplätze abgebaut werden - die werden übrigens nicht nur bei Enercon abgebaut, sondern auch in vielen Handwerksbetrieben und bei Zulieferern vor Ort -, das ist ein herber Schlag für die Beschäftigten und für ihre Familien. Das sind - so kurz vor Weihnachten - sehr, sehr schlechte Perspektiven.

Das trifft aber auch eine ganze Region und damit die niedersächsische Wirtschaft. Das Land Niedersachsen, ehemals stolzer Vorreiter in der Windenergie kommt dadurch - nicht nur in der Region, sondern insgesamt - in eine wirtschaftliche Notlage. Der Erfolg der Windenergie ist maßgeblich für die Standortpolitik an der Küste. Wenn erst wichtige Teile der Produktionskette ins Ausland verlegt worden sind, ist es zu spät für Verhandlungen. Deswegen sind Sie jetzt in der Pflicht zu handeln. Wenn Sie es nicht schaffen, die Rahmenbedingungen für die Windenergie zu ändern, dann sind Sie für diese Krise mitverantwortlich.

Konkret muss es um einen Rettungsplan für die Windenergie und für die Arbeitsplätze gehen. Das wäre dann auch ein Rettungsplan für Ostfriesland. Dafür muss die geplante 1 000-m-Abstandsregelung gestoppt werden.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wie in Brandenburg!)

Dafür braucht es keine blumigen Sätze, dass man das irgendwann einmal tut, sondern ein klares Signal an die Hersteller von Windenergieanlagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine garantierte Einspeisevergütung, eine Befreiung von der Ausschreibungspflicht - da müssen wir jetzt ran! Die Kollegin Imke Byl wird Ihnen das noch weiter erläutern. Vor allen Dingen darf die politische Krise nicht noch mehr Arbeitsplätze kosten.

Unsere große Solidarität gilt den Beschäftigten und ihren Familien. Aber wir möchten auch, dass Sie ein Signal geben, dass Sie Ihren Berliner Kollegen auf den Füßen stehen, damit diese endlich die Bremsen lösen.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Piel. - Ich erteile nun das Wort für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Siebels. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben soeben den Bundestagsabgeordneten, den Landrat Olaf Meinen, den Bürgermeister Horst Feddermann, den Oberbürgermeister Kruithoff und den Landrat Heymann begrüßt. Ich hoffe, dass ich niemanden an dieser Stelle vergessen habe. Ich glaube, Ihre Anwesenheit, meine Herren, demonstriert die hohe Verbundenheit der Region auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma Enercon, und zwar sowohl mit denen, die jetzt vor der Entlassung stehen, als auch mit denen, die im Betrieb weiter ordentlich ihren Dienst tun. Ich freue mich, dass Sie hier sind.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Frau Piel, in inhaltlicher Hinsicht kann ich Ihre Ausführungen in weiten Teilen absolut teilen. Ich schätze das inhaltlich genauso ein. Ich hätte mir

allerdings gewünscht - ich sage das in aller Zurückhaltung -, dass wir in dieser Situation etwas weniger mit gegenseitigen Schuldzuweisungen arbeiten,

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das sagt der Richtige!)

sondern vielmehr den Appell aufnehmen, den Ministerpräsident soeben auch an den Landtag gerichtet hat, dass wir alle gemeinsam gefordert sind, in dieser schweren Krise mitzumachen.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Wer re- giert denn in Berlin?)

Zu dem, was Sie hier machen, Herr Meyer - „Wer regiert denn in Berlin?“ und andere Geschichten -: Wir können ja im Detail darüber reden, was Jamaika in Berlin schon alles verhandelt hatte. Das führt aber zu nichts. Deshalb sage ich: keine Schuldzuweisungen machen, sondern gemeinsam an Lösungen arbeiten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Erlauben Sie mir als Wahlkreisabgeordneter zwei, drei Bemerkungen zu der Geschichte der Firma Enercon; denn das, was wir heute als einen riesengroßen und übrigens sehr weitzweigig aufgeteilten Konzern erleben, hat durchaus eine Geschichte: Enercon wurde 1984 im ostfriesischen Aurich gegründet. Ich glaube, dass man Aloys Wobben an dieser Stelle durchaus als einen der Väter von Energiewende und Erneuerbare-Energien-Gesetz bezeichnen darf.

Anfangs bestand die Firma lediglich aus ganz wenigen Ingenieuren. Ich glaube, dass ein großer Meilenstein in der Geschichte dieser Firma die politisch höchst umstrittene Bürgschaft durch die Stadt Aurich gewesen ist, die es der Firma ermöglicht hat zu expandieren und in eine solche Größenordnung aufzusteigen, wie wir es heute kennen.