Protocol of the Session on June 20, 2019

Zu den verbesserten Rahmenbedingungen gehört weiter, dass wir die sonderpädagogische Expertise an den Schulen besser verfügbar gemacht haben. Mit einem neuen Erlass haben wir geklärt, dass alle beteiligten Lehrkräfte sonderpädagogische Beratung erhalten können.

Meine Damen und Herren, die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren Inklusive Schule, kurz RZI, von denen bereits 35 eingerichtet sind - ein weiteres startet am 1. August 2019 -, dienen u. a. als zentrale Anlaufstelle für alle Fragen der sonderpädagogischen Beratung und der Unterstützung der inklusiven Schule in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt. Sie werden mit ihrer Beratungskompetenz und der Organisation des sonderpädagogischen Personals ihren wichtigen Beitrag zum Aufbau inklusiver Strukturen in den Schulen leisten.

Nicht zuletzt arbeiten wir daran, dass die Schulen noch besser von den Mobilen Diensten profitieren können. Die Auswertung von statistisch ermittelten Zahlen zu Mobilen Diensten ist eine Sache, was sich anhand der aufgeführten Zahlen aber nicht ablesen lässt, ist die Tatsache, dass viele Mobile Dienste sehr eng mit Schulträgern zusammenarbeiten und Netzwerke geknüpft haben, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung unterstützen und stärken können.

Meine Damen und Herren, so gut und richtig und wichtig es wäre, auch die Frage zu klären, wie wir mit freien Schulen umgehen, ist doch dargestellt worden, dass dies nun einmal rechtlich nicht ohne Hürden ist und dass diese Hürden weggeräumt werden müssen. Daraus abzuleiten, wir machen einmal eben einen lockeren Schnellschuss, finde ich schon gewagt.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das hat doch niemand gemacht!)

Ich möchte darauf hinweisen: Wir können rechtliche Bedenken nicht einmal eben wegwischen, sondern wir müssen schauen, wie wir eine Lösung

in einem rechtlich sauberen Rahmen erreichen können. Auch das gehört dazu.

(Beifall bei der SPD - Anja Piel [GRÜNE]: Wer hat das denn gesagt? - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Wer hat Ihnen denn das vom Schnell- schuss gesagt?)

Der regionale Blick auf die jeweilige Situation ist uns sehr wichtig. Ich betone das ausdrücklich. Dabei geht es auch um die Akzeptanz, dass es nun einmal regionale Unterschiede darin gibt, wie weit Inklusion vorangeschritten ist, weil der Umsetzungsstand der inklusiven Schule in den Regionen durchaus unterschiedlich ist. Unser Ziel ist gleichwohl ein landesweit vergleichbares Angebot an sonderpädagogischer Unterstützung. Dahingehend werden wir auch die Mobilen Dienste weiterentwickeln, um genau das zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren, seit der Einführung der Inklusion haben sich die Schulen auf den Weg gemacht. In diesem Zusammenhang will ich auch das Gemeinsame zu meiner Vorrednerin ganz deutlich betonen. Ich glaube, dass wir uns sehr bewusst sein sollten, mit welch großem Engagement Schulen, Lehrkräfte, alle Beteiligten an einem gelingenden Inklusionsprozess arbeiten. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung. Wir könnten hier die allerbesten Dinge beschließen; würden die Lehrkräfte, die Eltern, die Schülerinnen und Schüler diesen Weg nicht annehmen, dann würde es nicht gelingen. Aber das tun sie, und damit vollbringen sie eine wirklich großartige Leistung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Damit haben sie an ganz vielen Stellen in Niedersachsen gewinnbringende Entwicklungen durchlaufen und dienen dann auch als Best-practiceBeispiele. Es haben sich Lehrerteams gebildet. Es fanden und finden Tausende gemeinsame Fortbildungen statt. Inklusion ist damit übrigens auch ein Motor für Schulentwicklungsprozesse.

Ich verstehe es als meinen, als unseren Auftrag, die Rahmenbedingungen für die Inklusion stetig weiterzuentwickeln und natürlich auch zu verbessern. Die Inklusionsquote ist in Niedersachsen im Schuljahr 2017/2018 auf 64,3 % gestiegen. Das ist eine Zunahme um rund drei Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Auch am Aufwachsen des Stundenvolumens für die sonderpädagogische Grundversorgung und für die sonderpädagogischen Zusatzbedarfe zeigt sich das Aufwachsen

der inklusiven Beschulung. Ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf bildet dabei immer nur eine Form eines pädagogischen Unterstützungsbedarfs. Der Weiterentwicklung der inklusiven Schule liegt ein erweiterter Inklusionsbegriff zugrunde, bei dem auch die Förderung von Mehrsprachigkeit, besonderer Begabungen oder spezifischer Lernschwächen Berücksichtigung findet. Wir schärfen also in der inklusiven Schule den Blick auf das Kind als Individuum und auf seine individuellen Lernbedingungen. Damit kommt die inklusive Schule dann auch allen Schülerinnen und Schülern zugute.

Dies zeigt, wir befinden uns auf einem richtigen und auch auf einem guten Weg. Aber natürlich sind wir noch lange nicht am Ziel und haben noch eine Menge Arbeit für die Gewährung von Gelingensbedingungen für die Inklusion vor Augen und auch vor der Hand und müssen sie umsetzen. Das Ziel werden wir nur gemeinsam erreichen können. Daher freue ich mich, dass auch von dieser Beratung ein klares Signal ausgeht, dass wir uns für eine gelingende Inklusion hier in Niedersachsen einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Aus der Fraktion der FDP liegt uns die Wortmeldung des Abgeordneten Björn Försterling vor. Bitte, Herr Försterling!

(Björn Försterling [FDP]: Jetzt könnt ihr eure Redezettel abgeben! - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Die wollen nicht reden, weißt du!)

Ich gehe davon aus, dass die Vertreter der Regierungsfraktionen auch noch sprechen werden. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Antwort auf die Große Anfrage, für die ich dankbar bin, bietet viele Zahlen. Sie gibt uns die Gelegenheit, anhand von Prozentwerten zu schauen, wie sich die Inklusion entwickelt hat. Aber zu fragen ist, ob alle diese Zahlen den Kindern in den Schulen gerecht werden oder nicht. Ich glaube, es täte uns ganz gut, einmal darauf zu schauen, was sich in den letzten Jahren entwickelt hat und ob wir den Kindern in Niedersachsen besser gerecht werden als vor der Änderung des Schulgesetzes.

Ich bleibe dabei: Die damalige Änderung des Schulgesetzes, von CDU und FDP gemeinsam mit der SPD beschlossen, war eine richtige Entscheidung. Es war eine richtige Entscheidung, zu sagen: Wir definieren alle Schulen als inklusive Schulen. Aber allein die Definition macht es dann doch nicht.

(Zustimmung von Julia Willie Ham- burg [GRÜNE])

Ich glaube, ein Stück weit muss man heute ehrlich zugeben: Wir alle haben den Prozess der Einführung der Inklusion unterschätzt.

Das wird auch deutlich, wenn man die Schulen besucht. Es gibt Beispiele dafür, dass Inklusion ganz hervorragend gelingt, aber es gibt auch Beispiele dafür, dass sich die vor Ort handelnden Menschen nicht in der Lage sehen, Inklusion so gelingen zu lassen, wie sie sich das wünschen. Da kann man den handelnden Personen dann auch gar keinen Vorwurf machen. Vielmehr müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen: Was sind eigentlich die Gelingensbedingungen? Natürlich ist die oberste Gelingensbedingung für Inklusion, dass die Menschen in Niedersachsen mit einem offenen Herzen auf alle Menschen und insbesondere auf die Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf zugehen. Aber dazu gehört, dass wir ihnen die Fähigkeiten und die Ressourcen geben, um dies auch permanent, tagtäglich, leisten zu können. Insoweit sind eben noch Hausarbeiten zu machen.

Eines wird deutlich: Wir haben einen erheblichen Mangel an Sonderpädagogen zu verzeichnen. In Niedersachsen fehlen immer noch rund 2 000 Sonderpädagogen. Deswegen ist es nicht verständlich - das hat die Kollegin Hamburg zu Recht angesprochen -, dass Weiterbildungsmaßnahmen gestoppt worden sind, es sei denn, man kommt möglicherweise zu der Überlegung, dass man die Lehrer nicht an anderen Schulformen verlieren will. Aber auch da muss am Ende eine Entscheidung darüber stehen, was insgesamt am besten für die Kinder ist.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Wir müssen endlich multiprofessionelle Teams auf den Weg bringen. Ich weiß auch, wie sehr es die Grünen immer noch schmerzt, dass man vor der Landtagswahl Stellen für pädagogische Mitarbeiter ausgeschrieben hatte, die aber nicht besetzt wer

den konnten, und dann die Stellen einfach wieder gestrichen worden sind.

Ich würde mir zum Wohle der Kinder an den Förderschulen Lernen auch wünschen, dass die CDU nicht dabei haltmacht, zu sagen, dass die Förderschule Lernen vor Ort jetzt weiterbetrieben werden kann, sondern auch noch einmal darüber nachdenkt, ob es nicht an der Zeit ist, wenn man den Beschluss gefällt hat, dass Förderschulen Lernen fortbestehen sollen, dort auch Schulsozialarbeit zu ermöglichen. Das hatte Rot-Grün damals unter dem Gesichtspunkt, dass die Schulen auslaufen sollten, ausgenommen. Aber jetzt werden diese Schulen fortbestehen. Ich finde, dass sie dann auch Anspruch auf Schulsozialarbeit haben und diese bekommen sollten.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen Standards und einheitliche Regelungen für die Schulbegleiter. Wir erleben als Kommunalpolitiker vor Ort, dass die Kosten für die Schulbegleitungen in den kommunalen Haushalten explodieren. Ein Stück weit muss es uns das wert sein. Qualität in der Schulbegleitung kostet auch entsprechend Geld.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Ge- nau!)

Aber das bringt mich zu einem anderen Punkt, nämlich zu der Frage, warum die Kosten der Schulbegleitung explodieren. Schulbegleitung wird immer dann gewährt, wenn Kinder nicht ohne spezielle individuelle Unterstützung die Schule besuchen können. Wenn man das gleichzeitig unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass die Feststellung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs in dem abgefragten Zeitraum um 27,8 % gestiegen ist - und ich glaube nicht, dass das ausschließlich damit zusammenhängt, dass es für die Feststellung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs zusätzliche Ressourcen gibt -, kann das nur zu dem Schluss führen, dass unsere Schulen in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft gerade nicht die Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, die notwendig wären, um allen Kindern entsprechende Förderung und Forderung zugutekommen zu lassen.

Letzter Satz, Herr Försterling!

Deswegen muss es unser Ansinnen sein, nicht nur darüber nachzudenken, wie wir punktuell Inklusion verbessern können, sondern auch darüber, wie wir unser Schulsystem - das ist keine Frage von Schulformen, sondern eine Frage von Ressourcen - so ausgestalten können, dass diejenigen, die tagtäglich mit offenem Herzen unsere Kinder unterrichten, fordern und fördern, auch die Kraft haben, das weiterhin Tag für Tag zum Wohle unserer Kinder zu leisten.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. Das war ja ein wahnsinnig langer letzter Satz. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Christoph Bratmann. Bitte, Herr Kollege!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem Haus schon sehr oft über Inklusion diskutiert und auch über Inklusion gestritten - in dieser Legislaturperiode und noch etwas schärfer in der letzten, soweit ich mich erinnere. Das waren häufig Schulstrukturdebatten und natürlich auch häufig Ressourcendebatten. Dies ist zwar wichtig, weil das alles zur Umsetzung der Inklusion dazugehört. Ich bin dem Kollegen Försterling aber durchaus dankbar für seinen Wortbeitrag, mit dem er noch einmal etwas tiefer in den Bereich der Inklusion geschaut hat; denn manchmal ist es auch Zeit, innezuhalten und sich zu überlegen: Was bedeutet Inklusion denn? Was ist eigentlich die Gesamtheit und die Größe der Aufgabe?

Da hilft es, wenn man sich einmal an die eigene Schulzeit erinnert. Bei mir liegt sie schon ein bisschen weiter zurück, weil ich zu den Älteren hier im Saal zähle. Wenn sich alle an ihre eigene Schulzeit erinnern, werden sie aber darauf kommen, wenn sie nicht gerade eine besondere Schulform besucht haben, dass Schule folgendermaßen funktionierte: Alle machten das Gleiche, wurden danach bewertet, wie gut oder wie schlecht sie es machten, und wurden dann begabungsgerecht auf die jeweilige Schulform sortiert - Hauptschule, Realschule, Gymnasium usw.

So funktioniert Schule heute zum Teil immer noch. Die Inklusion stellt aber dieses ganze System in

frage, weil inklusive Schule nicht mehr komplett so funktionieren kann. Das zeigt die Größe und die Komplexität der Aufgabe, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Vorstellung, dass ein Kind mit einer geistigen Behinderung auf ein Gymnasium geht, liegt bei vielen heute noch außerhalb der Vorstellungskraft. Es ist aber die konsequente Umsetzung der inklusiven Schule. Im Rahmen dessen muss das zukünftig möglich sein und auch jetzt schon möglich sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dirk Toepffer [CDU])

Wie gesagt, erinnere ich mich noch ganz gut an meine eigene Schulzeit und auch daran, dass aussortiert und auch stigmatisiert wurde. Das gibt es heute leider auch noch. Wir müssen das aber zum Gelingen der Inklusion weiter zurückdrängen.

Ich habe zunächst als Realschüler ein Schulzentrum besucht. Dort ist der Bus immer erst zur Realschule, dann zur Hauptschule und zuletzt zur Sonderschule gefahren. Die Förderschule hieß damals noch Sonderschule. Es gab immer das Problem, dass die sogenannten Sonderschüler zu spät gekommen sind; denn ein Großteil von ihnen hat den Bus früher verlassen, nämlich meistens schon an der Realschule, weil klar war: Wer noch bis zum Schluss im Bus sitzt, ist Sonderschüler. - Um der Stigmatisierung zu entgehen und nicht als solche erkannt zu werden, haben viele den Bus bereits an der Realschule verlassen und sind mehrere Kilometer zu Fuß durchs Dorf gelaufen, um zu ihrer Schule zu kommen. Das war ein Problem. Es zeigt natürlich, wie Schule früher organisiert war und dass wir das überwinden müssen.

Schule ist heute generell ein anderer Ort als früher. Früher war Schule der Ort, an dem von morgens bis mittags Lernstoff vermittelt wurde. Das ist schon lange nicht mehr so. Schule ist heute ein Lebens- und Lernort. An diesem Ort findet Ganztag statt. An vielen Schulen findet Inklusion mittlerweile wie selbstverständlich statt.

Da waren zwei Entscheidungen, die die Landesregierung schon in der letzten Legislaturperiode getroffen hat und die in der jetzigen Legislaturperiode weitergeführt werden, ganz wichtig: erstens der konsequente Ganztagsausbau, in den über ein halbe Milliarden Euro geflossen sind, und zweitens die Anerkennung der Schulsozialarbeit als Landesaufgabe. Das waren wichtige Voraussetzungen

für das Gelingen der Inklusion und das Gelingen von Schule insgesamt.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Weitere Maßnahmen zum Gelingen der inklusiven Beschulung sind in der Umsetzung: die Ausweitung der multiprofessionellen Teams, die bereits angesprochen worden ist; die Aufstockung der pädagogischen Fachkräfte von 80-Prozent- auf 100-Prozent-Verträge, was nicht nur unter Gerechtigkeitsaspekten sinnvoll und richtig war; die Einstellung von Förderschullehrkräften an allgemeinbildenden Schulen, die jetzt auch ermöglicht wurde, was richtig ist; der weitere Aufbau von Organisationsstrukturen im Rahmen der Regionalzentren für schulische Inklusion, von denen es mittlerweile 36 gibt; die geplante Ausweitung der mobilen Dienste, die an den Schulen dringend zur Beratung gebraucht werden, und zwar möglichst unabhängig davon, wie viele Kinder mit Förderbedarf in einer Klasse sind, sondern systemisch zugewiesen, wie es auch im Koalitionsvertrag steht.

Darüber hinaus sind die Studienkapazitäten für Förderschullehrkräfte verdoppelt worden. Auch das war ein wichtiger Schritt. Aber auch da sind wir noch lange nicht am Ende. Auch da brauchen wir weitere Kapazitäten, weil wir diese Kräfte dringend benötigen.