Demnach soll das staatliche Tierwohllabel drei Klassen umfassen. Es soll alle Stufen von der Geburt bis zur Schlachtung beinhalten, es soll nicht nur für Frischfleisch, sondern auch für Verarbeitungsware gelten, und es soll mehr als eine reine Handelskennzeichnung sein. So weit, so gut!
Nicht nachvollziehbar ist aber die Tatsache, dass das Tierwohllabel nur auf freiwilliger Basis angewendet werden soll. Dies hatte Niedersachsen von Beginn der Beratungen an abgelehnt -
ebenso übrigens auch die Wirtschaftsbeteiligten, verschiedenste Tierschutzorganisationen und unsere Verbraucherschutzverbände.
Leider sind all die Einwände und Einlassungen hierzu an der Bundesministerin völlig abgeperlt. Es ist daher höchste Zeit, eine andere Bühne zu nut
zen, um dem Bund in aller Deutlichkeit klarzumachen, dass an einem verpflichtenden Label einschließlich der Herkunftskennzeichnung kein Weg vorbeiführt.
Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass unsere Verbraucherinnen und Verbraucher sich eine Kennzeichnung für Lebensmittel tierischer Herkunft wünschen, die Auskunft über das Tierwohl bei der Haltung, beim Transport und auch bei der Schlachtung gibt. Da sind wir mit dem Bund d’accord.
Fakt ist aber auch, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher eine Vollkennzeichnung des Fleisch- und Wurstwarensortiments wollen, sich zu einer heimischen Erzeugung bekennen und dann hoffentlich bereit sind, mehr Tierwohl auch zu honorieren.
Vielmehr sind wir der Auffassung, dass ein freiwilliges Tierwohllabel kaum Chancen hat, den Markt in der gesamten erforderlichen Breite zu durchdringen, dass ein freiwilliges Label die Absatzkanäle außerhalb des Lebensmitteleinzelhandels wie Gastronomie, Großküchen und Außerhausverkauf kaum bzw. nur sehr unzureichend einbindet, dass ein freiwilliges Label den Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher nach einer Vollkennzeichnung des gesamten Fleisch- und Wurstwarensortiments sowie einer Herkunftsangabe schlichtweg nicht erfüllt und dass ein freiwilliges Label nicht geeignet ist, für mehr Tierschutz in der Fläche zu sorgen.
Zudem kritisieren wir, dass das Tierwohllabel des Bundes nicht einmal ansatzweise mit dem Haltungskompass des Lebensmitteleinzelhandels in Einklang steht - ganz zu schweigen davon, dass das Label die vielen Tausend Betriebe, die bei der Initiative Tierwohl engagiert dabei sind, nicht mitnimmt. Hier bedarf es einer deutlich besseren Abstimmung zwischen dem Tierwohllabel und dem Haltungskompass des Handels. Nur so können wir größtmögliche Effekte für Tiere, Tierhalterinnen und Tierhalter sowie insbesondere auch für Verbraucherinnen und Verbraucher realisieren.
Und schließlich fordern wir mit unserer Initiative ein, dass der Bund endlich eine umfassende und ressortübergreifende nationale Nutztierstrategie vorlegt, die ihren Namen dann auch verdient. Zurzeit gibt es jede Menge Zielkonflikte zwischen Tierwohlmaßnahmen sowie verschiedenen Bau- und
Umweltvorschriften, die verhindern, dass Landwirte Neu- oder Umbauten vornehmen können, um an dem Tierwohllabel des Bundes teilzunehmen.
Hier müssen schnelle und pragmatische Lösungen gefunden werden - und hier steht auch der Bund in der Verantwortung -, damit das Tierwohllabel nicht von vornherein zu einem Nischendasein verurteilt wird.
Meine Damen und Herren, die Initiative Niedersachsens ist ein wichtiger und notwendiger Schritt für mehr Tierwohl in der Fläche. Sie ist aber auch ein sehr starkes Signal für unsere vielen engagierten Landwirtinnen und Landwirte sowie nicht zuletzt ein überaus wichtiger Meilenstein für den Verbraucherschutz. Ich bin überzeugt, dass wir mit der Forderung nach einem verpflichtenden Label den einzig richtigen Weg eingeschlagen haben.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Besprechung zur Aktuellen Stunde der CDU-Fraktion schließen kann.
b) „#HauAbGesetz“ verhindern - Seehofers menschenrechtswidriges Abschiebepaket im Bundesrat stoppen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/3977
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat hinsichtlich des sogenannten GeordneteRückkehr-Gesetzes dem Bundesrat empfohlen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das tut auch not, denn dieses Abschottungs- und Abschiebepaket von Seehofer ist eine absolute Unverhältnismäßigkeit. Es dokumentiert den Verlust von Maß und Mitte im Bereich der Migrationspolitik der Großen Koalition im Bund, meine sehr geehrten Damen und Herren,
und es ist in vielen Punkten verfassungs- und europarechtswidrig. Deshalb kommt auf Niedersachsen eine große Verantwortung zu, hierzu im Bundesrat tätig zu werden.
Dazu einige Gründe aus dem Inhalt des Gesetzes. Darin ist jetzt die Einführung einer Duldung zweiter Klasse für Personen mit ungeklärter Identität vorgesehen, die ein absolutes Arbeitsverbot und damit die Verhinderung von Teilhabe vorsieht. Sehr richtig ist der Hinweis unseres Innenministers Boris Pistorius, der in einem Gespräch mit der HAZ Anfang März gesagt hat, dass die „Duldung light“ in Verbindung mit der Streichung von Leistung oder Arbeitsverboten ein Flüchtlingsprekariat schaffe und nicht helfe, Abschiebungen zu erleichtern oder gar zu beschleunigen. Pistorius sagte dort wörtlich:
„Es kann nicht unser Interesse sein, dass Menschen hierbleiben und bleiben müssen und gleichzeitig zum Nichtstun gezwungen sind.“
Recht hat er. Recht hat der Innenminister auch vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das 2012 gerade mit Blick auf die Kürzung von Sozialleistungen entschieden hat, dass das Existenzministerium nicht migrationspolitisch relativierbar ist, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das macht, glaube ich, sehr deutlich, wie weit vom Kurs die Große Koalition hier abgekommen ist.
Ein weiterer und vielleicht sogar der eigentliche Hammer in diesem Gesetzespaket ist, dass die Bundesregierung von den Ländern verlangt, dass Abschiebehäftlinge nun in Strafhaft kommen sollen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Nicht nur, dass die Voraussetzungen völlig andere sind, obwohl die Begriffe „Abschiebehaft“ und „Strafhaft“ vielleicht etwas anderes vermuten lassen. Auch das Europarecht sagt ganz klar, dass eine solche Vermischung nicht zulässig ist, dass das europarechtswidrig ist. Diese neue Regelung betrifft vor allem auch Familien mit Kindern. Diese müssen sich nichts anderes vorwerfen lassen, als nicht ausgereist zu sein. Sie würden dann in Strafhaft mit zum Teil gefährlichen Inhaftierten kommen. Das ist eine migrationspolitische und humanitäre Bankrotterklärung dieser Großen Koalition im Bund, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Insgesamt ist das Beratungsverfahren - wir in Niedersachsen nennen es gerne - Schweinsgalopp; anders ist es auch nicht zu beschreiben. Es gab zwei Tage später die Anhörung im Innenausschuss. Obwohl die Protokolle noch nicht einmal vorlagen, wurde die Abstimmung im Ausschuss sozusagen erzwungen. Zwei Tage später erfolgte mit einigen weiteren Änderungen die Verabschiedung im Bundestag. Das ist wahrscheinlich auf Seehofers Masche zurückzuführen. Er hatte in einem Interview ja durchblicken lassen, dass man Gesetze möglichst kompliziert gestalte,
damit sie nicht verständlich sind und nicht durchschaut und durchblickt werden können. Genauso kompliziert ist dieses Paket. Dennoch stechen besondere Probleme ins Auge. Deshalb ist der Vermittlungsausschuss das richtige Mittel, sehr geehrter Herr Kollege Nacke, um diese Verfahrensfehler, die gemacht worden sind, zu korrigieren.
(Beifall bei den GRÜNEN - Jens Na- cke [CDU]: Ein schlechter Scherz, das wissen Sie ganz genau! So kann man Politik nicht machen!)
Dennoch gab es ja sowohl von der CDU, aber vor allem auch von der SPD immer wieder den Versuch, trotz dieser Hast und Eile zu versuchen, einige Punkte geradezubiegen, zu beschönigen und zu übertünchen, indem darauf hingewiesen wurde, es hätte in den Verhandlungen Verbesserungen gegeben, z. B. bei der Kriminalisierung von NGOs und Flüchtlingsinitiativen. Dem, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht so. Es gibt zwar eine abgemilderte Form, aber nach wie vor ist die Verschärfung enthalten, dass bestimmte Informationen über Abschiebungen der Geheimhaltungspflicht unterliegen. Das kann zu einer Kriminalisierung führen, u. a. des Flüchtlingsrats Niedersachsen, aber auch vieler weiterer Initiativen, die wir hier in unseren Kommunen und auch im ganzen Land Niedersachsen haben. Im Kern geht es darum, dass Menschen, die von Abschiebung betroffen sind, sich auf ihren Rechtsschutz berufen können. Darum geht es und um nichts anderes, und in diesem Bereich wird eine Kriminalisierung vorangetrieben.
Auch noch weitere Punkte sind kritisch, z. B. die Betretungsregelung für Wohnungen ohne Richtervorbehalt, längere Aufenthalte in den Ankerzentren, aber auch die „unabhängige“ Beratung durch das BAMF für diese Personengruppe. Meine Da
men und Herren, ich will das klar sagen: Die Große Koalition wird ihre Sympathiepunkte im Bund nicht dadurch steigern, dass man Schikane von Geflüchteten vorantreibt.
Ich komme zum Schluss. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Stephan Weil, sehr geehrter Herr Bernd Althusmann, sehr geehrter Innenminister Boris Pistorius, machen Sie im Bundesrat den Weg frei, um den Vermittlungsausschuss noch einmal anzurufen, um am 28. Juni eine weitere Beratung und eine Korrektur dieses Gesetzespaketes voranzutreiben.
Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Für die SPDFraktion spricht nun Frau Kollegin Schröder-Köpf. Bitte, Frau Kollegin!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wie könnte man in dieser Woche eine Rede zum Themenkomplex „Flucht und Abschiebung“ halten, ohne über Walter Lübcke zu sprechen? Vor gut zwei Wochen wurde der CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsident, also ein Nachbar aus Hessen, nachts auf der Terrasse seines Hauses erschossen, höchstwahrscheinlich von einem bekannten Neonazi.
Walter Lübcke hatte im Herbst 2015, am 14. Oktober, seine Freude über das riesige ehrenamtliche Engagement für Geflüchtete geäußert und bei einer Veranstaltung den Hatern vom Pegidaableger Kagida entgegengeschmettert: Wer die Werte des Grundgesetzes nicht vertrete, der könne jederzeit das Land verlassen. Das sei die Freiheit eines jeden Deutschen. - Seither war Walter Lübcke Zielscheibe von ungeheuerlicher rechter Hetze bis hin zu Lynchaufrufen. Aus Worten ist in der Nacht des 2. Juni eine Tat geworden, ein Mord.
„Wenn man jedoch das Unfassbare dieser Tage einordnen und vergleichen will, landet man in der Weimarer Republik: den Mord an einem Politiker aus rechtsextremen Gründen.“
Damals seien die Feinde der Republik zu milde davongekommen, das habe die Autorität der Republik unterhöhlt. Das dürfe auf gar keinen Fall noch einmal passieren. - So oder ähnlich lautet der Tenor in vielen Medien und in vielen persönlichen Gesprächen.
Eines schält sich in der Betrachtung der ersten Republik auf deutschem Boden besonders deutlich heraus: Die Radikalisierung der politischen Ränder beeinflusste auch damals Sprache und Verhalten der demokratischen Kräfte, führte zu Spaltungen dort, wo der gemeinsame Kampf gegen die Demokratiefeinde hätte aufgenommen werden sollen.
In diesen Zeiten müssen wir Demokratinnen und Demokraten sehr achtsam miteinander umgehen, und das will ich auch tun. Zumal vor dem Hintergrund des Mordes an einem Menschenfreund wie Walter Lübcke noch einmal deutlich geworden ist, dass der Themenkomplex Flucht, Abschiebung, Zuwanderung der Nährboden für Menschen- und Demokratiefeinde schlechthin ist; das ist der Nährboden für Rechtsterrorismus.