Protocol of the Session on May 14, 2019

Ich möchte mich aber auch beim Koalitionspartner bedanken. Herr Watermann, Herr Becker, ich glaube, dass wir gerade in den letzten Monaten sachlich zueinander gefunden haben. Wir haben ganz wichtige Bereiche neu formuliert. Wir konnten uns auch auf Sie verlassen, wenn wir etwas vereinbart haben. Das ist wichtig.

Wir sind sehr dankbar, dass wir auch den gesellschaftlichen Diskurs zur intelligenten Videoüberwachung gemeinsam umsetzen. Es ist wichtig, dass wir jetzt keinen Stillstand haben.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Johanne Modder [SPD])

Meine Damen und Herren, es ist ja kein Geheimnis, dass die Konstellation zwischen uns beiden, Herr Minister Pistorius, herausfordernd ist.

(Heiterkeit)

Aber wer schon einmal Verantwortung getragen hat und jetzt in der Verantwortung steht, der weiß, dass es eben nicht um irgendwelche Eitelkeiten oder persönliche Profilierung geht,

(Lachen bei den GRÜNEN und bei der FDP - Zurufe von den GRÜNEN und von der FDP: Nein!)

sondern - das sage ich Ihnen ganz bewusst - es geht darum, zu verhindern, dass junge Mädchen wie Safia S. radikalisiert werden und so weit verblendet sind, dass sie sogar Polizeibeamte lebensgefährlich verletzen. Es geht ferner darum, dass wir verhindern, dass junge Menschen wie z. B. in Hildesheim so radikalisiert werden, dass sie in den Dschihad ziehen. Meine Damen und Herren, deshalb ist es richtig, dass wir zueinander gekommen sind. Wenn wir diese Erfahrungen

bündeln, dann ist das gut für unser Land. Ich glaube, das ist genau die Botschaft, die wir hier herausbringen wollen.

Als ehemaliger Innenminister weiß ich,

(Anja Piel [GRÜNE]: Dieses Wort musste doch fallen!)

dass die Verabschiedung eines Polizeigesetzes etwas Besonderes, ein Meilenstein ist. Daran sollte man sich erinnern. Insofern habe ich eine Karikatur mitgebracht, die ich gefunden habe. Vor einem Jahr hat das alles im Innenministerium mit einer Pressekonferenz begonnen.

(Der Redner zeigt eine gerahmte Ka- rikatur)

Das Ganze ist überschrieben mit „Gemeinsam für innere Sicherheit und Bürgerrechte“. Meine Damen und Herren, das ist die Botschaft dieses Gesetzes. Das ist gut für unser Land. In diesem Sinne werden wir weiterarbeiten.

Herzlichen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD - Der Redner überreicht Minister Boris Pistorius die Karikatur)

Vielen Dank, Herr Kollege Schünemann. - Wenn jetzt wieder Ruhe einkehrt - und danach sieht es aus -, erteile ich dem Kollegen Onay das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Schünemann, ich bin schon etwas verwundert. Gerade der Abschluss Ihrer Rede war sehr bemerkenswert. Wir haben in dieser Legislaturperiode von Ihnen schon den Vorwurf der Behäbigkeit in Richtung des Innenministers gehört.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Ihr CDU-Generalsekretär hat dem Innenminister Naivität vorgeworfen. Aber heute wird alles gut.

(Beifall bei der CDU)

- Nur lachende Gesichter aufseiten der CDU! Bei den Beratungen im Innenausschuss war das aber schon anders. Das war ein ziemliches Desaster, muss man zusammenfassend sagen: Erst der

Verriss durch die externen Expertinnen und Experten in der Anhörung, dann die vernichtende Kritik des GBD in der weiteren Beratung. Wie schlecht es um dieses Gesetz bestellt ist, können Sie schon auf der allerersten Seite im ersten Satz der GBDStellungnahme lesen. Dort beginnt die Kritik schon mit dem Titel des Gesetzes. Dabei geht es um „Ordnungsbehörden“. Der GBD hat darauf hingewiesen, dass es in Niedersachsen gar keine Ordnungsbehörden - dafür steht das „O“ in „NPOG“ - gibt. Bei uns heißen sie „Verwaltungsbehörden“, meine sehr geehrten Damen und Herren. Aber von Fakten lässt sich eine GroKo eben nicht beirren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Die Fassung, die uns heute vorliegt, ist das Ergebnis eines mit Mühe und Not gefundenen Kompromisses. Dieser Kompromiss ist faul, er ist wackelig und, noch viel schlimmer, er ist verfassungswidrig. Und: Dieser Gesetzentwurf ist ja noch nicht einmal fertig, selbst nach Ihren Maßstäben nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren. Denn die JIRichtlinie, die bis Mai 2018 hätte umgesetzt werden müssen - darauf hat der GBD mehrfach hingewiesen -, ist hier erneut nicht eingearbeitet, obwohl Sie das bei der Reform des Datenschutzgesetzes im Rahmen der Anpassung an die Datenschutz-Grundverordnung angekündigt hatten, meine Damen und Herren. Jetzt haben wir sehenden Auges einen im Bereich des Datenschutzes nachweislich europarechtswidrigen Gesetzentwurf. Aber dieser Großen Koalition braucht man mit Datenschutz nicht zu kommen.

Auch die bereits vorhandenen Regelungen sind höchst problematisch. Die Problematik hat sich durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den automatischen Kennzeichenlesegeräten sogar noch verschärft. Die Bedenken, die der GBD immer wieder zu einzelnen Punkten geäußert hatte, sind hier noch verstärkt worden. So ist z. B. das Theater um die Section Control im Grunde sinnbildlich. Oh, mein Gott! Da wurden die Bedenken im Ausschuss erst einmal trotzig zurückgewiesen. Dann gab es die Klatsche vor dem Verwaltungsgericht. Dort hat man es schwarz auf weiß bekommen, dass das ohne Rechtsgrundlage verfassungswidrig ist und so nicht geht. Dann hat man sich letzte Woche noch eine Watschen vom Oberverwaltungsgericht abgeholt. Wenn es um Bürgerrechte geht, begeht man einen Fehler eben lieber zweimal, nur um sicher zu sein, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Bei der Schleierfahndung ist das Problem ähnlich oder geradezu verschärft. Die verfassungsrechtlichen Probleme bei einer verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrolle haben sich verschärft. Es fehlt der Grenzbezug und damit die Bestimmtheit des Gesetzes, und es fehlt die Pflicht, die Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen und der Entscheidungsfindung vorzunehmen. Auf alles das hat der GBD hingewiesen. Dennoch will die Große Koalition an dieser verfassungswidrigen Regelung festhalten.

Auch beispielsweise bei der Bodycam und deren Funktion der Vorabaufnahme, meine sehr geehrten Damen und Herren, fehlt es an der Angemessenheit der Maßnahme, weil sie schon im Bereitschaftsdienst zulässig ist und damit ein konkreter Eingriffsanlass fehlt.

Hinzu kommt die Problematik, dass diese Bodycams nur zum einseitigen Schutz der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten genutzt werden sollen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Denn die Möglichkeit, nach Einsätzen auf die aufgezeichneten Daten auch bei Ermittlungen vonseiten der Betroffenen zugreifen zu können, ist bewusst nicht geregelt worden. Dafür hätte es einer Treuhandstelle bedurft, wie wir sie in unserem Antrag gefordert haben. Das wäre mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip notwendig gewesen, aber auch das hat die Große Koalition abgelehnt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Ein anderer Bereich, der sehr deutlich macht, wie gestört teilweise das Verhältnis der Großen Koalition zu den Grundrechten ist, ist der Punkt der elektronischen Aufenthaltsüberwachung.

(Sebastian Lechner [CDU]: Das ist die BKAG-Regelung!)

Der GBD hat darauf hingewiesen, dass es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gibt, weil die Datenerhebung in der Wohnung der betroffenen Person kaum beschränkt werden kann. Wegen Artikel 13 Abs. 4 des Grundgesetzes - dabei geht es um die Unverletzlichkeit der Wohnung - hatte der GBD angeregt, es müsse technisch sichergestellt werden, dass keine weiteren Daten innerhalb der Wohnung erhoben werden können. Dazu hat die Große Koalition uns allen Ernstes gesagt: Ja, wir sehen das Problem, wir nehmen das hin, wir

wollen das aber nur im Rahmen der technischen Möglichkeiten mitgehen. - Also Grundrechte unter Technikvorbehalt, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein einmaliger Vorgang.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP - Sebastian Lechner [CDU]: Nein, das ist nicht einmalig! Das steht auch so im BKAG!)

Herr Karsten Becker hat schon die Präventivhaft von ursprünglich 74 Tagen angesprochen. Was hat man da im Ausschuss für Geschütze aufgefahren! Was hat man da in den Beratungen die große Keule geschwungen! Man hatte fast den Eindruck, ohne diese 74 Tage müsste die Polizei in Niedersachsen die Arbeit einstellen. Und zack, nach einem kurzen Kompromissgespräch reichen plötzlich auch 35 Tage, nämlich knapp die Hälfte, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wussten schon nicht, wie die 74 Tage zustande gekommen sind. Wir wissen auch nicht, wie die Berechnung bei den 35 Tagen zustande kommt. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass auch das verfassungswidrig ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP - Sebastian Lechner [CDU]: Das ist es nicht!)

Herr Kollege Schünemann, weil Sie diesen Göttinger Fall eben noch einmal angesprochen haben, will ich einmal sagen: Wir haben vonseiten der Grünen immer wieder nachgefragt, wie sich dieser denn mit Blick auf die Untersuchungshaft und die Abschiebehaft verhält; denn die Abschiebehaft war ja dort zum Tragen gekommen. Da hat der GBD sehr gut herausgearbeitet, dass Sie mit Ihrer neuen Art der Präventivhaft genau die hohen tatbestandlichen Hürden absenken wollen. Sie schaffen eine Haft vor der eigentlich abschließend auf Bundesebene geregelten Haft. Und auch das ist verfassungswidrig, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Hinzu kommt - darauf wurde auch in der Beratung hingewiesen -, dass Sie die Frage der Pflichtverteidigung für diese Haft regeln müssen. Das ist eine europarechtliche Vorgabe. Freiheitsentzug, egal in welchem Rahmen, egal mit welcher Dauer, muss die Frage der Pflichtverteidigung regeln. Die Verteidigungsfrage muss beigesellt sein. Darauf haben wir hingewiesen. Wir haben das zur Abstimmung gestellt, und Sie haben es sehenden Auges abgelehnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zusammenfassend: Dieser Gesetzentwurf ist auch in seiner letzten Fassung das Ergebnis eines wirklich miesen Kompromisses, eines sehr wackeligen Kompromisses, der gerade noch bis heute gehalten hat. Die Sorge war doch, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Verhältnis zwischen Ihnen beiden, Herr Uwe Schünemann und dem eigentlichen Minister Boris Pistorius. - Ich stelle gerade fest: Wenn Blicke töten könnten! - Wir hatten in den Beratungen hier im Plenum schon einige Situationen, in denen offenbar wurde, wie schwierig und zerrüttet das Verhältnis ist.

Dieser Kompromiss - das haben Sie schon gesagt - beinhaltet ja auch eine neue Komponente, nämlich die intelligente Videoüberwachung. Bei der Situationsanalyse, die Sie da ansprechen, geht es vor allem um eine Verhaltensanalyse. Was als Verhaltensanalyse beginnt, wird schnell eine Verhaltenssteuerung. Auch dazu will ich das Bundesverfassungsgericht zitieren. Da gab es schon für erheblich weniger intensive technische Eingriffe einen Hinweis. Da wurde eindringlich davor gewarnt, dass ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetwerdens die Wahrnehmung der Grundrechte erheblich beeinträchtigen kann, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Die weiteren Punkte wie Staatstrojaner und Onlinedurchsuchung habe ich noch gar nicht erwähnt. Der Staat wird damit selbst zum Hacker. Er wird Sicherheitslücken, die vorhanden sind, einkaufen und sie selbst nutzen und verheimlichen.

Alles in allem kann ich - ich glaube, ohne Übertreibung - sagen, dass dieses Gesetz ein absolutes Desaster ist. Das gilt nicht nur für uns in den Beratungen, sondern vor allem auch für die Anwenderinnen und Anwender, für die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die mit dem Gesetz draußen arbeiten müssen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Wir haben ja die große Freude aufseiten der CDU schon sehen können. Deshalb möchte ich vor allem in Richtung der SPD appellieren: Sie können meine Rede als Oppositionsgequatsche oder als typische Kritik der Opposition abtun. Deshalb möchte ich hier eine weitere Stimme der Vernunft zitieren, meine sehr geehrten Damen und Herren, nämlich den Generalsekretär der SPD Alexander Saipa.

In seiner Pressemitteilung vom 31. Januar 2019 hat er zwei wichtige Punkte genannt. Der erste wichtige Punkt:

„Die niedersächsische SPD hat immer klargestellt, dass wir kein Polizeigesetz mittragen werden, das gegen die Verfassung verstößt.“

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Das ist jetzt aber nachweislich der Fall. Insofern können wir ein Häkchen dahinter machen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)