Protocol of the Session on March 28, 2019

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bruns. - Es folgt nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Janssen-Kucz. Bitte, Frau Kollegin!

Liebe Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätte man die Aktuelle Stunde angesichts der aktuellen Situation ganz anders überschreiben müssen: „Kommt morgen der ambulante Pflegedienst noch?“ Oder: „Kein Tariflohn - keine ambulante Pflege!“

Meine Damen und Herren, ich muss wirklich ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Aufgabe einer Landesregierung ist es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, und nicht, weiterhin wie ein Kaninchen auf die Schlange zu starren, in diesem Fall auf das Schiedsgericht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sind auch nicht bei „Wünsch dir was“, sondern wir sind im Parlament. Wir haben einen lang andauernden Konflikt zwischen den Krankenkassen

und den Wohlfahrtsverbänden über die Finanzierung ambulanter Pflegedienstleistungen. Dieser Konflikt eskaliert jetzt endgültig. Auch der erste Schiedsgerichtstermin hat nach meiner Kenntnis den Konflikt eher verschärft und die Fronten weiter verhärtet.

Ich gebe der Kollegin Modder recht: Menschlichkeit und Fürsorge scheinen plötzlich eine Statistenrolle in diesen Verhandlungen zu spielen. Der Mensch bleibt auf der Strecke. Das kann so nicht angehen! Die Kassen drücken weiter die Preise - immer mit Hinweis auf die privaten Anbieter, die das ja auch irgendwie hinbekommen. Über die ausbeuterischen Konditionen wird oftmals nicht gesprochen.

Fakt ist und bleibt, dass Tariflöhne, die die Wohlfahrtsverbände zahlen, ebenso wie die Anfahrtswege gerade im ländlichen Raum nicht ausreichend refinanziert sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sollten die Wohlfahrtsverbände aus der ambulanten Pflege aussteigen, weil sie im Rahmen der Verhandlungen mit den Kassen an die Wand genagelt werden, hat das zur Folge, dass 16 000 Pflegebedürftige ihren Pflegedienst verlieren. Wir haben nicht einmal die eingerechnet - die Kollegin Bruns hat das eben beschrieben -, die rund um die Uhr telefonieren, um überhaupt einen ambulanten Pflegedienst zu bekommen. Wir haben auch nicht über 5 000 Pflegekräfte gesprochen, die plötzlich freigesetzt werden und in dieser Unsicherheit leben.

Ich finde, das ist absolut unverantwortlich gegenüber den Menschen, die der Pflege bedürfen, gegenüber den engagierten Pflegekräften und gegenüber den Wohlfahrtsverbänden. Sie werden mit diesen roten Zahlen in den Ruin getrieben.

Die Lage ist doch mehr als bedrohlich. Mit dem Fortschreiten des demografischen Wandels steigt die Anzahl der Menschen, die Pflege- und Betreuungsbedarf haben. Davon sind vor allem die ländlichen Räume betroffen. Davon haben wir viele. Das wissen viele unserer Kollegen. Dort haben wir auch den größten Zuwachs an ambulanten Pflegediensten.

Um die häusliche Versorgung sicherzustellen, müssen die Rahmenbedingungen der ambulanten Pflege und die Arbeitsbedingungen in den Diensten verbessert werden. Nur so kann es gelingen, ausreichend Personal zu gewinnen. Der andauernde Konflikt macht deutlich, dass die Selbstver

waltung nicht funktioniert. Hier sollten wir doch einmal ehrlich sein!

(Beifall von Johanne Modder [SPD])

Hier ist auch das Land als Aufsichtsbehörde gefordert. Seitens des Sozialministeriums nur Verhandlungsdisziplin von den Beteiligten einzufordern: Meine Damen und Herren, das ist zu wenig! Das ist angesichts dieser Lage eher ein Armutszeugnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Fakt ist doch, dass das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz des Bundes eine vollständige Finanzierung von Tariflöhnen vorsieht. Das heißt im Klartext, dass Niedersachsen, dass die Große Koalition geltendes Recht einfordern und umsetzen muss. Schöne Worte reichen mir da wirklich nicht!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bisher war das nur heiße Luft - auch heute Morgen. Der ruinöse Wettbewerb darf nicht über die Personalkosten und Wegekosten geführt werden.

Wir erwarten sehr deutlich, dass sich die Sozialministerin aktiv an der Lösung des Pflegekonflikts beteiligt und alle rechtlichen und aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten gegenüber den Kassen ausschöpft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Kollegin Modder hat es heute Morgen gesagt: Wir haben unter Rot-Grün immer wieder - auch 2015 - versucht, den Tarifvertrag Soziales auf den Weg zu bringen. - Der rückt in immer weitere Ferne. Lesen Sie heute nur die Frankfurter Allgemeine, in der der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio ganz klar sagt: Das Lohnplus für Pflegekräfte steht auf der Kippe. So funktioniert es nicht. - Diese Erfahrung haben auch wir in Niedersachsen gemacht.

Meine Damen und Herren, die Sicherstellung der Pflege steht am Abgrund. Setzen Sie sich nicht nur in Sonntags- und Plenarreden für den Tarifvertrag Soziales ein! Kämpfen Sie! Kämpfen Sie für die Beschäftigten in der Pflege und damit für die zu Pflegenden! Wir sind an Ihrer Seite.

Noch drei Fragen. Wo bleiben die angekündigten Reformvorschläge? Da kommt auch nichts. Wo ist das Niedersächsische Pflegegesetz? Wo bleibt ein zukunftsfähiges Konzept für die kurz-, mittel- und langfristige pflegerische Versorgung im Flächenland Niedersachsen? Holen Sie sich, wenn Sie es nicht selber können, Hilfe! In der Pflegekammer

sitzen die Experten, und auch wir arbeiten gerne zu.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es folgt nun für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Bothe. Bitte!

Danke schön. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Ich möchte gleich da ansetzen, wo die Frau Kollegin aufgehört hat. Wenn wir heute über die ambulante Pflege in Niedersachsen sprechen wollen, müssen wir vor allem über eine Sache sprechen: Das ist Verantwortung - und insbesondere auch darüber, wer diese gerade nicht wahrnimmt.

Wenn nämlich in weiten Teilen des ländlichen Raumes der ambulante Pflegedienst kaum noch Präsenz zeigen kann, ist dies ein Versäumnis der politisch Verantwortlichen in diesem Land. Die in der Öffentlichkeit breit diskutierten Beispiele aus Harburg oder Rotenburg sind nur die berühmte Spitze des Eisbergs.

Während wir uns mittlerweile den eskalierenden Konflikt zwischen Pflegekassen und Sozialverbänden anschauen, sehen wir, auf welchem Pulverfass die niedersächsische Pflege sitzt.

Werte Kollegen, all diese Problemfelder, Versäumnisse und Konflikte sind über Jahre oder sogar Jahrzehnte erwachsen, ohne dass die verantwortliche Politik gegengesteuert hätte. Verantwortung scheint den Niedersächsischen Landesregierungen, aber auch Sozial- und Wohlfahrtsverbänden - - -

(Zuruf von Johanne Modder [SPD])

- Frau Modder, ich war noch in der Ausbildung, als Sie den Tarifvertrag Soziales angesprochen haben. Bis heute ist nichts passiert.

(Beifall bei der AfD)

Da waren Sie in dem Ausbildungsbetrieb und haben das Gleiche gesagt, was Sie heute gesagt haben. Passiert ist in der Zwischenzeit gar nichts. Seit zehn Jahren sagen Sie dasselbe!

(Zuruf von Johanne Modder [SPD])

Jetzt noch einmal: Ruhe, bitte! Keine Dialoge!

Wir fahren fort. Bitte, Herr Kollege!

Sie machen das auf Kosten der Pflegekräfte. Verantwortung scheint nicht nur in der Landesregierung, sondern auch bei den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und bei den Pflegekassen ein Fremdwort zu sein. Es ist nämlich unverantwortlich, wenn sogenannte Wohlfahrtsverbände auf dem Rücken ihrer 5 000 Mitarbeiter und 16 000 pflegebedürftigen Patienten mit dem Ende der Versorgung drohen. Genauso unverantwortlich ist es, wenn Pflegekassen in Niedersachsen Pflegedienste bestrafen, wenn diese nach Tarifverträgen zahlen und durch scheinbar unterfinanzierte Versorgungsverträge rote Zahlen schreiben müssen.

(Johanne Modder [SPD]: Wer verhan- delt die denn?)

Werte Kollegen, wer am Ende die Zeche für diese Missstände zahlen muss, das wissen Sie auch, Frau Modder. Einmal mehr werden es die Schwächsten, also die Pflegebedürftigen, sein, die durch die Erhöhung der Eigenanteile diesen Notstand bezahlen müssen. Das wissen wir alle. Die Qualität darf aber nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit der pflegebedürftigen Menschen abhängen.

(Beifall bei der AfD)

Genau darauf bewegen wir uns in Niedersachsen jetzt zu. Die Absenkung und die Begrenzung der Eigenanteile sind daher das Gebot der Stunde.

Maßnahmen, die im Zuge der Pflege erforderlich sind, müssen zur Gänze Versicherungsleistungen werden, damit sich die pflegebedürftigen Menschen frei für die ambulante oder die stationäre Pflege entscheiden können. Dazu kommt, dass die Pflegekassen endlich Tariflöhne auskömmlich finanzieren müssen - da bin ich ganz bei Ihnen -, um die Abwanderung dringend benötigter Fachkräfte zu stoppen und neue für den ambulanten Bereich hinzuzugewinnen.

Meine Damen und Herren, werte Kollegen, es bleibt an diesem Punkt festzuhalten, dass das Finanzierungssystem der ambulanten Pflege völlig überholt ist. Eine Reform ist mehr als geboten. Sie ist überlebenswichtig für den Pflegestandort Niedersachsen. Denn die ambulante Pflege ist hier quantitativ wesentlich stärker als die stationäre,

wobei die Übergänge durchaus fließend sind. Auf weite Sicht gilt es, die starre Trennung von ambulantem und stationärem Sektor zu überwinden. Denn diese bürokratischen Reformbremsen verhindern die Entwicklung innovativer, zukunftsfähiger Pflegemodelle.

Meine Damen und Herren, der neu entfachte Konflikt in der ambulanten Pflege zeigt aber auch das absolute Desaster der niedersächsischen Pflegepolitik, vor allem aber auch das Versagen Ihrer verantwortlichen Ministerin. Denn während Frau Dr. Reimann mit kruden und wahrscheinlich verfassungsfeindlichen Paritätsideen durch die Lande läuft, bleiben die wahren Probleme hier ungelöst oder werden - wie bei der Pflege - erst gar nicht angepackt. Zu nennen wäre hier das Desaster mit der Pflegekammer.