Protocol of the Session on February 27, 2019

Meine Damen und Herren, ich gönne Ihnen diesen schönen Antrag von Herzen; denn unsere wesentlichen Forderungen übernehmen Sie ja: eine dauerhafte und auskömmliche finanzielle Förderung der Anlaufstellen für Straffälligenhilfe und einen entsprechend höheren Haushaltsansatz in den kommenden Jahren. Das finden wir gut. Wir werden diesen Antrag also mittragen.

Aber so löblich Ihr Engagement auch ist, meine Damen und Herren, hinter dem von den Anlaufstellen bezifferten Bedarf bleiben Sie immer noch zurück. Die Anlaufstellen brauchen 1 Million Euro; das haben sie rechtzeitig angemeldet. Aber diesen Betrag bekommen sie auch mit diesem Antrag nicht. Wir hatten für die politische Liste zum Haushalt 2019 300 000 Euro mehr gefordert, als die GroKo jetzt zu geben bereit ist. Sie haben sich dazu nicht durchringen können. Auch das gehört zur Wahrheit.

Zweitens - und das ist ein ganz wichtiger Punkt - erbitten Sie beim Justizministerium die Verstetigung der Mittel. Aber wir alle hier wissen aus unserer täglichen Arbeit, dass mit diesem Erbitten die Haushaltsansätze noch lange nicht verstetigt sind. Der Hauptteil der Arbeit liegt noch vor Ihnen.

Aber nichtsdestotrotz gilt, meine Damen und Herren, dass wir in den vergangenen Jahren - welche Farben auch immer hier im Landtag vorgeherrscht haben - einer auskömmlichen Finanzierung der

Anlaufstellen für Straffälligenhilfe mit großen Schritten nähergekommen sind, und das ist auch gut so.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Dr. Marco Genthe [FDP])

Die Freie Wohlfahrtspflege mit ihren 14 Anlaufstellen leistet eine großartige und nicht zu unterschätzende Arbeit. Sie hilft Menschen in schwierigen Lebenslagen und erspart ihnen, in Haft zu müssen. Damit erspart sie dem Land letztlich hohe Kosten; denn Haftplätze kosten viel Geld. Für diese Arbeit danke ich allen dort Tätigen ganz herzlich und möchte sie für die Zukunft ermutigen, die Fraktionen im Landtag und auch die Landesregierung weiterhin beharrlich in die Pflicht zu nehmen, weiterhin beharrlich ihren Bedarf vorzutragen und nicht lockerzulassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Dr. Marco Genthe [FDP])

Vielen Dank, Frau Piel. - Für die Fraktion der SPD spricht nun die Abgeordnete Wiebke Osigus. Frau Kollegin, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Piel, Sie liegen in der Sache nicht richtig. Wir haben das erste Mal seit vielen Jahren eine derartige Summe eingestellt, um der Straffälligenhilfe zumindest einen Anfang von Mittelausstattung zu verschaffen. Insofern weise ich das, was Sie eben gesagt haben, schon im Vorfeld meiner Rede zurück.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Anja Piel [GRÜNE]: Aber Sie waren doch beim letzten Mal gar nicht dabei! - Gegenruf von Jens Nacke [CDU]: Ich war dabei, und sie hat recht!)

Im Übrigen möchte ich die Debatte versachlichen. Was Herr Dr. Genthe gerade gesagt hat, trifft zu: Die Anlaufstellen für Straffälligenhilfe sind genauso wie die Schöffenämter wichtige Institutionen für Niedersachsen und leisten eine wertvolle Arbeit. Genau zu diesem Thema möchte ich jetzt sprechen.

Worum geht es also heute? - Viele hier haben in ihrem bisherigen Leben noch keine Berührung mit Haftbedingungen, Haftentlassungen oder Vorbereitungen zu einer Haft gehabt. Das ist grundsätzlich auch gut so. Trotzdem müssen wir natürlich an diejenigen denken, die sich eine Zeitlang im Gefängnis befunden haben. Wenn sich diese Zeit dem Ende zuneigt, kommen neue Probleme auf sie zu. Es geht meistens darum, eine neue Wohnung, eine neue Arbeit oder finanzielle Unterstützung zu finden. Trennungen von der bisherigen Familie und vom Freundeskreis sowie Isolation sind zusätzliche Probleme. An genau dieser Stelle setzt die Arbeit der Anlaufstellen für Straffälligenhilfe ein.

Meine Damen und Herren, Anlaufstellen für Straffälligenhilfe bieten Nachbetreuung für entlassene Personen und sind bereits zu Beginn der Entlassungsvorbereitung ein Ansprechpartner. Als Ansprechpartner für die Angehörigen kümmern sie sich um die Wiedereingliederung in unsere Gesellschaft. Sie bieten Beratungsangebote zur Verbesserung der finanziellen und sozialen Rahmenbedingungen und fangen Straffällige und ihre Familien auf.

Meine Damen und Herren, ein Neuanfang mit guter Begleitung beugt vor allem Rückfällen vor. Durch gute Vernetzung der Anlaufstellen mit Sucht- und Schuldnerberatung wird zudem die Möglichkeit geboten, erneute Straffälligkeit in diesem Bereich zu vermeiden. Zu nennen ist insbesondere das niedersächsische Erfolgsmodell „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen“. Durch die Anlaufstellen wird die Zahlung einer Geldstrafe realisiert. Das führt nicht nur zu Einnahmen, sondern verhindert auch Ausgaben für die Inhaftierung in Höhe von 155 Euro je Hafttag. Nicht zuletzt profitieren wir Fachpolitiker von dem Austausch mit den Kräften vor Ort. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen wichtige Impulse für unsere Arbeit und geben uns praktische Lösungen mit auf den Weg bzw. helfen uns, diese zu erarbeiten.

Meine Damen und Herren, wie Sie erkennen können, wird hier wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft geleistet: Prävention und Opferschutz, Vorbeugung von Konflikten. Den Dank meiner Fraktion und die dazugehörige Anerkennung möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich aussprechen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Piel, die Landesregierung hat die Ansätze im Haus

haltsplanentwurf 2019 auf 200 000 Euro erhöht. Wir als regierungstragende Fraktionen haben über die sogenannte politische Liste weitere 500 000 Euro für diese Arbeit zur Verfügung gestellt. Diese Summe von 700 000 Euro stellt die deutlichste Erhöhung der Mittel dar, die es seit Jahrzehnten gegeben hat.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist un- bestritten! Aber so zu tun, als hätte es vorher gar keine gegeben, ist falsch!)

Unser politischer Anspruch ist deswegen, diese Mittel zu verstetigen und ein auf die Dauer verlässliches Fundament zu schaffen. Die Richtlinie zur Förderung von Angeboten der Anlaufstellen sichert deren Arbeit für die Zukunft ab.

(Vizepräsidentin Petra Emmerich- Kopatsch übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, mit dem heutigen Antrag unterstützen wir die wichtige Arbeit dieser Anlaufstellen auch künftig und sichern ihre Angebote dauerhaft ab. Hinzukommend möchten wir die finanzielle Unterstützung sicherstellen und, soweit möglich, eine dauerhafte Erhöhung der Mittel im Haushalt vorsehen.

Über Ihre Zustimmung für dieses gute und richtige Vorhaben freue ich mich und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Osigus. - Die Kollegen sind übereingekommen, dass zunächst Herr Christopher Emden für die AfD-Fraktion das Wort bekommt.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich zunächst einmal ausdrücklich für die beachtliche und beeindruckende Leistung aller derjenigen zu bedanken, die in den Anlaufstellen für Straffälligenhilfe arbeiten. Sie leisten Großartiges. Sie leisten nämlich eine ganz, ganz wichtige Hilfe für alle diejenigen, die aus der Haftanstalt heraus wieder in das normale Leben zu integrieren sind. Es sind ganz, ganz wichtige Aufgaben, die diese Mitarbeiter dort haben. Insofern ist es gut, dass es diese Anlaufstellen gibt.

Umso erstaunter und erschrockener war ich - das muss ich ehrlich sagen; das war mir vorher gar nicht so bewusst -, als wir in der Anhörung im Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ gehört haben, wie unterfinanziert diese Anlaufstellen sind. Insofern ist es sehr erfreulich - deshalb können wir dem Antrag der Regierungskoalition auch zustimmen -, dass dort jetzt haushalterisch so viel passiert. Das hatte meine Vorrednerin eben schon erläutert. Es stehen jetzt in der Tat weitaus mehr Mittel bereit.

Ich erwarte aber - denn da ist der Antrag schwammig -, dass die Regierungskoalition dem auch treu bleibt, also dass es auch künftig darum geht, diesen Anlaufstellen die von ihnen benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen, dass das, was im Entschließungsantrag zu finden ist, also nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern dass es ernst gemeint ist und die Anlaufstellen nicht mehr so sorgenvoll zu einer Anhörung im Unterausschuss kommen müssen, wie das vor einem Dreivierteljahr der Fall war.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Danke sehr, Herr Emden. - Für die FDP-Fraktion spricht nun Kollege Dr. Marco Genthe.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man über die innere Sicherheit spricht, werden meistens zwei Dinge vergessen. Das eine ist die Arbeit in den Justizvollzugsanstalten, und das andere ist die Resozialisierung, die Begleitung von Straffälligen nach der Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt. Diese beiden Dinge sind sehr wichtige Säulen der inneren Sicherheit. Das Ziel muss es sein, dass aus Tätern keine Widerholungstäter werden.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr gut!)

Daher ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Betreffenden nach der Haft nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Die Anlaufstellen helfen dabei, beispielsweise im Falle von Arbeitslosigkeit, Überschuldung, Wohnungsnot, Suchterkrankungen usw. Diese Faktoren führen bei den Betreffenden sehr schnell dazu, dass sie in alte Verhaltensmuster und die Straffälligkeit zurückfallen.

Die 14 Anlaufstellen in Niedersachsen leisten seit 40 Jahren eine sehr gute Arbeit. Finanziert werden sie von den Trägern und von den Kommunen. Da das nicht ausreicht, steigt auch dort das Land ein. Dazu gab es eine Richtlinie, die im Konsens mit den Trägern erarbeitet worden ist. Aber diese Richtlinie wurde - so haben wir es eben schon gehört - nicht ausreichend finanziert, jedenfalls zunächst nicht. Das hat zu einer sehr großen Verunsicherung bei den Anlaufstellen und zu der konkreten Befürchtung geführt, dass eine Anlaufstelle - ich glaube, in Braunschweig - geschlossen werden soll. Erst über die politische Liste wurden weitere Mittel eingestellt.

Meine Damen und Herren, auch Anlaufstellen - ich habe das bei dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt schon gesagt - sind kein geeigneter Gegenstand für politische Spielchen. Ich hoffe daher inständig, dass dieser Entschließungsantrag dazu führen wird, dass erstens die Anlaufstellen jetzt ausreichend finanziert werden, dass zweitens Mitte des Jahres evaluiert wird, ob diese Finanzierung auch tatsächlich ausreicht, und dass drittens gegebenenfalls nachgesteuert wird, damit dort auch weiterhin erfolgreiche Arbeit betrieben werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön, Herr Dr. Genthe. - Für die CDUFraktion bekommt jetzt Christian Fühner das Wort.

(Beifall bei der CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es im Kern um die Stärkung wirksamer kriminalpolitischer und präventiver Arbeit. Die Anlaufstellen für Straffälligenhilfe, die vor rund 40 Jahren mit Unterstützung des Landes an 14 Standorten aufgebaut wurden, sind anerkannte, moderne Einrichtungen professioneller Sozialarbeit, die helfen, Kosten zu vermeiden und die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen. Durch die Träger der Freien Wohlfahrtspflege wird die soziale Integration von Straffälligen gefördert. Unsere Anlaufstellen sind damit auch Teil einer funktionierenden Justiz in Niedersachsen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Arbeit auch in Zukunft zu unterstützen, ist gleich aus mehreren Perspektiven äußerst sinnvoll. Zuallererst kümmern sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anlaufstellen darum, dass Menschen, die zum Teil schwere Fehler begangen haben, wieder einen Weg zurück in die Gesellschaft finden. In enger Abstimmung mit den Justizvollzugsanstalten arbeiten die Anlaufstellen an der Entlassungsvorbereitung mit und entlasten so den Sozialdienst in unseren Anstalten. Sie unterstützen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, vermitteln bei Bedarf als Mitglied eines engmaschigen Netzwerkes sozialer Vereine und Dienste an Angebote der Schuldnerberatung und Angebote der Suchtberatung. Die Anlaufstellen kümmern sich im Kern darum, dass die Menschen wieder eine Struktur bekommen.

Stellen wir uns an dieser Stelle doch einmal selbst die Frage, wie sich Menschen fühlen, die frisch aus dem Gefängnis entlassen worden sind! - Es entsteht eine gewisse Distanz zu einem reglementierten Alltag, obwohl es für sie eigentlich die Zeit sein sollte, die Integration in die soziale Gemeinschaft möglichst erfolgreich zu vollziehen. Die Strafe ist formal gesühnt, die delinquente Handlung möglichst therapeutisch bearbeitet, das Schuldeingeständnis des Täters ist in Handlungsbereitschaft übergeleitet. Diese Idealtypik wäre die Grundlage für eine gelingende Integration.

Aus der Perspektive des praktizierenden Übergangsmanagements bedarf es für den Integrationserfolg aber noch weiterer wichtiger Faktoren, vor allen Dingen der Chance auf Beteiligung am gesellschaftlichen Leben mit einer Wohnung, einer Beschäftigung und sozialen Kontakten. Bei Menschen, die vor dem Nichts stehen und um die sich niemand kümmert, ist das Risiko, erneut eine Straftat zu begehen, besonders hoch. Es macht also auch aus sicherheitspolitischer Perspektive Sinn, die Arbeit der Anlaufstellen zu unterstützen. Auch wenn deren Erfolg nicht messbar ist: Durch entsprechende Angebote wie z. B. Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Übergangswohnmöglichkeiten werden mit den Hilfesuchenden Lebensbedingungen geschaffen, die Voraussetzung dafür sind, dass eine erneute Straffälligkeit und Inhaftierung vermieden werden.

(Beifall bei der CDU)

Anlaufstellenarbeit verhindert Haft, reduziert die Rückfallgefährdung und leistet dadurch einen nicht

zu unterschätzenden Beitrag zur Sicherheit unseres Landes.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte neben der sozialpolitischen und der sicherheitspolitischen Perspektive noch auf einen dritten wichtigen Punkt zu sprechen kommen. Die Anlaufstellen führen seit 2010 flächendeckend das Projekt „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe“ durch. Im Rahmen dieses Angebotes wird gemeinsam mit dem zu einer Geldstrafe Verurteilten an einer leistbaren Ratenzahlungslösung gearbeitet. Mithilfe eines Treuhandkontos werden zuverlässig Raten abgeführt, sodass in Niedersachsen bereits viele Ersatzfreiheitsstrafen vermieden werden konnten. Dadurch sind im Land Niedersachsen allein im Jahr 2017 über 4,8 Millionen Euro für Haftstrafen eingespart worden.

Neben den von mir angesprochenen Punkten der präventiven Haftvermeidung und der Verminderung von Rückfallsituationen, die nur schwer in Zahlen zu definieren sind, wird mit diesem Projekt deutlich, dass sich die Arbeit der Anlaufstellen also auch aus finanzpolitischer Sicht bezahlt macht. Damit kommen wir zu der eigentlichen Debatte, die Frau Piel hier angestoßen hat.